Sprechsilbe

Sprechsilbe

Die Silbe (v. lat.: syllaba, griech.: συλλαβή „Zusammenfassung“. Hier: Zsf. von Lauten oder Phonemen) ist ein grammatischer beziehungsweise linguistischer Begriff, der eine Einheit aus einem oder mehreren aufeinanderfolgenden Lauten (Phonemen) bezeichnet, die sich in einem Zug aussprechen lassen (Sprecheinheit). Sie stellt die kleinste Lautgruppe im natürlichen Sprechfluss dar. Sie ist eine phonetische und keine Sinneinheit. Das bedeutet, dass die Einteilung in Silben oft nicht mit der Einteilung in bedeutungstragende Einheiten (Morpheme) übereinstimmt. Manchmal werden Morpheme auch als Sprachsilben bezeichnet und dann die hier beschriebene Silbe zur Verdeutlichung als Sprechsilbe. Daneben wird manchmal auch eine Schreibsilbe definiert.

Jedes phonologische Wort lässt sich in Silben unterteilen - diese Unterteilung dient als Basis für die schriftsprachliche Worttrennung am Zeilenende, welche durch einen Trennstrich gekennzeichnet wird (beispielsweise Faul-heit, Weis-heit, Sil-be, lus-tig, wa-rum, Chi-rurg). In der Lyrik und jeder anderen Versdichtung konstituiert der Wechsel aus betonten und unbetonten Silben das Metrum. In diesem Zusammenhang wird eine vom Metrum geforderte betonte Silbe als Hebung, eine unbetonte als Senkung bezeichnet.

Zwar hat jede Sprache eigene Regeln für den Aufbau ihrer Silben, aber einige davon gelten universell: Eine Silbe muss immer genau einen Silbengipfel enthalten. Das ist meistens ein Vokal oder Doppelvokal (Diphthong). Zusätzlich kann sie einen oder mehrere Konsonanten aufweisen. Manche Sprachen (z. B. Deutsch) erlauben in unbetonten Silben auch sonore Konsonanten wie Nasale oder Liquiden als Silbengipfel. Andere Sprachen, z. B. Tschechisch, erlauben auch in betonten Silben bestimmte Konsonanten als Silbengipfel, z. B. Strč prst skrz krk „Steck den Finger durch den Hals“.

Als silbisch bezeichnet man einen Konsonanten, wenn er in einem Wort Silbenträger ist. Beispiele sind Wörter, die auf en enden: „Laden“ [ˈlaːdn̩] mit silbischem /n̩/ im Gegensatz zur nichtsilbischen Variante [ˈlaːdən] mit Schwa /ə/, der traditionell korrekten Aussprache.

Inhaltsverzeichnis

Silbenstruktur

Die Silbe setzt sich zusammen aus einer Gruppe von Lauten im natürlichen Sprechfluss, welche der Sprecher in einem Atemzug aussprechen kann. Die Silbe ist also die kleinste freie phonologische Einheit. Die Silbenstruktur gliedert sich in genau einen Silbengipfel mit einem optionalen linken und rechten Rand. Der linke Silbenrand (Anfangsrand) nennt sich Silbenansatz. Der rechte Rand heißt Silbenkoda (von ital. coda für Schwanz). Der Silbengipfel gilt als obligatorisch in allen oder fast allen Sprachen der Welt. Der Silbenansatz (engl. onset) ist in vielen Sprachen obligatorisch, in anderen (inkl. Deutsch) darf der Silbenansatz auch fehlen. Die Silbenkoda ist in keiner Sprache obligatorisch, sie ist immer entweder fakultativ (z. B. im Deutschen) oder sie kommt gar nicht vor (z. B. im Hawaiischen).

Zuweilen trifft man auf die Unterscheidung zwischen einer phonetischen und phonologischen Silbe. Pike [1943:78,143; 1948:3f.] verwendet zur Benennung der rein phonetisch definierten Lauteinheiten die Bezeichnungen Kontoide, Vokoide und Töne (siehe auch Tonsprachen). Vokoide sind „orale, nicht-laterale Resonanten“, Kontoide alle anderen segmentellen Sprachlaute. Eine phonetische Silbe kann neben dem Silbenmerkmal „Ton“ im Anlaut Kontoide, im Nukleus Vokoide und im Endlaut Kontoide oder Vokoide enthalten.

Silbenansatz

Der Silbenansatz (auch: Silbenanfang, Silbenanlaut, Silbenkopf, Anfangsrand, onset) besteht aus einem oder mehreren Konsonanten. Beispielsweise bilden die Konsonanten [n] und [m] im Wort Name jeweils den Ansatz einer Silbe. Aufeinanderfolge und maximale Anzahl sind dabei eingeschränkt. Die Beschränkung gilt sowohl einzelsprachlich unter Gesichtspunkten der Phonotaktik, als auch universell wegen der Sonoritätshierarchie. Eine Konsonantenfolge im Silbenansatz hat meistens steigende Sonorität, aber es gibt Ausnahmen wie die Folge [ʃt] im deutschen Wort Stock.

Phoneme, die nicht im Silbenkern einer Silbe stehen können, sondern nur in der Silbenschale, heißen Satellitenphoneme. Dazu zählen nichtsilbische Konsonanten und die nicht voll vokalischen Teile eines Diphthongs. Im Deutschen sind mit wenigen Ausnahmen (z. B. /n/ und /l/) alle Konsonanten Satellitenphoneme, in anderen Sprachen ist die Anzahl der Konsonanten, die als Silbenkern auftreten können, bedeutend größer. Vokale können in der Regel immer den Silbenkern bilden, sie gehören daher nicht in die Kategorie Satellitenphonem.

Zum morphologischen Anlaut für den ersten Sprachlaut eines Wortes siehe Anlaut.

Silbenreim

Die konsonantische Silbenkoda bildet zusammen mit dem vokalischen Silbenkern den Silbenreim.

Silbengipfel

Der Silbengipfel (Nukleus, Silbenkern) ist der Moment der größten Schallfülle einer Silbe und damit deren sonoranter Hauptteil („Segment mit der höchsten Prominenz“). In der Regel ist dieser Silbengipfel vokalisch, z. B. der Vokal [a] im Wort Kamm bildet den Gipfel einer Silbe. Ist kein Vokal vorhanden, so liegt der Silbenkern auf einem Fließlaut (Liquida) oder auf einem Nasallaut, z. B. der []-Laut im Wort Gipfel und der []-Laut im Wort laden bilden jeweils den Gipfel einer vokallosen Silbe.

Die Silbe als kleinste freie phonologische Einheit hat genau einen Nukleus. Konsonantische Satellitenphoneme (Silbenanlaut und Silbenkoda) können den Nukleus umgeben. Eine größere phonologische Einheit kann mehrere Silbengipfel aufweisen.

Ein Silbenkern besteht im einfachsten Falle aus exakt einem Vokal. In den meisten Sprachen findet sich als leichteste Abweichung ein Silbengipfel aus zwei Vokalen und somit aus einem Diphthong, z. B. [ai] im Wort Brei. Seltener sind auch Triphthonge, also eine unmittelbare Folge von drei Vokalen oder Halbvokalen im Nukleus, silbengipfelfähig, z. B. im englischen Wort fire [faɪə] (RP).

Silbenkerne:

  • Einzelvokale: a, e, i, o, u, ä, ö, ü
  • Doppelvokale: aa, ee, ie, oo
  • Diphthonge: ai, au, äu, ei, eu

Silbenkoda

Die Silbenkoda besteht aus einem oder mehreren Konsonanten. Aufeinanderfolge und maximale Anzahl der Konsonanten sind dabei eingeschränkt. Die Beschränkung gilt sowohl einzelsprachlich unter Gesichtspunkten der Phonotaktik, als auch universell wegen der Sonoritätshierarchie. Eine Konsonantenfolge in der Silbenkoda hat meistens fallende Sonorität, aber es gibt Ausnahmen wie die Folge [] im deutschen Wort hübsch. In vielen Sprachen, inkl. Deutsch, muss ein Obstruent in der Koda stimmlos sein, siehe dazu Auslautverhärtung.

Silbenschale

Die Silbenschale setzt sich zusammen aus den fakultativen Silbenrändern (Silbenkopf und Silbenkoda). Kopf und Koda bilden die konsonantische Umgebung des obligatorischen vokalischen Silbengipfels.

Silbenbildung

Die Silbenbildung beschreibt die Bildung von Silben aus Lautsegmenten, welche aufeinanderfolgen nach bestimmten Regeln. Verwendung finden z. B. die Regeln der Sonoritätshierarchie.

Phonotaktische Einordnung

Das Sonoritätsprinzip besagt, dass die Sonorität jeder Silbe zum Silbengipfel hin zunimmt und dann wieder abnimmt. Die Phonologie einer Sprache teilt die Sprachlaute ein nach phonologischen Sonoritätsklassen, welche relativ zueinander sind. Die Syllabizität eines Sprachlauts ist kein intrinsisches, kontextfreies Merkmal eines Segments, sondern das vergleichende Ergebnis des syntagmatischen Kontrasts des Segmentes mit hinreichender Sonorität gegenüber anderen Segmenten mit Lauten geringerer Sonorität. Ein Laut ist silbisch, wenn er einen Silbenkern aufweist.

Silbenqualität und -quantität

Silbenqualität

Die Silbenqualität beschreibt eine Silbe bezüglich ihrer segmentellen Struktur. Unterschieden wird zwischen offener und geschlossener Silbe sowie zwischen nackter und bedeckter Silbe.

Bedeckte und nackte Silben

Eine bedeckte Silbe ist eine Silbe mit einem konsonantischen Silbenkopf. Beginnt die Silbe jedoch mit einem Vokal, so handelt es sich um eine nackte Silbe.

Beispiel: Die dritte Silbe des Wortes „Museum“ ist eine nackte Silbe.

Offene und geschlossene Silben

Silben mit leerer Koda, also Silben, bei denen dem Silbengipfel kein Konsonant folgt, sind offene Silben. Geschlossene Silben wiederum enden auf mindestens einem Konsonanten im Auslaut.

Beispiele:

  • Die erste Silbe des Wortes Silbe ist eine geschlossene Silbe.
  • Die zweite Silbe des Wortes Silbe ist eine offene Silbe.

Silbenquantität

Die Silbenquantität beschreibt einzelne Silben nach ihrer Dauer bzw. nach ihrer Schwere. Bezüglich der Silbendauer wird unterschieden zwischen kurzen und langen Silben und bezüglich des Silbengewichts zwischen leichten und schweren Silben.

Silbenposition

Um Silben eines Wortes in Hinsicht auf ihre Position zu bezeichnen, sind für die letzten drei Wortsilben lateinische Fachausdrücke gebräuchlich: die letzte Silbe eines Wortes nennt man Ultima (lat. ultima, „die Letzte“), die vorletzte Pänultima (lat. paenultima) und die vorvorletzte Antepänultima (lat. antepaenultima).

Um Wörter der klassischen und der romanischen Sprachen in Hinsicht auf diejenige Silbe zu bezeichnen, die den Hauptakzent trägt, sind dagegen griechische Fachausdrücke gebräuchlich: liegt der Hauptakzent auf der letzten Silbe, nennt man das Wort ein Oxytonon; liegt er auf der vorletzten Silbe, spricht man von einem Paroxytonon, und fällt er auf die vorvorletzte Silbe, so ist das Wort ein Proparoxytonon. Alle drei Begriffe sind ihrerseits „proparoxytonal“, nämlich mit der Hauptbetonung auf dem „y“, auszusprechen.

Optimale Silbe

Eine optimale Silbe weist lediglich zum Silbenkern einen initialen Silbenansatz auf und verzichtet auf die Koda. Beispiele: Sprachen wie die austronesischen Hawaiisch und Rotokas oder das australische Mudburra gestatten nur optimale Silben. (Bsp.: hawaiisch: Honolulu).

Siehe auch

Quellen

  • Duden. Die Grammatik. 7., völlig neu erarbeitete und erweiterte Auflage. Dudenverlag: Mannheim/ Leipzig/ Wien/ Zürich 2005. ISBN 3-411-04047-5
  • Helmut Glück (Hrsg.), unter Mitarbeit von Friederike Schmöe: Metzler Lexikon Sprache. Dritte, neubearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/ Weimar 2005. ISBN 978-3-476-02056-7
  • Joseph H. Greenberg: Some generalizations concerning initial and final consonant clusters. 1978.
  • Joseph H. Greenberg (Hrsg): Universals of human language. 1978, S. 243-279.
  • Judith Meinschaefer: Silbe und Sonorität in Sprache und Gehirn. (pdf) 1998, S. 26-76.
  • Thomas Herbert Stolz: Komplexe Nuklei. (pdf)

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