Tunnelratte

Tunnelratte

Als Tunnelratten wurden US-amerikanische, australische und neuseeländische Soldaten bezeichnet, die im Vietnamkrieg die unterirdischen Tunnel der Vietcong „gesäubert“ haben. Manche dieser Tunnel waren kaum größer, als eine Person breit war, so dass es eine anstrengende und gefährliche Arbeit war. Die Soldaten waren keine Elitesoldaten, sondern wurden anfangs per Befehl dazu eingeteilt, später suchte man sich Männer dafür aus, die eine gewisse Begabung für diese Tätigkeit aufwiesen. Ihnen wurden zwar die Grundregeln des vietnamesischen Tunnelbaus erklärt, aber dies war mehr eine Ausbildung vor Ort, quasi „learning by doing“.

Eine „Tunnelratte“ der 1. US-Kavalleriedivision steigt in ein Tunnelsystem
"Tunnelratten" bereiten die Sprengung eines Tunnelsystems vor. Beachtenswert ist das kleine, einfach zu tarnende Eingangsloch.
Ein typischer Vietcong bewegt sich in einem Tunnel. (1968)
Demonstration eines Einstiegslochs zu den Museums-Tunneln von Củ Chi.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung und Grundlage

Die US-Infanterie hatte das Problem in Vietnam schnell erkannt: Immer wieder schlugen die Vietcong per Hinterhalt zu, anscheinend aus dem Nichts kommend und waren ebenso schnell wieder verschwunden. Als die Patrouillen verstärkt wurden, fand man schließlich kleine Löcher oder Falltüren in Bodenwellen oder Hügeln, die sehr gut getarnt waren. Ganze Gruppen von Soldaten wurden dort hineingeschickt und fanden den Tod. So waren manche Tunneleingänge Attrappen, die mit einer Sprengfalle ausgestattet waren (booby traps). Durch die Röhrenwirkung reichte dann eine Granate aus, um alle im Tunnel zu töten. Zusätzlich waren die Eingänge der Tunnelkomplexe auch mit Dornen und Pfählen gesichert. Eine der heimtückischsten dieser Fallen befand sich meist am Tunneleingang, dort wo die Tunnelratte sich am Rand festhalten musste um hinunterzuspringen. In Augenhöhe war ein kleiner Schlitz eingebaut durch den ein Vietcong oder eine Fangschnur einen Bambusspeer ins Gesicht des Opfers rammte. War es ein echter Tunnel, so gerieten viele US-Soldaten bei Feindkontakt oft in Panik und schossen unkontrolliert um sich, wobei sie nicht selten mehr Kameraden töteten als Gegner.

Der Vietcong maß dem Anlegen von guten Tunneln sehr viel Beachtung bei, so wurden z. B. viele Verzweigungen eingebaut, die die gegnerischen Soldaten irreführen und in Fallen kriechen/laufen lassen sollten. So entstand die Notwendigkeit, dass Einzelne die Tunnel erkunden und ggf. feindliche Truppen bekämpfen mussten. Im weiteren Verlauf wurden dazu Leute ausgesucht, die sich aufgrund eines bestimmten Profils dafür am besten eigneten. Als sich diese Tunnelratten als recht erfolgreich erwiesen, begann man damit, jeder größeren Patrouille eine Tunnelratte zuzuteilen, bzw. ein Mitglied des Zuges dazu auszubilden. Dabei wurde diesen die Grundstrukturen von Vietcongtunneln beigebracht, spezielle Fortbewegungsformen, Anschleichen und das Zurechtfinden in solchen Anlagen.

Einsatz

Fand eine Patrouille solch einen Zugang, so legte der Spezialist seine Ausrüstung nahezu komplett ab und kroch in das Erdloch, in der Regel nur mit einer Pistole und ein paar Handgranaten bewaffnet. Es ist ein Gerücht, dass diese Soldaten in irgendeiner Form spezielle Messerkämpfer waren. Kampfmesser dienen schon seit dem Zweiten Weltkrieg überwiegend dazu, Schnüre zu durchschneiden, Pfähle anzuspitzen oder Dosen zu öffnen, weniger dazu, Gegner zu töten. In manchen Fällen benutzte er eine Taschenlampe mit Rot- oder Grünfilter, dies wurde aber seltener verwendet, da dies die Vietcong im Tunnel hätte warnen können. Die Tunnel waren, wenn man den US-Soldaten rechtzeitig erkannte, gut zu verteidigen, weil die einzelnen „Räume“ des Systems oft nur mit schmalen Durchgängen verbunden waren. Diese konnte man meist nur auf dem Boden kriechend durchqueren, somit war die Tunnelratte verloren, wenn sie entdeckt wurde. Auf der anderen Seite hatte der US-Soldat den Vorteil, viel Schaden unter den Vietcong anzurichten, wenn er unbemerkt blieb. Waren in einem Raum mehrere Vietcong anwesend, so reichte eine Granate, um alle Personen auszulöschen. Fand er im ganzen System keine Feinde vor, so konnte er dennoch meist wichtige Unterlagen sicherstellen, selbst das System mit Sprengfallen versehen oder Waffen- und Munitionslager in die Luft sprengen. Ging bei einem dieser Einsätze etwas schief, so verloren der Trupp oder der Zug „nur“ einen Mann, anstatt wie zuvor gleich mehrere.

Hintergrund

Die Tunnelsysteme in Vietnam waren äußerst verzweigt, manchmal waren ganze Landstriche untertunnelt. Teile der Tunnel sind erhalten und können heute als Teil eines Kriegsmuseums besichtigt werden. Es waren nicht einfach „Erdlöcher“ sondern große unterirdische Gangsysteme. Zu den Tunnelsystemen gab es meist mehrere Zugänge, so dass es oft nicht ausreichte einfach nur eine Granate in einen Gang zu werfen um die darin befindlichen Soldaten zu töten. Wurde ein Eingang durch einen Angriff versperrt, so war sichergestellt, dass sich die Besatzung zurückziehen konnte. Durch geschickten und klugen Tunnelbau waren die Räume dieser Tunnelsysteme untereinander immer mehrmals miteinander verbunden, aber immer mit so geringen Ausmaßen wie nötig. Durch die hohe Anzahl von Räumen innerhalb der Tunnelsysteme war ein Beschuss durch Artillerie oft wirkungslos, da sich die Verteidiger in Nebenräume zurückziehen konnten. Nur durch den Einsatz von Soldaten, die diese erkundeten war es möglich, notfalls auch mit einer groß angelegten „Säuberungsaktion“, diese Systeme auszuheben. Auch Flammenwerfer waren hier nicht von großen Nutzen, da ihre Mitnahme im Dschungel sehr heikel war und auch nur bis zur ersten Kammer reichten, die meist extra für die Abschwächung feindlicher Kampfmittel angelegt worden war.

Erfolg

Der Einsatz der Tunnelratten war für sich gesehen ein Erfolg. Die Tunnelratten nahmen dem Vietcong das Gefühl, in ihren Tunneln vor den US-Truppen sicher zu sein. Mit Täuschungsanlagen wurde seitens des Vietcong versucht, dieser Sache Herr zu werden, allerdings war der Aufwand dafür zu groß. So mussten Wachen aufgestellt werden und die Systeme sicherer gemacht werden, was unterirdisch sich immer für beide Seiten auswirkte. Tunnelratten hoben zwar alleine keine Stellungen aus, aber erwarben mindestens weitreichende Erkenntnisse über ein System in einem Gebiet. Mit diesen Informationen konnten dann Einsätze der Infanterie besser geplant und durchgeführt werden.

Weiterer Verlauf

Seit Vietnam hatten die US-Amerikaner keinen Krieg mehr, der derartige Spezialisten benötigte. Alle kriegerischen Auseinandersetzungen danach fanden auf der Oberfläche statt, erst mit der Operation Enduring Freedom in Afghanistan hatten sie wieder mit Tunnelsystemen zu tun. Diese waren aber anders konstruiert und z.T. jahrhundertealt. Außerdem waren die Afghanischen Tunnel mit denen in Vietnam nicht zu vergleichen, da sie zwar auch weitverzweigt waren, aber in erster Linie als Rückzugsort galten und weniger um als Start- und Endstationen von Angriffen aus dem Hinterhalt zu dienen. Zusätzlich war der technische Fortschritt der US-Amerikaner derart weit, dass sie mit speziellen bunkerbrechenden Waffen (wie der GBU-43/B) diese Tunnelsysteme komplett ausbrennen können. Trotzdem werden auch heute noch bei der US-Army Soldaten für den Tunnel-Kampf ausgebildet, wenn sie auch nicht mehr zum Einsatz kommen.

In der Literatur

  • Zeitschrift NAM, Die Vietnamisierung 1965 - 75, darin: Kapitel 14, Leroy Thompson: Die Fallen des Vietcong, 1966, Band 3, Verlag Publicator Ltd UK, 1988, S. 73-74
  • Der Ermittler Harry Bosch in den Krimis von Michael Connelly leidet unter seiner Vergangenheit als Tunnelratte, detailliert beschrieben im ersten Harry-Bosch-Band "The Black Echo" von 1992 (Deutsch: "Schwarzes Echo", 1994). ISBN 3-550-06713-5

Medien

Siehe auch


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