Bambi-Lüge

Bambi-Lüge

Mit verbreiteter Irrtum oder populärer Irrtum ist ein Irrtum gemeint, der sich in weiten Teilen der Bevölkerung durchgesetzt hat. Ähnlich wie bei der modernen Sage beruhen die populären Irrtümer meistens auf mündlicher Überlieferung. Überprüfbare schriftliche Quellen sind selten zu finden, das Internet kann aber ebenso zur Verbreitung dieser Irrtümer beitragen.

Inhaltsverzeichnis

Zum Begriff

Die rasche mündliche Weitergabe und die breite Akzeptanz der falschen Annahmen deutet darauf hin, dass es auch in aufgeklärten naturwissenschaftlich orientierten Gesellschaften einen Hang zur Mythen- und Legendenbildung gibt. Im Gegensatz zu modernen Sagen stellen die verbreiteten Irrtümer keine anekdotenhaften Ereignisse dar, die „einem Freund von einem Freund ganz sicher passiert“ sein sollen, sondern spiegeln angebliche (oft scheinbar wissenschaftlich untermauerte) Fakten wider.

Abgrenzen kann man den Begriff auch von den nationalen Mythen. Obwohl in den nationalen Mythen ebenfalls manchmal Fakten verbreitet werden, die der historischen Überprüfung nicht standhalten, handelt es sich dabei nicht um Irrtümer, sondern um einseitige Sichtweisen oder Verfälschungen zu einem bestimmten Zweck, nämlich der Rechtfertigung oder Glorifizierung bestimmter Ereignisse oder Personen innerhalb des herrschenden Selbstverständnisses einer Nation. Ohnehin bilden den Kern nationaler Mythen eher anekdotische Begebenheiten und Erzählungen als überprüfbare Fakten.

Überprüfbarkeit

Interessant an diesen Abgrenzungen zur modernen Sage (Urban Legend) und zum nationalen Mythos (National Myth) ist, dass diese, ähnlich wie die alten Sagen und Legenden, meistens nicht restlos auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können, da die Quellen und genauen Umstände im Dunkeln liegen, verändert oder frei erfunden worden sind. Bei verbreiteten Irrtümern ist es durch wissenschaftliche Untersuchungen oder durch Erforschung der zugrundegelegten Tatsachen relativ leicht möglich, die verbreiteten Fakten zu widerlegen und den Irrtum darzustellen. Soziologisch relevant sind dabei die Kommunikationsmechanismen, die es trotz dieser Überprüfbarkeit möglich machen, dass sich die Irrtümer rasch und nachhaltig verbreiten können und als glaubhaft gelten. Andererseits finden auch Bücher ein immer größer werdendes Interesse, die diese weit verbreiteten Irrtümer sammeln, auflisten und richtigstellen. Inzwischen sind manche missverständlichen Richtigstellungen in solchen Sammlungen, die häufig wieder mündlich weiterverbreitet werden, Quellen für neue Irrtümer. Dabei ist auch ein zunehmender Widerstand dagegen feststellbar, alle Tatsachen immer wieder zu überprüfen, alle Geheimnisse zu enträtseln und alle Mythen zu entzaubern.

Auswirkungen

Trotz ihrer Zähigkeit und schwierigen Ausrottbarkeit haben die populären Irrtümer wenig Auswirkung auf das gesellschaftliche Leben. Ihre Weitergabe dient eher der Unterhaltung als der Vermittlung eines Weltbildes. Manchmal spielen sie in Schülervorstellungen eine Rolle und sind hinderlich für das Verständnis des Unterrichtsstoffes. Oft werden aber gerade von Lehrern solche falschen Annahmen mündlich an die Schüler weiter gegeben, z. B., dass Albert Einstein ein schlechter Schüler gewesen sei (Einstein hatte auf seinen Zeugnissen nur Sechser, aber in der Schweiz, wo Einstein zur Schule ging, ist die Sechs seit langem die beste Note). Mit diesen gut erfundenen und interessant klingenden, aber falschen Details soll der Unterricht aufgelockert werden. Die Lehrer sind dabei genau so wenig gegen die moderne Legendenbildung gefeit wie ihre Schüler.

Wegen ihrer Überprüfbarkeit eignen sich die populären Irrtümer meistens nicht als Grundlage für Pseudowissenschaften. Weniger bekannte und schwerer überprüfbare Behauptungen werden jedoch manchmal in pseudo- und populärwissenschaftlichen Büchern und Berichten wiedergegeben. Manche dieser Irrtümer unterstützen unreflektierte Meinungen und Vorurteile.

Quellen

Neben den meistens nicht lokalisierbaren mündlichen Quellen gibt es auch schriftliche Quellen, die Grundlage der Verbreitung von Irrtümern sein können. Dies sind einerseits populärwissenschaftliche Darstellungen als Auslöser von Missverständnissen oder Irrtümern, andererseits schlecht recherchierte Artikel in Zeitungen und Zeitschriften. Es besteht, hauptsächlich bei Boulevardmedien, die Tendenz, aus Zeitmangel und Kostengründen bestimmte Fakten immer wieder abzuschreiben, anstatt sie jeweils zu überprüfen. Auch das Internet trägt viel zur raschen Verbreitung von Irrtümern bei. Die große Popularität computerbasierter Lexika und von Internet-Enzyklopädien bildet ebenso eine Gefahrenquelle zur Verbreitung von Irrtümern. Nur durch genaue Recherchen der Grundlagen und ständige Überprüfung der Inhalte durch die Autoren kann dem entgegengewirkt werden. Dadurch sind Irrtümer, zu denen es schriftliche Quellen gibt, leichter korrigierbar und kurzlebiger als die mündlich überlieferten.

Beispiele

Dieses Kapitel stellt nur eine Auswahl von besonders verbreiteten populären Irrtümern dar. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll den Begriff beispielhaft näher beschreiben. Es sind in den vergangenen Jahren viele Sammlungen solcher Irrtümer mit Richtigstellungen in Buchform erschienen (siehe Literatur), Zeitschriftenserien wurden dem Thema gewidmet und auch ein wikibook steht zur Verfügung (siehe Weblinks).

Spinat enthalte besonders viel Eisen

Spinat enthält gekocht etwa 2,2 mg Eisen pro 100 Gramm, im frischen Zustand etwas mehr. Dieses ist deutlich weniger als etwa Schokolade oder zahlreiche andere Lebensmittel enthalten. Allerdings wird heute noch häufig angenommen, dass Spinat die zehnfache der tatsächlichen Menge Eisen enthalte. Ursache war vermutlich ein Fehler bei der Auswertung von Messergebnissen Anfang des 20. Jahrhunderts.[1]

Obwohl diese Behauptung bereits in den 1930er Jahren als Irrtum bekannt war, hat sie sich bis heute gehalten.

Reh und Hirsch seien dieselbe Tierart

Im deutschen Sprachraum sind vor allem viele Kinder der Meinung, dass „das Reh die Frau vom Hirsch“ sei.[2] Hauptverantwortlich dafür wird der Film Bambi gemacht, weshalb man auch vom Bambi-Irrtum (oder der Bambi-Lüge) spricht. Felix Saltens Geschichte Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde dreht sich um ein Reh, doch da es in den USA keine Rehe gibt, adaptierte Walt Disney die Geschichte auf dort einheimische Hirsche. Die deutsche Übersetzung des Films spricht trotzdem gemäß dem Original von Rehen, wobei aber insbesondere Bambis Vater mit seinem imposanten Geweih nicht als Rehbock interpretiert werden kann und daher Hirsch genannt wird.

Frisches Obst und Gemüse sei immer gesünder als tiefgekühltes und solches in Dosen

„Frisches“ Obst und Gemüse

Die meisten Menschen sind der Ansicht, dass das sogenannte „frische“ Obst und Gemüse, also solches, das bei Raumtemperatur nicht eingelegt auf dem Wochenmarkt oder in den Obst- und Gemüseabteilungen von Supermärkten angeboten wird, gesünder sei als Tiefkühlkost. Diese Annahme trifft jedoch nicht immer zu. Am günstigsten ist die Bilanz bei unmittelbar vor Zubereitung und Verzehr geernteten Lebensmitteln sowie bei Tiefkühlkost, deren Vitamingehalt nahezu der gleiche ist wie zum Zeitpunkt der Ernte. Tiefkühlware wird meistens direkt am Ernteplatz gefroren bzw. eingelegt, während das „frische“ Obst und Gemüse zum Zeitpunkt des Kaufs oft bereits mehrere Tage oder gar Wochen alt ist. Dadurch gehen viele Vitamine und Nährstoffe verloren, während sie bei Tiefkühlkost weitgehend erhalten bleiben. Beim Konservieren in Dosen dagegen sinkt der Vitamingehalt deutlich und ist geringer als der in frischer Ware. Bei Speisen, die nicht gekocht werden, ist daher die Frischware gesünder als Konservenware. Der Vorteil kann sich jedoch bei der Zubereitung der Speisen ins Gegenteil verkehren, da hier die eingelegten Lebensmittel weniger Vitamin- und Nährstoffverluste erleiden: So ist eine aus Dosentomaten hergestellte Tomatensoße unter Umständen vitaminreicher als eine aus „frischen“ Tomaten hergestellte.

Teflon sei ein Nebenprodukt der Raumfahrt

Oft wird der fluorhaltige Kunststoff Teflon als Nebenprodukt der Forschungen für die Raumfahrt bezeichnet. Teflon wurde jedoch bereits 1938 von dem Chemiker Roy Plunkett entdeckt. Der Wettlauf in den Weltraum zwischen USA und Sowjetunion und damit die ersten Raumfahrtprogramme begannen erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Der erste künstliche Satellit Sputnik 1 startete am 4. Oktober 1957.

Wasseradern führten in großer Zahl durch den Erdboden

Die von Wünschelrutengängern nahezu überall entdeckten „Wasseradern“ sind ein Mythos. Unterirdisches Wasser (Grundwasser) ist flächenhaft ausgebildet und fast überall zu finden; doch es fließt nur in wenigen Gegenden (meistens in Karstgebieten) in Form von Adern.

Eskimos hätten hundert Wörter für „Schnee“

Dieses Gerücht hat sich im Lauf des 20. Jahrhunderts verbreitet. Erste Quelle ist möglicherweise eine sprachwissenschaftliche Arbeit aus dem Jahre 1911, die von vier Wörtern für Schnee ausgeht.[3] Tatsächlich gibt es grade zwei Wörter, oder wenn man etwas großzügiger zählt, so um ein Dutzend. (Auch das Deutsche kennt mehr als ein Wort: Schnee, Firn, Harsch, Hagel, Graupel, Lawine …)

Mineralölsteuer und Ökosteuer stiegen, wenn der Spritpreis steigt

Als Mitverursacher steigender Benzinpreise nennen Autofahrer oft die Mineralölsteuer und die Ökosteuer. Diese werden allerdings nicht prozentual berechnet, wie beispielsweise die Mehrwertsteuer; sie werden als Festsatz aufgeschlagen, ihr Betrag ist unabhängig vom Ölpreis.

Wer seinem Vermieter drei potenzielle Nachmieter vermittele, sei von der Kündigungsfrist befreit

Dieses ist nur ein Beispiel für die Vielzahl der im Umlauf befindlichen Rechtsirrtümer. Dabei handelt es sich um weit verbreitete juristische Behauptungen, für die es in keinem Gesetz eine rechtliche Grundlage gibt. Grundsätzlich gilt die vereinbarte Kündigungsfrist für eine Mietwohnung ohne Einschränkung. Der Vermieter ist weder dazu verpflichtet, mit einem vom Mieter präsentierten Interessenten einen Vertrag zu schließen, noch muss er den bisherigen Mieter nach der Vermittlung des dritten potenziellen Nachmieters frühzeitig aus dem Vertragsverhältnis entlassen.

Achtung: In der Schweiz gilt tatsächlich gemäss Mietrecht, dass bei einer vorzeitigen Kündigung der Mieter von dem Zeitpunkt aus dem Vertrag entlassen ist (also nicht mehr zahlungspflichtig ist), auf den eine einzige mitgeteilte, zumutbare und solvente Nachmieterschaft die Mietsache übernommen hätte.[4] Der Vermieter ist dabei aber nicht verpflichtet, mit dem präsentierten Nachmieter tatsächlich einen Vertrag zu schliessen.

Siehe auch

Literatur

Es gibt viele Bücher zu verschiedensten Arten von verbreiteten Irrtümern, z. B. zu Sprachirrtümern, Umweltirrtümern, juristischen Irrtümern, Ernährungsirrtümern, medizinischen Irrtümern usw.

→ Siehe Hauptartikel: Irrtumslexikon

Weblinks

Quellen

  1. WDR: Wissen macht Ah! – KuriosAh!
  2. Ist das Reh die Frau vom Hirsch?. Deutschen Wildtier Stiftung. Abgerufen am 13. April 2008. (Pressemitteilung)
  3. http://amor.rz.hu-berlin.de/~h0998dgh/philos/erfahr.html
  4. http://www.mieterverband.ch/fileadmin/alle/Dokumente/Merkblaetter/Kuendigung/kuend_ausserord/mb_ft_aussord_kuend_vorz_auszug.pdf Merkblatt Mieterverband mit Verweis auf OR Art. 264

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