- Slumbildung
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Das englische Wort Slum (gesprochen slʌm) wurde zuerst um das Jahr 1820 in London bekannt. Ursprünglich stand Slum für "eine Wohnung mit niedrigem Standard". Slum beschrieb die armseligen Unterkünfte der Arbeiter nahe bei den Fabriken, die in gedrängt vollen Siedlungen mit schlechter Versorgung lebten; war dann die Bezeichnung für Stadtviertel mit schmutzigen Hintergassen.
Ein Slum ist heute ein verwahrloster, verfallener Teil einer Stadt. Umgangssprachlich werden heute übervölkerte und verwahrloste Elendsviertel von Städten, die gewöhnlich von sehr armen Leuten, oft städtischen Zuwanderern bewohnt werden, als Slum bezeichnet und damit die informellen Siedlungen, das heißt randstädtische Elendsviertel eingeschlossen. Charakteristisch sind eine heruntergekommene Bausubstanz und schlecht ausgebaute Infrastruktureinrichtungen (mangelhafte Anbindung durch öffentliche Verkehrsmittel, zweifelhafte Absteigen, armselige Geschäfte, mangelhafte Müllabfuhr u. a. m.).
Heute definiert UN-HABITAT den Begriff Slum als „Siedlung, in der mehr als die Hälfte der Einwohner in unzumutbaren Unterkünften ohne grundlegende Versorgungseinrichtungen leben“. Slumbewohner leben demnach „ohne Eigentumsrechte, Zugang zu sauberem Wasser, Zugang zu sanitären Einrichtungen und ohne ausreichenden Wohnraum“. Beinahe jeder sechste Mensch muss sein Leben in einem der Elendsviertel der Erde fristen in dem Armut, Krankheit und Diskriminierung herrschen.
Als Slums oder Informelle Siedlungen (ungenauer Elendsviertel) werden im Mittleren Osten die Compounds, in Argentinien die Marginalsiedlungen oder Villa Miseria, in Brasilien die Favelas oder Asentamientos Humanos, in Peru die Barriadas, in Ecuador die Invasiones oder Guasmos und in der Türkei die Gecekondu bezeichnet.
Inhaltsverzeichnis
Vorkommen und Entwicklung
Laut einem Bericht der vereinten Nationen lebt jeder sechste Mensch in einem Slum. Das heißt, dass es weltweit rund eine Milliarde Menschen gibt, die in den Slums leben. Slums finden sich zumeist in den großen Städten der "Dritten Welt".
Slums sind durch eine hohe Armuts- und Arbeitslosenrate gekennzeichnet. Häufig treten auch soziale Probleme wie Kriminalität, Drogenmissbrauch und Alkoholismus verstärkt auf. In vielen Ländern sind sie aufgrund der schlechten sanitären Bedingungen Brutstätten von Krankheiten.
Die Entstehung von Slums wird im Wesentlichen durch zwei Phänomene begünstigt.
- Zum einen findet ein starker Zuzug (z. B. Landflucht) in die Ballungsräume statt. Der damit verbundene demographische Wandel innerhalb eines Zeitraums von weniger als einer Generation erschwert erheblich die Möglichkeiten zur Assimilierung der neuen Bevölkerung in die Stadt.
- Zum anderen verharren die Bewohner der Städte in der Stadt. Durch innerstädtische Wanderungsbewegungen erfolgt eine Segregation in verschiedene Nachbarschaften.
Diese beiden Phänomene begründen für sich die Entstehung von Slums noch nicht. Sie führen in einer ersten Stufe zur Bildung von Stadtteilen mit sehr unterschiedlicher sozialer Struktur und zu Ghettos (Ghettoisierung). Die Siedlungsbereiche der schwächeren Bevölkerungsgruppen in diesem Gefüge können sich im Lauf der Zeit zu Slums verwandeln.
Die Rolle der innerstädtischen Verkehrswege bei dieser Entwicklung ist ambivalent, da deren eigentlicher Zweck die Stadtteile zu verbinden auch von deren Trennungswirkung überlagert wird. Im Besonderen gilt das für höherrangige Straßen und Autobahnen, deren Überquerung für die Bewohner erschwert wird.
Nicht alle Siedlungen, die äußerlich von einem Beobachter schon als Slum interpretiert werden, erfüllen bei näherer Betrachtung die Kriterien eines Slums. Städteplaner attestieren manchen Vierteln bereits urbane Qualitäten. Dazu gehören funktionierende Nachbarschaften, kurze Wege, moderate Durchmischung von Wohn- und Gewerbenutzungen. Materieller Mangel der Bewohner führt dazu, dass Bauten, die den Maßstab sprengen, nicht entstehen. Wesentlich an diesen Stadtteilen ist die hohe Bebauungsdichte. Der fehlende Autoverkehr begünstigt die sonst ungünstige allgemeine Aufenthaltsqualität. In diesen Slums gibt es – wie in den Stadtkernen Europas vor über 100 Jahren - hygienische Probleme (z. B. fehlende Wasserversorgung, Kanalisation etc.).
Slums, die aus der Landflucht heraus entstanden sind, sind sozial wie technisch ähnlich organisiert wie die dörflichen Strukturen in der Heimat der Landflüchtigen. Stadtplaner scheitern hier oft an der Schwierigkeit, eine agrarisch geprägte Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit stadttauglich zu machen.
Multizentrale Städte mit kleinen selbstorganisierenden, aber durchmischten Nachbarschaften sind am ehesten geeignet, gegenseitige Verantwortung der Bevölkerung zu bilden und zu fördern und so dazu beizutragen, dass aus ärmlichen Stadtvierteln keine Slums werden, sondern sukzessive eine Verbesserung des Standards erreicht wird. Es ist dabei wesentlich, das Bildungsniveau der Bevölkerung zu erhöhen.
Die Slums einiger Großstädte sind nicht aus der Landflucht entstandenen sondern zumeist aus der Segregation von Nachbarschaften. Die öffentlichen Infrastruktur in diesen Gebieten wuchs nicht in dem Maße, wie die Anzahl der Bewohner. Auch hier kann durch soziale und technische Maßnahmen eine Verbesserung der Situation erzielt werden – allerdings mit dem Vorteil, dass die dortige Bevölkerung prinzipiell bereits städtisch geprägt ist.
Einige Regierungen versuchen, das Problem der Slums zu lösen, indem sie die bauanfälligen alten Gebäude abreißen und sie durch moderne, meist stark verdichtete Wohnsiedlungen mit besseren sanitären Anlagen, ersetzen. Solche Lösungsversuche können jedoch nur Erfolg haben, wenn auch die sozialen Probleme der Bevölkerung gelindert oder beseitigt werden.
Slumbildung
Nach Mike Davis' "Planet of Slums" sei zur Erklärung, weshalb die Slums in den letzten Jahren förmlich "explodierten", zunächst zu erklären, weshalb die Städte in den "unterentwickelten" Staaten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vergleichsweise langsam wuchsen.
Die Gründe für das vorerst langsame Wachstum seien vielschichtig. Davis sieht hier einen wichtigen Grund im Kolonialismus - vor allem im britischen -, der den Kolonialisierten die Stadtrechte verweigerte. Hinzu komme, dass die sozialistischen Staaten, wie die Volksrepublik China (bis 1980) und die Sowjetunion, mit ihrer Planwirtschaft ebenfalls ein zu starkes Stadtwachstum eindämmten. In Lateinamerika, wie etwa Venezuela oder Mexiko-Stadt, wurde mit der Politik des Bulldozing versucht, die Slums klein zu halten.
Mit dem Ende des Kolonialismus fielen zugleich die politischen Stadtmauern, und die Menschen ergriffen das Recht auf Freizügigkeit. Hierzu wurden sie durch Hungersnöte und Verschuldung gezwungen, aber mehr noch durch Bürgerkriege und die Politik der Counterinsurgency. Die Einführung der kapitalistischen Logik sorgte in Staaten wie China und Russland mitsamt seinen Satellitenstaaten ebenfalls für ein rasches Anwachsen der Städte. Soziale Wohnungsbauten wurden in der Regel von den Mittelschichten und von Militärangehörigen beschlagnahmt. Das endgültige Aus für ein gemäßigtes Städtewachstum und die Eindämmung der Slums war nach Davis schließlich das vom IWF eingeführte Strukturanpassungsprogramm (SAP), welches seit 1975 den Rückzug von Sozialmaßnahmen aus den Vierteln der Armen beschleunigte.
Vor allem war und ist das Slumwachstum eine Folge der Landflucht, bedingt durch die Pull-Faktoren (jene Faktoren, die die Menschen in die Stadt ziehen), und der Überbevölkerung und Armut auf dem Land.
Siehe auch
- Informelle Siedlung
- Favela
- Entwicklungsland
- Verstädterung in Entwicklungsländern
- Siedlungsgeographie
- Sozialer Brennpunkt
- Stadtsoziologie
- Sozialgeographie
- Gängeviertel: Frühere Wohnquartiere in der Altstadt, der Neustadt von Hamburg
Literatur
- Mike Davis: Planet of Slums. 2006, ISBN 1-84467-022-8, dt. Planet der Slums, Berlin 2007, ISBN 3-935936-56-7
- Elisabeth Blum, Peter Neitzke (Hrsg.): FavelaMetropolis. Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und São Paulo. Birkhäuser, Basel 2004, ISBN 3-7643-7063-7
- United Nations Human Settlements Programme (Hrsg.): The Challenge of the Slums. Global Report on Human Settlements 2003. Earthscan, London 2003, ISBN 1-84407-037-9
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