Turnüre

Turnüre
Dame mit Panier à coudes im vorrevolutionären Frankreich (Jean-Michel Moreau: Der Abschied)

Ein Reifrock ist ein durch Reifen aus Holz, Draht oder Fischbein gespreizter Unterrock. Je nach Form und Epoche unterscheidet man Verdugado, Panier, Krinoline oder Tournüre.

Der Reifrock kam erstmals als kegelförmiger Verdugado (span.: „Tugendwächter“) gegen Ende des 16. Jahrhunderts in der spanischen Tracht auf. Fast gleichzeitig wurde in Frankreich eine eigenständige, tonnenförmige Variante (Vertugadin) entwickelt, die auf mehreren Portraits von Königin Elizabeth I. zu sehen ist. Weniger wohlhabende Frauen trugen ersatzweise den Weiberspeck.

In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts geriet der Reifrock wieder aus der Mode. Eine Ausnahme bildet Spanien, wo sich eine breit-ovale Form entwickelte, die von Velázquez-Bildern bekannt ist.

In Frankreich und dem Rest Europas kehrte der Reifrock erst um 1715 wieder. Zunächst kurz und kegelig, wurde er schon wenig später kuppelförmig und extrem ausladend. Diese frühe Form hatte große Ähnlichkeit mit den damals auf Märkten verwendeten Hühnerkörben, daher der Name Panier (frz. „Korb“). Gegen 1730 flachte das Panier vorne und hinten ab und behielt diese querovale Form in wechselnden Dimensionen bis zu seinem Aussterben.

Paniers des 18. Jahrhunderts wurden zunächst aus Wachstuch und/oder Leder und Ruten gefertigt, was ihnen den Namen Criarde (frz. „Kreischerin“) einbrachte, weil die Materialien geräuschvoll aneinanderrieben. Spätere Paniers bestanden aus Holz- oder Fischbeinreifen, die entweder in Tunnel eingezogen oder mit Gelenken und Bändern zu klappbaren Gestellen zusammengefügt wurden.

Bereits vor der Französischen Revolution kam der Reifrock in der bürgerlichen Kleidung im Zuge der Orientierung an der englischen Mode außer Gebrauch und wurde durch den Cul de Paris ersetzt. Nur im formellen und höfischen Bereich überlebte er bis zur Revolution, in der englischen Hofgala sogar bis zum frühen 19. Jahrhundert.

Nach der 1830 abgeschlossenen Phase der Restauration erlebte der Reifrock als Krinoline (italienisch-französisch, eigentlich „Rosshaargewebe“) in der Krinolinenmode eine erneute Renaissance, zunächst als Unterrock aus mit Rosshaar verstärktem und geformtem Gewebe, das das bis dahin übliche Tragen mehrerer Stoffunterröcke ablöste. Nach Experimenten mit Fischbein und aufblasbaren Gummischläuchen setzte sich ab 1856 eine englische Konstruktion aus Stahlbändern durch. Trotz des relativ großen Stahlverbrauchs war sie noch preiswerter als die Rosshaar-Modelle. Um 1868 erreichte die Krinoline mit einem Saumumfang von sechs bis acht Metern ihre üppigste Weite.

Um 1870 wurde die Krinoline durch die Tournüre (von französisch Tournure für „Drehung“) abgelöst, die nicht mehr den ganzen Unterleib umschloss, sondern den Rock nur noch über dem Gesäß mit Hilfe von Halbgestellen aus Stahl, Fischbein und/oder Rosshaar aufbauschte. Nach einer kurzen Pause um 1880 kehrte sie um 1883 als „zweite Tournüre“ wieder. Um 1888 verschwand der Reifrock endgültig aus der Mode. Seither wird er fast nur noch bei Brautkleidern verwendet.

Einen Nachhall - allerdings ohne Reifen - fand der Reifrock in der Kriegskrinoline um 1915/16 und noch einmal in den 1950er Jahren mit dem Petticoat, der den Röcken wieder eine betont glockenförmige Silhouette verlieh.

Literatur

  • Almut Junker, Eva Stille: Dessous : Zur Geschichte der Unterwäsche 1700-1960. Frankfurt, Historisches Museum, 1991
  • Ingrid Loschek: Reclams Mode- und Kostümlexikon. Stuttgart, Reclam, 5. Aufl. 2005.
  • Nora Waugh: Corsets and Crinolines. New York, Routledge, 1996.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Turnüre — (frz.), gewandtes Benehmen; Körperhaltung; Wulst zum Aufbauschen des hintern Frauenkleides …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Turnüre — Tur|nü|re 〈f. 19; Ende 19. Jh.〉 hinten unter dem Kleiderrock getragenes Gestell od. Polster [<frz. tournure] * * * Turnüre,   Tournüre [tʊr , französisch, eigentlich »Drehung«] die, / n, längliches Halbreifengestell aus Stahl oder… …   Universal-Lexikon

  • Turnüre — Tur|nü|re 〈f.; Gen.: , Pl.: n; Ende 19. Jh.〉 unter dem Rock getragene Gesäßauflage zum Hochraffen des Kleides [Etym.: <frz. tournure] …   Lexikalische Deutsches Wörterbuch

  • Turnüre — Tur|nü|re [tur...] die; , n <aus fr. tournure, eigtl. »Drehung«, dies aus spätlat. tornatura »Drechslerei« zu lat. tornare, vgl. ↑Turn>: 1. (ohne Plur.) (veraltet) gewandtes Benehmen. 2. in der Damenmode Ende des 19. Jh.s übliches… …   Das große Fremdwörterbuch

  • Miss USA 2010 — Date May 16, 2010[1] Presenters Natalie Morales, Curtis Stone, Joan Rivers, Melissa Rivers[2] Entertainment …   Wikipedia

  • Seymour Hersh — Seymour Hersh, Trinity University, San Antonio, Texas, April 2008 Born April 8, 1937 (1937 04 08) (age 74) Chicago, I …   Wikipedia

  • Miss Washington USA — For the state pageant affiliated with Miss America, see Miss Washington. Tiffany Doorn, Miss Washington USA 2006 The Miss Washington USA competition is the pageant that selects the representative for the state of Washington in the Miss USA… …   Wikipedia

  • Miss USA 2009 — Titlecard Date April 19, 2009 Presenters Billy Bush, Nadine Velazquez Entertainment …   Wikipedia

  • Miss USA 2010 — Fecha 16 de mayo de 2010 Presentadores Curtis Stone, Natalie Morales Joan Rivers, Melissa Rivers Sede Planet Hollywood Theatre for the Performing Arts, Las Vegas, Nevada[1] …   Wikipedia Español

  • VOGUE (magazine) — VOGUE, magazine L’histoire de ce magazine de mode, sans doute le plus célèbre du monde, illustre l’évolution des partis pris esthétiques et sociaux de la mode du XXe siècle et met en évidence l’importance des phénomènes de diffusion… …   Encyclopédie Universelle

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”