Solipsist

Solipsist

Der Solipsismus (von lat. solus allein und ipse selbst: nur ich selbst oder das Selbst allein) ist ein philosophischer Begriff. Er bezeichnet den erkenntnistheoretischen Standpunkt, nur das eigene Ich sei wirklich, während die Außenwelt und andere fremde "Ichs" nur Bewusstseinsinhalte ohne eigene Existenz darstellten. Alles Sein ist im eigenen Ich, im eigenen Bewusstsein beschlossen.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Der Begriff kam im 19. Jahrhundert auf, um ein philosophisches Problem zu benennen, das mit der neuzeitlichen Philosophie des Subjektivismus in Erscheinung trat und jeder subjektiv-idealistischen Denkweise anhängt. Ausgangspunkt bildet die Philosophie des René Descartes und seiner Lehre. Dem Cartesianismus zufolge gibt es nur zwei Arten des Seins, das denkende Ich (res cogitans) und die Welt der Dinge (res extensa). Logisch und erkenntnistheoretisch ist es nun unmöglich, von der Existenz des einen denkenden Ich auf die Existenz weiterer Ichs zu schließen. Descartes betont: "die Außenwelt könne ein bloßer Traum sein." (Princ. philos. I, 4. Medit. I)

Eine bedeutsame Schlussfolgerung hat Arthur Schopenhauer formuliert: Wille sei die Wesenheit einer unerreichbaren, externen Realität, und somit eine Illusion. Der Mensch kann sich frei definieren, wenn er es aber tue, so sei es sein Schicksal und nicht sein Wille. Der Wille als solcher wird nicht negiert, jedoch als Phänomenon des noumenalen Unbewussten erachtet.

„Die Welt ist meine Vorstellung“ gilt Schopenhauer als erster Hauptsatz seiner Philosophie. Es gibt für ihn nichts Beobachtetes ohne Beobachter, kein Objekt ohne ein Subjekt. Die Welt, als Vorstellung betrachtet, zerfällt in Subjekte und Objekte, die zwar untrennbar voneinander verschieden, jedoch letzten Endes beide nur Erscheinungen des metaphysischen Willens sind, der das Wesen der kosmischen Welt ist, das sich, in Subjekt und Objekt erscheinend, gleichsam selbst anschaut.
Dem Menschen als höchster Erscheinungsform des noumenalen metaphysischen Willens ist nach Schopenhauer die Möglichkeit gegeben, die Illusion des persönlichen Willens aufzuheben, und so in einen Zustand des Nichtseins, des Nirvana zu gelangen. Hier zeigt sich ein starker Einfluss der indischen Philosophie. Im indischen Oupnekhat wird eine Art Solipsismus ausgesprochen: »Hae omnes creaturae in totum ego sum et praeter me ens aliud non est et omnia ego creata feci« (Schopenhauer: Parerg. II, § 13).

Als konsequentester Solipsist wird oft Max Stirner genannt, der in seinem Buch Der Einzige und sein Eigentum (1845) einen rigorosen Egoismus vertritt („Mir geht nichts über Mich“). Stirner meint aber damit keine solipsistische Position, sondern möchte diesen Egoismus im Prinzip allen Menschen zubilligen. Sein zitiertes Motto besagt, dass der Mensch sich nicht von einer höheren Instanz, auch und vor allem nicht von einer als Über-Ich internalisierten, beherrschen lassen sollte.

Was für den alltäglichen Verstand zunächst absurd klingen mag, hat sich als eine ernste Provokation der jüngeren Philosophiegeschichte erwiesen (vgl. Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts, darin das zentrale Kapitel „Die Klippe des Solipsismus“). Bei Ludwig Wittgenstein wird das Thema im Zusammenhang mit dem Privatsprachenargument behandelt, in der Phänomenologie mit dem Problem der Fremdwahrnehmung.

Beschreibung

Das Universum kann nach Meinung der Solipsisten in zwei Teile eingeteilt werden: das sich selbst bewusste Denken und der Teil, der sich als unbewusstes Denken manifestiert.

Dem Solipsismus zufolge verhält sich der unbewusste Teil des Denkens genauso komplex und unberechenbar, als ob er „äußerlich“, also überhaupt kein Bestandteil des eigenen Selbst, wäre. Die Differenzierung von realistischem Universum und dem Universum des Unterbewussten kollabiert, wenn man erkennt, dass die Idee eines „äußerlich“ und eines „unbewussten“ lediglich unterschiedliche Begrifflichkeiten darstellen, die unkennbare, noumenale Ereignisse außerhalb der bewussten Erkenntnis beschreiben. Dies führt zur Schlussfolgerung, dass das Unbewusste nicht das eigene Selbst, sondern eine fremdartige, noumenale Entität darstellt.

In der Philosophie nach Hegel wird, häufig gestützt auf eine subjektivistische Interpretation sinnesphysiologischer Ergebnisse, von subjektiv-idealistischen Strömungen die angebliche Subjektivität der Qualitäten mit dem Argument verteidigt, dass die Verneinung der Objektivität der Eigenschaften den Dualismus von Physischem und Psychischem aufhebe. Diese Tendenz führt letztlich in die Verneinung der objektiven Realität.

In der Entwicklungspsychologie Jean Piagets bedeutet Solipsismus eine frühkindliche Phase, in der das Kind noch nicht zwischen sich und der Außenwelt unterscheiden kann.

Schlussfolgerungen

Die wissenschaftliche Empirie spielt nicht nur in den eigentlichen empirischen Erfahrungs-Wissenschaften, insbesondere in der Naturwissenschaft und Medizin, sondern auch in der Philosophie eine Rolle. Bildet nach Kant die Erfahrung die Grundlage der gesamten theoretischen Philosophie, so kann durch bloße Erfahrung eine rein philosophische Erkenntnis nicht geschaffen werden. Erfahrungen, seien sie noch so reich, aus allen Teilen der Welt und aus allen Zeiten zusammengerafft, bilden nur eine Masse von Einzelheiten, welcher jene Ordnung und höhere Einheit abgeht, ohne welche überhaupt keine wissenschaftliche, geschweige eine philosophische Erkenntnis denkbar ist. Es sei also nötig, mit dem reinen Denken an die gesammelte Erfahrung heranzutreten und die durch diese gefundenen Begriffe einer regelmäßigen Bearbeitung zu unterwerfen.

So markiert der Solipsismus als Idealismus - im Gegensatz zum Realismus - zunächst eine Erkenntnistheorie, die insofern skeptisch ist, als sie eine äußere, vom Bewusstsein unabhängige Realität für unerkennbar hält. Der ontologische Solipsismus geht - im Vergleich zum erkenntnistheoretischen - noch einen Schritt weiter und hält eine bewusstseinsunabhängige Außenwelt nicht nur für prinzipiell unerkennbar, sondern für eine reine Vorstellung des subjektiven Bewusstseins, also für objektiv nicht existent.

Eine heute häufig anzutreffende Einstellung besagt, der Solipsismus sei theoretisch unwiderlegbar und eine »unvermeidliche logische Konsequenz«, praktisch aber unannehmbar, und durch den Glauben an das fremde Ich zu ersetzen (nach Martin Keibel: Werth und Ursprung der philosophischen Transcendenz S. 68 ff.).

Kritik

Bewusstsein – Nach Ansicht der Kritiker zieht der Solipsismus die Realität von Fremdpsychischem nicht ernsthaft in Betracht, da vom eigenen auf ein anderes Bewusstsein nur per vager Analogie geschlossen werden könne, und Kommunikation mit Fremdpsychischem nur über die symptomatische Manifestation im Bewusstsein des Beobachters stattfinden könne, also innerhalb dessen subjektiven Erfahrungsfeldes. Auf den Widerspruch, dass das „fremde“ Ich, dasjenige, von dessen Erlebnissen ich nichts weiß, doch nur Inhalt meines Bewusstseins sein soll, machte Wilhelm Jerusalem in seiner Einleitung in die Philosophie aufmerksam.

Sprachtheorie – Gegen den Solipsismus wurde auch sprachphilosophisch argumentiert. Kritiker sahen einen Widerspruch darin, dass Solipsisten Sprache als kommunikatives Medium gebrauchen. Dies setze eine intersubjektive Welt voraus, deren Existenz der Solipsismus leugne. Sprache sei ein essentielles Werkzeug, das dem Zweck diene, mit anderen Individuen zu kommunizieren. Warum aber benötigt das Gedankengebäude des Solipsisten eine Sprache, wenn andere Individuen angeblich nicht existieren?

Nach Ansicht der Solipsisten ist Sprache ein Phänomenon symbolischer Geräusche und entspringt einer noumenalen Welt der unerkennbaren, unwissbaren Muster und Formen. Der Solipsist stellt sich andere Individuen vor, vielleicht imaginiert er andere Subjekte, die nur Computerprogramme des Biocomputers, also des unbewussten Denkens, sind, die er eine Zeit lang absichtlich vergessen hat, um eine Sprache erfinden zu können, die es ihm ermöglicht mit diesen isolierteren Manifestationen innerhalb seines Bewusstseins zu kommunizieren.

Philosophische Probleme seien, diesen Standpunkt vertrat Ludwig Wittgenstein in seinem Spätwerk 'Philosophische Untersuchungen', nichts anderes als „Scheinprobleme“ d. h., lediglich „Sprachverwirrungen“, die durch Rekurrieren auf die normale, also umgangssprachliche Verwendungsweise der Begriffe und Wörter aus der Welt geschafft, gleichsam „wegtherapiert“ werden könnten. Dies werde möglich, indem man die internen Spielregeln eines Sprachspiels, also die Regeln der Verwendungsweise der einzelnen Wörter und Sätze, darin aufdecke.

Vergleich mit anderen Denkweisen

Erkenntnistheorie. – Im erkenntnistheoretischen Subjektivismus wird der Standpunkt vertreten, dass die menschliche Erkenntnis vornehmlich durch das menschliche Subjekt bedingt ist. Als Konsequenz führt dieser Standpunkt zu einer Form des Solipsismus, der die Existenz beziehungsweise die Erkennbarkeit objektiver Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten weitgehend negiert.
Platon vertrat eine objektiv-idealistische, eng mit der Religion verbundene Weltanschauung, nach der wahres Sein nur den ewigen und unveränderlichen Ideen zukomme, während die Gegenstände der materiellen Welt lediglich Nachbildungen, Abschattungen der Ideen seien und eine Mittelstellung zwischen Sein und Nichtsein einnehmen. Die Erkenntnis der Ideen wird bei ihm durch eine immaterielle Seele vollzogen, die ihr Werk am besten verrichten kann, wenn sie von den Einflüssen des Körpers befreit ist. Erkennen ist nur Wiedererinnern (anamnesis); denn die Seele trägt alle Erkenntnisse bereits in sich.

Radikaler Konstruktivismus. – Der Radikale Konstruktivismus vertritt einen erkenntnistheoretischen Standpunkt nahe dem des Solipsismus. Die radikale Interpretation macht explizit, dass für den Aufbau von Wissen keine Realität erkannt werden muss. Wissen ist viabel, solange es mir dient. Dabei ist bedeutungslos, ob und wie das Wissen einer oder der Realität entspricht.

Siehe auch

Literatur

Belletristische Literatur

  • Éric-Emmanuel Schmitt: Die Schule der Egoisten. Aus dem Französischen von Inés Koebel, Zürich: Ammann Verlag 2004, ISBN 3-250-60061-X (Der Titel müsste eigentlich Die Schule der Solipsisten heißen. Da dieser Begriff aber wenig bekannt ist, hat ihn der Autor, ein studierter Philosoph, zugunsten des populären "Egoismus" vermieden. Der Roman bietet eine amüsante Erläuterung der Problematik des Solipsismus.)
  • Henry Rollins: Solipsist. Sammlung von Gedichten, Essays, Kurzgeschichten und Fragmenten. Bremen: MirandA-Verlag 2003 ISBN 3-934790-05-4
  • Kurt Vonnegut: Breakfast of champions: Roman. Aus dem Amerikan. von Kurt Heinrich Hansen. München: Goldmann 1999 ISBN 3-442-44516-7
  • Martin Eichhorn: Kommste, willste, kriegste: Ein philosophischer Kriminalroman. Würzburg: Könighausen & Neumann 2004 ISBN 3-8260-2640-3
  • David Ambrose: Der 8. Tag Bergisch-Gladbach: Augsburg: Weltbild Verlag 1997 ISBN 3-404-12988-1

Philosophische Literatur

  • Rudolf Carnap: Der logische Aufbau der Welt, Hamburg 1961, Kap. IV A und IV C;
  • Moritz Schlick: "Meaning and Verification", in: H. Feigl und W. Sellars: Readings in Philosophical Analysis, New York 1949, S. 146-170;
  • P. M. S. Hacker: "Empirischer Realismus und transzendentaler Solipsismus", in: Einsicht und Täuschung, Frankfurt 1978, S. 87-122 Kap. 3;
  • N. Malcolm: "The Privacy of Experience", in: Thought and Knowledge, Ithaca und London 1977, S. 104-132.
  • G. Graham: "The Problem of Other Minds", in: Philosophy of Mind, An Introduction, Oxford 1993, Kap. 3, S. 36-59;
  • R. C. Buck: "Non-Other Minds", in: R. J. Butler (Hg.): Analytical Philosophy, Bd.1, Oxford 1966, S. 187-210;
  • Hilary Putnam: "Brains and Behaviour", in: Analytical Philosophy, Bd. 2, Oxford 1968, S. 1- 19;
  • N. Malcolm: "Knowledge of Other Minds", in: Knowledge and Certainty, Ithaca und London 1975; S. 130-140;
  • J. L. Austin: "Fremdseelisches", in: Gesammelte philosophische Aufsätze, Stuttgart 1986, S. 101 - 152.
  • P. M. S: Hacker: "Die Widerlegung des Solipsismus", in: Einsicht und Täuschung, Frankfurt 1978, Kap. 7, S. 251-286;
  • M. ter Hark: "Wittgenstein und Russell über Psychologie und Fremdpsychisches", in: Wittgenstein über die Seele, Frankfurt 1995, S. 84-106;
  • Peter Frederick Strawson: "Personen", in: Einzelding und logisches Subjekt (Individuals), Stuttgart 1972, S. 111-149;
  • Z. R. Reinhardt: "Wittgenstein and Strawson on Other Minds", in: P. Winch (Hg.): Studies in the Philosophy of Wittgenstein, London 1969, S. 152-165.
  • Martin Keibel: Werth und Ursprung der philosophischen Transcendenz: eine Studie zur Einleitung in die Erkenntnistheorie. Berlin: W. Weber, 1886 (Inaugural-Dissertation Universität Straßburg 1886)
  • Christian Rother: Zur Geschichtlichkeit transzendentaler Intersubjektivität bei Husserl, in: J. Papst und P. Kügler (Hg.): Kontroversen, Heft 3, Juni 1992, S. 45-56.
  • Wilhelm Jerusalem: Einleitung in die Philosophie. Wien: Braunmüller, 1909 (4. verbesserte Auflage)
  • Thomas Nagel: Was bedeutet das alles?. Philipp Reclam jun. Stuttgart, 1990

Weblinks


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