Theodor Wiesengrund Adorno

Theodor Wiesengrund Adorno
Theodor W. Adorno (rechts) zusammen mit Max Horkheimer (1965)

Theodor W. Adorno (eigentlich Theodor Ludwig Wiesengrund-Adorno; * 11. September 1903 in Frankfurt am Main; † 6. August 1969 in Visp, Schweiz) war ein deutscher Philosoph, Soziologe, Musiktheoretiker und Komponist.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Adorno-Denkmal von Vadim Zakharov in Frankfurt am Main

Adorno war akademischer Lehrer der Soziologie und vor allem der Philosophie. Darüber hinaus war er ein bedeutender Musikkritiker. Als Komponist blieb er im Schatten seines Lehrers Alban Berg.

Häufig wird Adorno wegen des gesellschaftskritischen Schwerpunkts seines Philosophierens als Sozialphilosoph bezeichnet. Nach 1945 nahm er die intellektuell führende Rolle im Frankfurter Institut für Sozialforschung ein. Für die Studentenbewegung war vor allem seine kulturkritische Position zum Verblendungszusammenhang der bürgerlichen Gesellschaft von Bedeutung.

Einige seiner Hauptwerke sind:

Frühe Frankfurter Jahre (1903–24)

Aufgewachsen ist Theodor Wiesengrund Adorno in derselben Straße, in der Arthur Schopenhauer lange lebte: der Schönen Aussicht. Sein Geburtshaus stand in der Nr. 9, in der Schönen Aussicht 7 betrieb sein Vater eine Weinhandlung. Die Eltern des Einzelkindes Theodor („Teddie“) waren der Weingroßhändler Oscar Alexander Wiesengrund (1870–1946) und die Offizierstochter Maria Barbara Calvelli-Adorno (1865–1952), welche korsisch-italienischer Abstammung war und in Wien als ausgebildete Sängerin auch am kaiserlichen Hofe Erfolge hatte. Sein Vater stammte aus einer jüdischen Familie und trat später zum Protestantismus über, bevor er Maria Barbara heiratete, die katholisch war.

Adorno wurde katholisch getauft, empfing die Kommunion, ließ sich jedoch später unter dem intellektuellen Einfluss seines Religionslehrers evangelisch konfirmieren.

Ein engeres Verhältnis zum Judentum seiner väterlichen Vorfahren gewann Theodor erst unter dem Eindruck der Shoah, wohl auch beeinflusst durch seine späte Freundschaft mit Gershom Scholem. Aus dem Doppelnamen seiner Mutter wählte er später als Hauptnamen Adorno, während das „Wiesengrund“ des Vaters in der Emigration zu „W.“ verkürzt wurde. Schon vor 1933 nannte er sich Wiesengrund-Adorno.

Bei seiner im Haus der Familie lebenden Tante, der Sängerin und Pianistin Agathe Calvelli-Adorno, lernte Adorno das Klavierspiel. Die Musik bildete den kulturellen Mittelpunkt der kosmopolitisch geprägten und großbürgerlichen Familie. So zog seine Mutter mit der Partie des Waldvögleins aus Richard Wagners Oper Siegfried durch Europa. Adorno lernte einen Großteil der kammermusikalischen und symphonischen Literatur durch das Vierhändigspielen. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass sich seine musikalische Kompetenz sehr früh ausbildete.[1]

Im Kaiser-Wilhelm-Gymnasium (heute Freiherr-vom-Stein Gymnasium) in Frankfurt trat er als brillanter Schüler hervor: Mit 17 Jahren, nachdem er zwei Klassen übersprungen hatte, bestand er das Abitur als Jahrgangsbester.

Neben der Schule nahm er bei Bernhard Sekles Privatunterricht in Komposition. 1923 beteiligte er sich an der Aufführung eines eigenen Streichquartetts. Gemeinsam mit seinem 14 Jahre älteren Freund Siegfried Kracauer las er Kants Kritik der reinen Vernunft. „Nicht im leisesten übertreibe ich, wenn ich sage, daß ich dieser Lektüre mehr verdanke als meinen akademischen Lehrern.“

Schon früh wurde also deutlich, dass Adorno hochbegabt war. Die Kant-Episode bestätigt die Aussagen der Umgebung, dass er ein hervorragendes Gedächtnis hatte, mit dem er ganze Bücher aufnehmen konnte. Er erlernte sehr schnell Fremdsprachen, Latein, Griechisch, Französisch und in der Emigration Englisch (kaum in England angekommen, reicht er dort eine Habilitationsschrift ein). Damit waren alle Konfliktfelder angelegt, die eine solche Begabung mit sich bringt: Hochmut des Begabten, Neid der anderen, Ungeduld mit weniger Begabten und damit die Schwierigkeit, zu erkennen, dass die eigenen Arbeiten andere überfordern können.

Zum Neid auf den Hochbegabten kam der Antisemitismus hinzu. Adorno war im Gymnasium sich steigernden Quälereien ausgesetzt; eine Gruppe von Schülern verfolgte Adorno und rief dabei „Grüß mir den Vater Abraham“, was nichts weniger als eine Morddrohung ist, auch wenn diese Schüler als Kinder den eigentlichen Sinn des Ausspruches noch nicht vollständig verstehen mochten. Adorno hat diese Erlebnisse später in den Minima Moralia verarbeitet. Die Mutter und Tante begleiteten den Halbwüchsigen fortan zur Schule.

An der Universität Frankfurt belegte er ab 1921 Philosophie, Musikwissenschaft, Psychologie und Soziologie. Das Studium absolvierte er sehr zügig: Ende 1924 schloss er es mit einer Dissertation über Edmund Husserl „summa cum laude“ ab; die Arbeit, die er im Geist seines Lehrers Hans Cornelius abfasste, enthielt reine Schulphilosophie, die noch kaum etwas von Adornos späterem Denken ahnen ließ. Inzwischen war er seinen wichtigsten intellektuellen Weggefährten begegnet: Max Horkheimer und Walter Benjamin.

Aufenthalt in Wien (1925–26)

Bereits während der Frankfurter Studienzeit publizierte Adorno zahlreiche Artikel als Musikkritiker. Die Bekanntschaft mit Alban Berg, dessen Oper „Wozzeck“ er 1924 kennenlernte, nutzte er ab Januar 1925 zu einem „Aufbaustudium“ in Komposition an dessen Wirkungsstätte in Wien. Sein Klavierspiel vervollkommnete er gleichzeitig bei Eduard Steuermann, dem maßgeblichen Pianisten der Zweiten Wiener Schule, der die meisten Klavierwerke Schönbergs uraufgeführt hat. Auch zu den beiden anderen Protagonisten der Zweiten Wiener Schule bahnte er Beziehungen an: zu Arnold Schönberg und Anton von Webern. Vor allem Schönbergs revolutionäre Atonalität, aber auch seine Zwölftonkompositionen spielten für Adorno bei der Entfaltung seiner Philosophie der neuen Musik eine entscheidende Rolle. Schönberg zeigte sich allerdings von den Versuchen einer sozialphilosophischen Deutung seiner Musik wenig beeindruckt.

An der Kroll-Oper verfolgte Otto Klemperer Opern-Pläne, in denen Wiesengrund-Adorno eigene Vorstellungen realisiert fand. Zur Uraufführung des Wozzeck begleitete er im Dezember 1925 Berg nach Berlin.

Auch wenn Adorno vor 1945 immer komponiert hat, waren die Jahre um seinen Wiener Aufenthalt doch die kompositorisch intensivsten. Unter seinen Kompositionen machen eine Reihe von Klavierliederzyklen den umfangreichsten, auch den gewichtigsten Teil aus. Daneben hat er Orchesterstücke, Kammermusik für Streicher und a capella-Chöre komponiert und französische Volkslieder bearbeitet, später, in der Emigration, auch Klavierstücke von Schumann für kleines Orchester instrumentiert.

1926 wurden die Zwei Stücke für Streichquartett, op. 2, durch das Kolisch-Quartett uraufgeführt. Alban Berg stellte daraufhin seinen Schüler als vollgültigen Vertreter der Zweiten Wiener Schule dem Schuloberhaupt Schönberg vor.

Nur die Sechs kurzen Orchesterstücke, op. 4, deren Partitur 1968 bei Ricordi in Mailand erschienen ist, sind zu Adornos Lebzeiten gedruckt worden. Gespielt wurde der Komponist Wiesengrund-Adorno vor 1933 gelegentlich, erst seit den fünfziger Jahren häufiger.

Dirigenten wie Gary Bertini, Michael Gielen, Giuseppe Sinopoli und Hans Zender setzten sich für den Komponisten Adorno ebenso ein wie Walter Levin mit dem LaSalle-Quartett. Die Pianistin Maria Luisa Lopez-Vito hat seit 1981 die Klavierstücke Adornos nach und nach bei Konzerten in Palermo, Bozen, Berlin, Hamburg und an anderen Orten uraufgeführt. Frühe Streichquartette wurden vom Neuen Leipziger Streichquartett, Streichtrios vom Freiburger trio recherche uraufgeführt. Unter dem schwachen Echo, das seine Kompositionen fanden, hat Adorno gelitten. Diese Enttäuschung dürfte dazu beigetragen haben, dass er allmählich seine Ambitionen als Komponist zugunsten einer Laufbahn als akademischer Lehrer der Philosophie und Soziologie zurückstellte.

Von 1928 bis 1931 war er leitender Redakteur der musikalischen Avantgarde-Zeitschrift „Anbruch“. Seine Konzert- und Opernkritiken, die er bis 1933 weiterhin schrieb, waren von Anfang an philosophisch ausgerichtet.

Wiesengrund-Adornos Wiener Zeit stand unter dem Eindruck von Karl Kraus, dessen Lesungen er zusammen mit Alban Berg besuchte, und, in geringerem Maß, von Georg Lukács, dessen „Theorie des Romans“ bereits den Abiturienten begeistert hatte, während die „Geschichte und Klassenbewußtsein“ für Wiesengrund-Adornos Marx-Rezeption wichtig wurde. Mit dem Prager Schriftsteller und Musiker Hermann Grab verband ihn in dieser Zeit eine enge Freundschaft.

Mittlere Frankfurter Jahre (1926–33)

Zurück aus Wien, musste Wiesengrund-Adorno zunächst einen weiteren Misserfolg hinnehmen. Eine umfangreiche philosophisch-psychologische Abhandlung „Der Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre“, gegen die sein Doktorvater Hans Cornelius und auch dessen Assistent Max Horkheimer Bedenken hatten, zog er daraufhin Anfang 1928 als Habilitationsschrift zurück. Auch in dieser Arbeit hatte Wiesengrund-Adorno noch den Standpunkt der Cornelius'schen Version des transzendentalen Idealismus vertreten. In der Schlussbetrachtung dieser ersten Habilitationsschrift kündigte sich mit seiner Kritik der vitalistischen und irrationalistischen Lehren vom Unbewussten bereits der Übergang seiner Philosophie zum Materialismus an, den er von Walter Benjamin beeinflusst entwickelte.

Drei Jahre später erhielt Wiesengrund-Adorno die Venia legendi. Mit dem Manuskript „Kierkegaard – Konstruktion des Ästhetischen“ habilitiert sich Adorno bei dem evangelischen Theologen Paul Tillich. Die Arbeit war als Buch dem Soziologen und Freund Siegfried Kracauer gewidmet.

Seit den späten zwanziger Jahren war Berlin zunehmend wichtig für Wiesengrund-Adorno geworden. Hier lebte die promovierte Chemikerin Margarete Karplus („Gretel“) (1902–1993), die Wiesengrund-Adorno 1923 in Frankfurt kennengelernt hatte und die er 1937 in London heiratete.

Die für ihn bedeutenden Philosophen Walter Benjamin und Ernst Bloch lebten ebenso in Berlin wie Kurt Weill, Hanns Eisler und Bertolt Brecht, denen er dort begegnete.

Seine Antrittsvorlesung als Privatdozent im Mai 1931 handelte von der „Aktualität der Philosophie“. Auf diese Vorlesung hatte sich Adorno später nicht mehr bezogen. Aus seinem Nachlass zum ersten Mal erschienen, zeigte der Text viele Gedanken, die in sein späteres Gesamtwerk eingingen. Darin wurde z.B. erstmals ausdrücklich der Begriff der Totalität in Frage gestellt, was bereits auf sein gegen Hegel gerichtetes Diktum Das Ganze ist das Unwahre hindeutete, das später zu einer Art Schibboleth der Adornoschen Philosophie werden sollte. Vom Positivismus und von der Philosophie Heideggers grenzte er sich in seiner Antrittsvorlesung eindeutig ab.

Zu den ersten Lehrveranstaltungen Adornos gehörte ein Seminar über Benjamins Abhandlung Ursprung des deutschen Trauerspiels. 1932 veröffentlichte er im ersten Heft der Zeitschrift für Sozialforschung, die Horkheimer herausgab, den Aufsatz Zur gesellschaftlichen Lage der Musik.

Adornos Lehrtätigkeit endete mit dem Wintersemester 1933. Das nationalsozialistische Regime entzog ihm im Herbst die Befugnis zur akademischen Lehre wegen seiner jüdischen Abstammung. Trotzdem unterschätzte Adorno völlig die Gefahr, wie viele andere Intellektuelle seiner Zeit (z. B. Sartre) auch, die dem Regime keine lange Dauer zusprachen (s. Franz von Papen). Bis zur Nacht der langen Messer 1934 war ein Rest von Illusion in dieser Richtung noch möglich. Er machte sich anfangs sogar noch Hoffnung auf den Posten eines Musikkritikers bei der Vossischen Zeitung. Dies verleitete ihn zum größten politischen Fehler seines Lebens, indem er sich bei den Machthabern durch eine dementsprechend verfasste Musikkritik anbiederte, er lobte 1934 Männerchöre, die vertonte Gedichte von Hitlers Jugendführer Baldur von Schirach sangen. Vorher hatte er in der Zeitschrift "Musik" in einem anderen Artikel das von den Nationalsozialisten durchgesetzte Verbot des "Negerjazz" begrüßt. [2] Adorno äußerte sich dazu erst, nachdem Studenten den Hochschullehrer nach dem Krieg damit konfrontierten. Er entschuldigte sich für seine "dumm-taktischen Sätze". [3] Es gibt außerdem Gerüchte, er hätte sich für die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer bewerben wollen.

Oxford (1934–37)

Kurz danach emigrierte er nach Großbritannien und wurde in Oxford habilitiert. Als Postgraduierter betrieb er ein eingehendes Studium der Philosophie Edmund Husserls und bereitete ein größeres Buch darüber vor, das – erst 1956 beendet – unter dem Titel „Zur Metakritik der Erkenntnistheorie“ erschien. Um sein Leben finanzieren zu können, musste Wiesengrund-Adorno regelmäßig nach Deutschland zurückkehren, da die Devisenbestimmungen nur die Ausfuhr geringer Beträge erlaubten. Er traf dort neben Freunden seine Eltern und seine Verlobte.

1936 erschien in der Zeitschrift für Sozialforschung unter dem Pseudonym Hektor Rottweiler die Arbeit „Über Jazz“, weniger eine Auseinandersetzung mit dieser besonderen Musikrichtung, als vielmehr Adornos erste prinzipielle Polemik gegen die aufkommende Unterhaltungs- und Kulturindustrie.

Während dieser Zeit unterhielt er einen intensiven Briefwechsel mit dem bereits im amerikanischen Exil lebenden Max Horkheimer, der ihm das Angebot machte, in den USA eine existenzsichernde wissenschaftliche Tätigkeit in seinem Institut für Sozialforschung aufzunehmen.

Emigrant in den USA (1938–49)

Etwa seit der Zeit seiner Übersiedlung in die USA nahm der Wissenschaftler den Namen Theodor W. Adorno an, unter dem er seitdem veröffentlichte. In Brüssel verabschiedete er sich von den Eltern, die 1939 nachkommen konnten, und in San Remo von Walter Benjamin, mit dem er den brieflichen Gedankenaustausch intensivierte.

In New York wurde Adorno Mitarbeiter an Horkheimers Institute for Social Research. Er leitete ein Forschungsprojekt zur Massenkommunikation, den musikalischen Teil des Princeton Radio Research Projects, das der österreichische Soziologe Paul Lazarsfeld gegründet hatte. Adorno berichtet in „Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika“ von skurrilen Methoden: Probanden stimmten per Knopfdruck über Gefallen oder Nichtgefallen von Musik ab, die Ergebnisse wurden zusammengezählt. So war kaum etwas über die Musiksoziologie zu ermitteln, dies war aber auch gar nicht der Zweck der Studie. Vielmehr war die Frage, wie man Hörer möglichst lange am Radio hält, damit sie möglichst viele Werbesendungen aufnehmen. Dies musste zu Differenzen zwischen dem nüchtern analytischen Empiriker Lazarsfeld und Adorno führen und zur Beendigung des Forschungsauftrages. Adorno sah diese Erlebnisse aber nicht als negativ an, vielmehr hat dies zu einer geistigen Auseinandersetzung mit Sinn und Methoden der Sozialforschung geführt (Positivismusstreit) und mit Musik und Hörern. Auf dieser Tätigkeit basierte Adornos umfangreichste Untersuchung in englischer Sprache: die unter dem Titel „Current of Music“ zusammengefassten Studien, die von Robert Hullot-Kentor rekonstruiert und innerhalb der „Nachgelassenen Schriften“ veröffentlicht worden sind. Seit 1941 arbeitete Adorno in Los Angeles eng mit Horkheimer zusammen.

In Kalifornien trafen sich viele deutsche Emigranten wieder, und die besondere Situation verschärfte schon vorher latent oder offen bestehende Konflikte, z. B. mit den Moskau-treuen Bloch und Eisler.

In Los Angeles entstand als Gemeinschaftsarbeit die „Dialektik der Aufklärung“ mit dem Untertitel Philosophische Fragmente, das Hauptwerk der Kritischen Theorie, erstmals veröffentlicht in Amsterdam 1947. Angesichts der Shoah legten die beiden Autoren eine Geschichtsphilosophie der Gesellschaft nach Auschwitz vor, die über die marxistische Lehre des dialektischen und historischen Materialismus hinausging und eine grundsätzliche Kritik der Aufklärung darstellte, deren Fortschrittsoptimismus obsolet geworden war. Die industrielle Massenvernichtung führte für Adorno und Horkheimer zum Zusammenbruch der bisherigen Kultur. Auch die Philosophie war davon betroffen.

Die ersten Sätze des Buches fassen die Diagnose der Autoren zusammen:

„Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“

Für Adorno war es seither „ungewiß, ob Philosophie, als Tätigkeit des begreifenden Geistes“, überhaupt noch an der Zeit sei. „Für Kontemplation scheint es zu spät. Was in seiner Absurdität zutage liegt, sträubt sich gegens Begreifen.“ So kulminiert die „Negative Dialektik“, Adornos erst nach seiner Rückkehr nach Deutschland verfasstes Spätwerk, denn auch in der Aufstellung eines neuen kategorischen Imperativs, den „Hitler den Menschen aufgezwungen“ habe: „Ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe.“ Wenn Adorno sich nach 1945 nicht mehr als Komponist betätigte, dann entsprach er damit auf eigene Weise seinem so unerbittlichen wie berühmt gewordenen Wort: „Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“. Dahinter steht neben dem Grauen sicherlich auch das ungute Gefühl, selbst als einer der wenigen der Vernichtung entronnen zu sein („Überlebensschuld“). Nach Verarbeitung der Geschehnisse kam Adorno später zu einer anderen Formulierung: „Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben. Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse“. Die Briefe Adornos zeigen, wie sehr ihn der industrielle Massenmord bedrückt hat.

In den 40er Jahren hat Adorno die „Philosophie der neuen Musik“ und, gemeinsam mit Hanns Eisler, den er schon seit 1925 kannte, die „Komposition für den Film“ geschrieben.[4] Adorno war es unangenehm, als Co-Autor genannt zu werden, erst in den 1960er-Jahren bekannte sich Adorno zu dieser gemeinsamen Arbeit.

Ebenfalls arbeitete er, im Rahmen einer Forschungsgruppe der University of Berkeley und des Institute of Social Research, an der Studie über „The Authoritarian Personality“ mit, die Teil eines groß angelegten Forschungsprojektes über die Ursachen von antisemitischen Vorurteilen war. Dieses 1950 veröffentlichte Buch hatte die Funktion, die zentrale Theorie der „Dialektik der Aufklärung“ empirisch zu überprüfen. 1950 war Adorno Mitverfasser der soziologischen Studie „Die autoritäre Persönlichkeit“, die den Zusammenhang von Autoritätsgläubigkeit und Faschismus untersucht.

In diese Zeit fällt auch seine Namensänderung bzw. -verkürzung. Dem Streichen des allzu deutsch klingenden „Wiesengrund“ lagen sicherlich praktische Erwägungen zugrunde: in der unmittelbaren Nachkriegszeit waren Deutsche in den USA nicht gerade beliebt. Schon in der Jugend hatte Adorno über seinen italienisch klingenden Nachnamen fantasiert und eine Abstammung aus dem genuesischen Hochadel konstruiert. Eine offizielle Namensänderung in den USA war nicht möglich, doch in der Literatur wurde Adorno folglich nur noch als „Theodore W. Adorno“ geführt. Die Umbenennung fällt sicherlich nicht von ungefähr mit dem Bekanntwerden der Shoa zusammen und macht den Bruch Adornos mit der bürgerlichen Kulturtradition Deutschlands auch nach außen hin deutlich.

Späte Frankfurter Jahre (1949–69)

„Institut“ und „Adorno-Ampel“ an der „Senckenberganlage“ in Frankfurt am Main

„Im Spätherbst 1949 ging ich nach Deutschland zurück und war jahrelang ganz festgehalten vom Wiederaufbau des Instituts für Sozialforschung, dem Horkheimer und ich damals unsere gesamte Zeit widmeten, und von der Lehrtätigkeit an der Frankfurter Universität.“

Adorno

Neben seiner Tätigkeit als Universitätslehrer für Philosophie und Soziologie und als Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung verfasste er bedeutende philosophische Schriften: die Bücher über Husserl und Hegel, die Negative Dialektik und die Fragment gebliebene Ästhetische Theorie. Schon in der Emigration entstanden war die Philosophie der neuen Musik, der eine Reihe musikphilosophischer Schriften, wie die Monographien über Wagner, Gustav Mahler und Alban Berg, folgten, mit denen Adorno die Musikphilosophie innerhalb der Philosophie erst eigentlich begründete. Der philosophischen Dechiffrierung von Dichtung waren seine unter dem Titel Noten zur Literatur zusammengefassten Essays gewidmet.

1951 erschien die in der Emigration geschriebene Sammlung von Aphorismen Minima Moralia, die er Max Horkheimer widmete und in denen er Momente der gemeinsamen Philosophie von der subjektiven Erfahrung her festgehalten hatte. 1952 hielt er die Rede: Zur gegenwärtigen Stellung der empirischen Sozialforschung in Deutschland, in der er deren Bedeutung in modifizierter Form für die Kritische Theorie betonte. In dem erstmals 1957 erschienenen Essay Soziologie und empirische Forschung stellte Adorno seine Kritik an der zeitgenössischen Soziologie und empirischen Sozialforschung dar.

Adorno entwickelte kein System, in dem deduktiv ein Gedanke aus dem anderen folgt und alle miteinander eine Einheit bilden. Im Gegenteil, er bestand darauf, dass in einer widersprüchlichen Welt auch das Denken widersprüchlich sein müsse, und somit die Systembildung abzulehnen sei (das Ganze ist das Unwahre). Er beschäftigte sich weithin mit den Einzelwissenschaften, d. h. er wandte sich soziologischen, psychologischen, musik- und literaturwissenschaftlichen Fragestellungen häufiger als den spezifisch philosophischen zu. Dennoch stellen Adornos Arbeiten nicht einfach Beiträge zu den jeweiligen Spezialwissenschaften dar. Er übte vielmehr immanente Kritik an der Arbeitsteiligkeit, welche in der Geschichte immer mehr einzelne wissenschaftliche Disziplinen von der Philosophie abgespalten und zu gegeneinander abgegrenzten Fächern im Wissenschaftsbetrieb gemacht hat. Reflexion über die gesellschaftlichen Bedingungen der wissenschaftlichen Arbeitsteilung ist derjenige Pol der Adornoschen Philosophie, der ihn zum Kritiker des Positivismus machte, den er weiter fasste als allgemein üblich. Im so genannten Positivismusstreit zwischen Karl Popper und Hans Albert auf der einen Seite und den Vertretern der Frankfurter Schule auf der anderen Seite, der in den 1960er Jahren um Methoden und Werturteile in den Sozialwissenschaften geführt wurde, war Adorno einer der Protagonisten. Von ihm stammte der Begriff Positivismusstreit, der von den Kontrahenten zunächst abgelehnt wurde, sich aber historisch durchgesetzt hat.

Es ging – vereinfacht gesagt – darum, ob mit Strichlisten, Statistiken oder Befragungen mehr als Triviales herausgefunden werden kann (dass z. B. Krankheiten in Armenvierteln häufiger auftreten als in reichen Stadtteilen). Und wozu führen Fragebögen, wenn die Befragten noch nicht einmal das Thema der Frage verstehen, geschweige denn die Frage selbst?

Einen anderen Schwerpunkt seines Denkens hat Adorno gern mit der Formulierung Walter Benjamins, des neben Horkheimer ihm wohl am nächsten verwandten Philosophen, gekennzeichnet, derzufolge „das Ewige jedenfalls eher eine Rüsche am Kleid ist als eine Idee. Nicht vom „Sein des Seienden“ oder ähnlichen Abstraktionen, die durch die Fundamentalontologie und ihre Abwandlungen große Bedeutung in der Philosophie des 20. Jahrhunderts hatten, ist bei Adorno die Rede, der in Heidegger seinen größten philosophischen Gegner sah. Adornos Denken wendet sich häufig gerade dem Unscheinbaren, Undurchsichtigen, dem „Abhub der Erscheinungswelt“ zu, von dem Freud gesprochen hat.

Abgesehen von den im engeren Sinn fachphilosophischen Schriften, lässt sich der philosophische Gehalt der Adornoschen Texte nur selten leicht erschließen. Meistens ist er der Analyse des Konkreten verpflichtet, macht Beobachtungen, bildet Begriffe. Konzepte, Formeln und Anweisungen zum Verständnis fehlen. Im Mittelpunkt steht jeweils das Individuum in der zeitgenössischen Gesellschaft.

„Das eigentümliche bei Adorno ist, daß man nie recht weiß, was er eigentlich will. So geschieht es, daß die hohe Begabung und Denkkraft-Erfordernis in Schlauheit umschlägt, die so fein ziseliert ist wie eine Laubsägearbeit. Aber man kann durch sie sehen.“

Hanns Eisler: 1956, HEGW III/2, S. 347

Er legte Wert auf den Primat des Inhaltlichen gegenüber den leer gewordenen Abstraktionen der traditionellen Philosophie. Insbesondere kritisierte er die klassische Erkenntnistheorie, weil in Systemen das Individuelle und Nichtidentische verstümmelt werde, statt es zu begreifen. Wenn man nicht hinter Kant und Hegel zurückfallen wolle, müsse Philosophie Kritik sein. Entsprechend ist die Negative Dialektik ein Antisystem, das negativ ist, weil es Widersprüche aufdeckt, und dialektisch, weil es die begriffliche Vermitteltheit der Gegensätze der gesellschaftlich historischen Situation erfasst.

Dennoch hat Adorno an der Philosophie, sogar an Metaphysik im Sinn der Spekulation, die sich nicht nur mit dem Seienden beschäftigt, festgehalten. Nur als Negation, so seine Lehre in der Negativen Dialektik, überdauert dies Bedürfnis, über das Bestehende hinauszudenken. Es „vertritt in der innersten Zelle des Gedankens, was nicht seinesgleichen ist. Die kleinsten innerweltlichen Züge haben Relevanz fürs Absolute.“ Adornos Philosophie führt nicht zu den Ideen Platons. Sie richtet sich gegen Ideologien und metaphysische Gedankengebäude, aber auch gegen die Akzeptanz des Faktischen.

Das Verhältnis zu seinen Studenten war ambivalent. „Mein Seminar gleicht einer Talmudschule – ich schrieb nach Los Angeles, es wäre, wie wenn die Geister der ermordeten jüdischen Intellektuellen in die deutschen Studenten gefahren wären. Leise unheimlich. Aber eben darum, im echten freudschen Sinne, auch wiederum unendlich anheimelnd“. (Brief an L. Löwental). Der unheimliche Aspekt ist der des Fanatischen, den Adorno schon früh bemerkte und als Antwort auf die Verdrängung der jüngsten deutschen Geschichte bezeichnete.

Die letzten Jahre Adornos wurden beherrscht durch Konflikte, in die er durch seine Studenten gezogen wurde, von denen sich viele der Studentenbewegung angeschlossen hatten. 1966 kam es u. a. gegen die Große Koalition von CDU/CSU und SPD zur Bildung einer „Außerparlamentarischen Opposition (APO)“, die vor allem gegen die von der Regierung geplanten Notstandsgesetze demonstrierte. Auch Adorno gehörte zu den entschiedenen Kritikern dieser Gesetze, gegen die er öffentlich, auf einer Veranstaltung des Aktionskomitees Demokratie im Notstand, Stellung nahm.

Als am 2. Juni 1967 bei einer Berliner Demonstration gegen den Schah-Besuch der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde, begann sich die APO zu radikalisieren. Es waren nicht zuletzt Schüler Adornos, die den Geist der Revolte repräsentierten und „praktische Konsequenzen“ aus der Kritischen Theorie zu ziehen versuchten. An den Universitäten wurde aus der Gesellschaftskritik eine grundsätzliche Ablehnung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Provokative Aktionen sollten dazu dienen, die „verkrusteten Strukturen aufzubrechen“.

Die Köpfe der Frankfurter Schule hatten zwar Sympathie mit den studentischen Kritikern (Adorno O-Ton: „Ich habe unmittelbar nach der Ermordung von Ohnesorge meinen Studenten im Soziologischen Seminar gesagt, dass die Studenten heute die Rolle der Juden spielen würden – und ich werde dieses Gefühl nicht los.“), waren aber nicht bereit, deren Aktivitäten vorbehaltlos zu unterstützen. Zum einen hat Adorno immer wieder seine Dankbarkeit gegenüber den westlichen Demokratien geäußert, die ihn als Emigranten gerettet und aufgenommen haben. Durch die Erfahrungen in den USA lernte er eine kapitalistische, damals weitestgehend freie und sozial zumindest akzeptable Umgebung kennen (→New Deal). Zum anderen dürften die Erinnerungen an die Straßenschlachten der Weimarer Republik nachgewirkt haben und das Ende für diejenigen, die weit mehr als nur Spaß und Ulk suchten, war nach den Kaufhausbrandsätzen 1968 unschwer vorherzusehen. Die naiv-vorbehaltslose Unterstützung der Studenten für Ho Chi Minh und Mao Zedong konnten ihre Lehrer, die im Gegensatz zu vielen Linken früh schon den leninistischen und stalinistischen Terror als solchen begriffen und ablehnten, kaum teilen. Damals wollte oder konnte man dies nicht sehen, und so kehrte zum zweiten Mal das Motiv des Verrats an der Revolution wieder, die Studenten agierten nun gegen ihre einstigen Vorbilder.

So wurden auch Adornos Vorlesungen wiederholt von studentischen Aktivisten gesprengt, am spektakulärsten als Studentinnen mit entblößten Brüsten das Podium besetzten. „Das Gefühl, mit einem Mal als Reaktionär angegriffen zu werden, hat immerhin etwas Überraschendes“, schrieb Adorno mit bitterem Humor an Samuel Beckett. Andererseits waren Adorno und Horkheimer Vorwürfen von rechts ausgesetzt, sie seien die geistigen Urheber der studentischen Gewalt.

Adornos Grab

1969 sah Adorno sich gezwungen, seine Vorlesung einzustellen. Als im Januar einige Studenten in das Institut für Sozialforschung eingedrungen waren, um kategorisch eine sofortige Diskussion über die politische Situation durchzusetzen, riefen die Institutsdirektoren – Adorno und Ludwig von Friedeburg – die Polizei und zeigten die Besetzer an. Adorno, der immer ein Gegner des Polizei- und Überwachungsstaats gewesen war, litt unter diesem Bruch seines Selbstverständnisses. Er musste als Zeuge vor dem Frankfurter Landgericht gegen Hans-Jürgen Krahl, einen seiner begabtesten Schüler, aussagen. Adorno dazu in einem Brief: „Ich sehe nicht ein, warum ich mich zum Märtyrer des Herrn Krahl machen soll, von dem ich mir doch ausdachte, dass er mir ein Messer an die Kehle setzt, um mir diese durchzuschneiden, und auf meinen gelinden Protest erwidert: Aber Herr Professor, das dürfen Sie doch nicht personalisieren“. Mehr noch: Der Traum, die ermordeten Intellektuellen seien in der Nach-Täter-Generation reinkarniert, war geplatzt. Die Studentenhorden müssen ungute Erinnerungen an die Weimarer Zeit hervorgerufen haben.

Am Tag nach der Gerichtsverhandlung fuhr er mit seiner Frau in den üblichen Sommerurlaub in die Schweizer Berge nach Zermatt. Ungenügend akklimatisiert, fuhr er mit der Seilbahn in noch größere Höhe. Mit Herzbeschwerden wurde er in eine Klinik gebracht und erlag dort am 6. August 1969 einem Herzinfarkt.

Der Pädagoge und Religionsphilosoph Georg Picht schrieb in seinem Nachruf:

„Gesetzt, der Geist hätte nach Auschwitz in Deutschland noch eine Geschichte, so müßte der Tod von Theodor W. Adorno wirken, als ob plötzlich die Uhr still stünde.“

Rezeption

Wirkungsgeschichte

Adorno hat zumindest im institutionellen Sinn keine Schule gebildet, obwohl es ihm an hochbegabten Schülern nicht gemangelt hat. Das hatte Auswirkungen, indem sein Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie nach seinem Tod aufgeteilt und mit Wissenschaftlern besetzt wurde, die eher entgegengesetzte Positionen vertraten. Schnell zerfiel auch das Institut für Sozialforschung und wurde zu einem nahezu rein empirisch ausgerichteten Forschungsinstitut.

Das schriftstellerische Werk Adornos wurde von seinem Schüler Rolf Tiedemann bald in umfangreichen Ausgaben herausgegeben: den „Gesammelten Schriften“ (1970 ff.) und den „Nachgelassenen Schriften“ (1993 ff.), die im Frankfurter Suhrkamp Verlag erschienen. Tiedemann schildert in einem editorischen Nachwort die Schwierigkeiten, die dadurch entstanden, dass Adorno sich für eine Aufarbeitung seines Werkes gar nicht interessiert habe. „Ihr macht das dann schon“, sei stets die ausweichende Antwort gewesen. Adorno habe es abgelehnt zum „Museumswärter seines eigenen Denkens“ zu werden. Dies und der Rundfunkvortrag „Erziehung zur Mündigkeit“, sowie Kritik an Denkschulen (Jargon der Eigentlichkeit) lassen den Schluss zu, dass Adorno kein Meister für seine Schüler sein wollte, sondern eher das selbstständige, kritische Denken befördern wollte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass er bestimmte Texte als „Flaschenpost“ bezeichnete, also als eine Botschaft, deren Dechiffrierung zeitlich, räumlich und in der Person des Finders äußerst unbestimmt in der Zukunft liegt.

Heinz-Klaus Metzger, ein Freund Adornos, gab gemeinsam mit dem Komponisten Rainer Riehn Adornos „Kompositionen“ in 2 Bänden in der Münchner edition text + kritik heraus (1981), Maria Luisa Lopez-Vito die „Klavierstücke“ (2001).

Die Stadt Frankfurt stiftete 1976 den Adorno-Preis.

1985 wurde von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur das Theodor W. Adorno Archiv in Frankfurt a.M. gegründet, in dem der wissenschaftliche und künstlerische Nachlass Adornos mit dem Nachlass Walter Benjamins vereinigt werden konnte. Das Archiv wurde von 1985 bis 2002 von Rolf Tiedemann aufgebaut und geleitet, der auch die Reihe „Frankfurter Adorno Blätter“, die Erstdrucke Adornoscher Texte mit Diskussionsbeiträgen zu seinem Denken vereinigte, und die „Dialektischen Studien“ herausgab, in denen unzugängliche und neuere Arbeiten aus der Schule bzw. dem Geist Adornos publiziert wurden. 2004 wurde der Benjamin-Nachlass aus dem Theodor W. Adorno Archiv wieder ausgegliedert und in der Archivabteilung der Berliner Akademie der Künste deponiert; der Adorno-Nachlass befindet sich inzwischen im Frankfurter Institut für Sozialforschung.

Zum 100. Geburtstag Adornos im Jahr 2003 wurde in unmittelbarer Nähe zur Frankfurter Universität ein Platz in „Theodor W. Adorno-Platz“ umbenannt und darauf ein Denkmal für den Philosophen eingeweiht (ein Glaskasten mit Stuhl, Schreibtisch und einem darauf befindlichen Metronom; siehe Foto oben).

Zu Adornos engerem Schülerkreis gehörten vor 1933 Wilhelm Emrich, Kurt A. Mautz, Peter von Haselberg; nach 1949 Karl Heinz Haag, Rainer Köhne, Hermann Schweppenhäuser, Rolf Tiedemann, Alfred Schmidt, Günther Mensching, Elisabeth Lenk, Peter Gorsen, Peter Bulthaup, Hans-Jürgen Krahl u. a.

Kritik

Wissenschaftlich widersprochen wurde Adorno von Karl Raimund Popper und vielen Vertretern der quantitativ orientierten empirischen Sozialforschung. Ralf Dahrendorf vertrat im so genannten Positivismusstreit eine eigene Position zwischen den Kontrahenten, die dem Denken Poppers näher stand als der Frankfurter Schule. Er würdigte jedoch in seinem 2006 erschienenen Werk über Versuchungen der Intellektuellen im 20. Jahrhundert auch Adorno als einen Denker, der mit Abstrichen geradlinig, unabhängig und engagiert, seinen selbst gewählten Weg auf der Grundlage der Vernunft gegangen sei.

Adorno hatte auch einen zwiespältigen Einfluss auf die Schriftsprache der ihm folgenden Theoretiker, denn er vereinigte eine auffällige Gabe der treffenden Formulierung und aphoristischen und gnomischen Zuspitzung mit einem Gelehrtendeutsch des 19. Jahrhunderts, das stark von Hegel beeinflusst war. Zudem hatte Adornos Stil einige Gemeinsamkeiten mit dem wilhelminischen Professorendeutsch: grammatikalisch tadellos geschachtelte Endlossätze, dialektisch jonglierende „zwar-aber“-Konstruktionen, unelastische Verbbehandlung. Karl Popper sprach vom „Schwulst der Neodialektiker“. (Eckhard Henscheid hat 1983 in Wie Max Horkheimer einmal sogar Adorno hereinlegte dargetan, dass von allen Mitgliedern der Frankfurter Schule Horkheimer in einem Satz das seinem Verb zugehörige „sich“ am längsten zu verzögern sich vorbehielt.[5])

Bekannte Schüler

Werke

Buchausgaben zu Lebzeiten:

  • Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen. Tübingen 1933
  • Willi Reich, Alban Berg. Mit Bergs eigenen Schriften und Beiträgen von Theodor Wiesengrund- Adorno und Ernst Krenek, Wien, Leipzig, Zürich 1937
  • Max Horkheimer u. Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Amsterdam 1947
  • Philosophie der neuen Musik. Tübingen 1949
  • T.W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson, R. Nevitt Sanford, The Authoritarian Personality. New York 1950
  • Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Berlin, Frankfurt a.M. 1950
  • Versuch über Wagner. Berlin, Frankfurt a.M. 1952
  • Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft. Berlin, Frankfurt a.M. 1955
  • Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Studien über Husserl und die phänomenologischen Antinomien. Stuttgart 1956
  • Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt. Göttingen 1956
  • Aspekte der Hegelschen Philosophie. Berlin, Frankfurt a.M. 1957
  • Noten zur Literatur I. Berlin, Frankfurt a.M. 1958
  • Klangfiguren. Musikalische Schriften I. Berlin, Frankfurt a.M. 1959
  • Mahler. Eine musikalische Physiognomie. Frankfurt a.M. 1960
  • Noten zur Literatur II. Frankfurt a.M. 1961
  • Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesungen. Frankfurt a.M. 1962
  • Max Horkheimer u. Theodor W. Adorno, Sociologica II. Reden und Vorträge. Frankfurt a.M. 1962
  • Drei Studien zu Hegel. Frankfurt a.M. 1963
  • Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt a.M. 1963
  • Der getreue Korrepetitor. Lehrschriften zur musikalischen Praxis. Frankfurt a.M. 1963
  • Quasi una fantasia. Musikalische Schriften II. Frankfurt a.M. 1963
  • Moments musicaux. Neu gedruckte Aufsätze 1928–1962. Frankfurt a.M. 1964
  • Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie. Frankfurt a.M. 1964
  • Noten zur Literatur III. Frankfurt a.M. 1965
  • Negative Dialektik. Frankfurt a.M. 1966
  • Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt a.M. 1967
  • Berg. Der Meister des kleinsten Übergangs. Wien 1968
  • Impromptus. Zweite Folge neu gedruckter musikalischer Aufsätze. Frankfurt a.M. 1968
  • Sechs kurze Orchesterstücke op. 4 <1929>. Milano 1968
  • Theodor W. Adorno u. Hanns Eisler, Komposition für den Film. München 1969
  • Stichworte. Kritische Modelle 2. Frankfurt a.M. 1969

Sammelausgaben:

  • Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz. Bde. 1–20 (in 23 Bdn. geb.). 1. Aufl., Frankfurt a.M. 1970–80. – [Rev. Taschenbuch-Ausg.] Frankfurt a.M. 1997. – Lizenzausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt 1998. – [Revidierte und erweiterte elektronische Ausg. auf CD-ROM:] Digitale Bibliothek 97, Berlin 2003
  • Nachgelassene Schriften. Hrsg. vom Theodor W. Adorno Verlag. Frankfurt a.M. 1993 ff. [Bisher erschienen: 10 Bde.]
  • Eine Auswahl. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a.M. 1971. – Lizenzausg. des Deutschen Bücherbundes, Stuttgart 1971
  • Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 1971
  • Philosophie und Gesellschaft. Fünf Essays. Auswahl und Nachwort Rolf Tiedemann. Stuttgart 1984
  • „Ob nach Auschwitz noch sich leben lasse.“ Ein philosophisches Lesebuch. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 1997
  • Aufarbeitung der Vergangenheit. Reden und Gespräche. Auswahl und Begleittext von Rolf Tiedemann. München 1999, DerHörVerlag. (AUDIO BOOKS. Stimmen der Philosophie.) 5 CD: ISBN 3-89584-730-5; 2 MC: ISBN 3-89584-630-9.
  • Kompositionen. Hrsg. von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn. 2 Bde., München 1980
  • Klavierstücke. Hrsg. von Maria Luisa Lopez-Vito, Nachwort von Rolf Tiedemann. München 2001

Wichtige postume Einzelausgaben:

  • Ästhetische Theorie. Hrsg. von Gretel Adorno und Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 1970; 13. Aufl., 1995.
  • Über Walter Benjamin. Hrsg. und mit Anmerkungen versehen von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 1970. – [Revidierte und erweiterte Ausg.:] Frankfurt a.M. 1990.
  • Noten zur Literatur IV. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 1974
  • Der Schatz des Indianer-Joe. Singspiel nach Mark Twain. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 1979
  • Beethoven. Philosophie der Musik. Fragmente und Texte. Hrsg. von R.T. (Nachgelassene Schriften. Hrsg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Abt. I, Bd. 1.) Frankfurt a.M. 1993. – 2. Aufl., 1994. – [Taschenbuch-Ausg.] Ffm. 2004
  • Probleme der Moralphilosophie <1963>. Hrsg. von Thomas Schröder. Frankfurt a.M. 1996. (Nachgel. Schr., Abt. IV, Bd. 10.)
  • Metaphysik. Begriff und Probleme <1965>. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 1998. (Nachgel. Schr., Abt. IV, Bd. 14.)
  • Zur Lehre von der Geschichte und von der Freiheit <1964/65>. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 2001. (Nachgel. Schr., Abt. IV, Bd. 13.)
  • Ontologie und Dialektik <1960/61>. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 2002. (Nachgel. Schr., Abt. IV, Bd. 7.)
  • Vorlesung über Negative Dialektik. Fragmente zur Vorlesung 1965/66. Hrsg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt a.M. 2003. (Nachgel. Schr., Abt. IV, Bd. 16.)
  • Zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion. Aufzeichnungen, ein Entwurf und zwei Schemata. Hrsg. von Henri Lonitz. Frankfurt a.M. 2001. (Nachgel. Schr., Abt. I, Bd. 2.)
  • Traumprotokolle. Hrsg. von Christoph Gödde und Henri Lonitz. Nachwort von Jan Philipp Reemtsma. Frankfurt a.M. 2005.
  • Current of Music. Elements of a Radio Theory, ed. by Robert Hullot-Kentor. Frankfurt a.M. 2006.
  • Komposition für den Film. Text der Edition in Band 15 der Gesammelten Schriften, durchgesehen, korrigiert und ergänzt von Johannes C. Gall. Mit einem Nachwort von Johannes C. Gall und einer DVD „Hanns Eislers Rockefeller-Filmmusik-Projekt“, im Auftrag der Internationalen Hanns Eisler Gesellschaft hrsg. von Johannes C. Gall. Frankfurt a.M. 2006.

Siehe auch

Literatur

Philosophiebibliographie: Theodor W. Adorno – Zusätzliche Literaturhinweise zum Thema

  • Klaus Baum: Die Transzendierung des Mythos. Zur Philosophie und Ästhetik Schellings und Adornos. Würzburg 1988.
  • Richard Klein/Claus-Steffen Mahnkopf (Hrsg.): Mit den Ohren denken. Adornos Philosophie der Musik. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998.
  • Richard Klein: Antinomien der Sterblichkeit. Reflexionen zu Heidegger und Adorno. In: Internationale Zeitschrift für Philosophie 1999, H. 1.
  • Wolfram Ette/Günter Figal/Richard Klein/Günter Peters (Hrsg.): Adorno im Widerstreit. Zur Präsenz seines Denkens. Freiburg/München 2004: Alber.
  • Gerhard Schweppenhäuser: Theodor W. Adorno zur Einführung. 4. Aufl. Hamburg: Junius, 2003. ISBN 3-88506-385-9
  • Roger Behrens: Verstummen. Über Adorno. Laatzen: Wehrhahn 2004. ISBN 3-932324-80-3
  • Jörn Glasenapp: Kulturindustrie als Status Quo-Industrie: Adorno und das Populäre, in: Werner Faulstich und Karin Knop (Hrsg.): Unterhaltungskultur. München: Wilhelm Fink Verlag 2006, S. 167–178.
  • Lorenz Jäger: Adorno. Eine politische Biographie. 2. Aufl. München: DVA, 2003. ISBN 3-421-05493-2
  • Dirk Auer, Lars Rensmann, Julia Schulze Wessel (Hrsg.): Arendt und Adorno. 2.Aufl. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003. ISBN 3-518-29235-8.
  • Martin Zenck: Kunst als begriffslose Erkenntnis. Zum Kunstbegriff der ästhetischen Theorie Theodor W. Adornos. München 1977. ISBN 3-7705-1365-7.
  • Detlev Claussen, Theodor W. Adorno. Ein letztes Genie. Frankfurt a.M. 2003. ISBN 3-10-010813-2
  • Peter Decker: Die Methodologie kritischer Sinnsuche – Systembildende Konzeptionen Adornos im Lichte der philosophischen Tradition. 1982.[6]
  • Stefan Müller-Doohm: Adorno. Frankfurt am Main 2003.
  • Matteo Nanni, Auschwitz – Adorno und Nono. Philosophische und musikanalytische Untersuchungen. Freiburg i.Br. 2004. ISBN 3-7930-9366-2
  • Enzo Traverso: Eine Freundschaft im Exil. Der Briefwechsel zwischen Adorno und Benjamin. In: jour fixe initiative berlin (Hg.): Fluchtlinien des Exils. Münster 2004. ISBN 3-89771-431-0
  • Hans Wollschläger: 'Moments musicaux. Tage mit TWA. Göttingen 2005 ISBN 3-89244-878-7
  • Rolf Tiedemann: Niemandsland. Studien mit und über Theodor W. Adorno. München 2007 ISBN 978-3-88377-872-3
  • Adorno-Konferenz 1983, hrsg. von Ludwig von Friedeburg und Jürgen Habermas. Frankfurt a.M. 1983
  • Hamburger Adorno-Symposion, hrsg. von Michael Löbig und Gerhard Schweppenhäuser. Lüneburg 1984. ISBN 3-924245-01-0
  • Emanzipation als Versöhnung. Zu Adornos Kritik der „Warentausch“-Gesellschaft und Perspektiven der Transformation, hrsg. von Iring Fetscher und Alfred Schmidt. Frankfurt a.M. 2002 ISBN 3-8015-0356-9
  • Die Lebendigkeit der kritischen Gesellschaftstheorie. Dokumentation der Arbeitstagung aus Anlass des 100. Geburtstages von Theodor W. Adorno, hrsg. von Andreas Gruschka und Ulrich Oevermann. Wetzlar 2004 ISBN 3-88178-324-5
  • Martin A. Hainz: Masken der Mehrdeutigkeit. Celan-Lektüren mit Adorno, Szondi und Derrida. Wien: Braumüller 2001, ²2003 (=Untersuchungen zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts, Bd 15)
  • Ders.: Verstehen und Verraten. Versuch über verbindliche Nonkommunikation mit Adorno. In: Études Germaniques, Nr 58 (2003) • 3, S.429–439
  • Christoph Demmerling: Adorno. Ein Klassiker des 20. Jahrhunderts? Norderstedt 2005, ISBN 3-8341-0013-7
  • Fredric Jameson: Spätmarxismus. Adorno oder Die Beharrlichkeit der Dialektik. Berlin 1992: Argument Verlag ISBN 3-88619-391-8

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Lorenz Jäger: Adorno. Eine politische Biographie. 2. Aufl. DVA, München 2003, Kap 1, S. 15.
  2. Tilmann Lahme:War so ein Mensch als Kollege wünschbar?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. März 2009, S. 74f.
  3. Studentenzeitschrift 13, 1963.
  4. Adorno in: T. W. Adorno/H.Eisler, Komposition für den Film VEB Deutscher Verlag für Musik 1977, S. 9
  5. Grammatikalisch gehört das sich unmittelbar hinter das dass; vgl. Harald Weinrich, Textgrammatik der deutschen Sprache, 1993.
  6. Online auf: destruktive-kritik.gegeninformation.net.

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