- Baltendeutsche
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Die Deutsch-Balten, auch Baltendeutsche genannt, sind eine ursprünglich im Bereich des heutigen Estland und Lettland ansässige deutschsprachige Minderheit, die ab dem späten 12. Jahrhundert als eingewanderte Oberschicht großen Einfluss auf Kultur und Sprache der ortsständigen Letten und Esten hatte.
Die Deutschbalten stellten den Adel und den Großteil des Bürgertums in den ursprünglichen baltischen Provinzen Kurland, Livland, Estland und Ösel (heute Saaremaa), kaum hingegen in Litauen.
Zu den bekanntesten Deutsch-Balten zählen die Schriftsteller Werner Bergengruen, Siegfried von Vegesack, Robert Gernhardt und Gertrud von den Brincken, der Jurist Boris Meissner, der Chemiker Wilhelm Ostwald, der Zoologe und Ökologe Jakob Johann von Uexküll, der Komiker Heinz Erhardt, der russische Admiral und Befehlshaber der Baltischen Flotte im Ersten Weltkrieg Nikolai von Essen, der russische Generalfeldmarschall Michael Barclay de Tolly, der Entdecker Johann von Krusenstern, die religiös-politische Prophetin und Schriftstellerin Juliane von Krüdener, die Astronomendynastie Struve, der General Władysław Anders, aber auch der NS-Ideologe Alfred Rosenberg.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Von Ende des 12. Jahrhunderts an kamen die ersten Deutschen im Rahmen der Ostkolonisation des Heiligen Römischen Reiches und der Eroberung durch den Orden der Schwertritter ins Baltikum. (Der Schwertbrüderorden, dessen Kolonialisierung nicht wie beim deutschen Orden in Preußen mit der Assimilierung der zuvor ansässigen Bevölkerung endete, wurde nach drastischen militärischen Niederlagen mit dem Deutschen Orden vereinigt.)
Sie siedelten sich, von Süden nach Norden betrachtet, in den historischen Gebieten Kurland, Livland und Estland sowie der Insel Ösel – dem heutigen Saaremaa, an und übernahmen die Herrschaft des Gebietes. Das damalige Estland umfasste den heutigen nördlichen Teil der Republik Estland. Livland umfasste das heutige Südestland und Nordlettland, Kurland die restlichen Regionen. Litauen zählte nicht zum damaligen Siedlungsgebiet der Deutsch-Balten.
Gesellschaftlich stellte die deutschstämmige Ritterschaft die Oberschicht gegenüber der lange Zeit leibeigenen einheimischen Bauernschaft. Hansestädte – wie z.B. Reval, Riga, Dorpat – zeichneten sich durch ein großflächiges Netzwerk an Kaufleuten und Handwerkern sowie ein wohlhabendes, mächtiges Bürgertum aus. Die Vorfahren der heute noch lebenden Deutsch-Balten waren vorwiegend im landwirtschaftlichen und gewerblichen Bereich als Grundbesitzer und Kaufleute tätig (anders als in Russland).
Chronologie
- 12. Jahrhundert – erste niederdeutsche Handels- und Missionsstationen an der Düna
- 13. Jahrhundert – 1201 Gründung Rigas durch den Bremer Domherren Albert von Buxhoeveden, Bischof von Livland, und Beginn der Unterwerfung der baltischen Heiden durch den Schwertbrüderorden (später Deutscher Orden)
- 1242 – Schwertritter werden von den Russen in der Schlacht auf dem Peipussee geschlagen
- 1346 bis 1561 – Livland (heutiges Estland und Lettland) ist Teil des Deutschen Ordens
- 1558 bis 1583 – Livländischer Krieg: Das Ordensgebiet zerfällt
- 1561 – Privilegium Sigismundi Augusti: Die städtischen Stände erhalten auch unter polnisch-litauischer Lehnshoheit das Recht auf den Gebrauch der deutschen Sprache, deutsche Gerichtsbarkeit und Religionsfreiheit
- Ende 18. Jahrhundert – Zustrom deutscher Akademiker (u.a. Johann Gottfried von Herder), Handwerker und Theologen
- 1920 – Bodenreform: Enteignungen und darauf folgend Emigration vieler Deutschbalten
- 1939 – Deutsch-Sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag: zwischen Oktober 1939 und Januar 1940 Umsiedlung von 66.000 [1] (in der NS-Terminologie Baltendeutsche gebräuchlich) in die Region Posen (Warthegau) und nach Westpreußen
- 1944/45 - Flucht und Vertreibung der meisten Deutsch-Balten Richtung Westen
- 1945 – In Estland gebliebene Deutsch-Balten (342 Personen) werden deportiert.
- 1950 – Reorganisation der exilierten Deutschbalten in Landsmann- und Ritterschaften
Sprache
Deutsch-Balten sprechen Hochdeutsch (mit baltischem Akzent) oder (weniger häufig) Plattdeutsch.
Heutige Situation
Bis heute gibt es noch kleinere Minderheiten von Deutschsprachigen in den baltischen Ländern. In Estland gibt es nach der letzten Zählung (2000) noch 1870 Deutschsprachige. In Lettland sind es 3311 (Volkszählung 2004), und in Litauen gibt es ebenfalls noch wenige tausend Muttersprachler. Zu beachten ist hierbei, dass Deutschsprachige oft keine Deutschbalten sind, sondern viel mehr zugewanderte Russlanddeutsche aus Sibirien und Kasachstan.
Verbände
Heute gibt es noch verschiedene Verbände, die die Traditionen der Deutsch-Balten aufrechterhalten. Diese sind:
- Deutsch-Baltische Gesellschaft mit 13 Länderlandsmannschaften
- Verband der Baltischen Ritterschaften e.V.
- Deutschbaltischer Jugend- und Studentenring e.V. (DbJuStR)
- Die baltischen Corporationen
Bekannte Deutsch-Balten
siehe auch: Kategorie:Deutsch-Balte
- Karl Ernst von Baer, Biologe
- Michael Fürst Barclay de Tolly, Feldmarschall
- Fabian von Bellingshausen, Admiral und Entdecker
- Alexander von Benckendorff, General und Staatsmann
- Konstantin von Benckendorff, General und Diplomat
- Friedrich von Berg, Feldmarschall
- Werner Bergengruen, Schriftsteller
- August Bielenstein, Ethnograph und Theologe
- Andreas Bresinsky, Botaniker, Mitherausgeber des Strasburger
- Gertrud von den Brincken, Dichterin und Schriftstellerin
- Johann Christoph Brotze, Pädagoge und Ethnograph
- August von Bulmerincq, Jurist und Völkerrechtsexperte
- Georg Dehio, Kunsthistoriker
- Axel Freiherr von Campenhausen, Kirchenrechtler
- Hans Freiherr von Campenhausen, Theologe
- Walter von Engelhardt, Gartenarchitekt und erster Gartendirektor von Düsseldorf
- Ernst Kuss, Professor der Chemie, erster Direktor der Kupferhütte Duisburg nach dem Zweiten Weltkrieg, Träger des Bundesverdienstkreuzes
- Karl Eduard von Liphart, Kunsthistoriker und Kunstsammler
- Heinz Erhardt, Komiker und Schauspieler
- Johann Friedrich Eschscholtz, Botaniker
- Nikolai von Essen, russischer Admiral
- Theodor von Faber (1766–1847) Jurist und Schriftsteller
- Jürgen von Farensbach, livländischer Feldherr
- Bernd Freytag von Loringhoven, Generalleutnant a.D. und Kanzler des Johanniterordens
- Wessel Freytag von Loringhoven, Mitglied des 20. Juli 1944
- Armin von Gerkan, Archäologe und Bauforscher
- Meinhard von Gerkan, Architekt
- Robert Gernhardt, deutscher Schriftsteller, Lyriker und Satiriker
- Wilhelm von Glasenapp, Generalleutnant
- Nicolai Hartmann, Philosoph
- Julie von Hausmann, Dichterin
- Monika Hunnius, Schriftstellerin
- Rolf Kahn, Vater von Oliver Kahn
- Maksimas Katche (Max Kattchée), Generalleutnant und Teilnehmer an den litauischen Unabhängigkeitskämpfen
- Konstantin von Kaufmann, General
- Alexander von Kaulbars, General
- Alexander Graf Keyserlingk, Geologe, Paläontologe
- Eduard von Keyserling, Schriftsteller
- Hermann Graf Keyserling, Philosoph
- Otto von Kotzebue, Marineoffizier und Entdecker
- Walter Kremser, Forstpraktiker und Forstwissenschaftler
- Juliane von Krüdener, religiöse Visionärin, Beraterin des Zaren, Schriftstellerin
- Johann von Krusenstern, Admiral und Entdecker
- Manfred Kyber, Schriftsteller, Dichter und Tierschützer
- Heinrich Lenz, Physiker
- Dorothea Fürstin von Lieven, Diplomatin in London und Paris
- Christoph von Lieven, General, Diplomat in London
- Walter Masing, Physiker und Unternehmer
- Hans-Jürgen von Maydell, Forstwissenschaftler
- Alexander von Oettingen, Theologe
- Burchard von Oettingen, königlich-preußischer Oberlandstallmeister
- Fabian von der Osten-Sacken, Feldmarschall
- Wilhelm Ostwald, Chemiker
- Magnus Freiherr von der Pahlen, Politiker und General
- Peter Freiherr von der Pahlen, General
- Johann Reinhold von Patkul,
- Wolter von Plettenberg, Meister des Livländischen Ordens
- Georg Poelchau, Musiker, Privatgelehrter und Musikaliensammler
- Friedrich Karl von Prittwitz, Generalmajor der kaiserlich russischen Armee und Direktor der Militär- und Zivil-Ingenieure
- Paul von Prittwitz, russischer Generalleutnant und Senator
- Elisa von der Recke, Schriftstellerin
- Paul von Rennenkampf, General der russischen Armee im Ersten Weltkrieg
- Georg Wilhelm Richmann, Physiker
- Gustav von Rosen, livländischer General
- Alfred Rosenberg, nationalsozialistischer Rassentheoretiker
- Gerhard von Mende, rassenideologischer Turkologe
- Paul Schiemann, Journalist und liberaler Politiker
- Theodor Schiemann, Historiker
- Thomas Seebeck, Physiker
- Reinhold von Sengbusch, Pflanzenzüchter
- Jacob Graf Sievers, Staatsmann und Reformator
- Berndt von Staden, Diplomat und Kanzlerberater der Neuen Ostpolitik
- Wilhelm Struve, Astronom
- Gustav Tammann, Chemiker
- Jakob Johann von Uexküll, Biologe
- Jakob von Uexküll, Stifter des "alternativen Nobelpreises" Right Livelihood Award und Initiator des World Future Council.
- Roman von Ungern-Sternberg, Kommandant der Weißrussen
- Siegfried von Vegesack, Schriftsteller
- Otto Hermann von Vietinghoff, Unternehmer, Generaldirektor des allrussischen Medizinalkollegiums, Kunstmäzen
- Edgar von Wahl
- Verena von Weymarn, Generalarzt und erste Frau im Generalsrang in der Bundeswehr
- Gero von Wilpert, Autor und Literaturwissenschaftler
- Reinhard Wittram, Historiker
- Ferdinand von Wrangel, Admiral und Entdecker
- Walter Zapp, Erfinder der Minox-Kleinstkamera
- Alexius II., weltlicher Name: Alexei Michailowitsch Baron von Rüdiger, Patriarch von Moskau und Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche
Siehe auch
Literatur
- Wilhelm Lenz (Hsg.): Deutschbaltisches biographisches Lexikon 1710–1960, Köln 1970, ISBN 3-412-42670-9
- Jahrbuch des baltischen Deutschtums. (Fortlaufende Jahresbände), herausgegeben von der Carl-Schirren-Gesellschaft e.V. im Auftrag der Deutsch-Baltischen Gesellschaft e.V., Lüneburg.
- Hartmut Boockmann (Hrsg.): Deutsche Geschichte im Osten Europas. 10 Bde. Berlin: Siedler, 2002. ISBN 3-88680-771-1.
- Gert von Pistohlkors (Hrsg.): Bd 5. Baltische Länder. Berlin: Siedler, 1994. ISBN 3-88680-214-0.
- Wilfried Schlau (Hrsg.): Die Deutsch-Balten. Studienbuchreihe der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, Band 6. München: Verlag Langen Müller, 1995. ISBN 3-7844-2524-0.
- Wilfried Schlau (Hrsg.): Sozialgeschichte der baltischen Deutschen. 2., verb. Aufl. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik, 2000. ISBN 3-8046-8876-4.
- Matthias Schröder: Deutschbaltische SS-Führer und Andrej Vlasov 1942–1945: „Rußland kann nur von Russen besiegt werden“. Erhard Kroeger, Friedrich Buchardt und die „Russische Befreiungsarmee“. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2001. ISBN 3-506-77520-0.
- Robert Schweitzer, Waltraud Bastman-Bühner: Der Finnische Meerbuden als Brennpunkt. Wandern und Wirken deutschsprachiger Menschen im europäischen Nordosten. Veröffentlichungen der Stiftung zur Förderung deutscher Kultur, Nr. 9, Helsinki 1998.
- Gero von Wilpert: Deutschbaltische Literaturgeschichte. München: Verlag C.H. Beck, 2005. ISBN 3-406-53525-9.
- Kuno Hagen: Lexikon deutschbaltischer bildender Künstler: 20. Jh.. Unter Mitarb. von Margarete Hagen. Hrsg. von d. Georg-Dehio-Ges. Köln: Verlag Wissenschaft u. Politik, 1983. (Forts. von: Neumann, Wilhelm: Lexikon baltischer Künstler). ISBN 3-8046-0101-4.
- Wilhelm Neumann: Lexikon baltischer Künstler. Reprint der Ausg. Riga, 1908. Zürich: Danowski-Press, 1998. ISBN 3-906653-60-9.
- Yorck Deutschler, Deutsch-Balten contra Baltendeutsche, in: „Die Singende Revolution – Chronik der Estnischen Freiheitsbewegung (1987–1991)“, Teil 1 (Chronik, Annex III Ein fragmentarischer Essay zur Wortbedeutung des „Baltischen“, Anlage II Deutsch-Balten contra Baltendeutsche), Ingelheim, März 1998/Juni 2000, ISBN 3-88758-077-X
Weblinks
- Website „Deutsch-Balten heute“ , die u.a. auch die Webseite der Deutsch-Baltischen Gesellschaft e.V. (ehemals Deutsch-Baltische Landsmannschaft im Bundesgebiet e.V.) beinhaltet
- Webseite des Verbandes der Baltischen Ritterschaften e.V.
- Webseite des Deutsch-Baltischen Jugend- und Studentenringes e.V. (DbJuStR)
- Informationsseite zum neu gegründeten Baltenzentrum in München
- Deutsch Baltische Genealogen in Darmstadt
- Gutshöfe in Estland
- vifanord – Virtuelle Fachbibliothek Nordeuropa und Ostseeraum (inkl. Estland), siehe auch Vifanord
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