Steppenreiter

Steppenreiter

Reitervölker ist eine zusammenfassende Bezeichnung für Völker oder Stammesverbände der eurasischen Steppe, deren Angehörige sich des Pferdes als Fortbewegungsmittel bedienten. Der von so genannten Reitervölkern bewohnte Steppenraum reicht von der Mandschurei im Osten bis nach Ungarn bzw. in das Burgenland im Westen.

Viele Reitervölker waren halb- oder vollnomadische Hirtenvölker. Das Pferd war zunächst ihre Nahrung und seit etwa 4.000 Jahren auch ihr Fortbewegungsmittel, wobei relativ früh auch Kamele oder Trampeltiere als Transportmittel gehalten wurden. Der ältere Streitwagenkrieger wurde gegebenenfalls erst um 800 v. Chr. durch den Reiterkrieger abgelöst.

Inhaltsverzeichnis

Gegensatz zu bäuerlichen Kulturen

Historisch-soziologisch wurde von Alexander Rüstow (in: Ortsbestimmung der Gegenwart, Bd. I, 1950) die Bedeutung expansiver reiternomadischer Kulturen hervorgehoben, deren Gegensatz zu antiken oder mittelalterlichen bäuerlichen und sesshaften Gesellschaften intensiven sozialen Wandel mit sich brachte.

Die Bewaffnung der zu Pferde kämpfenden Reiter, war archaisch, Pfeil und Bogen gehören zu den ältesten Fernwaffen, ihre Taktik war jedoch innovativ; daneben kamen auch Streitäxte (später auch Streitkolben) und Lanzen zum Einsatz. Gemeinsam ist den Reitervölkern (auch Steppenreitern oder Reiternomaden genannt), dass sie durch ihre Schnelligkeit und flexible Kampftechnik den Gegnern auf geeignetem Gelände militärisch überlegen waren. Der Taktik der "Nadelstiche" mit Fernwaffen und sofortiger Flucht bei Gefahr hatten Fußtruppen oder schwer gepanzerte Reiterheere nichts entgegenzusetzen (siehe: Parthisches Manöver), letztlich z. B. bei der Eroberung Mesopotamiens durch die Mongolen. Außerhalb ihrer nur extensiv bewirtschafteten Herkunftsgebiete mit weiträumigen Weidegründen bekamen die Reitervölker häufig Nachschubprobleme und wurden langfristig entweder aufgerieben (Sieg Ottos des Großen in der Schlacht auf dem Lechfeld) oder in den eroberten Gebieten sesshaft. Dabei kam es oft zur sozialen Überschichtung der bodenständigen Bevölkerung.

Anfänge der Staatenbildung bei Reitervölkern

Schon in ältester Zeit betrieben die viehzüchtenden Nomadenstämme einen begrenzten Anbau von Getreide im Sommer, um für Nahrungsmittel für den Winter, wenn die Milcherzeugung nachließ, vorzusorgen. Bei Herannahen des Sommers schlossen sich mehrere Stämme zum Zug auf die Sommerweiden in den Bergen zusammen, wobei es zu Festlichkeiten an heiligen Orten, vor allem Bergen, kam. Es bildeten sich dadurch kleine Stammesgruppen. Die Stammesgruppen oder Stammesverbände erkannten bald, dass die Agrarprodukte, die sie zum Leben benötigten, per Tauschhandel mit den bäuerlichen Nachbarn, den Agrarstaaten, leichter zu beschaffen waren. Diese Art des Zusammenlebens barg allerdings das Problem in sich, dass der Agrarstaat nicht in gleicher Weise auf die Viehprodukte der Nomaden angewiesen war, wie die Nomaden auf die pflanzlichen Produkte des Agrarstaates für die Winternahrung angewiesen waren.

Die Konsequenz war eine Preissteigerung oder sogar die gänzliche Verweigerung der Lieferung durch die agrarische Gesellschaft, was die Nomadenstämme dazu herausforderte, sich das Benötigte per Gewalt zu holen. Es kam erschwerend hinzu, dass die Agrarstaaten bei Nicht-Zurückzahlung von Krediten den Nomaden Weideland und damit die elementarste Lebensgrundlage abnahmen, was letztere per Gewalt zurückzuholen sich um so mehr genötigt sahen. Da diese gewaltsamen Aktionen aufgrund der Mobilität der Reitervölker fast immer zum Erfolg führten, verzichteten sie immer mehr auf den Warenaustausch und sicherten ihr Überleben nur noch durch militärische Aktionen ab. Damit folgte auch das Interesse des Führers eines Stammes oder Stammesverbandes, den Agrarstaat endgültig zu unterwerfen, wenn dadurch das Nahrungsproblem für immer gelöst zu sein schien.

Diese regelmäßigen Übergriffe auf die Agrarstaaten machten es erforderlich, ein stets zur Verfügung stehendes Heer zu schaffen, was wiederum dazu führte, dass die Anführer einzelner Verbände andere Stämme oder Stammesverbände durch Kampf unter ihre Oberherrschaft zu zwingen sich veranlasst sahen. Stämme und Stammesverbände, die im Kampf unterlagen, gerieten in eine vom Führerstamm abhängige Position, während Stämme und Stammesverbände, die sich freiwillig dem Führerstamm oder Führungsverband anschlossen, als demokratisch gleichwertige Genossen in die politischen Diskussionen einbezogen wurden. Dieses Gefüge bildete den Nomadenstaat.

Das gemeinsame Ziel der Stammesverbände in einem Nomadenstaat war die Unterwerfung des Agrarstaates. Der Führerstamm bzw. Kernstamm genoss eine Sonderstellung im Nomadenstaat, die jedoch vom Erfolg oder Versagen des Führers und von der Unsicherheit während der Phase des Führerwechsels abhing.

Einer erfolgreichen Unterwerfung des Agrarstaates folgte der Versuch, die Agrarbevölkerung zu beherrschen, was allerdings wegen der zahlenmäßigen Unterlegenheit der Nomaden zu ihrer raschen Assimilierung führte. Der Versuch, die zivile Verwaltung des unterworfenen Agrarstaates zu übernehmen, führte auch zur sprachlichen Assimilation. Hinzu kamen Mischehen. Bei späteren Aufständen war die Beseitigung der ursprünglich nomadischen Oberschicht kein großes Problem mehr. Dieses Wechselspiel zwischen Nomaden und agrarischen Hochkulturen bestimmte Jahrtausende lang den Rhythmus der Geschichte Asiens.[1]

Historische Bedeutung

In der Geschichte namentlich Chinas (Bau der Großen Mauer), Vorderasiens (des Irans, des Iraks, des Osmanischen Reiches) und Nordafrikas wurden Reitervölker außerordentlich bedeutsam.

Kriegerische Einfälle von Reitervölkern beeinflussten vor allem die Kulturen des Balkans und Spaniens, über einen Gesamtzeitraum von etwa 2000 Jahren, von den frühen Skythen im 8. Jahrhundert v. Chr. über die Hunnen, Avaren, Ungarn bis zu den Mongolen im 13. Jahrhundert. Die Einfälle der so genannten Reitervölker stellen jedoch nur einen Teilaspekt der in Europa auch unter den dortigen sesshaften Völkern permanenten Konflikte dar. Zwar blieben diese Einfälle (ähnlich wie Überfälle von Seeräubern auf Küstenstädte) als außergewöhnliche Ereignisse tief in der Erinnerung der betroffenen Bevölkerung verankert, so die 1241 n. Chr. von den Schlesiern und Polen verlorene Mongolenschlacht von Liegnitz, doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Europa die zwischen den sesshaften Völkern geführten Konflikte auf längere Sicht gesehen häufiger waren und mehr Opfer forderten, als die nur gelegentlichen Überfälle der Nomaden.

In der materiellen Kultur des Abendlandes hinterließen sie einige deutliche Spuren. Militärisch ging auf sie z.B. nicht nur die Lanze der Ulanen oder der Schellenbaum der ehemaligen osmanischen Militärmusik zurück, sondern vor allem Neuerungen der Befestigungstechnik der Städte. Andererseits verdanken Spanien und Portugal seine Bewässerungskultur und einiges mehr ursprünglich berberischen Reitern.

Reitervölker der eurasischen Steppe

Quellen

  1. Wolfram Eberhard in Wolfgang-Ekkehard Scharlipp Die frühen Türken in Zentralasien, S. 7f.

Literatur

  • Elcin Kürsat-Ahlers: Zur frühen Staatenbildung von Steppenvölkern - Über die Sozio- und Psychogenese der eurasischen Nomadenreiche am Beispiel der Hsiung-Nu und Göktürken mit einem Exkurs über die Skythen (Sozialwissenschaftliche Schriften, Heft 28). Duncker & Humblot, Berlin 1994, ISBN 3-428-07761-X, ISSN 0935-4808

Siehe auch


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