- Spin (Physik)
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Der Spin (von engl. spin, Drehung, Drall) ist eine quantenmechanische Eigenschaft von Elementarteilchen, die in der klassischen Physik kein Pendant hat, eine Art nicht[sic]-klassischer Eigenrotation. Weil aber die zugehörige klassische Vorstellung nach heutiger und logischer Sichtweise falsch ist, kann der zuletzt benutzte Begriff beim Verständnis nur bedingt behilflich sein. Der Spin verhält sich mathematisch (z. B. unter Rotationen des Raumes) bis zu gewissem Grade als Drehimpuls: Präzise gesagt, er genügt denselben mathematischen Vertauschungsrelationen wie der Bahndrehimpuls, unterscheidet sich aber in nicht-klassischer Weise von diesem und vom Drall rotierender Körper durch das sog. gyromagnetische Verhältnis, d. h. im magnetischen Moment (s.u.). Außerdem gilt der Erhaltungssatz des Gesamtdrehimpulses nur für die Summe aus (klassischem) Bahndrehimpuls und Spin eines Systems. Daher ist der Spin im Gegensatz zum Isospin nicht nur mathematisch eine dem Bahndrehimpuls analoge Eigenschaft, sondern tatsächlich eine Art von Drehimpuls, allerdings von Anfang an ein nicht-klassisches Phänomen.
Schon in der nicht-relativistischen Quantenmechanik hat der Spin jedoch elementare Bedeutung und bestimmt z. B. über das Pauli-Prinzip entscheidend den atomaren Aufbau und die Chemie aller Substanzen. Er wird durch sog. Spinoren und Pauli-Matrizen beschrieben. Erklärt werden kann er auf einfache Weise in einer relativistischen Quantenmechanik (Dirac-Theorie), jedoch ist der Spin keine „relativistische Eigenschaft“, wie oft behauptet wird. [1]
Inhaltsverzeichnis
Spin, Spinquantenzahl und Spineigenzustand
Ein in der Quantenmechanik durch seine Wellenfunktion (d. h. den Zustandsvektor) Ψ gegebenes Objekt wird bei einer (idealen) Messung in einen Eigenzustand mit assoziiertem Eigenwert transformiert; die Eigenwerte sind die möglichen Messwerte. Die Spineigenzustände und -eigenwerte ergeben sich – in Analogie zum quantenmechanischen Drehimpuls – aus den Lösungen der folgenden Eigenwertgleichungen:
Dabei sind und die Spinoperatoren. Die reellen Zahlen s und sz sind die sog. Spinquantenzahl und die magnetische Spinquantenzahl. Man sagt auch vereinfachend, das Teilchen habe den Spin s oder es sei ein Spin-s-Teilchen. Eine wichtige Eigenschaft des Spins ist, dass nur diskrete Werte möglich sind, im Gegensatz zum Bahndrehimpuls aber auch halbzahlige: Ein Teilchen kann einen Spin von 0, von 1/2, von 1 (und so weiter, in Schritten von 1/2) haben.
Die Spinquantenzahl s eines Elementarteilchens ist fest vorgegeben und kann sich nicht ändern. Die möglichen sz-Werte ergeben sich dann zu
Das heißt, dass ein Spin-0-Teilchen nur einen einzigen Eigenwert, bzgl. besitzt. Ein Spin-1/2-Teilchen hat dagegen zwei Eigenwerte, oder Allgemein hat ein Spin-s-Teilchen 2s + 1 Eigenwerte bzgl.
Die Zustände des Spins werden in der Tat durch 2s + 1-komponentige Spinoren dargestellt. Statt im Spinorraum wird aber meistens im Spinraum gerechnet, d. h. die Spinoperatoren werden durch Matrizen und die Zustände durch Vektoren dargestellt. Ein Spinor lässt sich nach den Basisvektoren des Spinraumes entwickeln:
Da die Eigenschaft „Spin“ nur eine begrenzte Zahl von Zuständen annehmen kann, kann es sich logischerweise nicht um eine Eigenrotation der Teilchen handeln, wie bei der ursprünglichen Idee. Es gäbe keine Erklärung für bestimmte Rotationsgeschwindigkeiten und identische Orientierung der Rotationsachsen aller Teilchen der gleichen Art. Dazu kommt die Tatsache, dass bei Bahndrehimpulsen nur ganzzahlige Werte von s möglich sind und dass man auf elementarem Wege zeigen kann, dass das sog. gyromagnetische Verhältnis (erzeugtes magnetisches Moment dividiert durch den Drehimpuls) bei Bahndrehimpulsen 1, aber beim Spindrehimpuls mit halbzahligem s doppelt so groß ist (im Bild der Eigenrotation würde man ebenfalls 1 erhalten).
Man muss sich also mit den mathematischen Eigenschaften begnügen, welche besagen, dass es sich beim Spin nicht um ein Objekt der Drehgruppe SO3 sondern ihrer komplexen Überlagerungsgruppe SU2 handelt, und damit, dass eine befriedigende physikalische Erklärung nur in einer relativistischen Quantentheorie möglich ist.
Spin als Erhaltungsgröße
Die Spinquantenzahl s eines Elementarteilchens ist unveränderlich, die Spinausrichtung allerdings nicht. Der Gesamtdrehimpuls eines Systems aus mehreren Teilchen ist ebenfalls eine Erhaltungsgröße, der Gesamtspin jedoch nicht. Wenn also Reaktionen etwa in der Atomphysik beobachtet werden, dann ist die Summe aller Gesamtdrehimpulseigenwerte vor und nach der Reaktion die gleiche.
Die für die Einteilchen-Erhaltungsgröße „Spin“ verantwortliche Symmetrie wird in einer relativistischen Theorie beschrieben durch die eigentliche Lorentz-Gruppe SO(3,1). So gesehen ist der Spin eine Einteilchen-Erhaltungsgröße. Der kompakte Anteil der speziellen orthochronen Lorentzgruppe ist aber isomorph zu SU(2) x SU(2). Diese Tatsache rechtfertigt die in der nichtrelativistischen Physik übliche Verwendung von Zweierspinoren, die sich dann mit den beiden Eigenwerten j1 und j2 der SU(2) adressieren lassen:
(j1, j2) Bedeutung (0, 0) ? (1/2, 0) Neutrinos (1/2, 1/2) Vierervektoren, die definierende Transformation (1/2, 0) x (0, 1/2) Dirac-Darstellung (1, 0) x (0, 1) der antisymmetrische Tensor Fij Spin und Magnetisches Moment
Der Spin eines Elementarteilchens kann über das mit ihm assoziierte magnetische Moment gemessen werden (Einstein-de-Haas-Effekt, Stern-Gerlach-Experiment). Über dieses magnetische Moment tritt der Spin in Wechselwirkung mit magnetischen Feldern, so dass ein Teilchen je nach Ausrichtung seines Spins in einem Magnetfeld unterschiedliche Energiemengen enthält. Im Atom treten auf diese Weise Wechselwirkungen zwischen Elektron und Atomkern oder zwischen verschiedenen Elektronen auf. Diese Wechselwirkung wird technisch in der Kernspinresonanz (z. B. im Kernspintomografen) bzw. in der Elektronenspinresonanz ausgenutzt. Auch das bereits erwähnte gyromagnetische Verhältnis wird durch diese Wechselwirkung festgelegt.
Spin und Statistik
Gemäß dem Standardmodell der Physik klassifiziert man Elementarteilchen nach ihrem Spin in Bosonen (ganzzahliger Spin) und Fermionen (halbzahliger Spin). Diese Klasseneinteilung, „halb-“ bzw. „ganzzahliger Spin“, entsprechend der jeweiligen Teilchenart wird durch das Spin-Statistik-Theorem begründet. Bosonen und Fermionen haben ein unterschiedliches Symmetrieverhalten unter Rotationen: Die Wellenfunktion eines Bosons geht unter einer Rotation von 360 Grad in sich selbst über. Bei einem Fermion entsteht bei einer Rotation um 360 Grad jedoch nicht die identische Wellenfunktion, sondern − Ψ. Erst bei einer Rotation um 2x360=720 Grad ergibt sich Ψ. Bei einem Vergleich mit klassisch-mechanischen Körpern würde das bedeuten, dass man Bosonen wie herkömmliche Gegenstände einmal umrunden muss, um sie wieder aus demselben Blickwinkel sehen zu können; Fermionen hingegen müssten zweimal umrundet werden, damit sie wieder gleich aussehen.
Einer Vertauschung zweier ununterscheidbarer Teilchen entspricht eine Drehung der Zweiteilchen-Wellenfunktion um 360 Grad (Teilchen 1 geht z. B. auf einem oberen Halbkreis von 1 nach 2, Teilchen 2 auf dem zugehörigen unteren Halbkreis von 2 nach 1).
Dies ist der wesentliche Grund für das Spin-Statistik-Theorem, und damit letztendlich dafür, dass für Fermionen das Pauli-Prinzip gilt. Vertauscht man zwei Fermionen, negiert sich das Vorzeichen der Gesamtwellenfunktion des Systems, während die Vertauschung zweier Bosonen die Wellenfunktion unbeeinflusst lässt. Die Folge ist, dass sich zwei Fermionen, im Gegensatz zu Bosonen, nie im selben Zustand aufhalten können. Dem Spin-Statistik-Theorem zufolge gehorchen alle Fermionen der Fermi-Dirac-Statistik, alle Bosonen der Bose-Einstein-Statistik.
Aufgrund dieser Eigenschaften von Elementarteilchen kann ein Energieniveau (genauer: Ein-Teilchen-Zustand) höchstens durch zwei Fermionen besetzt werden. Ein Beispiel: Bei gleicher Ortswellenfunktion müssen diese unterschiedlichen Spin besitzen: ein Fermion mit dem Eigenwert +1 (Spin-Up) und das Zweite mit dem Eigenwert -1 (Spin-Down) zum -Operator.
Die genannte Gesetzmäßigkeit hinsichtlich der Besetzung durch Fermionen ist als Pauli-Prinzip bekannt. Dagegen kann ein-und-dasselbe Energieniveau von beliebig vielen Bosonen besetzt sein (Bose-Einstein-Kondensat).
Praktische Bedeutung des Spins
Wie im vorherigen Abschnitt dargestellt, sind alle Elementarteilchen entweder Fermionen oder Bosonen – je nach Spin. Insbesondere sind Elektronen Fermionen. Daher kann in einem Atom immer nur ein Elektron einen Zustand besetzen (siehe Pauli-Prinzip, die Elektronen müssen sich, bei gegebenem Orbital, wenigstens durch den Spin, +1/2 oder −1/2, unterscheiden). Aus diesen Einteilchenzuständen mit den genannten Eigenschaften können mittels Tensorprodukt Vielteilchenzustände dargestellt werden.
Daher ist der Spin, zusammen mit der elektrischen Ladung und der Masse, eine der ganz wesentlichen Eigenschaften der Materie (er bestimmt z. B. das Periodensystem der Elemente, das die Grundlage von Chemie und Biologie ist).
Beispiele für die direkte praktische Anwendung des Spins von Atomkernen sind die Magnetresonanztomographie als bildgebendes Verfahren in der Medizin und die NMR-Spektroskopie als wichtige Methode zur Strukturaufklärung von Molekülen.
Geschichte
Im Zusammenhang mit der Messung von Emissionsspektren von Alkalimetallen wurde der Spin erstmals bemerkt, nämlich durch die Aufspaltung von Spektrallinien in zwei eng benachbarte Teillinien. Wolfgang Pauli schlug 1924 einen quantenmechanischen Freiheitsgrad, der zwei Werte annehmen kann, für das Elektron vor. Hierdurch konnte er die Aufspaltung der Linien erklären und begründen, dass genau zwei Elektronen sich ein Atomorbital teilen (siehe auch Atommodell).
Ralph Kronig, ein Assistent Alfred Landés, schlug 1925 vor, dieser unbekannte Freiheitsgrad werde von der Eigenrotation des Elektrons hervorgerufen. Aufgrund der Kritik Paulis an dieser Idee blieb Kronigs Vorschlag unveröffentlicht. Ebenfalls 1925 postulierten Samuel Abraham Goudsmit und George Eugene Uhlenbeck den Elektronenspin zur Erklärung der Linienaufspaltung in den Spektren wasserstoffartiger Atome (z. B. der Natrium-D-Linie) sowie des anomalen Zeeman-Effekts.
Im Jahre 1927 formulierte Pauli eine Quantentheorie des Spins für das Elektron. Mit Hilfe der Pauli-Matrizen konnte er Elektronen-Wellenfunktionen als 2-komponentige Spinoren darstellen.
1928 nutzte Paul Dirac den Formalismus der Spinoren und stellt eine relativistische Bewegungsgleichung für das Elektron auf. Die Dirac-Gleichung beschreibt den halbzahligen Spin und sagte auch ein Antiteilchen des Elektrons voraus, das später nachgewiesene Positron.
Einzelnachweise
- ↑ Lévy-Leblond, J.-M. – Nonrelativistic Particles and Wave Equations – Commun. math. Phys. 6, 286-311 (1967)
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