- Turkistan
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Turkestan (persisch ترکستان Land der Türken) ist eine trockene Gebirgsregion in Zentralasien. Es erstreckt sich vom Kaspischen Meer im Westen bis zur Wüste Gobi im Osten. Das Gebiet umfasst 2.500.000 km² auf dem Gebiet von 7 Staaten und beherbergt über 73 Millionen Einwohner.
Andere Schreibungen für dieses Gebiet sind auch Turkistan und Türkistan.
Inhaltsverzeichnis
Etymologie
Das heutige Turkestan war im Altertum ursprünglich von iranischen Völkern besiedelt[1] und bei diesen als Turan bekannt.[2] In der Zeit zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert wurde die Region von Mongolen beherrscht und in Europa als „Große Tatarei“ bezeichnet. Diese „Große Tatarei“ griff im Süden auch in persisches Gebiet über. Noch heute macht dessen Tiefland als „Turanische Senke“ oder „Turanisches Tiefland“ den größten Teil des westlichen Turkestans aus.
Heute wird mit die Bezeichnung „Turkestan“ vielfach mit dem Begriff „Heimat der Türken“ (also mit dem „Stammland der Turkvölker“) gleichgesetzt. Historisch gesehen, ist diese Gleichsetzung jedoch falsch, da die eigentliche „Urheimat“ der Turkvölker weiter im Osten, in der heutigen Mongolei lag.
Bevölkerung
Im Gebiet des heutigen Turkestan lebten im Laufe der Geschichte viele Völker, da das Gebiet seit je her ein wichtiges Durchzugsgebiet der nomadischen Steppenvölker war. Erste große Kulturen entwickelten in diesem Gebiet die iranischen Völker, die in den Oasen sesshaft wurden und in der Folge zahlreiche Städte gründeten. In der Zeit zwischen dem 7. und 8. Jahrhundert wurde ein großer Teil des turkestanischen Gebietes von frühen Turkvölkern beherrscht, die heute allgemein als Göktürken bezeichnet werden. Die von ihnen unterworfenen Teile Turkestans gehörten zu deren westlichen Teil-Khanat.
Heute leben im Gebiet Turkestans verschiedene Ethnien, von denen die turksprachigen inzwischen die Mehrheit bilden. In Turkestan sind heute Turkmenen,Uiguren, Usbeken, Karakalpaken, Kasachen, Kirgisen, Tataren, Aserbaidschaner, Karäim, Krimtürken, Turk-Mescheten und Türken wohnhaft. Aber auch Russen, Ukrainer, Deutsche, Koreaner und Chinesen sind dort neben den alteingesessenen iranischen Völkern der Tadschiken, Perser und Afghanen wohnhaft. Teilweise sind diese Völker in gewissen Regionen Turkestans noch als Urbevölkerung anzusehen. Die großen Turkvölker der Region bilden inzwischen auf dem Gebiet Turkestans eigene Turkstaaten.
Sprachen
In Turkestan bestanden und bestehen seit jeher viele Sprachen. So entstand in seinem Gebiet auch die bedeutende türkische Literatursprache Tschagataisch, deren Nachfolgerin seit der russischen Besatzung als Usbekisch bezeichnet wird und heute die bedeutendste Turksprache Zentralasiens ist. Daneben spricht man in weiten Teilen des südlichen Turkestans iranische Sprachen, von denen die Persische Sprache die bedeutendste ist.
Gliederung
Turkestan wird heute allgemein in drei Bereiche unterteilt:
- Das westliche Turkestan (auch West-Turkestan oder Russisch-Turkestan genannt) besteht aus dem südlichen Bereich Kasachstans sowie Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan. Mit unter wird auch das Gebiet des ehemaligen russischen Generalgouvernements Steppe (Nord- und Westkasachstan) aufgrund der kasachischen Bevölkerung zu diesem gerechnet.
- Das östliche Turkestan (auch als Ost-Turkestan oder Chinesisch-Turkestan bezeichnet) war ursprünglich nur auf das südwestliche Gebiet des Uigurischen Autonomen Gebietes (Xinjiang) beschränkt, wird aber heute auf die gesamt Region ausgedehnt. Uigurische Separatisten bezeichnen diese Teilregion Turkestans auch vielfach als Uyghuristan, als „Land der Uiguren“.
- Der nördliche Teil des heutigen Afghanistans wird heute bei den Turkvölkern als „Süd-Türkestan“ bezeichnet. Dieses „Südturkestan“ wurde ursprünglich aus den südlichen Gebietsteilen der turkestanischen Khanate Buchara und Kokand gebildet. Diese wurden zwischen 1886 und 1893 von diesen an Persien abgetreten. Deshalb wurde diese Region auch im 19. Jahrhundert vielfach als Persisch-Turkestan bezeichnet. Mit der Unabhängigkeit Afghanistans gehörte diese Region zu dessen Gebietsstand und der Name „Persisch-Turkestan“ wurde aufgegeben. Das südliche Turkestan gehört ursprünglich zum nördlichen Teil der historischen, als „Chorasan & Mawar al-Nahr“ bekannten Region. Im Gegensatz zu anderen Gebieten Turkistans wurde diese Region erst spät von Turkvölkern besiedelt.
Die Bezeichnungen „West-“ und „Ost-Turkestan“ sind auf den Russen Jimchowsky zurück zu führen, der diese Begriffe 1805 in seinem Botschaftsbericht für Zentralasien verwendete.[3]
Der Name „Süd-Türkestan“ wurde vor allem Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre durch Panturkisten Zentralasiens geprägt und auf die afghanische Hindukuschregion ausgedehnt, da dort neben Tadschiken auch kleinere kirigisische und uigurische Minderheiten leben.
Der Militärdistrikt „Turkestan“ der Roten Armee umfasste die damaligen Sowjetrepubliken Turkmenistan und Usbekistan. (Die Sowjetrepubliken Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan waren im Militärdistrikt „Zentralasien“ zusammengeschlossen.)
Geschichte
Vorgeschichte
Turkestan ist als Durchzugsgebiet im Verlauf seiner langen Geschichte mehrmals umkämpft worden. So war Turkestan mehrmals Teil von verschiedenen Nomadenreichen. Ein großer Teil der turkestanischen Region gehörte um 174 v. Chr. zur Stammesföderation der Hsiung-nu. Aber auch iranischsprachige Völker wie die Gutäer lebten weiter hin in dieser Region. Später gehörten weite Teile zum persischen Reich und zum Reich Alexander des Großen.
Um 400 wurde ein Teil Turkestans dann von den Shou-shan beherrscht, die ebenfalls eine Stammesförderation verschiedener Nomadenvölker darstellte. Einer dieser Nomadenstämme waren die Türk, die in den Regionen um den Altai lebten.
Göktürkenzeit
Im 6. Jahrhundert fielen dann die Türk in Turkestan ein und errichteten in diesem Gebiet ihr westliches Teil-Khanat, dass sich bis zum Jahr 745 halten konnte. Doch bereits 657 errichtete das China der Tang-Dynastie in der südlichen Region des westlichen Göktürkenreiches seine Provinz der „vier Garnisonen“. Die Tang-Chinesen nannten dieses unterworfene Gebiet schließlich 西部地區 westliches Territorium. Doch mehrmals gehörte das von Tang-China unterworfene Gebiet im 7. und 8. Jahrhundert zu tibetanischen Reichen. Nach dem Untergang des Göktürkenreiches (745) wurden auf dessen Gebiet verschiedene turkstämmige Nachfolgereiche gegründet. So entstanden auf dem Gebiet des ehemaligen Ostkhanates (östliches Turkestan und eigentliche Mongolei) das Reich der Uiguren, das bis 840 Bestand hatte. Es wurde schließlich von den Kirgisen unterworfen. Im ehemaligen Westkhanat wurden unter anderem die Reiche der Kiptschaken und der Seldschuken gegründet, deren Einflussbereich sich schließlich bis Europa und Vorderasien erstrecken sollte. Aber auch die Reiche der Chasaren und der Oghusen hatten in Turkestan eine ihrer Wurzeln.
Einfall der Araber
Zwischen den Jahren 661 und 750 wurden weite Teile des späteren Turkestans von den Arabern zum Islam bekehrt. Es bestanden aber zu dieser Zeit auch starke christliche und buddhistische Gemeinden in der Region. Ab dem 8. Jahrhundert stritten sich die Großreich Persien und China offen um das Gebiet des späteren Turkestans. Schließlich wurde das turkestanische Gebiet zwischen beiden Kontrahenten aufgeteilt: Chinas Einflussbereich erstreckte sich in der Region vom Tarim-Becken über den Balkaschsee bis zum Ostufer des Syr-darja. Die Gebiete westlich des Syr-darja bis zur Halbinsel Mangyschlak gehörten zum Einflussbereich des Persischen Reiches.
Mongolische Zeit
Vom 11. Jahrhundert bis zum 13. Jahrhundert unterstanden weite Teile der turkestanischen Region unter der Herrschaft der iranischen Dynastie der Chorems-Schahs. Seit 1220 gehörten die turkestanischen Gebiete zum monolischen Großreich Dschingis Khans. In diesem Gebiet wurde das mongolische Teilkhanat Tschagatai gegründet, das in der Osthälfte formal als Moghulistan bis 1510 bestand.
Im 15. Jahrhundert wurde Turkestan an der Grenze zwischen Altai - Tian-Schan - Pamir in zwei Hälften geteilt. Der Westteil Turkestans fiel an den iranisierten Mongolen Timur-i Lenk, während der Ostteil nun unter einheimischer Dschingisniden-Dynastie verblieb. Der Westteil Turkestans verblieb nun bis zur russischen Eroberung unter persischen Einfluss.
Nach Ende der Timuridenzeit gelangte das gesamte Turkestan nochmals unter mongolische Herrschaft, als die Oiraten ihr kurzlebiges Reich begründeten.
Zeit der chinesischen und russischen Herrschaft
Doch ab 1500 entstanden auf den turkestanischen Gebiete die usbekischen West-Khanate Chiwa, Buchara und das kirgisische Khanat Kokand. In der östlichen Hälfte wurden die sogenannten uigurischen Ost-Khanate Kaschgar, Tufan und Khotan gegründet. Im Jahr 1759 eroberte das Kaiserreich China diese Gebiete und dehnte seinen Einflussbereich bis zum Balkaschsee aus. Offiziell nannte China ab 1844 diese Gebiete 再一次回來舊的地域 erneut zurückgekehrtes altes Territorium, kurz Xinjiang - neues Land.[4] Das östliche Turkestan wurde nun am 11. November dieses Jahres mit der benachbarten Dsungarei zur neuen Provinz Xinjiang zusammengefasst und der chinesischen Zivilverwaltung unterstellt.
Das übrige nicht unter persischen und chinesischen Einfluss stehende Gebiet wurde noch im 18. Jahrhundert von kasachischen Nomaden in drei Stammesföderationen (sogenannte „Horden“) und einem Kasachen-Khanat sowie in der Bökei-Horde zusammengefasst. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann das russische Zarenreich, sich in die zentralasiatischen Steppen auszudehnen und die kasachischen Nomaden unterstellten sich freiwillig der russischen Herrschaft. So wurde in der Zeit zwischen 1897 und 1897 das nördliche turkestanische Steppengebiet einverleibt und als „Generalgouvernement Steppe“ dem General Konstantin Petrowitsch von Kaufmann unterstellt. Im 19. Jahrhundert führte Russland mit China blutige Grenzkriege und drängte dieses im Wesentlichen bis auf die heutigen Grenzen zurück. Legendlich die heutige Mongolei und Tuva sowie die Mandschurei verblieben als Provinzen bei China. Allerdings standen diese Gebiete unter starkem russischem Einfluss und galten teilweise als russisches Protektorat.
Die unter chinesischer Oberhoheit lebenden Turkvölker empfanden sich als „eine unter Fremdherrschaft“ stehende unterdrückte Volksgruppe. So begannen sie zahlreiche Aufstände gegen die chinesische Herrschaft, bei denen sie vor allem durch Kasachen aus dem russischen Teil der Region unterstützt wurden. Auch spielten einige einflussreiche Derwischorden bei diesen Unruhen eine große Rolle.
So gründete 1864 der Kaschgare Jakub Beg, der spätere Emir dieser Region, ein Turkreich. Dieses trug den Namen „Emirat Kaschgar“ und war im höchsten Maße autokratisch. Seine Armee umfasste schließlich 60.000 Mann und er wurde vom Osmanischen Reich, Russland und Großbritannien als Khan anerkannt.[5] Nach dem aber die chinesische Armee Jakub vernichtend geschlagen hatten (angeblich sollten von seiner 60.000 Mann starken Armee nur zehn überlebt haben) wurde Kaschgarien wieder der Kontrolle Chinas unterstellt. Doch hatten bereits 1871 russische Truppen das Ili-Gebiet besetzt, das sie jedoch zehn Jahre später wieder räumten.
Zeit bis zum zweiten Weltkrieg
Nach Ausbruch der Chinesischen Revolution im Jahre 1911 verblieb Ost-Turkestan im Gegensatz zur Mongolei und Tibet bei China, war aber de facto autonom. Die muslimische Bevölkerung der China unterstellten Region Turkestans erhob sich nun zum bewaffneten Kampf gegen die chinesische Regierung. Zentrum dieser Revolution war das Gebiet um Hami. Dieser Aufstand wurde 1912 unter Yang Zenxing, dem Verwaltungsleiter von Ürümqi, niedergeschlagen. 1913 wurde er zum Generalgouverneur der Region ernannt und herrschte bis zu seiner Ermordung am 7. Juli 1928 uneingeschränkt in der Provinz Xinjiang.
Nach der Russischen Revolution (1917) wurden im Gebiet des westlichen Turkestan die sowjetischen Volksrepubliken Buchara und Choresmien sowie die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik Turkestan gebildet. Aus dieser wurden dann zwischen 1924 und 1936 neue Republiken gebildet. Zwischen den Jahren von 1917 bis 1920 bestand in der nördlichen Steppenzone Westturkestans der Herrschaftsbereich der Alasch Orda. Als die 1936 von den Sowjets geforderte Enteignung der kasachischen Viehnomanden durchgeführt werden sollte, floh ein großer Teil von diesen, rund 300.000 Kasachen, mit ihren Herden nach China (Provinzen Xinjiang und Tannu-Uriangchai) und der Mongolei. Ein anderer Teil der Kasachen tötete ihre Herden lieber und löste damit eine der größten Hungerkatastrophen in der kasachischen Geschichte aus.[6]
Nach der Ermordung Zenxings (1928) geriet das östliche Turkestan zeitweilig unter starkem sowjetischen Einfluss. Unter seinem Nachfolger, Qin Shujin, dem Gouverneur von 1928 bis 1931, kam es 1931 in Xinjiang erneut zu Aufständen. Ausgehend von Hami dehnten sich diese nun fast auf die gesamte Provinz aus. Diesmal waren in diesem Aufstand alle Bevölkerungsgruppen der Region involviert. Anführer der Turkstämmigen war der Hodscha Nijas Hadschi, der in der Region Kaschgar im November 1933 die „Türkisch Islamische Republik Ostturkestan“ ausrief. Diese ging allerdings nach sechs Monaten wieder unter. Diese „ostturkistanische Regierung“ wurde bereits Mitte April 1934 verhaftet und an die Provinzregierung Gansu ausgeliefert. Dort wurden ihre Mitglieder hingerichtet. Der „Präsident“ Hadschi wurde drei Jahre später hingerichtet. 1937 gelang es Sheng Shicai, er war Gouverneur des Xinjiang in der Zeit von 1939 bis 1945, im Gebiet um Kaschgar eine neue Revolution niederzuschlagen, in dessen Folge rund 80.000 Revolutionäre ihr Leben verloren.[7] Gouverneur Shicai erwog 1941 sogar kurzfristig, mit der Region Xinjiang der Sowjetunion beizutreten. Doch noch im selben Jahr schloss er sich den Nationalisten unter Chiang Kai-shek an, nachdem die Deutsche Wehrmacht auf Befehl Adolf Hitlers die UdSSR überfallen hatte.
Im November 1944 erhoben sich die Kasachen unter Alichan Tura im Ili-Gebiet und riefen eine neue „Republik Ostturkestan“ aus. Tura und dessen Verbündeter, Usman Batur, versorgten sich in der Mongolei mit Waffen und bereits im September 1945 hielt die sogenannte „Kuldscha-Gruppe“ unter Tura das gesamte Altaigebiet und besetzten Ürümqi und Kaschgar. Die Rebellen suchten den engen Schulterschluss mit der Sowjetunion und stellten diese als Vermittler zwischen ihnen und der chinesischen Regierung ein. Am 12. Juli 1946 wurde die „Republik Ostturkestan“ aufgelöst und die Kasachen erhielten mit dem Gebiet Ili ihr eigenes autonomes Gebiet in Xinjiang.
Zeit bis heute
Während des Chinesischen Bürgerkriegs marschierten 1949 Truppen der kommunistischen „Volksbefreiungsarmee“ in Ost-Turkestan ein, das als Provinz Xinjiang Teil der Volksrepublik China wurde. Die rigide Durchführung einer Sinisierungspolitik löste bereits 1950 erneut einen uigurischen Aufstand aus, der gewaltsam niedergeschlagen wurde. 1964 führte die VR China in dem 1955 zur „Autonomen Region“ ernannten Ost-Turkestan erstmalig einen Atombombentest durch. 1967 folgte die erste Zündung einer chinesischen Wasserstoffbombe. Zeitgleich wurde den Muslimen in China der Gebrauch der arabischen Schrift verboten und die Zwangsumstellung über ein kyrillisches Alphabet auf ein modifiziertes lateinisches Alphabet durchgesetzt. Damit wurde von Seiten der chinesischen Zentralregierung in Peking mit einer fast 1000-jährigen Tradition gebrochen. Allerdings wurde das 1979 wieder rückgängig gemacht. Die chinesische Regierung schloss jedoch die meisten Moscheen und Medresen. Sowie wurde das waqf-Land verstaatlicht. Damit folgte China dem Beispiel der benachbarten Sowjetunion, die dieses bereits schon in den 1930er Jahren durchgeführt hatte.
Im Xinjiang fanden zwischen 1950 und 1968 mindestens 58 Aufstände statt, bei denen ungefähr 360.000 Menschen ihr Leben verloren.[8]
1979 fiel die Sowjetunion in Afghanistan ein. Islamische Mudschaheddin riefen nun den „Dschihad“ aus, dem auch Angehörige chinesischer und zentalasiatischer Turkvölker folgten, um „Süd-Turkestan“ und das restliche Afghanistan von den „ungläubigen Russen“ zu befreien. Am 18. Februar 1989 verließen die letzten sowjetischen Soldaten und bereits am 19. Mai stürmten muslimische Bewohner von Ürümqi das dortige Parteibüro der KPCh.
Mit dem Zerfall der Sowjetunion (1990) wurden im westlichen Turkestan die Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan ausgerufen, die bis auf Tadschikistan eine mehrheitlich turkvölkische Bevölkerung aufwiesen. So erhoben sich im April 1990 vor allem die Uiguren in Xinjiang erneut gegen die chinesische Zentralregierung und forderten die Unabhängigkeit von China sowie die Errichtung einer eigenständigen Turkrepublik. Als unmittelbare Auslösung dieser Unruhen wird heute eine aus dem türkischen Istanbul verbreitete Rede des damals 90-jährigen Isa Jussuf Alptekin angesehen. Dieser hatte 1944 der letzten ostturkestanischen Regierung angehört und war 1952 über Indien in die Türkei geflüchtet. Dort erhielt er schnell die türkische Staatsangehörigkeit. Alptekin bezeichnete in seiner Rede die chinesische Politik als „Unterdrückung der ostturkestanischen Muslime und deren Kampf als verzweifelten Überlebungskampf der Türken gegen die chinesische Fremdherrschaft“. Dieser Aufstand wurde von chinesischen Truppen niedergeschlagen und die wenigen Überlebenden flüchteten sich ins benachbarte Kasachstan. Von dort versuchten diese Uiguren, in Xinjiang eine turkvölkische Opposition aufzubauen. Allerdings suchte Kasachstan mit der Volksrepublik China einen Ausgleich und eine enge Zusammenarbeit: 1999 wies die kasachische Regierung die aus China geflüchteten Uiguren dorthin wieder aus und die Separatisten wurden später wegen Landesverrates hingerichtet.[9]
Zwischen den Jahren 1990 und 1997 wurden in Turkestan verschiedene religiöse und zum Teil militante Organisationen gegründet, die ein vereinigtes Turkestan forderten. Die meisten dieser Organisationen wurden von Uiguren gegründet. So wurde im usbekischen Ferghana-Tal als eine dieser Organisationen auch die „Islamische Turkestan-Partei“ gegründet. Diese hatte auch im Xinjiang eine Tochterorganisation namens Islamische Partei Ostturkestans, und diese löste bereits im April 1990 im Bezirk Akto einen religiös-beeinflussten Aufstand aus. Im Dezember 1992 gründeten im türkischen Istanbul die Delegierten aus über 30 ostturkestanischen Gruppen aus Asien, Europa, den USA und Australien ein „internationales Komitee zur Vereinigung der ostturkestanischen Völker“. Dort wurden Staatsnamen und –wappen, die Nationalflagge und –hymne der noch zu schaffenden „Republik Ostturkestan“ angenommen. Im April 1993 wird in der Türkei eine „Exilregierung der Islamischen Republik Ostturkestan“ ausgerufen.
1994 erfolgt in Pakistan die Gründung der Taliban, die auch von den militanten Muslimen in Turkestan begrüßt wird.
1995 gründen Funktionäre der „Partei der islamischen Befreiung“ im usbekischen Ferganatal die erste Zelle für Zentralasien. Später werden diese auch in Staaten Tadschikistan, Kirgisistan und auch in Xinjiang aufgebaut. Die „Partei der islamischen Befreiung“ ruft die Muslime in Zentralasien auf, einen ideologischen Dschihad gegen die dekadenten Staatsformen zu führen. Diese Partei rief Ende der 1990er Jahre auch ein „Kalifat Zentralasien“ aus, das neben den Staaten Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan auch die Region Xinjiang umfasste. Dieses sollte die Basis für den ideologischen Dschihad werden.[10]
Im Mai 1996 kommt der Terroristenführer Osama bin Laden dauerhaft nach Afghanistan. Die terroristische al-Qaida baut Afghanistan zu ihrem Stützpunkt aus und zahlreiche Muslime aus den turkestanischen Ländern lassen sich von ihr zu „Märtyrern“ ausbilden.
1997 wird Afghanistan von den Taliban zum „islamischen Emirat“ ausgerufen und im chinesischen Xinjiang arbeiten Angehörige der „islamischen Gottespartei“ ein „Vier-Punkte-Programm“ zur Gründung einer „Islamischen Republik Ostturkestan“ aus, die auch den „bewaffneten Kampf“ (d. h. Terroranschläge gegen chinesische Regierungsinstitutionen) mit einschloss. Im Juni des gleichen Jahres gründen in München Exil-Uiguren unter Isa Jussuf Alptekin das „Ostturkestan Informationszentrum/Eastern Turkestan Information Center“. Erster Vorsitzender wurde Alptekin.
Zwischen 1997 und 2001 werden von der al-Qaida in Afghanistan rund 20.000 Menschen militärisch ausgebildet. Rund 1.000 von ihnen sind Uiguren aus China und Zentralasien.
Der turkstämmige Terrorist Hasan Mahsum erhält im Jahr 2000 von der al-Qaida größere Geldsummen, die dieser für den „bewaffneten Kampf um Turkestan“ benötigt.
Die Anschläge vom 11. September 2001 werden von militanten Muslimen weltweit begrüßt und zahlreiche Angehörige verschiedener Turkvölker gehen zur „militärischen Ausbildung“ nach Afghanistan. Im anschließenden Afghanistan-Krieg unterstützen sie die al-Qaida.
2002 werden 22 Uiguren aus China am Hindukusch festgenommen. Diese waren als al-Qaida-Kämpfer erkannt und nach Guantanamo gebracht worden.
2008 fanden die Olympischen Sommerspiele in China statt. Etwa zwei Wochen vor deren Beginn tauchte im Internet ein Video auf, in dem Angehörige der in China verbotenen „Islamischen Partei Ostturkestans“ westliche Touristen vor blutigen Anschlägen warnten. In diesem Video wurde von vermummten Männern unter anderem nicht nur die Freiheit Tibets, sondern auch die staatliche Unabhängigkeit der Region Xinjiang von China gefordert. Bemerkenswert ist hier auch, dass das Video nicht wie sonst üblich in Uigurisch bzw. in Chinesisch besprochen wurde. Vielmehr war die Sprache des Videos Hocharabisch, in dem uigurische Untertitel liefen. Das legte dem chinesischen Innenministerium die Vermutung nahe, dass die Mitte der 1990er Jahre geschlossenen Verbindungen uigurischer Separatisten zur al-Qaida bis heute nicht abgebrochen sind, sondern noch Bestand haben.[11]
siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ „(...) Der Osten des ursprünglich persisch besiedelten Gebietes wurde im 4. Jahrhundert vom chinesischen General Pan Tschao erobert.“ Erhard Stölting in Eine Weltmacht zerbricht, Kapitel VIII. Dschingis Chans muslimische Erben 2: Turkestan, S. 164
- ↑ „(...) Über die Ethogenese dieses Stammes ist viel gerätselt worden. Auffallend ist, dass viele zentrale Begriffe iranischen Ursprungs sind. Dies betrifft fast alle Titel (...). Einige Gelehrte wollen auch die Eigenbezeichnung türk auf einen iranischen Ursprung zurückführen und ihn mit dem Wort "Turan", der persischen Bezeichnung für das Land jeneseits des Oxus, in Verbindung bringen.“ Wolfgang Ekkehard Scharlipp in Die frühen Türken in Zentralasien, S. 18
- ↑ Berndt Goerg Thamm: Der Dschihad in Asien, S. 163
- ↑ Berndt Georg Thamm: ebenda, S. 166
- ↑ Berndt Georg Thamm: ebenda, S.175
- ↑ Erhard Stölting: Eine Weltmacht zerbricht. Nationalitäten und Religionen in der UdSSR; S. 196
- ↑ Berndt Georg Thamm: ebenda, S. 178
- ↑ Berndt Georg Thamm: ebenda, S. 183
- ↑ Beate Eschment: Nationale Minderheiten in Kasachstan – Bleiben oder Gehen?, S. 26 in Kasachstan. Staat im Zentrum Eurasiens, Wostok Verlag Berlin 2001, ISBN 3-932916-16-6
- ↑ Berndt Georg Thamm: ebenda, S. 47
- ↑ http://www.abendblatt.de/daten/2008/07/29/913559.html
Literatur
- Berndt Georg Thamm: Der Dschihhad in Asien. Die islamische Gefahr in Russland und China, Deutscher Taschenbuch Verlag München 2008, ISBN 978-3-423-24652-1
- Erhard Stölting: Eine Weltmacht zerbricht. Nationalitäten und Religionen in der UdSSR, Eichborn Verlag Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-8218-1132-3
- Carter Vaughn Findley: The Turks in World History, Oxford University Press 2005, ISBN 0-19-517726-6
Weblinks
- Turkestan Album, Library of Congress
- In der Datenbank RussGUS werden über 750 Publikationen nachgewiesen (dort Suche – Formularsuche – Geo.-Register: Mittelasien OR Turkm* OR Turkest*)
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