- Tschuktscho-Kamtschadalisch
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Die tschuktscho-kamtschadalischen Sprachen (früher auch luorawetlanische Sprachen genannt) sind eine kleine Familie von fünf genetisch verwandten Sprachen, die in Nordostsibirien - genauer auf den russischen Halbinseln Tschukotka und Kamtschatka - von zusammen etwa 14.000 Menschen gesprochen werden. Alle diese Sprachen sind vom Aussterben bedroht, das gilt auch für die mit Abstand sprecherreichste Sprache dieser Gruppe, das Tschuktschische mit rund 10.000 Sprechern auf der der Halbinsel Tschukotka.
Die tschuktscho-kamtschadalischen Sprachen werden mit anderen sibirischen Sprachen zu der Gruppe der paläosibirischen Sprachen zusammengefasst. Die paläosibirischen Sprachen bilden keine genetische Einheit, sondern eine Gruppe altsibirischer Restsprachen, die schon vor dem Eindringen uralischer, turkischer und tungusischer Ethnien dort gesprochen wurden.
Inhaltsverzeichnis
Klassifikation, Sprecherzahlen und geographische Verbreitung
Die tschuktscho-kamtschadalischen Sprachen zerfallen in zwei Hauptgruppen, das Tschuktscho-Korjakische und das Kamtschadalische.
- Tschuktscho-Kamtschadalisch
- Tschuktscho-Korjakisch
- Tschukot
- Tschuktschisch (Tschukot) (10.000 Sprecher, ethnisch 15.000) Tschukotka
- Korjak-Aliutor
- Korjakisch (Nymylan) (3.500, ethnisch 7.000) Süd-Tschukotka, Nord-Kamtschatka
- Aliutor (200, ethnisch 2.000) Kamtschatka
- Kerek (wahrscheinlich †) Tschukotka (Kap Navarin)
- Tschukot
- Kamtschadalisch
- Itelmenisch (Kamtschadalisch) (max. 100 Sprecher, ethnisch 2.500) Süd-Kamtschatka
- Tschuktscho-Korjakisch
Es gibt Nachrichten und Aufzeichnungen von weiteren in den letzten Jahrhunderten ausgestorbenen Sprachen dieser Gruppe.
Die Sprachfamilie und ihre Mitglieder
Die tschuktscho-kamtschadalischen oder luorawetlanischen Sprachen bilden auch heute noch eine kleine Sprachfamilie im äußersten Nordosten Sibiriens. Der nördliche Zweig umfasst das Tschuktschische, mit 10 Tsd. Sprechern die bedeutendste Sprache dieser Gruppe (auf der Tschukotka-Halbinsel im Autonomen Bezirk (AB) der Tschuktschen und verstreut in Jakutien), das Korjakische (3.5 Tsd Sprecher, im AB der Korjaken), das Aliutor (noch 200 Sprecher, AB Korjak und Nord-Kamtschatka) und das inzwischen wahrscheinlich ausgestorbene Kerek (Tschukotka, Kap Navarin). Diese drei Sprachen sind so eng verwandt, dass eine wechselseitige Verständigung durchaus möglich ist und manche Forscher sie deswegen auch als Dialekte einer Sprache einstufen. Der südliche oder kamtschadalische Zweig weicht davon stärker ab und besteht heute nur noch aus dem Itelmenischen (noch maximal 100 Sprecher aus einer ethnischen Gruppe von 2.500, in der Süd-Kamtschatka und dem AB der Korjaken).
Tschuktschisch, Korjakisch und Itelmenisch sind Schriftsprachen auf Grundlage der kyrillischen Schrift, in denen in geringen Umfang Zeitungen und Bücher erscheinen. Die anderen Sprache der Gruppe sind schriftlos geblieben.
Die Bezeichnung 'Tschuktschen' und 'Tschukotka' sind eine russische Adaption des Namens einer Untergruppe der Tschuktschen; 'Luorawetlan' ist die Selbstbezeichnung der tschuktschischen Stämme insgesamt, dieser Name wurde seit den 1920er Jahren zeitweise für die gesamte tschuktscho-kamtschadalische Sprachfamilie verwendet. 'Itelmen' ist die Selbstbezeichnung der Itelmenen, die von den Korjaken 'Kamtschalo' genannt wurden, was die Russen zur Bezeichnung des Volkes der Kamtschadalen und der Halbinsel Kamtschatka adaptierten. Heute hat sich die etwas umständliche Gesamtbezeichnung 'tschuktscho-kamtschadalisch' für die gesamte Sprachfamilie durchgesetzt.
Beziehungen zu anderen Sprachfamilien
Eine besondere genetische Nähe der tschuktscho-kamtschalischen Sprachen zu den eskimo-aleutischen Sprachen wurde von einer Reihe von Forschern angenommen, ist aber nie wirklich nachgewiesen worden. Diese These wurde im größeren Zusammenhang der eurasiatischen Makrofamilie von Joseph Greenberg wiederbelebt, in der das Tschuktscho-Kamtschadalische eine Komponente bildet.
Sprachcharakteristik
Bei den tschuktscho-kamtschadalischen Sprachen handelt es sich um inkorporierende Sprachen mit Split-Ergativität. (Man nennt eine Sprache inkorporierend, wenn in komplexe Verbal- oder Nominalformen auch andere sonst selbständige Wörter - z.B. Substantive, Adjektive, Adverbien - fest eingebunden werden können. Im Gegensatz dazu können beim polysynthetischen Sprachbau die eingebundenen Elemente nur als abhängige Morpheme auftreten.) Beispiele der Inkorporation aus dem Tschuktschischen sind:
- m?n-n?ke-ure-qepl-uwičwen-m?k
- lasst-uns-Nacht-lang-Ball.spielen-wir
- "wir wollen die ganze Nacht Ball spielen"
- ga-mor-ik-tor-orw-ima
- ga-...-ima Präposition 'in', mor-ik Possessivus 1.pl. 'unser', tor 'neu', orw 'Schlitten'
- "in unserem neuen Schlitten"
Die Kasusmarkierungen sind in den meisten Sprachen ergativisch, die Konkordanz des Verbs weist dagegen eine Split-Ergativität auf: Präfixe kennzeichnen das Subjekt, Suffixe dagegen intransitive Subjekte und transitive direkte Objekte (Beispiele aus dem Tschuktschischen):
- qə-viri-ɣe „mögest du herabsteigen“
- m-imti-ɣət „ich möge dich tragen“
Das Tschuktschische besitzt eine besondere Form der Vokalharmonie. Der Reihe dominanter Vokale /e,a,o/ steht eine Reihe rezessiver Vokale /i,e,u/ gegenüber. Wenn eine Morphem eines Wortes einen dominanten Vokal enthält, werden alle rezessiven Vokale dieses Wortes in ihre dominante Version geändert. Zum Beispiel werden im Wort kupre wegen des dominanten /a/ des Suffixes /-ma/ das /u/ in ein /o/ und das /e/ in /a/ transformiert:
- kupre "Netz"
- ga-kopra-ma "mit einem Netz"
Eine kuriose Besonderheit einiger tschuktscho-kamtschadalischer Sprachen ist die geschlechtsspezifische Aussprache mancher Phoneme. So wird im Tschuktschischen in Frauensprache der r-Laut in bestimmten Positionen gern als /ts/ gesprochen. Diese Ausspracheform ist jedoch eher eine geschlechtsspezifische Attitüde als eine durchgehende Regel. Im Aliutor entspricht männliches /l/ oder /s/ in weiblicher Aussprache dem /ts/, z.B. plaku gegenüber ptsaku (Schuhwerk).
Literatur
- Comrie, Bernard: The Languages of the Soviet Union. Cambridge Language Surveys. University Press, Cambridge 1981. ISBN 0-521-23230-9.
- Fortescue, Michael: Comparative Chukotko-Kamchatkan Dictionary. Trends in Linguistics 23. Mouton de Gruyter, Berlin 2005.
Weblinks
- Tschuktscho-Kamtschadalisch
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