Urethralerotik

Urethralerotik
Klassifikation nach ICD-10
F65.9 Nicht näher bezeichnete Störungen der Sexualpräferenz
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Urophilie ist eine sexuelle Vorliebe für Urin. Urophile empfinden Urin oder das Urinieren als erotisch und sexuell stimulierend. Auch Urophagie, der Lustgewinn durch orale Aufnahme von Urin, kann damit verbunden sein. Eine weitere Verbindung kann mit Koprophilie oder Koprophagie bestehen, die sich auf den Umgang beziehungsweise die Aufnahme von Fäzes beziehen.

Nach der medizinisch-psychologischen Definition kann die Urophilie als Störung der Sexualpräferenz (Paraphilie) in der "Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" (ICD) unter der Schlüsselnummer F65.9, den Nicht näher bezeichneten Störungen der Sexualpräferenz eingruppiert werden.[1][2] Im Rahmen der sexualmedizinischen Diagnostik oder der Psychoanalyse werden solche Störungen aber erst dann als behandlungsbedürftig verstanden, wenn der Fetisch als vollständiger Ersatz für die partnerschaftliche Sexualität dient, die sexuelle Befriedigung ohne Verwendung des Fetisch erschwert ist oder unmöglich erscheint und bei dem Betroffenen dadurch ein entsprechender Leidensdruck entsteht.

Umgangssprachlich wird oft auch die nicht-pathologische Vorliebe, Urin in sexuelle Spiele einzubauen, als Urophilie bezeichnet. In der entsprechenden Szene sind auch die Bezeichnungen „Natursekt“[3], „Watersports“, „Pissing“, „Golden Shower“, „Golden-Waterfalls“ und „Wet-Games“ verbreitet.[4]

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung

Entsprechende Praktiken werden sowohl von Männern als auch von Frauen ausgeübt. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Praktik ist, wie bei anderen die Körperausscheidungen betreffende Praktiken, eher gering. Entsprechend wenige Menschen outen sich als urophil, verlässliche wissenschaftliche Quellen zur statistischen Verteilung fehlen daher.[5]

Risiken

Aus medizinischer Sicht ist der Umgang mit frischem Urin von gesunden Menschen problemlos. Die geringe Bakterienkonzentration im Urin rührt von in der Harnröhre lebenden Bakterien her, diese Bakterien sind für gesunde Menschen in der Regel harmlos und nicht pathogen. Von Kontakt zu gelagertem Urin sollte wegen der rasch einsetzenden Verkeimung der Flüssigkeit dringend abgesehen werden.

Es ist möglich, sich durch die Aufnahme von fremdem Urin eines kranken Menschen mit Krankheiten anzustecken. Ein besonderes Risiko bildet die Infektion mit Hepatitis A; dieses Virus wird bei der Aufnahme fremden Urins in höherer Konzentration übertragen. Sexuelle Praktiken mit Urin sind laut der Deutschen AIDS-Hilfe „unbedenklich, was HIV angeht (solange kein Blut im Spiel ist)“.[6] Das AIDS-auslösende HI-Virus (HIV) „wurde zwar auch in Urin, Kot, Speichel, Schweiß und Tränenflüssigkeit nachgewiesen, jedoch nur in sehr geringer Menge, die für eine Ansteckung nicht ausreicht.“[7] Bei einer Blasenentzündung (Zystitis) besteht bei dieser Praktik akute Infektionsgefahr. Urin von kranken Menschen und solchen, die regelmäßig Medikamente einnehmen, sollte generell nicht konsumiert werden. Ein Gespräch mit einem Allgemeinarzt oder auch einem spezialisierten Urologen kann abklären, ob der Konsum des Urins eines Menschen, der bestimmte Krankheiten hat oder Medikamente nimmt, unbedenklich ist.

Hanky Code

Unter Homosexuellen steht im „Hanky code“, einer Möglichkeit seine sexuellen Vorlieben wortlos auszudrücken, ein gelbes Taschentuch für Urophilie. Die Hosentasche, in der es getragen wird, gibt Aufschluss über die näheren Vorlieben hinsichtlich dieser Praktik, wobei die rechte Gesäßtasche für den aktiven Urophilen steht („Urin spenden“), analog die linke Gesäßtasche für den passiven Partner („Urin empfangen“).[8]

Urophilie und BDSM

Urophilie und Urophagie per se sind keine BDSM-Praktiken. Urin hat aber im Kontext des BDSM - sofern es als Praktik zum Einsatz kommt - eine mehrschichtige Bedeutung. Der Sexualwissenschaftler Denson unterscheidet beispielsweise als Untergruppen der Urophilie auch den Urosadismus und den Uromasochismus. Allen Bedeutungen ist die Demonstration der Überlegenheit und/oder Kontrolle des dominanten Partners (Top) gegenüber dem kontrollierten Partner (Bottom) gemein. Dies reicht vom gegenseitigen expliziten Einverständnis ("consensual") bis hin zum Erzwingen der Umsetzung als Sexualpraktik durch den dominanten Partner.[9] Darüber hinaus bestehen verschiedene Zielsetzungen der Umsetzung von Sexualpraktiken mittels Urin:

  • Demütigung - die offensichtliche Demonstration der Unterlegenheit oder Hilflosigkeit des kontrollierten Partners.
  • Bestrafung - im klassischen Sinne einer Strafe.
  • Objektifizierung - der kontrollierte Partner wird auf die Funktion eines Gegenstandes (hier: das Urinal) reduziert. Im Sinne der Objektifizierung ist dies keine Demütigung, da Objekte keine Gefühle haben.
  • Belohnung - im Sinne einer klassischen Belohnung, entweder weil der kontrollierte Partner dies als luststeigernde Praktik wahrnimmt oder weil der kontrollierte Partner die Möglichkeit erhält, etwas Persönliches (hier: den Urin) vom kontrollierenden Partner zu erhalten.
  • Kontrolle - die beim kontrollierten Partner herbeigeführte Harnverhaltung bzw. Kontrolle der Exkretion durch den kontrollierenden Partner.

Kunst

Urophilie

In der Kunst tritt die Beschreibung und Darstellung von urinierenden Personen über die Jahrhunderte und verschiedenen Stile hinweg auf. Rembrandt schuf beispielsweise die Zeichnung einer urinierenden Bauersfrau[10] und auch Picasso verwendet entsprechende Motive in einigen seiner Bilder[11]. Die Figurinen Männeken Pis und Janneken Pis sind plastische Darstellungen dieses Genres. In der erotischen Fotografie war dieses Sujet von Anfang an mit vertreten. Aktuelle Fotobände gibt es von Claude Fauville, Amanda James und Paul Compton.

In der erotisch-belletristischen und pornographischen Literatur wird der Akt des Urinierens dargestellt, unter anderem beschreibt Marquis de Sade in dem Werk Die 120 Tage von Sodom die Urophilie, als demütigendes Element für Opfer erscheint das Urinieren auch in anderen Zusammenhängen. Ein Beispiel hierfür ist eine gewalttätige Szene aus dem Buch Die Jury von John Grisham, in der die Täter nach der Tat auf ihr Opfer urinieren.

Literatur

Belletristik

  • Donatien Alphonse François, Marquis de Sade, Die 120 Tage von Sodom, online unter 120 Days Of Sodom online text (Englische Übersetzung)
  • Nancy Friday, Die Macht der Schönheit. Von der Wiederentdeckung weiblicher Stärke., Goldmann, 1999, ISBN 3442127890
  • Jean de Berg: Das Bild. Geschichte einer Obsession., Rowohlt Tb, 2001, ISBN 3499229846
  • Jeanne de Berg: Die Frau, Belleville, 2004, ISBN 3923646380
  • Lost Angel: Lost Angels feuchte Geschichten, Videel, 2001, ISBN 3899061861
  • Walter: Viktorianische Ausschweifungen, Eichborn, 1997, ISBN 3821844698

Bildbände

  • Claude Fauville, Pisseuses, ISBN 3980501760
  • Paul Compton Feminine Anarchy - Girls Pissing in Public, ISBN 3934020178

Sachbuch

  • Brenda Love: The Encyclopedia of Unusual Sex Practices. Barricade Books, 1994, ISBN 1569800111, S. 46f., 66f.. 

Einzelnachweise

  1. Originaltext des ICD-10-GM 2007 F65.9
  2. H. J. Freyberger, W. Schneider, R. D. Stieglitz: Kompendium Psychiatrie, Psychotherapie, psychosomatische Medizin: 11., vollstandig erneuerte und erweiterte Auflage, orientiert an der ICD-10. 11. Auflage. Karger Publishers, 2002, ISBN 3805572727, S. 178 (Einordnung in den ICD-10). 
  3. Volkmar Sigusch: Praktische Sexualmedizin. Deutscher Ärzteverlag, 2005, ISBN 3769105036, S. 13, siehe Tabelle. 
  4. Simon Gage, Lisa Richards, Howard Wilmot, Boy George: Queer. Thunder's Mouth Press, 2002, ISBN 1560253770, S. 75, Verschiedene Szenebegriffe. 
  5. Richard W. Roukema: What Every Patient, Family, Friend, and Caregiver Needs to Know About Psychiatry. American Psychiatric Pub, Inc., 2003, ISBN 1585621102, S. 133. 
  6. Deutsche AIDS-Hilfe e.V.: Safer Sex
  7. Deutsche AIDS-Hilfe e.V.: HIV/Aids: Heutiger Wissensstand, 30. Aufl., 2006
  8. Felice Newman: The Whole Lesbian Sex Book. Cleis Press Inc., 2004, ISBN 1573441996, S. 258, siehe Tabelle. 
  9. D. Richard Laws, William T. O'Donohue: Sexual Deviance: Theory, Assessment, and Treatment. Guilford Press, 1997, ISBN 1572302410, S. 427-428. 
  10. "La femme qui pisse" (1632)
  11. z.B.: "La pisseuse" (1965)

Weblinks

  • Pissspiele. In: Der Papiertiger. Datenschlag. Abgerufen am 23. August 2008. (de)
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