Süßwasserpolypen

Süßwasserpolypen
Süßwasserpolypen
Hydra vulgaris

Hydra vulgaris

Systematik
Klasse: Hydrozoen (Hydrozoa)
Unterklasse: Leptolinae
Ordnung: Anthomedusae
Unterordnung: Capitata
Familie: Hydridae
Gattung: Süßwasserpolypen
Wissenschaftlicher Name
Hydra
Linnaeus 1758
Ausschleudern des Nesselfadens beim Süßwasserpolypen

Süßwasserpolypen (Hydra) sind eine Gattung aus der Klasse der Hydrozoen (Hydrozoa), die zum Stamm der Nesseltiere (Cnidaria) gehören. Süßwasserpolypen werden je nach Art bis zu 3 cm groß und besiedeln Süß- und Fließgewässer, in Ausnahmefällen auch Brackwasser. Die Gattung Hydra ist die einzige Gattung der Familie Hydridae.

In Europa kommen mindestens 5 Arten der Gattung vor, zum Beispiel Hydra vulgaris (Gemeiner Süßwasserpolyp) oder Hydra viridissima (Grüne Hydra; die grüne Färbung rührt von mit Hydra symbiontisch lebenden Chlorella-Algen her). Hydra findet sich bisweilen in Aquarien und wird oft erst dann bemerkt, wenn sie sich aufgrund erhöhten Nahrungsangebots heftig vermehrt.

Inhaltsverzeichnis

Charakteristik

Die Vertreter der Gattung und Familie leben als solitäre Polypen; es wird kein Medusenstadium und auch keine Gonophoren mehr gebildet. Sie besitzen einen Kranz hohler filiformer Tentakeln um den Mundkegel herum. Der untere Teil des Polypen weist eine Fußscheibe auf. Es kommt sexuelle und asexuelle Fortpflanzung vor. Die Geschlechtsprodukte entwickeln sich direkt in warzenartigen Vorsprüngen in der Epidermis des Polypen, die männlichen im oberen Teil des Polypen, die weiblichen im unteren Teil. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung erfolgt durch Knospung, Längs- oder Querteilung. Befruchtete Eier können sich mit einer Schutzhülle umgeben und längere Zeit überdauern, bevor der kleine Polyp schlüpft. Es kommen vier Typen von Nesselzellen vor: Stenotelen, Desmoneme, atriche und holotriche Isorhizen vor[1].

Körperbau

Die Körperwand des Süßwasserpolypen bzw. Hydra besteht aus drei Schichten: der „Außenhaut“ (ektodermale Epidermis), der „Innenhaut“ (Entodermale Gastrodermis) und einer gallertartigen Stützmatrix, der sogenannten Mesogloea, die abgesehen von Nervenzellen, zellfrei ist. Ektoderm und Entoderm werden jeweils von Zellen gebildet. Im Ektoderm finden sich Sinnes- oder Rezeptorzellen, die Umgebungsreize wie leichte Wasserströmungen oder chemische Reize aufnehmen und die Information über einen Fortsatz zu Nervenzellen in der Stützschicht weiterleiten.

Außerdem gibt es im Ektoderm Nesselkapseln (Cniden), die ausgeschleudert werden, ein lähmendes Gift freisetzen und so dem Fang von Beute dienen. Diese Nesselkapseln sind nicht regenerierbar, können also nur einmal ausgeschleudert werden. Sie werden von Nesselzellen (Cnidoblasten) gebildet, die ihrerseits aus sogenannten interstitiellen Zellen hervorgehen. Cnidoblasten und interstitielle Zellen haben gemein, dass mehrere Einzelzellen über Interzellularbrücken verbunden sind. Bei Hydra treten Nesselkapseln gehäuft an den Tentakeln auf. An jeder dieser Tentakeln sitzen 2500 bis 3500 Nesselkapseln.

Den größten Anteil der Zellen des Ektoderms bilden jedoch Epithelmuskelzellen, die mit einem basalen Fortsatz, in dem sich Muskelfilamente befinden, an der Stützschicht befestigt sind. Die Epithelmuskelzellen bilden Längsmuskelschichten entlang des Polypenkörpers. Durch Anregung dieser Zellen kann sich der Polyp schnell zusammenziehen. Auch im Entoderm befinden sich Muskelzellen, diese werden aufgrund ihrer Funktion, der Aufnahme von Nährstoffen, Nährmuskelzellen genannt. Sie sind im Gegensatz zu den Muskelzellen des Ektoderms ringförmig angeordnet. Dies führt dazu, dass sich der Polyp streckt, wenn die Muskelzellen des Entoderms kontrahieren.

Die entodermale Gastrodermis umschließt einen Hohlraum das sogenannte Gastrocoel oder Coelenteron. Da dieser Hohlraum sowohl Aufgaben eines Verdauungstraktes wie auch eines Gefäßsystems übernimmt, spricht man hierbei von einem Gastrovaskularsystem. Zu diesem Zweck gibt es neben den Nährmuskelzellen im Entoderm noch spezialisierte Drüsenzellen, die Verdauungssekrete ausscheiden.

Zusätzlich gibt es sowohl in Ektoderm als auch Entoderm Ersatzzellen, die sich in andere Zellen umwandeln können oder zum Beispiel Spermien und Eizellen produzieren (die meisten Polypen sind Zwitter).

Nervensystem

Die Hydra weist wie alle Coelenteraten ein Nervennetz auf. Es treten keine Koordinationszentren wie Ganglien oder ein Gehirn auf. Dennoch ist eine Häufung von Sinnes- und Nervenzellen und deren Fortsätzen an Mund und Stiel zu beobachten. Süßwasserpolypen reagieren auf chemische, mechanische und elektrische Reize, sowie auf Licht und Temperatur.

Nahrungsaufnahme und Verdauung

Die Nahrung der Süßwasserpolypen besteht aus kleinen Krebsen, Wasserflöhen, Larven von Insekten, Wassermilben, Plankton und anderen Kleintieren des Wassers. Sie werden mit Hilfe der Tentakel gefangen. Berührt ein Tierchen einen Tentakel, so bleibt es dort hängen und wird durch das Gift der herausgeschossenen Nesselkapseln gelähmt, evtl. auch getötet. Die Nesselkapseln tragen einen kleinen Fortsatz, bei dessen Berührung sich ein winziger Deckel öffnet; der Schlauch der Nesselkapsel schnellt heraus, penetriert das Opfer und setzt sein Gift frei, wodurch es gelähmt wird. Der Vorgang des Herausschnellens dauert nur etwa 3 ms. Danach krümmen sich die Fangarme und bewegen so die Beute in Richtung Mundöffnung. Von dort gelangt sie in den Gastrovaskulartrakt des Polypen, wo sie von einem Sekret der Drüsenzellen verdaut und von Nährmuskelzellen aufgenommen wird. Unverdauliches wird schließlich durch die Mundöffnung wieder ausgeschieden.

Fortbewegung

Polypen können sich spannerraupenähnlich fortbewegen. Der Rumpf wird zur Seite geneigt, bis das Mundfeld mit den Tentakeln den Boden berührt. Dort heften sie sich mit Hilfe von Klebezellen (eine Art der Nesselkapselzellen) an. Das untere Rumpfende wird daraufhin nachgezogen und der Körper erneut zur Seite ausgestreckt. Bei der Fortbewegung durch Überschlag heftet das Tier die Tentakeln ebenfalls auf dem Boden an, bewegt aber den Rumpf von der einen Seite zur anderen und richtet sich wieder auf. Polypen wandern etwa 2 cm am Tag. Durch Bildung einer Gasblase an der Fußdrüse kann Hydra sich aufwärts bewegen.

Fortpflanzung

Im Gegensatz zu den meisten anderen Nesseltieren fehlt Süßwasserpolypen die Medusengeneration, sie kommen nur in Form von Polypen vor und weisen keinen Generationswechsel auf. Hydren können sich sowohl ungeschlechtlich, in Form von Sprossung neuer Polypen am Stiel des Elternpolypen, durch Längs- und Querteilung als auch unter bestimmten Umständen geschlechtlich fortpflanzen. Diese Umstände sind noch nicht restlos geklärt, jedoch spielt Nahrungsmangel eine große Rolle. Die Tiere können männlich, weiblich oder auch zwittrig sein. Die geschlechtliche Fortpflanzung wird durch die Ausbildung von Geschlechtszellen in der Wand des Tieres eingeleitet. Dabei bilden sich charakteristische spermagefüllte Vorwölbungen („Hoden“) im oberen Drittel des Tieres und ein Ovarium mit einer großen Eizelle im unteren Drittel eines zwittrigen Tieres. Die Eier werden noch in der Epidermiswand befruchtet. Das befruchtete Ei wird entweder vom Tier aktiv an den Untergrund angeheftet oder sinkt passiv zu Boden. Es kann sich jedoch auch mit einer Peridermhülle umgeben und in dieser Form Monate überdauern. Es übersteht in dieser Form Austrocknen und Durchfrieren. Danach schlüpft ein kleiner Polyp aus der Peridermhülle.

Regeneration

Die Süßwasserpolypen besitzt eine bemerkenswerte Regenerationsfähigkeit. Statt beschädigte Zellen zu reparieren werden diese ständig ersetzt, indem sich Stammzellen teilen und zum Teil differenzieren. Innerhalb von fünf Tagen erneuert sich ein Süßwasserpolyp praktisch vollständig. Die Fähigkeit sogar Nervenzellen ersetzen zu können gilt bisher als einzigartig im Tierreich. Es ist jedoch zu beachten, dass es sich bei den Nervenzellen der Süßwasserpolypen um sehr primitive Vertreter handelt. Der Süßwasserpolyp hat lediglich einen „Katastrophentod“ zu fürchten, unter optimalen Umweltbedingungen kann ein Süßwasserpolyp theoretisch unendlich alt werden.[2]

Eine weitere besondere Eigenschaft der Süßwasserpolypen ist, dass ihre Zellen, wenn sie voneinander getrennt werden, wieder zueinander finden oder neue Polypen aus ihnen wachsen. Noch aus Einzelstücken von 1/200 der Masse eines erwachsenen Polypen kann ein neuer heranwachsen. So kann sich beispielsweise ein Süßwasserpolyp, der durch ein Netz gedrückt wurde, wieder selbst zusammensetzen. Diese Eigenschaft ist von hohem Interesse für die Biotechnologie.

Forschungsgeschichte

Süßwasserpolypen wurden bereits 1702 erstmals wissenschaftlich beschrieben; sie werden seit 300 Jahren wissenschaftlich untersucht. Experimentelle Studien zwischen 1736 und 1744 gipfelten in der Entdeckung ungeschlechtlicher Reproduktion durch Knospung und der ersten Beschreibung von Regeneration bei einem Tier. Das Genom von Hydra magnipapillata ist seit 2009 sequenziert.[3]

Süßwasserpolypen als Umweltindikatoren

Süßwasserpolypen vertragen nur geringe Konzentrationen von Schwermetallen, wie beispielsweise Cadmium, und anderen Schadstoffen in ihrer Umgebung, weshalb sie als Anzeiger für entsprechende Verunreinigungen Verwendung finden.

Systematik

Die Familie Hydridae wird in der "World Hydrozoa Database"[4] in die Unterordnung Capitata der Anthomedusae gestellt. Jean Bouillon et al. (2006) stellen sie dagegen in eine Unterordnung Moerisiida Poche, 1914 (zusammen mit den Familien Boeromedusidae, Halimedusidae, Moerisiidae und Polyorchidae. Diese Stellung der Hydridae wird wiederum von Allen et al. (2004) aufgrund molekularbiologischer Daten entschieden abgelehnt. Diese Autoren vereinigen die Familie Hydridae mit Candelabridae, Corymorphidae und Tubulariidae in einem Taxon Aplanulata (ohne hierarchischen Rang). Insgesamt listen die Werke 33 Arten der Gattung Hydra. Manche Autoren stellen die Arten hadleyi und viridissima in eine eigene Gattung Chlorohydra innerhalb der Familie der Hydridae.[5]

  • Hydra americana Hyman, 1929
  • Hydra baikalensis Swarczewski, 1923
  • Hydra beijingensis Fan, 2003
  • Hydra canadensis Rowan, 1930
  • Hydra cauliculata Hyman, 1938
  • Hydra circumcincta Schulze, 1914
  • Hydra daqingensis Fan, 2000
  • Hydra hadleyi Forrest, 1959
  • Hydra harbinensis Fan & Shi, 2003
  • Hydra hymanae Hadley & Forrest, 1949
  • Hydra iheringi Cordero, 1939
  • Hydra intaba Ewer, 1948
  • Hydra intermedia De Carvalho Wolle, 1978
  • Hydra japonica Itô, 1947
  • Hydra liriosoma Campbell, 1987
  • Hydra madagascariensis Campbell, 1999
  • Hydra mariana Cox & Young, 1973
  • Hydra minima Forrest, 1963
  • Hydra mohensis Fan & Shi, 1999
  • Hydra oligactis Pallas, 1766
  • Hydra oregona Griffin & Peters, 1939
  • Hydra oxycnida Schulze, 1914
  • Hydra paludicola Itô, 1947
  • Hydra parva Itô, 1947
  • Hydra plagiodesmica Dioni, 1968
  • Hydra polymorpha Chen & Wang, 2008
  • Hydra robusta (Itô, 1947)
  • Hydra rutgersensis Forrest, 1963
  • Hydra salmacidis Lang da Silveira, Souza-Gomes & de Souza e Silva, 1997
  • Hydra umfula Ewer, 1948
  • Hydra utahensis Hyman, 1931
  • Hydra viridissima Pallas, 1766
  • Hydra vulgaris Pallas, 1766

Literatur

  • Volker Storch, Ulrich Welsch, Adolf Remane: Systematische Zoologie. 6. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, 2003, ISBN 3-8274-1112-2

Literatur

  • Jean Bouillon, Cinzia Gravili, Francesc Pagès, Josep-Maria Gili und Fernando Boero: An introduction to Hydrozoa. Mémoires du Muséum national d' Histoire naturelle, 194: 1-, Publications Scientifiques du Muséum, Paris 2006 ISBN 978-2-85653-580-6
  • Marymegan Daly, Mercer R. Brugler, Paulyn Cartwright, Allen G. Collin, Michael N. Dawson, Daphne G. Fautin, Scott C. France, Catherine S. McFadden, Dennis M. Opresko, Estefania Rodriguez, Sandra L. Romano & Joel L. Stake: The phylum Cnidaria: A review of phylogenetic patterns and diversity 300 years after Linnaeus. Zootaxa, 1668: 127–182, Wellington 2007 ISSN 1175-5326 Abstract - PDF
  • Allen G. Collins, Silke Winkelmann, Heike Hadrys und Bernd Schierwater: Phylogeny of Capitata (Cnidaria, Hydrozoa) and Corynidae (Capitata) in light of mitochondrial 16S rDNA data. Zoologica Scripta, 34: 91-99, 2004 doi:10.1111/j.1463-6409.2005.00172.x

Online

Einzelnachweise

  1. Marianne Klug, Jakob Weber und Pierre Tardent: Hemolytic and toxic properties of Hydra attenuata nematocysts. Toxicon, 27(3): 325-339, Oxford 1989 doi:10.1016/0041-0101(89)90180-3
  2. D. E. Martinez: Mortality patterns suggest lack of senescence in hydra. In: Exp Gerontol 33, 1998, S. 217–225. PMID 9615920
  3. Jarrod A. Chapman et al: The dynamic genome of Hydra. In: Nature, 2010, doi:10.1038/nature08830
  4. [1]
  5. Eintrag Hydridae bei ITIS

Weblinks


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