Skaldendichtung

Skaldendichtung

Die Skalden (altnordisch skáld oder skæld = „Dichter“) waren höfische Dichter im mittelalterlichen Skandinavien, vorwiegend in Norwegen. Ihre Kunst nennt sich Skaldendichtung bzw. Skaldik, eine der genuin nordischen Kunstgattungen neben Saga-Literatur und eddischer Dichtung.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft des Wortes

Die Etymologie des Wortes ist umstritten: Eine Theorie verbindet das Wort mit der Wurzel von „sagen“ und hat es mit „schelten“ in Verbindung gebracht (altsächsisch skeldári = „Schelter“ bzw. mittelhochdeutsch schelte = „Verfasser von Spott- und Strafgedichten“ (Lit.: M. Steblin-Kamenski)), auch mit dem angelsächsischen „scop“ = Dichter (entsprechend althochdeutsch „scof“ oder „scopf“) und isländisch „skop, skaup“ = Spott. Eine andere Theorie behauptet eine Verwandtschaft zum lateinischen Wort „scatere“ = hervorsprudeln, überquellen und zum indogermanischen „uat“ = innerlich erregt sein, dichterische Begeisterung.(Lit.: Olsen, S. 95)

Geschichte

Ab etwa 800 kam die Skaldendichtung mit Bragi Boddason in Norwegen auf. Später rekrutierten sich viele Skalden an den norwegischen Höfen aus Island. Diese Fähigkeit zu dichten war sehr populär. Es sind bis 1200 mehr als 300 Namen von Skalden bekannt (Lit.: Kuhn). Sehr viele Skalden entstammten der Aristokratie. Die meisten Skalden waren Männer, aber es gab auch weibliche Skalden (skáldkonur), z. B. Jórunn skáldmær und Steinunn Refsdóttir. Den frühen Skalden wurden göttliche Inspirationen nachgesagt. Bragi Boddason wurde sogar für einen Gott gehalten.

Die gesprochen (nicht gesungen) vorgetragene Skaldendichtung (Lit.: Gade, Foote), vermischte ab dem 10. Jahrhundert heidnische mit christlichen Elementen. Es handelte sich ursprünglich um Gelegenheitsgedichte, eine spontane, improvisierte Dichtung („free-standing verses“ (Lit.: Poole)). Ein beliebtes Stilmittel der Skalden waren die Kenningar (Singular: Kenning) genannten Umschreibungen einfacher Begriffe.

Die Skaldendichtung gilt als wichtigste historische Quelle der mittelalterlichen skandinavischen Geschichte und rangiert hinsichtlich des Quellenwertes noch vor den Sagas. Bereits die Sagaverfasser waren sich dieses Quellenwertes wohl bewusst und zitierten diese als Beleg für ihre Darstellung. Snorri begründet dies in seiner Vorrede zur Heimskringla:

„... Anderes ist aufgezeichnet nach alten Skaldendichtungen oder Sagaweisen [gemeint sind genealogische Gedichte wie Ynglingatal], mit denen sich die Leute die Zeit vertrieben. Obwohl wir nun nicht genau wissen, was Wahres daran ist, so wissen wir doch sicher, dass kundige Männer aus alter Zeit diese Überlieferung für wahr gehalten haben.“

und am Ende:

„Als König Harald Schönhaar Alleinherrscher in Norwegen geworden war, wurde Island besiedelt. Beim König waren Skalden, deren Gedichte und Epen über die späteren Könige Norwegens man noch auswendig weiß. Wir legen großen Wert auf das, was in diesen Gedichten vorgetragen wurde, die vor den Häuptlingen selbst oder ihren Söhnen vorgetragen wurden, und wir halten alles für wahr, was sich in diesen Gedichten über ihre Kriegszüge und Schlachten findet. War es nämlich auch Skaldenart, die Männer besonders zu preisen, vor denen sie standen, während sie ihr Gedicht vortrugen, so würde es doch kaum einer von ihnen gewagt haben, von diesem Herrscher Taten zu erzählen, die alle, die sie hörten, ja auch der Herrscher selbst, als offenbare Phantasie oder Lüge erkennen müssten. Das wäre ja kein Preis, sondern vielmehr Hohn gewesen.“

Also ist nicht die Tendenz zu preisen das Problem der Skaldendichtung, sondern dass das Material doch sehr gering ist.

Soweit die Sagas die Skaldendichtung verarbeitet haben, kommt noch hinzu, dass diese ihre eigene Lebenswirklichkeit und Gedanken über das Königtum im 12. und 13. Jahrhundert auf die von den Skalden beschriebenen Zustände übertrugen und so auch die Dichtwerke oft in ihrem gesellschaftlichen Kontext missverstanden und missdeuteten.

Auf dem europäischen Festland starb der Berufsstand zu Beginn des 2. Jahrtausends aus. Auf Island konnte er sich jedoch noch bis in das 13. Jahrhundert halten. Der bekannteste altisländische Skalde ist Snorri Sturluson, der mit seiner Prosa-Edda oder Snorra-Edda als Lehrbuch für Skalden diese Kunstform wiederzubeleben versuchte. Diese waren durch die Unkenntnis der alten Mythen, deren Inhalte zur Bildung der Kenningar nötig waren, nach der Christianisierung in Vergessenheit geraten. Im Vordergrund seines Bemühens stand allerdings ein antiquarisches, kein heidnisch-religiöses Interesse.

Der Begriff in der Neuzeit

Im heutigen Isländisch und Färöisch ist ein skáld bzw. skald durchaus auch ein zeitgenössischer Dichter. So ist eine isländische skáldsaga oder eine färöische skaldsøga nicht etwa eine Skalden-Sage, sondern ein Roman.

Eine 1965 in Polen gegründete Band, die auch in der DDR populär war, nannte sich Skaldowie beziehungsweise in der DDR Die Skalden.

Skalden ist auch der Name einer Universitätssängerschaft in Innsbruck.

Siehe auch

Literatur

  • P. Foote, D. Wilson: The Viking Achievement. Praeger, New York 1970, Sidgewick and Jackson, London 1970, 1980, 1984, ISBN 0283354992
  • K. Gade: On the recitation of Old Norse skaldic poetry. In: Studien zum Altgermanischen. Festschrift für Heinrich Beck. Ergänzungsbd 11 zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Walter de Gruyter, Berlin-New York 1994, S. 126–151, ISBN 3-11-012978-7
  • Alexander Jóhannesson: Isländisches Etymologisches Wörterbuch. Francke, Bern 1956.
  • H. Kuhn: Das Dróttkvætt. Heidelberg 1983, ISBN 3-533-03204-3
  • M. Olsen: Skalde. in: Arkiv för nordisk filologie. Capellen, Kristiania 1883 ff. (später Lund). Bd 38.
  • R. Poole: Skalde. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bd 28. Walter de Gruyter, Berlin-New York 2005, S. 553–559, ISBN 3-11-018207-6
  • M. Steblin-Kamenski: On the etymology of the word „Skáld“. In: Afmælisrit Jóns Helgasonar. Festschrift hrsg. v. Jakob Benediktsson, Jon Samsonarson u. a. Heimskringla, Reykjavík 1969, S. 421–430.

Weblinks


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