Stammzellentherapie

Stammzellentherapie

Als Stammzelltherapie werden Behandlungsverfahren bezeichnet, bei denen Stammzellen eingesetzt werden. Sie findet schon seit vielen Jahren bei der Behandlung verschiedener Krebserkrankungen, wie zum Beispiel bei Leukämien, Anwendung. Diese Indikationen sind unter dem Stichwort Stammzelltransplantation beschrieben.

Für diese Therapien werden körpereigene hämatopoetische Stammzellen oder die eines Spenders verwendet. Diese pluripotenten Blutstammzellen, aus denen sowohl Kolonien aus weißen als auch von roten Blutkörperchen gezüchtet werden konnten, wurden bereits 1963 von den kanadischen Wissenschaftlern James Till, Ernest McCulloch und Lou Siminovitch entdeckt [1]. Bereits einige Jahre zuvor wurde 1957 die erste Knochenmarkstransplantation durchgeführt [2].

Seit den 1990er Jahren wurden jedoch viele andere Stammzellen entdeckt, isoliert und charakaterisiert. Bis heute ist nicht ausreichend geklärt, wie die einzelnen Typen von Stammzellen in Verbindung stehen und welches biologisches Potenzial sie haben. Gerade in den letzten Jahren sind jedoch vielfältige Entdeckungen auf diesem Gebiet gemacht worden und es sind mit der Biomedizin ganz neue und vielversprechende Felder in der medizinischen Forschung eröffnet worden.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines zum therapeutischen Einsatz von Stammzellen

humane Stammzellen (oben) und daraus in vitro differenzierte Nervenzellen

Stammzellen können zum einen aus embryonalem (pränatalem) Gewebe, zum anderen aus adultem (postnatalem) Gewebe isoliert werden. Embryonale Stammzellen sind pluripotent, während adulte Stammzellen vermutlich ein eingeschränkteres Differenzierungspotential besitzen. Allgemein gilt, dass, je fortgeschrittener das Entwicklungsstadium eines Organismus ist, die aus diesem isolierten Stammzellen eine umso geringere Teilungsrate und ein umso eingeschränkteres Differenzierungspotential besitzen. Eine hohe Teilungsrate wäre wichtig, um etwa genug Zellen für eine Therapie zur Verfügung zu haben, ein breites Differenzierungspotential erlaubt mehr Behandlungsmöglichkeiten.

Ein Großteil der wissenschaftlichen Untersuchungen an Stammzellen wird in vitro, also mit isolierten und in speziellen Nährmedien kultivierten Stammzellen, oder in vivo an Versuchstieren durchgeführt. Die Forschung beschäftigt sich derzeit noch mit grundlegenden Fragen, etwa, wie diese Stammzellen dazu gebracht werden können, in ganz bestimmte Zelltypen zu differenzieren, um etwa ein geschädigtes Gewebe damit zu ersetzen (Zellersatztherapie). Andere Fragestellungen umfassen das Migrationsverhalten (die Wanderung der Zellen an einen bestimmten Ort nach erfolgreicher Transplantation) oder die Bildung zellprotektiver Faktoren (Zytokine, Wachstumsfaktoren), die noch vorhandenes funktionelles Gewebe vor weiterem Untergang bewahren oder sogar regenerieren sollen (Regenerative Medizin).

Pränatale Stammzellen und Therapiemöglichkeiten

Embryonale Stammzellen haben in den letzten Jahren viele ethische, aber auch wissenschaftliche Bedenken ausgelöst (→ Embryonale Stammzellen). Obwohl sie in fast alle Körperzellen differenziert werden können (und somit universell einsetzbar wären), ist ihre Verwendung vorerst eingeschränkt. Dies ist nicht zuletzt in ihrer hohen Zellteilungsrate begründet, die zwar zur Vermehrung der Zellen wünschenswert ist, aber gleichzeitig ein erhöhtes Risiko für die Entstehung bösartiger Tumore darstellt.

Stammzellen, die einem späteren Stadium des Fetus entstammen, haben eine geringere Teilungsrate und ein eingeschränkteres Differenzierungspotential (je nachdem, aus welchem Bereich des Fötus sie isoliert wurden). Sie führten in Tierversuchen aber zur Verbesserung einiger Krankheitsbilder und wurden bereits an über 300 Parkinson-Patienten weltweit mit einigem Erfolg getestet, auch wenn sie aufgrund schwerer Nebenwirkungen sowie ethischer Bedenken vorerst kaum mehr Verwendung finden.

Stammzellen aus der Gebärmutterflüssigkeit wurden erst vor kurzem isoliert. Sie sind Zellen meist epithelialen Ursprungs, die sich während der Entwicklung des Fötus von diesem ablösen. Sie können direkt aus dem Fruchtwasser gewonnen werden und können in vitro vermehrt werden[3].

Andere, eigentlich 'frühe adulte' (postnatale), Stammzellen können aus dem Nabelschnurblut isoliert werden. Sie sind schon länger bekannt, über ihre Verwendung wird gegenwärtig intensiv geforscht (→ Nabelschnurblut).

Ethische Bedenken in ähnlicher Weise wie bei embryonalen Stammzellen würden bei Verwendung dieser beiden Zellen entfallen, und da sie dem Organismus zu einem relativ frühen Stadium entnommen werden, haben sie vermutlich ein breites Differenzierungspotential.

Adulte Stammzellen und Therapiemöglichkeiten

Neuronale Stammzellen, die vor allem aus den Ventrikelwänden des Gehirns isoliert werden, können in die drei Haupttypen neuraler Zellen (Nervenzellen sowie Astro- und Oligodendrogliazellen) differenziert werden. Sie wären für eine Therapie neurodegenerativer Erkrankungen prinzipiell geeignet, da sie Nervengewebe theoretisch ersetzen können. Jedoch sind diese Zellen im Organismus nur in geringem Ausmaß vorhanden und haben eine geringe Teilungsrate. Darüber hinaus stellt das Zentralnervensystem ein überaus komplexes Gewebe dar, das einen Gewebeersatz sehr schwierig macht.

Stammzellen aus dem Mesenchym werden v. a. aus dem Knochenmark gewonnen, sogar aus jenem älterer Menschen, haben eine hohe Teilungsrate und können primär in Gewebszellen mesenchymalen Ursprungs (Knochen, Knorpel, Sehnen, Muskel, Bindegewebe, Blutzellen) differenzieren. Sie könnten somit direkt der Behandlung degenerativer Erkrankungen dieser Organe dienen. Seit etwa dem Jahr 2000 werden vermehrt Versuche unternommen, diese Zellen auch in Zelltypen anderer Gewebe zu differenzieren (Transdifferenzierung), etwa Nervenzellen, Leber-, Epithel-, β-Zellen und Nierentubuluszellen, um sie auf ihr therapeutisches Potential entsprechender Erkrankungen in diesem Bereich hin zu untersuchen.

Weitere adulte Stammzellen finden sich in Muskeln, Leber, Fett- und Knochengewebe u.v.a. Auch ihre Verwendungssmöglichkeiten werden untersucht. Ein genereller Vorteil adulter Stammzellen liegt darin, dass sie im Prinzip autolog transplantiert werden könnten, d. h. der Spender z. B. mesenchymaler Stammzellen wäre, nach entsprechender Vorbehandlung der Zellen, gleichzeitig ihr Empfänger (etwa im Rahmen einer neurodegenerativen Erkrankung).

Mögliche Risiken und Nebenwirkungen einer Stammzelltherapie

Die oben beschriebenen Versuche sind, je nach Krankheitsmodell (etwa, ob es sich um einen lokalen organischen Schaden oder eher um eine systemische Erkrankung handelt), therapeutisch vielversprechend. Nicht zuletzt deswegen lassen sich immer mehr Patienten mit einer tödlichen Erkrankung oder einer irreparablen Schädigung, etwa nach Querschnittslähmung, einer solchen „experimentellen“ Behandlung unterziehen, deren Ausgang jedoch völlig ungewiss ist.

Derzeit wird nur in wenigen Fällen eine Transplantation von Stammzellen durchgeführt (siehe Einleitung). Diese Therapien sind über lange Jahre bis Jahrzehnte im Rahmen kontrollierter klinischer Studien erprobt worden, und kamen nur zur Anwendung, weil sie sich

  1. als effektiv erwiesen und
  2. der therapeutische Nutzen die möglichen Nebenwirkungen überwiegt.

Über Stammzellen hingegen, die erst vor wenigen Jahren entdeckt wurden, existieren entsprechende klinische Studien noch nicht. Lediglich zahlreiche Tierstudien geben Grund zur Hoffnung, dass diese Zellen eines Tages für Therapien am Menschen herangezogen werden könnten.

Gerade ihre Hoffnung treibt aber immer mehr Patienten mit einer tödlichen Erkrankung in Privatkliniken, die ihnen Heilung durch Transplantation dieser Stammzellen versprechen. Meist sind diese Kliniken in Staaten beheimatet, die weniger strenge Auflagen an experimentelle Therapien am Menschen haben (etwa in China, der Ukraine, der Türkei), aber auch in Westeuropa (z. B. in den Niederlanden). Patienten müssen für die 20.000–50.000 € pro Behandlung oft ihr ganzes Hab und Gut einsetzen - mit einer geringen Aussicht auf Erfolg. Tatsächlich gibt es bis heute keinen einzigen Bericht darüber, dass ein Mensch durch eine solche Stammzelltherapie vollständig genesen sei, noch der Krankheitsverlauf wesentlich verlangsamt worden wäre. Die Privatkliniken wiederum sind mit Informationen sehr zurückhaltend (wenn sie denn solche überhaupt besitzen, da kaum Langzeitbeobachtungen der Patienten, die aus fernen Ländern anreisen, durchgeführt werden). Zudem gibt es kaum Studien über mögliche Nebenwirkungen, vor allem bei systemischer Gabe der Zellen.[4] In Einzelfällen, wo es kritischen Medizinern möglich war, die Patienten vor und nach der Transplantation zu beobachten, wurden diese aber sehr wohl beobachtet (etwa Meningitis nach Transplantation von Stammzellen ins Rückenmark).[5]
2009 wurde ein Fall eines Jungen mit Louis-Bar-Syndrom bekannt, welcher mit Injektionen von embryonalen Stammzellen in Gehirn und Rückenmark behandelt worden war. Aus den verwendeten Stammzellen entwickelten sich mehrere Tumoren in Kleinhirn und Rückenmark. [6]

Die Forschung hat daher noch viele offene Fragen zu klären. So gibt es z. B. viele Studien, die von positiven Effekten im Tiermodell berichten, aber selten, wenn überhaupt, mögliche Nebenwirkungen erwähnen oder genauer untersuchen.

Quellen

  1. Ho AD, Beyreuther K: Faszinierende Multitalente – "Rohstoff" Stammzellen?, Ruperto Carola (2001), Ausg. 3, Universitätsklinikum Heidelberg
  2. IOP e.V. (Berlin): Die Geschichte der Transplantation
  3. Bossolasco (2006), Molecular and phenotypical characterization of human amniotic fluid cells and their differentiation potential. Cell Research 13(4):329-36.
  4. Enserink (2006), Selling the Stem Cell Dream. Science 313:160-3.
  5. Dobkin et a. (2006), Cellular Transplants in China: Observational Study from the Largest Human Experiment in Chronic Spinal Cord Injury. Neurorehabil Neural Rep 20:5-13.
  6. [http://medicine.plosjournals.org/archive/1549-1676/6/2/pdf/10.1371_journal.pmed.1000029-L.pdf Amariglio N, Hirshberg A, Scheithauer BW, Cohen Y, Loewenthal R, et al. (2009) Donorderived brain tumor following neural stem cell transplantation in an ataxia telangiectasia patient. PLoS Med 6(2): e1000029. doi:10.1371/journal.pmed.1000029]

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