- Systematische Verzerrung
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Als systematischer Fehler (auch systematische Abweichung oder -Verzerrung; engl. systematic error oder bias) werden in der Technik, den Natur- und anderen Wissenschaften Messfehler bezeichnet, die sich bei wiederholter Messung nicht im Mittel aufheben. Messfehler, die sich bei (theoretisch unendlich oft) wiederholter Messung im Mittel ausgleichen, werden als dagegen als zufälliger Fehler bezeichnet.
Systematische Fehler haben also „Schlagseite“, sie bewirken einen in der Tendenz zu hohen oder zu niedrigen Messwert. Ein typisches Beispiel systematischer Fehler sind Fehler, welche durch falsch geeichte Messinstrumente entstehen. Dabei können das Vorzeichen des systematischen Fehlers vom wahren Wert abhängen (zum Beispiel ein falsch geeichtes Thermometer, welches hohe Temperaturen unter- und niedrige überschätzt.)
Wahrscheinlichkeitstheoretisch lässt sich die zufällige Abweichung eines Messwertes Δ vom wahren Wert x in eine systematische und in eine zufällige Komponente zerlegen. Die systematische Komponente ist dann definiert als der Erwartungswert des gesamten Fehlers, die zufällige Komponente als Differenz zwischen erwartetem Messfehler und tatsächlichem Messfehler.
In der Praxis unterliegen alle Messungen systematischen, zufälligen und groben Fehlern. Um systematische Fehler zu kontrollieren, werden Maßnahmen wie die Ausgleichsrechnung nach der Analyse oder die Eichung mit genauerem Messgerät, oder gegebenenfalls andere Methodik oder Umgebung oder mathematische Modellierung angewendet.
Inhaltsverzeichnis
Zur Nomenklatur
Konstant-systematische Messfehler werden Offset, Ablage o. Ä. genannt, ansteigend/abfallende Messfehler hingegen Trend (engl. auch bias) oder Drift (z. B. bei langsamen Änderungen der Anzeige sehr feiner Instrumente). Trends und Driften sind durch Wiederholungsmessungen relativ leicht aufzudecken und gehen oft auf unerkannte Temperatureffekte zurück.
In Anlehnung ans Englische wird für systematische Fehler oft das Wort Bias verwendet, was aber irreführend ist. Darunter versteht man im technisch-wissenschaftlichen Deutsch eine meist absichtliche und einseitige Vorbeaufschlagung oder auch Vorverzerrung.
Ursachen systematischer Fehler
Die Ursachen systematischer Fehler können vielfältig sein und werden meist folgendermaßen klassifiziert:
- Instrumentelle Einflüsse (z. B. ungenaue Justierung bzw. Kalibrierung, lockere Teile am Messgerät, thermische Ausdehnung von Metallteilen, Parallaxefehler, Richtungs-Abweichung oder Unrundheit von Achsen …)
- Persönliche Fehler (z. B. Reaktionszeit bei Stoppung von Zeiten, einseitige kleine Zielfehler, schräges Ablesen auf Thermometerskala …); bei Befragungen Antwortverzerrungen
- Umwelteinflüsse (z. B. Refraktion, unsymmetrische Wirkungen von Temperatur oder Wind, Vibrationen im Untergrund …)
- „Sonstige“ (unerklärliche, nicht-deterministische) Effekte
- Systematisch wirken meist auch grobe Fehler (z. B. Ablese- und Meterfehler), wie sie durch Unachtsamkeit, Verwechslung oder Stöße passieren können. Bei einer Ausgleichung lassen sie sich aber meist erkennen, wenn ihr Residuum die 2–3fache Standardabweichung übersteigt.
Einfaches Beispiel: Messung mit einem Lineal
- Instrumentell (falsche Kalibrierung): Liegt ein Lineal oder ein Maßband zu lange in der Sonne, so erwärmt es sich und dehnt sich aus. Wenn nun die Messung durchgeführt wird, so misst man immer etwas zu kurz. Kennt man aber die Temperatur des Lineals und dessen Wärmeausdehnungskoeffizient, so kann man diesen Fehler rechnerisch beseitigen. Der systematische Fehler ist nun im Messmodell berücksichtigt und dadurch unschädlich gemacht.
- Falsche Handhabung: Legt man andererseits das Lineal beim Messen schräg an das Werkstück, so wird nun die Ablesung systematisch verfälscht. Kennt man aber den Winkel, um den das Lineal falsch angelegt (oder schief darauf geblickt) wurde, so kann man dies durch eine Winkelrechnung berücksichtigen.
- Ungünstige Umstände: Dazu könnte ein unebener oder rutschender Untergrund, ein störender Schattenwurf der Skala und ähnliches zählen. Hier wird man rechnerisch nicht viel korrigieren können, sondern sollte die Messung unter anderen „Umweltbedingungen“ wiederholen.
- Einfache Maßnahmen zur Fehlerkorrektur (Reduktion) sind nicht immer möglich, oder die Tatsache systematischer Fehler (noch) unbekannt. Hier können Wiederholungsmessungen eine experimentelle Lösung bringen. Wiederholt messen heißt aber nicht nur öfter messen, sondern dass man auch bezüglich aller möglichen Störeinflüsse variiert. In unserem Beispiel heißt dies, dass man die gesuchte Länge nicht nur öfter misst, sondern auch bei verschiedenen Temperaturen, wodurch das Lineal im Mittel eher seine Soll-Länge hat. Den vermutlichen Fehler kann man nun als Standardabweichung abschätzen. Noch besser wäre, verschiedene Maßstäbe zu verwenden und gegen Fehlern der 2. und 3. Art die äußeren Umstände zu verändern (Tageszeit, Lichteinfall, Messrichtung usw.).
Innere und äußere Genauigkeit
Im Fehlermaß „äußere Genauigkeit“ werden systematische Fehler i. a. als inkludiert verstanden, während die „innere Genauigkeit“ meist der Standardabweichung (mittlerer Fehler) beim bloßen Wiederholen der Messung entspricht. Der Unterschied zwischen beiden kommt teilweise beim Wechsel des Messinstruments (siehe 1), des Beobachters (2) oder äußerer Umstände, z. B. Wetterlage (3) ans Licht.
So hat eine astronomische Breitenbestimmung mit Sternen und einem Passageninstrument oder einem digitalen Astrolab eine (innere) Genauigkeit von ± 0,1“, kann aber von einer Nacht zur nächsten um 0,5“ variieren. Der Grund solcher „Abendfehler“ liegt in Anomalien der atmosphärischen Schichten (Astronomische Refraktion, Kuppel- bzw. Saalrefraktion) oder in kleinen Temperatureffekten, z. B. bei der Fernrohrbiegung.
Gegenmaßnahmen
Da sich systematische Fehler kaum durch Wiederholung verringern lassen, muss man sie entweder
- in Kauf nehmen und bei anzugebenden Toleranzen berücksichtigen,
- im Auswertungs-Modell der Datenverarbeitung berücksichtigen (siehe Reduktion),
- durch einen symmetrischen Messvorgang kompensieren (z. B. 2 Kreislagen am Theodolit), oder
- durch Kalibrieren, Eichung usw. verringern oder eliminieren.
Unbekannte systematische Messfehler
Unbekannte systematische Messfehler sind zeitkonstante, nach Betrag und Vorzeichen unbekannte Störgrößen; sie sind prinzipiell nicht eliminierbar und nur durch Intervalle eingrenzbar.
- Beispiel
Beispiel eines zeitkonstanten unbekannten systematischen Fehlers ist die nur mit endlicher Genauigkeit realisierbare mechanische Justierung eines optischen Bauelementes: Jeder Wiederholungsmessung ist derselbe unbekannte systematische Fehler überlagert. Es soll gelten: mit
- f den systematischen Fehler und
- die Grenzen des ihn einschränkenden Intervalls
Messwerten sind im allgemeinen sowohl zufällige als auch unbekannte systematische Fehler überlagert.
- Driftfrei
In der Regel ist man bestrebt, mit „driftfreien“ Messinstrumenten zu arbeiten. Driftfrei heißt indessen nicht, dass die Messapparatur frei von systematischen Fehlern wäre. Vielmehr sollten die unbekannten systematischen Fehler keinem zeitlichen Trend unterliegen, d. h. sich zeitlich gesehen nicht ändern. Genauer, während des Aufzeichnens der Wiederholungsmessungen beobachtet der Experimentator allein zufällige Fehler. Der den Messwerten ebenfalls überlagerte unbekannte systematische Fehler liegt bereits vor Beginn der Wiederholungsmessungen fest, ändert sich danach nicht mehr und bleibt dem Experimentator verborgen. Dass er physikalisch gesehen dennoch vorhanden ist, kann allein die Funktionsanalyse der Apparatur zeigen. Dieser Umstand verdeutlicht, wie schwierig es ist, die wahren Werte von Messgrößen zu lokalisieren.
Ändern sich systematische Fehler auch während der Messung, so zeichnet der Experimentator eine Zeitreihe auf. Für die Behandlung von Zeitreihen, beispielsweise Börsenkurse, hat die Statistik eigene, gänzlich andere Verfahren entwickelt.
Zufällige und unbekannte systematische Fehler überlagern sich additiv, die Art der Verknüpfung legt das Fehlermodell fest.
Siehe auch
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