Basar-Ökonomie

Basar-Ökonomie

Die Hypothese der Basarökonomie geht zurück auf Hans-Werner Sinn, der den Begriff für die deutsche Wirtschaft prägte. Sie sagt aus, dass der Anteil der inländischen Wertschöpfung an der Industrieproduktion immer weiter zurückgeht, und im Gegenzug der Anteil der aus dem Ausland bezogenen Vorleistungen zunimmt. Dies wird als Folge einer sich verringernden Fertigungstiefe im Inland interpretiert, d. h. immer größere Teile der Wertschöpfungskette werden ins Ausland verlagert. Die Hypothese hat insbesondere in der Diskussion um den Titel Exportweltmeister, den der deutsche Warenhandel derzeit für sich proklamiert, öffentliches Interesse erregt.

Inhaltsverzeichnis

Begründung und Kritik

Die Gründe dafür können sein, dass die Produktionsbedingungen im Ausland teilweise besser sind (z. B. niedrigere Lohnkosten). Immer mehr deutsche Unternehmen verlagern ihren arbeitsintensiven Anteil der Wertschöpfungskette ins Ausland, um dadurch den hohen deutschen Lohnkosten zu entkommen. Die Basarhypothese interpretiert diese Form der internationalen Arbeitsteilung als problematisch, weil der Verlust an Fertigungstiefe zu einem Rückgang der inländischen Beschäftigung führt. Verstärkt wird dies u. U. dadurch, dass (politische) Gegenmaßnahmen wegen einer fehlenden öffentlichen Wahrnehmung gar nicht oder zu spät eingeleitet werden – etwaige Exporterfolge der heimischen Volkswirtschaft täuschen über den abnehmenden Wertschöpfungsanteil im Inland hinweg.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie verweist etwa darauf, dass Außenhandelsdaten stark von Wechselkurs-Entwicklungen abhängig seien. Der BDI erklärt somit die aktuell zunehmenden Warenexporte mit einem in den letzten Jahren vergleichsweise schwachen Euro.

Sowohl die empirische Unterstützung der Hypothese als auch die Interpretation der tatsächlichen Arbeitsteilung als „Basar“-Ökonomie sowie die Bewertung der Standortqualitäten Deutschlands sind unter Ökonomen sehr umstritten. Gewerkschaftsnahe Ökonomen wie z. B. Peter Bofinger und Rudolf Hickel widersprechen der Basarhypothese.

Auch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und das Institut der deutschen Wirtschaft bestreiten die Hypothese der Basarökonomie, letzteres verweist jedoch in einer eigenen Studie auf einen bestehenden Basareffekt. Darin wird erklärt, dass zwar der Anteil der importierten Vorleistungen am Export in Deutschland gestiegen ist, was aber völlig normal sei in einer Welt der zunehmenden Arbeitsteilung. Außerdem sei der Beitrag der Exporte zur inländischen Bruttowertschöpfung nirgends so stark angestiegen wie in Deutschland, was auf einer starken Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie beruhe. In den vergangenen Jahren seien die Lohnkosten kaum noch gestiegen und die Standortbedingungen hätten sich relativ zu Ländern wie Frankreich, Großbritannien und Italien stark verbessert. Daher sei Deutschland keineswegs eine Basarökonomie, meint das Institut. Dennoch bleibt anzumerken, dass das IW Köln den Basareffekt nicht grundsätzlich anzweifelt, also die Wirkung der internationalen Arbeitsteilung auf die Fertigungstiefe der Industrie(n). Im Einklang zu Sinns Ausführungen attestiert das IW Köln eine Zunahme der Wachstumsrate der exportinduzierten Importe (Exportabhängige Vorleistungsimporte aus dem Ausland) in Deutschland, Schweden, den Niederlanden und Italien. Für Deutschland stufen das ifo-Institut wie auch das IW Köln diese Entwicklung im internationalen Vergleich als relativ hoch ein. Allerdings wird diese beschäftigungsbedrohliche Entwicklung bisher überkompensiert durch das Wachstum der exportinduzierten Wertschöpfung. Trotz der Ablehnung der Basarökonomie nach Sinn verweist das IW Köln im Endbericht auf ein Bestehen des Basareffektes und teilt die wirtschaftspolitischen Implikationen des ifo-Instituts: „Eine zentrale Ursache ist, dass durch das Sozialsystem ein faktischer Mindestlohn vorgegeben ist, der eine Lohnanpassung auf wettbewerbsfähiges Niveau verhindert. Die Lösung besteht darin, Marktlöhne zuzulassen und sie unterhalb eines bestimmten Niveaus mit staatlichen Transfers aufzustocken. Ein weiteres Problem sind die schlechten Rahmenbedingungen in Deutschland. Arbeit ist in Deutschland zu teuer. Das Resultat ist, dass zahlreiche deutsche Unternehmen sehr kapitalintensiv und mit einem hohen Anteil an ausländischen Vorleistungen arbeiten. Eine unmittelbare Konsequenz überhöhter Löhne ist nämlich die verstärkte Tendenz zum Outsourcing und Offshoring, der Verlagerung von Produktionsteilen zugunsten von Standorten in Niedriglohnländern.“ [1]

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung befasste sich ebenfalls mit der Frage der exportinduzierten Wertschöpfung und Beschäftigungseffekten durch exportinduzierte Vorleistungsimporte: „Die Entwicklung zwischen den Jahren 1991 und 2002 zeigt klar, dass pro aus Exporten erzieltem Euro ein immer geringerer Anteil auf Wertschöpfung in Deutschland selbst beruht. Anders gewendet hat der ausländische Wertschöpfungsanteil pro aus Exporten erzieltem Euro zugenommen und zwar von 26,7 vH auf 38,8 vH [...] Überspitzt wird dies als Tendenz zur Basarökonomie bezeichnet.“ [2] Trotz der Annahme einer gewissen Kompensation, der durch Verlagerung ins Ausland freigesetzten Arbeitskräfte, durch inländische Dienstleistungsbranchen, konstatiert der Rat: „Speziellere Befürchtungen richten sich allerdings insbesondere auf mögliche negative Folgen des Außenhandels für die Beschäftigungschancen gering qualifizierter Arbeitskräfte. Diese Länder weisen erhebliche Lohnkostenvorteile gegenüber Deutschland auf […] sodass eine Verlagerung arbeitsintensiver Produktionsprozesse in diese Länder nahe liegt. Hierauf deuten auch merkliche Veränderungen der regionalen und sektoralen Struktur der Importanteile mit diesen Ländern hin.“ [3] Der Sachverständigenrat erklärt zudem, dass nach seinen Berechnungen die Beschäftigung des verarbeitenden Gewerbes im Zeitraum 1991 bis 2000 in fast allen Branchen in zunehmendem Maße vom Export abhängt. Weiterhin stellt der Rat fest, dass in 12 Bereichen des verarbeitenden Gewerbes der Rückgang der exportinduzierten Beschäftigung darauf hindeutet, dass hier die negativen Beschäftigungseffekte der gestiegenen ausländischen Vorleistungsbezüge die potentiell möglichen positiven Beschäftigungseffekte der gestiegenen Exporte überkompensierte.[4]

Obwohl die gestiegene exportinduzierte inländische Bruttowertschöpfung (1991–2000) den Prozess der Freisetzung von Arbeitskräften teilweise kompensiert haben könnte, zeigt das Gutachten des Rates anhand der Berechnungen detailliert auf, dass zwischen 1991 und 1995 die exportabhängige Erwerbstätigkeit um 19% absank, wohingegen sie zwischen 1995 und 2000 wiederum um 8,9% anstieg. Gravierender ist jedoch die Entwicklung der Zahl aller Erwerbstätigen im verarbeitenden Gewerbe, welche um 19,9% (1991–1995) und weitere 5,6% (1995–2000) gefallen war. (Sachverständigenrat 2004, Ziffer 468, S.363f.) Saldiert beträgt die Abnahme der exportabhängigen Erwerbstätigen 592.000 Stellen (1991–2000), während sich die Erwerbstätigen im verarbeitenden Gewerbe insgesamt um 2.439.000 Stellen reduzierten. [5]

Das Statistisches Bundesamt hat sich ebenfalls mit der Basarthese auseinandergesetzt: „Auch wenn man davon ausgeht, dass sich der Importanteil der Exporte im Zeitraum 1995 bis 2002 dämpfend auf das BIP ausgewirkt hat, wurde dies überkompensiert von der positiven Wirkung der stark gestiegenen Exportnachfrage nach heimischen Produkten.“ Laut Bundesamt entwickelte sich der Anteil der Exporte aus inländischer Wertschöpfung von 1995 bis 2002 von 70,3% auf 61,2%. Der Anteil der für Exportgüter erbrachten Wertschöpfung an der Wirtschaftsleistung stieg von 1995 bis 2002 sogar von 16,2% auf 20,8%.

Auch das DIW äußerte sich ähnlich wie der SVR und das Statistische Bundesamt. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass der steigende Exportwert keineswegs ohne Problematisierung als Indikator für Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie dienen kann: „Ohne Zweifel ist die sinkende Bruttowertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe in Verbindung mit den steigenden […] Vorleistungsimporten zu sehen. […]Es ist auch nicht überraschend, dass sich diese Tendenz angesichts der verstärkenden Liberalisierung des innereuropäischen Handels beschleunigt.“ [6]

Das Handelsblatt, eine der größten deutschen Wirtschaftszeitungen, betitelt am 17. Oktober 2005 einen Artikel folgendermaßen: „Sinns Märchen vom Basar. In seinem neuen Buch propagiert der Ifo-Chef eine längst widerlegte These“ (Titel/Untertitel). Im Text: „Tatsächlich ist die Basar-These längst widerlegt. Vom Sachverständigenrat, vom Statistischen Bundesamt, von Investmentbanken. Die Ablehnungsfront reicht vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie bis zum arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft.“

Internationaler Vergleich

USA, Japan und Deutschland

Exporte und Exportüberschüsse im Verhältnis zum BIP

In der Abbildung sind für die Triadenländer, also die drei größten Volkswirtschaften der Welt, die Exporte im Verhältnis zum jeweiligen BIP dargestellt, außerdem der Nettoexport im Verhältnis zum BIP. Steigende Exportquoten deuten auf eine zunehmende Handelsverflechtung der Welt (Globalisierung).

Demnach ist Deutschland führend was das Verhältnis zwischen Exporten an Waren und Dienstleistungen zum BIP anbetrifft, auch erzielt die BRD einen beachtlichen Exportüberschuss (Exporte minus Importe). Da aber definitorisch der Saldo von Exporten und Importen größengleich, jedoch mit entgegengesetztem Vorzeichen dem Kapitalfluss sein muss, reflektiert dieser dauerhafte Exportüberschuss gleichzeitig auch den dauerhaften Kapitalabfluss aus Deutschland. Sinn interpretiert diese Bilanzgleichung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung so, als ob dies die Inlandsinvestitionen und damit die Nachfrage nach Arbeit im Inland schwäche.

Die USA dagegen sind seit Jahren im Außenhandel (Waren und Dienstleistungen zusammengenommen) im Minus. Entsprechend erzielt die USA einen erheblichen Kapitalzufluss. Insofern liegt hier der Gegenpol zur deutschen Situation vor.

Die Importquote (Importe im Verhältnis zum BIP) ergibt sich in der Abbildung als Differenz zwischen Export- und Nettoexportquote.

Basarökonomie USA

Der US-Wirtschaftswissenschaftler Lester Thurow verwendet für die USA den Begriff Basarökonomie nicht, beschreibt aber genau diesen Sachverhalt. Es geht um die Frage, wie das hohe Außenhandelsdefizit der USA abgebaut werden könnte. Eine Möglichkeit wäre, die Exporte der USA zu steigern. Thurow stellt aber fest, dass gerade in den USA ein großer Teil der Exporte wiederum aus Importen besteht, so dass die Wirkung auf den Außenbeitrag eher schwach ausfallen dürfte. Entsprechend ungünstig schätzt Thurow die Möglichkeiten ein, das Außenhandelsdefizit der USA ohne große Verwerfungen der Weltwirtschaft abzubauen.

Basarökonomie China

China hat gegenüber den USA einen großen Außenhandelsüberschuss, gegenüber Japan, Südkorea und Taiwan aber ein hohes Außenhandelsdefizit. Die beiden letzteren Volkswirtschaften wiederum beziehen viele Vorprodukte aus Japan. China mit seinen billigen Arbeitskräften wird zur Weiterverarbeitung von Vorprodukten genutzt, die ursprünglich aus Japan kommen, in den Billiglohnländern Südkorea und Taiwan eine erste Weiterverarbeitung erfahren, im Billiglohnland China selbst dann vollends fertig gestellt werden, und dann in die USA oder in die EU geliefert werden.

Literatur

  • Hans-Werner Sinn (2005): Die Basar-Ökonomie. Econ Verlag. ISBN 343018536X
  • Lester Thurow (2004): Die Zukunft der Weltwirtschaft. Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Campus-Verlag Frankfurt, New York. ISBN 3-593-37401-3

Weblinks

Belege

  1. (IW Köln 2005, Endbericht)
  2. Sachverständigenrat 2004, S. 359: Die Entwicklung der Exporte: Weltmeister oder Basar? Auszug aus dem Jahresgutachten 2004/2005, Ziffern 460 bis 468 und Anhang
  3. (Sachverständigenrat 2004, Ziffer 468, S. 360 f.)
  4. (Sachverständigenrat 2004, Ziffer 468, S. 363 f.)
  5. (Sachverständigenrat 2004, S. 360 f.)
  6. (DIW Wochenbericht 40/2004)

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