- Teilestammdaten
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Stammdaten ist ein Begriff aus der Informatik (Datenmanagement) und der Betriebswirtschaft (betriebliche Anwendungsprogramme). Daten einer Anwendung können in
- Stammdaten, auch Grunddaten oder Referenzdaten (englisch master data oder core data) genannt,
- und Bewegungsdaten (englisch update data oder transaction data) eingeteilt werden.
Im Kontext betrieblicher Mengen- und Wertebetrachtungen gibt es darüber hinaus noch den Begriff Bestandsdaten (englisch inventory data oder quantity on hand data). Unter dem Aspekt des Änderungsdienstes (englisch updating) werden die Daten, die zu Änderungen von Stammdaten führen, Änderungsdaten genannt, während die Bewegungsdaten zu Änderungen von Bestandsdaten führen. (Lit.: Hansen)
Inhaltsverzeichnis
Definition
Stammdaten - wie auch das Antonym Bewegungsdaten - lassen sich über drei Kriterien definieren:
- Über die existentielle Abhängigkeit, die zwischen Entitätstypen (synonym Objekttypen) bestehen kann (so setzt z. B. ein Auftrag die Existenz eines Kunden voraus; demnach gilt: kein Auftrag ohne Kunde),
- Über das unterschiedliche Volumen von Daten über die Zeit (es wird im Laufe der Zeit mehr Aufträge geben als Kunden) und
- Über den Inhalt bzw. den Verarbeitungsprozess und temporale Aspekte.
Stammdaten sind im obigen Beispiel die Kundendaten, während die Auftragsdaten unter Bewegungsdaten fallen.
1. Definition mittels existenzieller Abhängigkeit
In einem Entity-Relationship-Diagramm (ER-Diagramm) können die Entitätstypen so angeordnet werden, dass die originären, d.h. existenziell unabhängigen Entitätstypen, auf einer Seite (angenommen links) und die existenziell davon abhängigen Entitätstypen weiter rechts stehen. Daten der ganz links stehenden Entitätstypen werden Stammdaten genannt, während Daten der ganz rechts stehenden Entitätstypen mit den stärksten Abhängigkeiten Bewegungsdaten genannt werden. Auch die Daten der dazwischen liegenden Objekttypen können je nach Lage graduell den Stamm- und Bewegungsdaten zugeordnet werden. Für je zwei existenziell voneinander abhängige Entitätstypen gilt dann, dass der existenziell unabhängige Entitätstyp die stämmigeren und der abhängige Entitätstyp die beweglicheren Daten enthält. Die beiden Begriffe Stamm- und Bewegungsdaten sind hier somit graduell antonym. Da die beweglicheren Daten auf die stämmigeren Daten verweisen, werden letztere auch Referenzdaten genannt. (Lit.: Sinz)
In diesem Beispiel fallen Kunden- und Artikeldaten unter Stammdaten, während Daten zu Auftrags- und Rechnungsposition Bewegungsdaten sind.
2. Definition mittels Änderungsvolumen (Statik vs. Dynamik)Unter dem Aspekt des Änderungsdienstes (Einfügen, Ändern und Löschen von Datensätzen) werden Daten von Entitätstypen, die ein hohes Maß an Änderungen aufweisen – somit dynamisch sind - Bewegungsdaten genannt, während die Daten von Entitätstypen mit relativ wenig Änderungen – also mehr statisch sind - Stammdaten genannt werden.
"Stammdaten sind Daten, die über einen längeren Zeitraum unverändert bleiben." (Lit.: SAP)
3. Definition nach inhaltlichen bzw. prozessorientierten sowie temporalen AspektenStammdaten sind zustandsorientierte Daten, die der Identifikation, Klassifikation und Charakterisierung von Sachverhalten dienen und die unverändert über einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehen. Sie werden auch als feste Daten bezeichnet.
Bewegungsdaten sind abwicklungsorientierte Daten, die immer wieder neu durch die betrieblichen Leistungsprozesse entstehen, die laufend in die Vorgänge der Datenverarbeitung einfließen und dabei eine Veränderung der Bestandsdaten bewirken. Die Bewegungsvorgänge werden als Transaktionen (engl. transaction) bezeichnet.
Bestandsdaten sind - wie die Stammdaten - zustandsorientierte Daten, welche die betriebliche Mengen- und Wertestruktur kennzeichnen, und somit nicht unverändert. Sie unterliegen – anders als die Stammdaten - durch das Betriebsgeschehen einer systematischen Änderung, welche durch die Verarbeitung von Bewegungsdaten bewirkt wird. (Lit.: Scheithauer )
Die drei Definitionen führen nicht immer zu gleichen Umfängen der Begriffe Stamm- und Bewegungsdaten; die Begriffsdefinitionen sind also nicht äquivalent. So ist z. B. der Lagerbestand eines Artikels in einem Supermarkt gemäß Definition 1 ein Stammdatum; da er eine Eigenschaft des existenziell unabhängigen Entitätstyps Artikel ist. Da sich der Lagerbestand relativ häufig ändert, ist er gemäß Definition 2 ein Bewegungsdatum. Gemäß Definition 3 ist er ein Bestandsdatum, denn der Lagerbestand beschreibt den mengenmäßigen Zustand eines Artikels.
Die Eigenschaft eines Datums, als Stammdatum oder Bewegungsdatum eingeordnet zu werden, ist abhängig vom Umfeld (Kontext). Was in einer Anwendung oder Datenbank Stammdaten sind (z. B. Artikeldaten in einem Lagerverwaltungssystem), können in einer anderen Datenbank Bewegungsdaten sein (z. B. Artikeldaten in einer Datenbank zur Erstellung eines konzernweiten Produktkatalogs).
Definition 1 auf Basis der existenziellen Abhängigkeit wird vor allem bei der Datenstrukturierung und Datenhaltung verwendet (z. B. von Datenmanagern und Daten(bank)administratoren).
Definition 2 auf Basis des Änderungsvolumens wird häufig im Zusammenhang mit datenverändernden Prozessen (Änderungsdienst) genutzt (z. B. von Anwendungsentwicklern) während
Definition 3 auf Basis geschäftsprozessorientierter und temporaler Aspekte mehr bei der Betrachtung betriebswirtschaftlicher Prozesse herangezogen wird.
Stammdatenhistorie und slow moving change
Da sich längerfristig meist auch alles ändert, was mittelfristig als konstant und invariabel gedacht wird, haben auch Stammdaten oft ein Gültigkeitsdatum (Gültig von, Gültig bis). In der Stammdatenhistorie werden dann diese langsamen Änderungen aufgezeichnet. Die Stammdatenhistorie spielt dort eine wichtige Rolle, wo sich Stammdaten - z. B. Kostenstellen oder Profitcenter nach einer Reorganisation des Unternehmens - von einer Geschäftsperiode auf die nächste verändern. Oft liegen in einem ERP-System gleichzeitig Bewegungsdaten aus verschiedenen Geschäftsperioden vor, z. B. für Auswertungszwecke. Nun darf es z. B in der Beleganzeige nicht geschehen, dass ein Beleg aus der Vorperiode mit einer Kostenstellenkontierung '1000' hinsichtlich Verantwortlichkeit und organisatorischer Zuordnung dem heutigen, aktuellen Definitionsstand der Kostenstelle '1000' angezeigt wird; vielmehr muss die Anzeige dieser Kostenstellenattribute dem Zeitpunkt der Belegverbuchung entsprechen.
Eigenschaften der Stamm- und Bewegungsdaten
Trotz aller Unterschiede bei den oben genannten Definitionen gibt es mehrere Gemeinsamkeiten:
Stammdaten
- zeichnen sich durch eine gewisse Statik aus (zeitlich invariant) und haben meistens keinen Zeitbezug,
- werden oft von mehreren Anwendungen bzw. Unternehmensbereichen verwendet, z. B. Teilstammsätze (Einkauf, Konstruktion, Disposition, Buchhaltung, Vertrieb, Arbeitsvorbereitung)
- sind bei analytischen Auswertungen oft die Kriterien, nach denen ausgewertet wird (z. B. Produkt, Filiale, Kunde). Somit sind sie Kandidaten für die Dimensionen im Online Analytical Processing (OLAP) und
- werden meistens langfristig gehalten.
Bewegungsdaten
- zeichnen sich durch eine gewisse Dynamik aus (zeitlich variant) und haben meistens einen Zeitbezug (Gültigkeitsdatum),
- werden oft von wenigen Anwendungen genutzt,
- liefern oft die Fakten bei analytischen Auswertungen, womit sie Kandidaten für die Zelleninhalte im OLAP sind,
- werden meistens nur zeitlich begrenzt benötigt und daher
- kurz oder mittelfristig gehalten.
Bestandsdaten
- zeichnen sich durch eine gewisse Dynamik aus (zeitlich variant),
- liefern oft die Fakten bei analytischen Auswertungen. Somit sind sie Kandidaten für die Zelleninhalte im OLAP und
- werden meistens langfristig gehalten.
Beispiele für Stamm- und Bewegungsdaten
- In einer Anwendung zur Materialwirtschaft sind Stammdaten z. B. die Artikel- oder Teilestammdaten und Bewegungsdaten z. B. Lagerzugangs- und -abgangsdaten.
- Bei einem PPS-System gehören Stücklisten und Arbeitspläne zu den Stammdaten. Bewegungsdaten sind Daten zu Bestellungen, Aufträgen und Lieferungen.
- Bei einem Bibliothekssystem sind die Katalog- und Benutzerdaten (z. B. Name und Adresse) Stammdaten, während die Daten zu den entliehenen Büchern eines Benutzers und zur Meldung einer Rückgabe Bewegungsdaten sind.
Historie der Begriffe
Die Aufteilung der Datenwelt in Stamm- und Bewegungsdaten geschah in der Frühzeit der elektronischen Datenverarbeitung.
Als es noch keine Bildschirmarbeitsplätze für die direkte Eingabe von Daten gab, lagen die Stammdaten als sortierte Lochkartenstapel, als Magnetband- oder auch auf dem damals noch relativ teuren Magnetplattendateien vor. Änderungen wurden über einen bestimmten Zeitraum in Bewegungsdateien gesammelt oder gestapelt, um dann in einem Durchlauf gegen die Stammdaten verarbeitet zu werden.Mit Beginn der Dialogverarbeitung und der Haltung fast aller Daten auf Direktzugriffsspeichern und dem Einsatz von Datenbankmanagementsystemen verlagerte sich in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts der Fokus weg von dem Änderungsdienst hin zur Semantik - der existenziellen (Un)abhängigkeit von Entitätstypen bzw. ihren Ausprägungen in den Tabellen relationaler Datenbankmanagementsysteme. Die Bedeutung originärer Daten, also Daten von existenziell unabhängigen Entitätstypen, zeigt sich auch darin, dass für diese Daten in einigen Firmen eine Instanz für die Verwaltung von Stammdaten eingerichtet wurde.
In verschiedenen Gesetzen (Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz IuKDG, Teledienstedatenschutzgesetz TDDSG) werden Stammdaten abweichend von der Ableitung von Beständen auch als Bestandsdaten bezeichnet, wenn sie für die Begründung, Durchführung oder Änderung eines Vertrages über den Transport von Informationen erforderlich sind. Beispiele für Bestandsdaten sind dort Kundendaten (Name, Anschrift, Buchungskonto usw.) und zugehörige permanente Systemdaten (Rufnummer, Anschlusskennung, Kennwörter usw.). In diesem Zusammenhang wird der Begriff Bestandsdaten als Synonym für Stammdaten verwendet, wobei der Begriff Stammdaten angebracht wäre, um Verwechslungen und Missverständnisse zu vermeiden.
Literatur
- Elmar J. Sinz; Konzeptionelle Datenmodellierung im Strukturierten Entity-Relationship-Modell (SER-Modell) in Günter Müller-Ettrich (Hrsg);
Effektives Datendesign: Praxis-Erfahrungen; ISBN 3-481-00003-0 und 3-481-00003-2 - SAP: Glossar, Seite 155 (PDF)
- Erik Scheithauer: Fachhochschule Frankfurt/Main (PDF)
- Hans Robert Hansen, Gustaf Neumann; Wirtschaftsinformatik 1; ISBN 3-8252-2669-7
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