- Eskimo-aleutische Sprachen
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Die eskimo-aleutischen Sprachen bilden eine kleine Sprachfamilie, deren Idiome von etwa 105.000 Menschen in Nordost-Sibirien, Alaska, Nord-Kanada und Grönland gesprochen werden. Zu den Eskimo-Sprachen gehören das Inuktitut, das im Norden Alaskas, in Kanada und Grönland verbreitet ist, sowie die Yupik-Sprachen im Westen Alaskas und in Sibirien. Der aleutische Zweig besteht aus der Einzelsprache Aleutisch. Das Inuktitut und die Yupik-Sprachen bilden jeweils ein Dialektkontinuum.
Die heute oft verwendete scheinbar politisch korrekte Bezeichnung Inuit für alle Eskimovölker und Eskimosprachen ist falsch, da dabei die Yupik-Völker nicht berücksichtigt werden. Außerdem ist die früher für abwertend gehaltene Bezeichnung – sie stammt aus den Algonkin-Sprachen – in Wirklichkeit neutral: sie bedeutet nicht – wie früher angenommen – Rohfisch-Esser sondern eher Schneeschuh-Knüpfer (Campbell 1997:394).
Inhaltsverzeichnis
Klassifikation
Nach der aktuellen Literatur (u.a. Campbell 1997, Mithun 1999, Holst 2005) lassen sich die sechs Eskimosprachen und das Aleutische wie folgt klassifizieren:
- Eskimo-Aleutisch
- Eskimo
- Inuit oder Inupiaq-Inuktitut
- Inuktitut (Inupiaq-Inuktitut) (86.000)
Dialektgruppen: Imaklik (Sibirien), Inupiaq oder Inupiatun (Nord-Alaska, 10.000), Siglitun oder Inuktun (West-Kanada, 4.000), Inuinnaqtun, Inuktitut (Ost-Kanada, 14.000), Grönländisch oder Kalaallisut (Grönland, 58.000)
- Inuktitut (Inupiaq-Inuktitut) (86.000)
- Yupik
- Alaska-Yupik
- Zentral-Alaska-Yupik (17.000)
Dialekte: General Central Yupik inkl. Yukon-Kuskokwim, Egegik, Hooper-Bay-Chevak, Nunivak, Norton Sound - Pazifik-Golf-Yupik (Alutiiq, Suk, Sugpiaq) (100)
Dialekte: Chugach, Koniag
- Zentral-Alaska-Yupik (17.000)
- Sibirisch-Yupik oder Yuit
- Chaplino-Naukan
- Chaplino (Zentral-Sibirisch-Yupik) (1.100)
Dialekte: Chaplinski, St Lawrence Isld. - Naukan (Naukanski) (75)
- Chaplino (Zentral-Sibirisch-Yupik) (1.100)
- Sirenik
- Sirenik (Sirenikski) † seit 1997 ausgestorben
- Chaplino-Naukan
- Alaska-Yupik
- Inuit oder Inupiaq-Inuktitut
- Aleutisch
- Aleutisch (Unangan) (500, ethnisch 2.000)
Dialekte: West = Attuan = Atkan, Ost = Unalaska
- Aleutisch (Unangan) (500, ethnisch 2.000)
- Eskimo
Die Sprecherzahlen stammen aus Ethnologue 2009 und Holst 2005. Der Verwandtschaftsgrad der Eskimo-Sprachen untereinander ist etwa mit dem der romanischen Sprachen vergleichbar; das Aleutische verhält sich zu den Eskimo-Sprachen ungefähr wie eine baltische Sprache zu den romanischen Sprachen (Einschätzung nach Holst 2005).
Die Darstellung in Ethnologue, dass das Inuit in fünf separate Sprachen zerfällt – von denen dann jeweils zwei sogar zu Makrosprachen zusammengefasst werden –, wird in der Fachliteratur nicht geteilt.
Externe Beziehungen
Tschuktscho-Kamtschadalisch
Eine besondere genetische Nähe der sibirischen tschuktscho-kamtschadalischen Sprachen und der eskimo-aleutischen Sprachen wurde von einer Reihe von Forschern angenommen, ist aber nie wirklich nachgewiesen worden. Diese These wurde im größeren Zusammenhang der eurasiatischen Makrofamilie von Joseph Greenberg wiederbelebt.
Eurasiatisch
Nach Joseph Greenberg (2001) stellen die eskimo-aleutischen Sprachen eine Komponente seiner hypothetischen eurasiatischen Makrofamilie dar.
Nach Greenbergs Amerika-Theorie (1987) repräsentieren die eskimo-aleutischen Sprachen, die Na-Dené-Sprachen und der ganze Rest der indigenen amerikanischen Sprachen (zusammengefasst unter der Bezeichnung Amerind) die drei genetisch unabhängigen indigenen Sprachfamilien Amerikas, die auch separaten Einwanderungswellen von Nordostsibirien entsprechen.
Wakashan-Sprachen
Nach neueren Theorien (z. B. Holst 2005) sind die eskimo-aleutischen Sprachen mit den Wakash-Sprachen genetisch verwandt. Holst begründet das durch eine Liste von 62 Wortgleichungen und die Herleitung einiger Lautgesetze. Diese Beziehung überschreitet die von Joseph Greenberg gezogene Grenze zwischen den eskimo-aleutischen und den Amerind-Sprachen und wäre – falls sie sich bestätigen lässt – ein starkes Argument gegen Greenbergs grundsätzliche Einteilung der amerikanischen Sprachen in die drei Gruppen Eskimo-Aleutisch, Na-Dene und Amerind.
Sprachliche Eigenschaften
Die eskimo-aleutischen Sprachen haben eine agglutinierende Morphologie und sind polysynthetisch. Die Wort- und Formenbildung erfolgt durch Serien von Suffixen. Die Grundwortstellung ist SOV (Subjekt – Objekt – Verb). Die Eskimo-Sprachen sind ergativisch, der Agens eines transitiven Verbums wird durch den Ergativ, der Agens eines intransitiven Verbs und das Objekt des transitiven Verbes durch den Absolutiv gekennzeichnet. (Da der Ergativ auch noch die Funktion des Genitivs übernimmt, wird er in den Grammatiken der Eskimo-Sprachen meist Relativ genannt.) Beim Aleutischen ist die Frage der Ergativität bisher nicht eindeutig geklärt. Das Nomen geht seinen bestimmenden Ergänzungen (Attributen) voraus, allerdings steht der Genitiv vor seinem Nomen („des Mannes Haus“). Es werden Postpositionen, keine Präpositionen) verwendet. Wegen der polysynthetischen Struktur ist die Unterscheidung der Kategorien Wort und Satz problematisch.
Die eskimo-aleutischen Sprachen besitzen – im Gegensatz zu den benachbarten Sprachen Nordasiens – keine Vokalharmonie. Die Kategorie Genus existiert nicht, es werden keine Artikel verwendet. Die 1. Person Plural unterscheidet nicht – wie die Mehrzahl benachbarter Indianersprachen – zwischen inklusiven und exklusiven Formen (je nachdem, ob der Angesprochene mit einbezogen wird oder nicht). Die Wortart Adjektiv existiert nicht, sie wird durch Partizipien von Zustandsverben ersetzt.
Einige Beispiele aus dem grönländischen Inuit
Zur Ergativkonstruktion
- aŋut sinip-pu-q „der Mann schläft“ (aŋut „Mann“ ist Absolutiv, das Verb intransitiv)
- anna-q sinip-pu-q „die Frau schläft“ (anna-q „Frau“ ist Absolutiv)
- aŋuc-ip anna-q taku-va-a „der Mann sieht die Frau“ (aŋuc-ip ist Ergativ, anna-q Absolutiv als Objekt des transitiven Verbs)
- anna-p aŋut taku-va-a „die Frau sieht den Mann“
Im Plural gibt es keine Unterscheidung zwischen den Formen des Absolutivs und Ergativs:
- aŋuc-it sinip-pu-t „die Männer schlafen“
- anna-t sinip-pu-t „die Frauen schlafen“
- aŋuc-it anna-t taku-va-at „die Männer sehen die Frauen“
- anna-t aŋuc-it taku-va-at „die Frauen sehen die Männer“
Zur Genitivbindung
Die Formen des Ergativs und Genitivs fallen im Grönländischen zusammen, weswegen man diesen Fall zusammenfassend Relativ nennt. Der Genitivbezug wird doppelt gekennzeichnet: einmal durch die Verwendung des vorangestellten Relativs (Genitivs), zusätzlich durch ein Possessivsuffix am Besitz. (Vergleichbar ist die umgangssprachliche deutsche Bildung „dem Mann sein Haus“, nur dass hier der Dativ für den Besitzer verwendet wird.)
- aŋuc-ip illuv-a „das Haus des Mannes“ (aŋuc-ip ist vorangestellter Relativ „des Mannes“, -a Possessivsuffix der 3. Person, illu Haus, -v- Epenthese zur Vermeidung eines Hiaten)
- anna-p illuv-a „das Haus der Frau“
Literatur
- Jan Henrik Holst: Einführung in die eskimo-aleutischen Sprachen. Buske-Verlag, Hamburg 2005.
- Marianne Mithun: The Languages of Native North America. Cambridge University Press, Cambridge 1999.
- Lyle Campbell: American Indian Languages. Oxford University Press, Oxford 1997.
- Joseph Greenberg: Language in the Americas. Stanford University Press, Stanford 1987.
- M. Paul Lewis (Hrsg.): Ethnologue. Languages of the World. 16. Auflage. Summer Institute of Linguistics, Dallas 2009.
Weblinks
- Eskimo-Aleutisch
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