Urindogermanisch

Urindogermanisch
Mögliche Verbreitung um 3500 v. Chr. mit Abspaltung der anatolischen Sprachen (nach der Kurgan-Hypothese)
Jamna-Kultur: eine Kurgankultur, mögliche Sprecher der indogermanischen Ursprache
Cucuteni-Kultur: eine bandkeramische Kultur
Vinča: Fundort bei Belgrad
Maikop: Stadt in Russland

Die indogermanische Ursprache (Protoindoeuropäisch, PIE; auch Indoeuropäisch oder Urindogermanisch oder indogermanische Grundsprache), ist die gemeinsame Vorläuferin der indogermanischen Sprachen, wie sie vor vielleicht 5000 Jahren vermutlich in der Nähe des Schwarzen Meeres gesprochen wurde. Es ist eine der großen Leistungen der Sprachwissenschaftler seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, aus der Betrachtung der Gemeinsamkeiten und der systematischen Unterschiede der indogermanischen Sprachen untereinander eine plausible Beschreibung der Gestalt dieser Ursprache extrapoliert zu haben.

Der Erwerb der Sprachfähigkeit durch die Menschheit lag zur Zeit der indogermanischen Ursprache viele Jahrtausende zurück; die Benennung der rekonstruierten Sprache als „indogermanische Ursprache“ impliziert daher keinesfalls, dass die Sprache in irgendeiner Hinsicht „archaisch“ oder „primitiv“ gewesen sei. Ebenso wenig handelt es sich bei ihrer Rekonstruktion um den Versuch, die sogenannte „Welt-Ursprache“ zu finden.

Inhaltsverzeichnis

Datierung und Verortung

Aufgrund des gemeinsamen Vokabulars der Folgesprachen, wozu z. B. das Wort für „Rad“ gehört, gehen die meisten Forscher von einer Trennung der Sprache nicht vor 3400 v. Chr. aus. In dieser Zeit vermuten Archäologen die erste Benutzung von Rädern im Sprachgebiet. Der Grad der Verschiedenheit der in Sprachdenkmälern ab dem zweiten Jahrtausend v. Chr. nachgewiesenen Folgesprachen lässt den Trennungszeitpunkt nach etwa 3000 v. Chr. nicht plausibel erscheinen.[1] Die räumlichen und zeitlichen Einordnungen dieser Sprache haben als spekulativ zu gelten. Die in der Karte abgebildete Darstellung gilt in der Fachwelt als gut möglich[2] – es wurden und werden aber auch viele andere Gebiete vorgeschlagen. Mehr über die Frage der Urheimat findet man in den Artikeln Indogermanen und Proto-Indoeuropäer.

Gemeinsamkeiten der Folgesprachen

Da die Ursprache nicht direkt überliefert ist, wurden alle Laute und Wörter durch die Komparativmethode erschlossen. Viele Wörter in den heutigen indogermanischen Sprachen stammen durch regelmäßigen Lautwandel von diesen Urwörtern ab. In früheren Formen dieser Spachen ist das natürlich noch wesentlich deutlicher. Auch die grammatischen Strukturen der Sprachen zeigen große Übereinstimmungen (vor allem bei den älteren Sprachstufen). Nachdem in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts Forscher wie Franz Bopp und Jacob Grimm diese Gemeinsamkeiten detailliert darlegten, versuchte August Schleicher 1861 die Rekonstruktion der angenommenen gemeinsamen Wurzel. Seither und bis heute wird diese Rekonstruktion aufgrund neuer Entdeckungen und Analysen fortlaufend revidiert.

August Schleicher folgend markiert man rekonstruierte Formen mit einem Sternchen: *wódr̥ (Wasser), *k̑wō (Hund), *tréyes (drei). Zur ersten Illustration der Gemeinsamkeiten soll die folgende Tabelle dienen, die die Zahlen von 1 bis 10 sowie 20 und 100 in verschiedenen Folgesprachen und in der indogermanischen Rekonstruktion zeigt.[3] (Die Schreibweise der rekonstruierten Wörter wird weiter unten erklärt.)

  Griechisch Vedisch Kurdisch Latein Walisisch Gotisch Litauisch Serbisch Indogermanisch
1 heīs (< *hens < *sems) eka yak ūnus (vgl.a. semel) un ains vienas jedan *oyno-, oyko-, sem-
2 duō dvā du dúō dau twai du dva *duwóh₁
3 treīs trayas Se trēs tri þreis trys tri *tréyes
4 téttares catvāras cwar quattuor pedwar fidwor keturi četiri *kʷetwóres
5 pénte pañca penc quinque pump fimf penki pet *pénkʷe
6 héks ṣāt seṣ sex chwech saihs šeši šest *swék̑s
7 heptá sapta havt septem saith sibun septyni sedam *septḿ̥
8 oktō aṣṭā haṣt octo wyth ahtau aštuoni osam *ok̑tō
9 ennéa nava no novem naw niun devyni devet *néwn
10 déka daśa da decem deg taihun dešimt deset *dék̑m̥
20 wikati (dorisch) vimśati bist / vist viginti ugeint (Mittelwalisisch)   dvidešimt dvadeset *wīk̑mtī
100 hekatón śatam sat centum cant hund šimtas sto *k̑m̥tóm
Vermutliche Verteilung der Sprachgruppen um 1500 v. Chr
Die Oasenkultur wird von vielen als Träger des Ur-Indoiranischen vermutet
Urnenf.: Urnenfelderkultur

Nicht nur Wortgleichungen, sondern auch grammatische Strukturen zeigen in den indogermanischen Sprachen derartig große Gemeinsamkeiten, dass man von einem gemeinsamen Ursprung dieser Sprachen ausgehen kann. Das Gegenmodell eines Sprachbundes, also einer Gruppe ursprünglich voneinander unabhängiger Sprachen, die sich durch gegenseitige Beeinflussung einander angenähert hätten, wird angesichts der Art der beobachteten Phänomene ausgeschlossen.[4]

Gleichwohl wäre es verfehlt, sich das Urindogermanische als eine einzelne, genau so von einer Gruppe von Menschen gesprochene Sprache vorzustellen. Zum einen ist von Sprachelementen auszugehen, die in keiner der Folgesprachen Spuren hinterlassen haben und daher nicht rekonstruiert werden können. Außerdem ist zu beachten, dass die Rekonstruktion ein räumlich ausgedehntes Dialektkontinuum und einen Zeitraum von vielen Jahrhunderten umfasst.

Die Sprachgruppen und ihre ältesten Überlieferungen

Aus dem Kontinuum der indogermanischen Ursprache gliederten sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten einzelne Dialektfamilien aus. Die sprachliche Isolierung lässt sich an Eigenheiten im Lexikon und der Morphologie sowie an spezifischen Lautgesetzen ablesen. Die Rekonstruktion des Urindogermanischen beruht auf Sprachdenkmälern der verschiedenen indogermanischen Sprachgruppen. Naturgemäß sind besonders frühe Sprachdenkmäler von besonderem Interesse.

Die Tabelle gibt einen Überblick über die Sprachgruppen aus der Sicht der Beschäftigung mit der Ursprache. Mehr über die Sprachgruppen selbst und ihre Weiterentwicklung findet man in den Einzelartikeln sowie im Hauptartikel Indogermanische Sprachen.

Sprachgruppe Älteste Überlieferungen Spätere wichtige Überlieferungen Frühes Verbreitungsgebiet Für die Rekonstruktion wichtige Aspekte
Anatolische Sprachen althethitische Keilschrifttafeln aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. Asiatischer Teil der heutigen Türkei
  • Teilweise direkt erhaltene Laryngallaute.
  • Auffällige grammatikalische Abweichungen von anderen Sprachen, die von manchen als erhaltene archaische Strukturen, von anderen als Innovationen gesehen werden.
Griechische Sprache Linear-B-Tontafeln aus dem 2. Jahrtausend v. Chr., die das mykenische Griechisch in kurzen listenartigen Verwaltungstexten dokumentieren. Griechenland, westliches Kleinasien, Süditalien, Mittelmeerraum
  • Tempus-Modus-Aspektsystem des Verbs
  • Drei verschiedene vokalische Reflexe der Laryngale
  • Ablaut.
Indoarische Sprachen Der Rigveda ist in Indien vermutlich im späteren 2. Jahrtausend v. Chr. entstanden. Rein mündliche Überlieferung der vedischen Texte bis ins zweite nachchristliche Jahrtausend hinein, aber gute Erhaltung des Sprachstandes wegen hoher religiöser Priorität der unverfälschten Bewahrung des Wortlautes.
  • Sanskrit ist aus einem dem Vedischen verwandten altindischen Dialekt entstanden.
  • Von Panini im 5. oder 4. Jahrhundert v. Chr. grammatisch fixiert, aber noch nicht aufgeschrieben.
  • Älteste schriftliche Überlieferungen: mittelindische Inschriften des Ashoka (3. Jahrhundert v. Chr.)
  • Sanskrit ist in der von Panini festgelegten Form seitdem bis heute Bildungs- und Literatursprache.
Nordindien
  • Vor Schleichers erster Rekonstruktion wurde Sanskrit in der Forschung als Näherungsmodell der Ursprache verwendet.
  • Stimmhafte aspirierte Plosive,
  • Substantivflexion,
  • Akzent- und Ablautklassen,
  • Wortwurzeln.
Iranische Sprachen Das Avestische, die Sprache der religiösen Texte des Zarathustra wird mit diesen in das 10. Jahrhundert v. Chr. datiert. Diese Texte wurden mündlich überliefert und erst Mitte des ersten nachchristlichen Jahrtausends schriftlich festgehalten.
  • Altpersisch wurde unter Darius I. Mitte des 5. Jahrhundert v. Chr. und seinen Nachfolgern in einem eigens dafür entwickelten (aber dennoch zur Wiedergabe der Sprache wenig geeigneten) Schriftsystem, der altpersischen Keilschrift, in einigen wenigen Inschriften festgehalten.
Gebiet des heutigen Iran, Afghanistans, Tadschikistans und Kurdistans
  • Kleineres Textkorpus, daher geringere Bedeutung für die Rekonstruktion als beim verwandten Vedischen.
  • Avestische Befunde als Bestätigung und Korrektiv der vedischen.
Italische Sprachen Italische Sprachen: Älteste italische Sprachdenkmäler aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. In Oskisch, Umbrisch, Faliskisch usw. Großer Teil des Gebietes des heutigen Italien.
  • Das große Korpus liefert viel Material für die Wortwurzeln und die Morphologie.
  • Ausgedehnte Innovation in der Syntax erlaubt nur eher indirekte Rückschlüsse.
Keltische Sprachen Kurze Texte sind aus der Zeit seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. überliefert. Irisch- und walisisch-sprachige Literatur des Mittelalters, z.B. Ulster-Zyklus, Mabinogion Ganz Europa, vom iberischen Raum bis Kleinasien, von den Britischen Inseln bis Norditalien, siehe Liste der keltischen Stämme.
  • Die Entdeckung und der Nachweis, dass Keltisch überhaupt zu den indogermanischen Sprachen zählt, ist ein früher Triumph der Indogermanistik.
Germanische Sprachen Nach Namen und kurzen Runentexten ab dem 1. Jahrhundert v. Chr. ist Wulfilas Bibelübersetzung ins Gotische das älteste größere germanische Dokument. Eine Anzahl sehr alter germanischer Wörter hat sich in finnischen Lehnwörtern gehalten. Althochdeutsche, altenglische, altnordische, altsächsische Texte aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends n. Chr. Durch die Völkerwanderung in ganz Europa und Nordafrika. Gotische Sprachreste wurden im 16. Jahrhundert auf der Krim aufgezeichnet.
  • Die germanischen Sprachen waren traditionell ein von den Indogermanisten stark untersuchtes Forschungsgebiet.
  • Das Vernersche Gesetz erlaubt indirekte Schlüsse auf den indogermanischen Wortakzent.
Armenische Sprache Die ältesten Überlieferungen beginnen mit der Schaffung der armenischen Schrift im Jahr 406   Armenien
  • Gemeinsamkeiten mit dem Griechischen, dem Indoiranischen und dem Phrygischen, insbesondere das Augment.
Tocharische Sprachen In den beiden tocharischen Sprachen sind vor allem buddhistische Texte in einer Form der Brahmi-Schrift vom 6. Jahrhundert bis zum 8. Jahrhundert überliefert.   Im heutigen uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang im äußersten Nordwesten Chinas
  • Revision der Lehre von der Kentum-Satem-Isoglosse.
Slawische und baltische Sprachen Die älteste überlieferte slawische Sprache ist das Altkirchenslawische aus der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts. Die baltischen Sprachen sind erst ab dem 14. Jahrhundert überliefert. Die balto-slawische Hypothese, der zufolge die slawischen und baltischen Sprachen einen gemeinsamen postindogermanischen Ursprung haben, ist weitgehend akzeptiert aber von einigen Forschern bestritten.    
  • Besonders konservative Morphologie
Albanische Sprache Die ältesten überlieferten albanischen Texte stammen aus dem 15. Jahrhundert. Zusammenhänge mit der illyrischen Sprache werden von manchen vermutet, von anderen bestritten.   Das heutige Albanien und Umgebung.
  • Bis auf etwa 200 Wörter wurde das gesamte Vokabular aus anderen Sprachen entlehnt.[5]
Oskische Inschrift, 5. Jhd. v.u.Z. Bruties esum; Ich gehöre Brutus(?)

Daneben gibt es noch einige alte, nur in geringem Umfang überlieferte Einzelsprachen, die sich (meist mangels Material) keiner der bekannten Gruppen zuordnen lassen, zum Beispiel die in der Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. gesprochene, in Inschriften in griechischer Schrift überlieferte phrygische Sprache, dann auch Thrakisch, Makedonisch, Illyrisch, Venetisch, Lusitanisch.

Typologie

Indogermanisch war eine flektierende Sprache. Vieles deutet darauf hin, dass sich die Flexion erst im Laufe der Zeit in der Sprache entwickelt hat. In den Folgesprachen wurde die Flexion unterschiedlich stark wieder abgebaut – nur wenig in den baltoslawischen Sprachen, am stärksten im Englischen und im Afrikaans, die bis auf Flexionsreste stark in die Nähe der isolierenden Sprachen gerückt sind

Nach W. Lehmann war der Wortstellungstyp SOV (d. h. das Prädikat stand in Aussagesätzen am Ende des Satzes) mit den typischerweise damit verbundenen Eigenschaften (Postpositionen, vorangestellte Attribute und Relativsätze usw.) In den Folgesprachen haben sich andere Typen entwickelt: VSO im Keltischen, SVO im Romanischen.

Im Sinne der sogenannten relationalen Typologie war Indogermanisch (wie die meisten heute gesprochenen Sprachen) eine Akkusativsprache. Lehmann nimmt an, dass eine frühere Sprachstufe den Charakter einer Aktivsprache hatte. Viele der modernen indoarischen Sprachen (z. B. Hindi) haben den Typus der Split-Ergativität angenommen.

Phonologie und Phonetik

Man rekonstruiert für die indogermanische Ursprache die im Folgenden dargestellten Phoneme.[6] Zurückgehend auf Karl Brugmann verwendet man Varianten eines Systems aus lateinischen Buchstaben mit einigen Hoch- und Tiefstellungen sowie diakritischen Zeichen zur schriftlichen Darstellung.

Konsonanten

  labial koronal palatovelar velar labiovelar laryngal
Stimmlose Plosive p t k  
Stimmhafte Plosive b d g  
Aspirierte Plosive g̑ʰ gʷʰ  
Nasale m n        
Frikative   s       h₁, h₂, h₃
Approximanten w r, l y      

Nasale, Frikative und Approximanten werden als Resonanten bezeichnet.

y wurde (vermutlich) als [j] wie in deutsch ja, w als [w] in englisch water ausgesprochen, auch in Diphthongen ey, aw ([e͡j], [a͡w] engl. paper, dt. Pause). Palatovelare: k̑ wie [] (brit. engl. cube). Labiovelare: kʷ als [] (mit gerundeten Lippen ausgesprochenes k). Aspirierte: Die stimmhaften aspirierten Plosive des Indogermanischen kommen in den modernen europäischen Sprachen nicht vor; in indischen Sprachen (z.B. Hindi) sind sie noch erhalten.

Die Bezeichnung „laryngal“ für die mit h₁, h₂, h₃ bezeichneten Laute wurde historisch ohne eine Basis in der Rekonstruktion gewählt. Es handelt sich um drei unbekannte Laute (manche Forscher schlagen auch andere Anzahlen vor). Es gibt verschiedene Vermutungen über mögliche Aussprachen dieser Laute (siehe z.B. bei Lehmann oder Maier-Brügger). Die Laryngaltheorie wurde von Ferdinand de Saussure 1878 in die Indogermanistik eingeführt, benötigte aber etwa 100 Jahre, bis sie generell akzeptiert wurde.

Das s war stimmlos ([s]), hatte aber vor stimmhaften Lauten ein stimmhaftes Allophon, z. B. *nisdos Nest, phonetisch *nizdos.

Die sogenannte Glottaltheorie revidiert dieses klassische Rekonstruktionssystem in Hinblick auf die Verschlusslaute in großem Ausmaß. Diese Revision bezieht sich wesentlich auf die Phonetik, also die vermutete Aussprache der Laute; das phonologische System (die Bezüge der Laute zueinander) als Ganzes wird von ihr kaum verändert.[7] Anlass für die Glottaltheorie lieferten das seltene Auftreten des Phonems /b/ sowie die ungewöhnliche Konstellation aspirierter stimmhafter Plosive bei Abwesenheit aspirierter stimmloser Plosive. Diese Theorie wird heute noch diskutiert, ist aber nicht die Mehrheitsmeinung der Experten.

Die rekonstruierten Formen werden meist phonologisch dargestellt. Die teilweise unaussprechlich erscheinenden Konsonantenhäufungen lassen vermuten, dass die Phonetik der Sprache Sprossvokale (z. B. das sogenannte Schwa secundum), Assimilationen und ähnliche Phänomene beinhaltete.

Auftreten der Konsonanten

  labial koronal palatovelar velar labiovelar laryngal
Stimmlose Plosive *ped-, *pod- (Fuß) *ters- (trocknen, vgl. dürr) *erd (Herz) *lewk (leuchten) *i-, *o- (wer?, was?)  
Stimmhafte Plosive *bel- (Kraft, debil = „geistig kraftlos“) *dek̑m̥ (zehn) *onu, *enu (Knie) *gras- (fressen, vgl. Kresse [ursprünglich "Futter"]) *ne-, *no- (nackt)  
Aspirierte Plosive *er- (tragen, vgl. Bahre) *meyo- (mittel) *h₂eng̑ʰ- (einengen) *ladʰ- (glatt) *gʷʰermo- (warm)  
Nasale *men (denken, vgl. meinen) *nas- (Nase)        
Frikative   *sed- (sitzen)       *h₂weh₁ (wehen), *deh₃ (geben, lat. dare),
Approximanten *newo- (neu) *pro (vorwärts), *lewk- (leuchten) *h₂eyes- (Metall, vgl. Erz)      

Entwicklung der Konsonanten in einigen Folgesprachen

Die Situation um 500 n. Chr

In fast allen Folgesprachen sind die drei Velargruppen zu zweien zusammengefallen. Dabei heißen die Sprachen, bei denen die Palatovelare sich mit den einfachen Velaren mischten, Kentumsprachen (nach der Aussprache des lateinischen Wortes für hundert), und diejenigen, bei denen die Labiovelare sich mit den einfachen Velaren mischten, Satemsprachen (nach dem avestischen Wort für hundert). Vor der Entdeckung der tocharischen Sprachen sah man hier die Nachwirkung zweier indogermanischer Dialektgruppen, Kentum im Westen (Italisch, Keltisch, Germanisch, Griechisch) und Satem im Osten (Baltisch, Slawisch, Indoiranisch, Armenisch). Da die weit östlich lokalisierten tocharischen Sprachen aber Kentumsprachen sind, geht man heute von unabhängigen Entwicklungen in den einzelnen Sprachgruppen aus. Die Terminologie Kentum bzw. Satem wird gelegentlich (ohne die sprachhistorischen Implikationen) auch heute noch verwendet.

In den Kentumsprachen haben sich die Labiovelare oft zu Labialen weiterentwickelt (z. B. im Keltischen und teilweise im Griechischen.) In den Satemsprachen wiederum entwickelte sich aus dem Palatovelar oft ein Frikativ (slawische Sprachen, Sanskrit).

Die stimmlosen Plosive blieben in den Folgesprachen ansonsten weitgehend unverändert, außer im Germanischen und Armenischen, wo Lautverschiebungen hin zu Frikativen und Aspiraten stattfanden. Auch die stimmhaften Plosive erfuhren nur im Germanischen und im Tocharischen Änderungen (sie wurden stimmlos).

Die stimmhaften aspirierten Plosive blieben nur in den indoarischen Sprachen erhalten (meist bis in die Gegenwart) und verloren in den anderen Sprachen meist ihre Aspiration oder ihre Stimmhaftigkeit (so im Griechischen).

Laryngale blieben nur im Hethitischen direkt erhalten (dort findet man ein und ein ḫḫ). In den anderen Sprachen finden sich aber Reflexe in benachbarten Vokalen; am deutlichsten im Griechischen, wo /h₁/ ein e, /h₂/ ein a, und /h₃/ ein o bewirkt hat.

Vokale, Diphthonge syllabische Resonanten und Laryngale

Ferdinand de Saussure erschloss 1878 die Laryngale

Die fünf Vokale /a/, /e/, /i/, /o/, /u/ kamen im Indogermanischen in kurzer und in langer Form vor. (Das lange /ī/ und das lange /ū/ werden von manchen nicht anerkannt, sondern auf Kombinationen der entsprechenden Kurzvokale mit Laryngalen zurückgeführt.) Die Vokale /e/ und /o/ in kurzer und langer Form nehmen hier den weitaus größten Raum ein. Auch die Resonanten /m/, /n/, /r/, /l/, und die Laryngale kamen in vokalischer Verwendung vor. Die entsprechenden Resonanten werden dann oft mit einem kleinen Kreis unter dem Vokal markiert. Beziehungen zwischen Kurz- und Langvokalen, konsonantischen und syllabischen Resonanten und Laryngalen ergeben sich morphophonologisch aus Ablautphänomenen.

Die Diphthonge waren /ey/, /oy/, /ay/, /ew/, /ow/, /aw/, und seltener mit Langvokal /ēy/, /ōy/, /āy/, /ēw/, /ōw/, /āw/. Statt der vielleicht etwas verwirrenden Schreibweise mit den Halbvokalen y und w werden auch die Vollvokalsymbole i und u in der Diphthongbezeichnung verwendet (ei, oi, ai, eu, ou, au); allerdings entstehen so gelegentlich Verwechslungsmöglichkeiten mit Kombinationen zweier Vollvokale. Die hier gewählte Halbvokalschreibweise macht deutlich, dass der Schwerpunkt der Diphthonge immer auf dem ersten Bestandteil lag.

Beispiele

*g̑ʰ̑áns (Gans), *māter (Mutter, es wird aber auch *meh2ter rekonstruiert) *néeleh₂ (Wolke, Nebel), *ph₂tr (Vater), *nisdó (Nest), *vīs- (Gift, lat. virus), *gʰosti (Gast), *wédōr (Wasser), *h₁rudhró (rot), *nūn (jetzt); *deyk- (zeigen) *óyno-(eins) *kayko- (blind, einäugig, lat. caecus), *téwteh₂ (Volk, vgl. deutsch), *lowkó (Lichtung, lat. lucus), *tawro (Stier, lat. taurus), Dativendung *-ōy (vgl altgriechisch -), *dyḗws (Himmelsgott, vgl. lat deus, gr. Zeus, engl. Tuesday); *któm (hundert), Vorsilbe *- (Vorsilbe un-), mtó (tot), mdú (weich).

Entwicklung in den Folgesprachen

Die Vokale blieben im Altgriechischen zunächst unverändert erhalten (bis auf die erwähnte Färbung durch ehemalige Laryngale). Das u (das griechische Ypsilon) wurde allerdings zur Zeit Homers oder kurz danach zu y. Im Ionischen und Attischen Dialekt wurde das lange ā zu einem ɛ: (griechisches Eta). In späteren Entwicklungen des Griechischen vereinfachte sich das Vokalsystem stark durch Zusammenfall vieler Vokale und Diphthonge, meist zu i (vgl. Itazismus), wobei auch die Unterscheidung zwischen langen und kurzen Vokalen verloren ging. Auch die italischen Sprachen, darunter Latein, erhielten die Vokale.

Im Indoiranischen fielen die Vokale e, o und a zu a zusammen (jeweils in der kurzen und der langen Form).

Im Germanischen wurden die Kurzvokale a und o zu a, die Langvokale ā und ō dagegen zu ō (ū in Endsilben).

Die Kurzdiphthonge werden im Griechischen fortgesetzt, ow wurde dabei zu u (aber noch als Diphthong ου geschrieben), ey (Epsilon + Iota) zu einem langen e: (ebenfalls als Diphthong ει ei geschrieben). Die Langdiphthonge fielen mit ihren Anfangsvokalen zusammen (In der Schrift ist der ehemalige Diphthongcharakter noch erkennbar im Iota subscriptum: ) In der Entwicklung zum Neugriechischen hin wurden auch die restlichen Diphthonge monophthongisiert.

Im vedischen Sanskrit wurden die Kurzdiphthonge oy, ay und ey zunächst zu ai, dann zu einem langen e, entsprechend entstand aus ow, aw, ew über au das lange o. (Kurze e und o kommen nicht vor). Aus den Langdiphthongen wurden dann die einfachen Diphthonge ai und au.

Die silbischen Resonanten haben in den meisten Folgesprachen die syllabische Eigenschaft verloren. Es entwickelten sich Sprossvokale, die mitunter auch den ursprünglichen Resonanten ganz verdrängten. So wurde die Vorsilbe n̥- im Lateinischen zu in-, im Germanischen zu un- im Griechischen und Indoiranischen zu a-. Das syllabische r̥ hat sich im Indoranischen und im Slawischen noch erhalten (im Sanskrit auch noch rudimentär das l̥). entwickelte aber später auch einen Sprossvokal i (Daher die Aussprache Sanskrit für den Sprachennamen, auf Sanskrit saṃskṛtam).

Akzent

Vedische Handschrift mit Akzentsymbolen (in rot)

Der Wortakzent ist in den Veden und im Griechischen in der Schrift gekennzeichnet. In einigen anderen Sprachen (z. B. vielen slawischen und baltischen Sprachen) hat sich das indogermanische Akzentsystem im Prinzip erhalten. (Viele einzelne Akzente haben sich aber verschoben, systematische Akzentänderungen fanden statt, auch kamen zusätzliche Regeln auf wie die Einschränkung auf die drei letzten Wortsilben im Griechischen) Dennoch kann man die urindogermanischen Akzente oft nicht sicher rekonstruieren. Ziemlich sicher ist, dass in der Spätphase des Indogermanischen vor der Trennung in die Folgesprachen der Akzent melodisch, nicht dynamisch war. Darüber hinaus war er beweglich, das heißt, dass die Akzentposition pro Wort frei war und nicht festen Regeln (die sich z. B. wie später im Lateinischen aus der Silbenlänge ergaben) unterworfen war. Die Akzentposition war bedeutungsunterscheidend: dʰrógʰos (Lauf, Laufbahn) – dʰrogʰós (Läufer, Rad).[8]

Viele Wörter (nach verbreiteter, aber nicht generell akzeptierter Auffassung in der Frühphase z. B. sämtliche finiten Verbformen) waren enklitisch: Sie trugen keinen eigenen Akzent, sondern verschmolzen prosodisch mit den davor stehenden Worten.

Die Akzentposition hatte vor allem beim Substantiv auch morphologische Bedeutung und diente (neben anderen Mitteln wie Endungen und Ablaut) zur Kennzeichnung der Fälle.

Im Germanischen und im Italischen wurde der mobile Akzent bald durch eine feste Betonung der ersten Wortsilbe abgelöst. Damit verbunden waren lautliche Veränderungen der unbetonten Vokale, aus denen man heute z. B. Rückschlüsse auf die ursprüngliche indogermanische Akzentposition ziehen kann (Vernersches Gesetz im Germanischen). Im Lateinischen wurde die Erstsilbenbetonung zum klassischen Latein hin noch einmal durch die heute bekannten Akzentregeln abgelöst; im Germanischen entwickelte sich die Erstsilbenbetonung zum späteren Prinzip der Stammsilbenbetonung weiter.

Morphologie und Morphosyntax

Das Wort

Ein typisches indogermanisches Wort war aus Wurzel, Suffix und Endung aufgebaut; Wurzel und Suffix gemeinsam heißen Stamm. (Natürlich hatten nur flektierbare Wörter wie z. B. Substantive, Verben, Adjektive eine Endung.)

Eine vergleichbare Bildung im Deutschen ist z. B. in les-bar-e (Texte) zu finden: Die Wurzel „les“, die auch in Lesung, Lese, lesen, leserlich vorkommt, das Suffix „bar“, der hier eine Möglichkeit bezeichnet, und die Endung „-e“ die hier für den Nominativ Plural steht. Anders als die Bezeichnung „Suffix“ erwarten lässt, steht das Suffix in der Mitte des Wortes, am Ende des Wortstammes.

  • In der Wurzel ist der lexikalische Bedeutungsgehalt kodiert, sie ist aber nicht auf eine Wortart festgelegt. Wurzeln sind fast immer einsilbig und besitzen den Aufbau Plosiv – (Resonant) – Vokal – (Resonant) – Plosiv. Die Resonanten dürfen dabei wegfallen.

Beispiele: *sweh₂d süß. *melh₂ mahlen, *dʰwer Tür, *ped Fuß.

  • Das Suffix spezifiziert die Bedeutung auf eine Weise, die den deutschen Vorsilben (be-arbeiten, ver-arbeiten) vergleichbar ist. Ihre semantische Funktion ist oft nicht mehr eindeutig zu fassen, und oft verschmilzt das Suffix mit Wurzel und Endung bis zur Unkenntlichkeit.

Beispiele: *-lo- Verkleinerung (vgl. lateinisch -ul-), *-ko-, *-iko-, *-isko: Herkunft, Material (lat. bellum „Krieg“, bellicus „kriegerisch“), Althochdeutsch diut-isc zum Volk gehörig > Volkssprache Deutsch (im Gegensatz zum Latein).

  • Während die Suffixe eher als Elemente der Wortbildung angesehen werden, bilden die Endungen den Hauptträger des Flexionssystems.

Vorsilben (Präfixe) kamen zunächst nur vereinzelt vor. Die wichtigsten Beispiele sind

  • die Verneinungsvorsilbe *n̥-,
  • die Reduplikation (die Voranstellung einer (meist verkürzten) Version der Wortwurzel, wie z. B. im Lateinischen: Präsens po-sc-o (ich fordere), Wurzel po- Perfekt po-po-sc-i, im Griechischen δί-δω-μι dídōmi ich gebe. Die Reduplikation kommt in der Konjugation oft zur Kennzeichnung des Perfekts, aber auch des Präsens vor.
  • das Augment, ein vorangestelltes *h₁e-, das in Verben die Vergangenheit bezeichnet. Da es nur im Griechischen, Indoiranischen und Armenischen belegt ist, geht man beim Augment von einer regional begrenzten Erscheinung aus.

In späteren Sprachstufen kamen Vorsilben durch Komposition mit Präpositionen und Adverbien vermehrt auf; sie blieben meist auch in den Folgesprachen klar vom Wortstamm abgegrenzt, während die Suffixe meist bis zur Unkenntlichkeit mit dem Wortstamm oder der Wortendung verschmolzen sind.

Ablaut

Wurzel, Suffix und Endung des indogermanischen Wortes waren der Ablautbildung unterworfen. Das Ablautsystem unterschied fünf Stufen: Die vokallose Schwundstufe, die Grundstufen auf *-e- und *-o-, und die Dehnstufe auf *-ē- und *-ō-.

Quantitativer Ablaut
Dehnstufe Vollstufe Schwundstufe
Qualitativer
Ablaut
e-Stufe ē e Ø
o-Stufe ō o

Andere Vokale entstanden durch sekundäre Bildungen in Verbindung mit diesen fünf Vokalen und Laryngalen, sowie vor allem durch aus den „Halbvokalen“ *y und *w, die in der Schwundstufe zu *i und *u werden. Auch *l, *m und *n, *r und Laryngale wurden in der Schwundstufe zu den syllabischen Lauten mit vokalischer Rolle gelängt. Einige elementare *a sind bekannt, es sind aber deutlich weniger als die *e/*o.

Der Ablaut war wichtiges Element der Wortbildung (griech. λέγω lego ich spreche, λόγος logos das Wort), aber auch der Flexion, wo er neben Akzentposition und Endung zur Unterscheidung von z. B. Person, Aspekt, Kasus diente.

Bei wenigen sind alle Ablautstufen belegt; ein solches Beispiel liefert das Verwandtschaftssuffix *-ter im griechischen Wort für „Vater“:

Quantitativer Ablaut
Dehnstufe Vollstufe Schwundstufe
Qualitativer
Ablaut
e-Stufe πατήρ patḗr
Nom. Sg.
πατέρα patéra
Akk. Sg.
πατρός patrós
Gen Sg.
o-Stufe εὐπάτωρ eupátōr
gut als Vater,
(Beiname des Mithridates VI.)
εὐπάτορα eupátora
dass. im Akk.

In der Schwundstufe werden Resonanten und Laryngale vor oder nach der Vokalstelle syllabisch, y und w zu i bzw. u:

  • *g̑ʰel- (gelb): *g̑ʰl̥-
  • *meg̑h₂- (groß): *m̥g̑h₂-
  • *nes (wir): *n̥s (vgl. uns)
  • *yes- (kochen): *is-
  • *swep- (schlafen): *sup-

Schwundstufe bei Diphthongen:

  • *trey- (drei): *tri-
  • *k̑weyt- (weiß): *k̑wit-

In den Folgesprachen gab es unterschiedliche Entwicklungen. Im Altgriechischen findet man alle Stufen vor, im Sanskrit sind *e und *o zu a zusammengefallen, so dass nur noch drei quantitative Stufen übrig blieben (in der Sanskritgrammatik als Grundstufe, guṇa und vṛddhi bekannt), die aber noch zahlreicher auftreten als im Griechischen. In den germanischen Sprachen hat sich der Ablaut in den Verben zu der bekannten bunten Vokalvielfalt mit zahlreichen und vor allem im Deutschen immer zahlreicher werdenden Ablautmustern (39 im Neuhochdeutschen[9]) entwickelt.

Man vermutet, dass der Ursprung des Ablautes in phonetischen Effekten liegt, die phonologisiert und morphologisiert wurden, ähnlich wie es im Deutschen (und in geringerem Maß im Englischen) mit dem vom Ablaut unabhängigen Effekt des Umlautes geschehen ist, (man – men, Mann – Männer, ich laufe, du läufst), der aus einem Vokalharmonieeffekt entstanden ist und später zur Unterscheidung grammatischer Formen diente.

Themavokal

Ein besonders wichtiges Suffix ist der Themavokal *e/*o. Eine Bedeutung ist nicht fassbar, er tritt bei manchen Substantiven und Verben zwischen Stamm und Endung. Die entsprechenden Flexionsparadigmen heißen thematisch bzw. athematisch. Die athematischen Flexionen sind vor allem wegen der lautlichen Effekte am Kontakt von Stamm und Endung komplizierter als die thematischen. Im Laufe der Zeit und in den Folgesprachen gingen unter den Verben immer mehr Wörter von den athematischen in die thematischen Klassen über. Beim Substantiv ist die thematische Klasse im Lateinischen und Griechischen die o-Deklination. Die athematischen Verben im Griechischen sind die „Verba auf -μι (-mi)“, im Lateinischen einige wenige unregelmäßigen Verben wie esse, velle, ferre, ire. Die sogenannte konsonantische Konjugation des Lateinischen (dicere) ist nicht etwa athematisch, sondern eine e-Konjugation im Unterschied zur ē-Konjugation (monēre), und in der Tat die direkte Fortsetzung der indogermanischen thematischen Konjugation.

Substantive

Substantive wurden nach Numerus und Kasus flektiert und nach Genus klassifiziert.

Numerus

Es gab drei Numeri: Singular, Dual und Plural. Der Dual bezeichnet dabei eine Zweizahl von Objekten. Es wird (vor allem wegen der Abwesenheit des Dual im Hethitischen) angenommen[10], dass der Dual in früheren Sprachstadien noch nicht vorhanden war, und dann über die Bezeichnung natürlicher Paare (z. B. paariger Körperteile) und der an den zwei Personen ich und du orientierten Dialogsituation entstand. In den Folgesprachen ist der Dual fast überall ausgestorben; am längsten hat er sich naheliegenderweise in der Flexion von Wörtern wie „zwei“ oder „beide“ gehalten. Im Vedischen sieht man den Dual als Numerus zur generellen Bezeichnung der Zweizahl, im Griechischen wurde er nur für natürliche Paare verwendet. Auch die altgermanischen Sprachen wie das Gotische, Altnordische oder Althochdeutsche erhalten den Dual noch restehaft. Im Gotischen ist er dabei sogar – wenn auch eingeschränkt – noch in der Verbalflexion vorhanden.[11] Die altnord. Personalpronomina Nom. vit, Gen. okkar, Dat. / Akk. okkr „wir beide“ und N. þit, G. ykkar, D. / A. ykkr „ihr beide“[12] haben entsprechende Pendants u. a. im westsächsischen Dialekt des Altenglischen (witunceruncunc; ȝitincerincinc)[13] und auch Gotischen (wit – *ugkara[14]ugkisugkis; *jut[14]igqaraigqisigqis)[15].[16] Im Althochdeutschen ist hingegen nur der Genitiv der ersten Person, unkēr, ein einziges Mal belegt.[17] Formal lebt aber die Formenreihe der 2. Person Dual in einigen deutschen Mundarten (Bairisch und Südwestfälisch), allerdings in pluralischer Bedeutung, weiter[18] (Beispiel: bair. eesenkerenkenk). Auch das Isländische hat die Dual-Formenreihe erhalten. Allerdings kam es auch hier zur Umdeutung hin zu Pluralpronomina.[19]

Es wird für das frühe Indogermanisch ein weiterer Numerus zur Bezeichnung von Kollektiven angenommen, also zur Bezeichnung einer Vielheit von Objekten als eine Einheit (etwa „Menschheit“ im Unterschied zu „Menschen“). Als Relikt finden sich im Lateinischen die beiden Pluralformen „loci“ und „loca“ von locus (Ort), wobei „loca“ den Kollektiv bezeichnet.

Kasus

Ausgehend von den acht Kasus des Sanskrit nimmt man auch acht Kasus für das Indogermanische an. Diese sind der Nominativ (Satzsubjekt), Vokativ (Anrede), Akkusativ (direktes Objekt), Instrumental (Mittel, Werkzeug), Dativ (indirektes Objekt), Ablativ (Bewegung vom Gegenstand weg), Genitiv (nominales Attribut), Lokativ (am Ort des Gegenstandes). Ein eventueller neunter Kasus Direktiv oder Allativ (Bewegung zum Gegenstand hin) wird angesichts einiger Spuren im Althethitischen diskutiert.

In den Folgesprachen ist die Anzahl der Kasus zurückgegangen, so fielen zum Beispiel im Latein der Instrumental, der Lokativ (bis auf ein paar Spuren) und der Ablativ zu einem einzigen Kasus „Ablativ“ zusammen. Im Slawischen findet man noch sieben Fälle, hier ist der Ablativ mit dem Genitiv verschmolzen.

Einen Sonderfall bilden die beiden tocharischen Sprachen, bei denen die Anzahl der Fälle sogar zugenommen hat. Allerdings gehen nur vier der Fälle auf das Indogermanische zurück; die anderen sind Innovationen, die von agglutinierenden Nachbarsprachen ausgelöst wurden.[20]

Genus

Im Indogermanischen gab es drei Genera, Maskulinum, Femininum und Neutrum. Aufgrund des hethitischen Befundes nimmt man an, dass in der Frühphase die Einteilung in Maskulina und Feminina nicht existierte.[21] Stattdessen gab es Animata und Inanimata, also belebte Subjekte und unbelebte Objekte. Aus den Inanimata wurden die Neutra, während sich die Einteilung zunächst der Animata in Maskulina und Feminina vermutlich in Verbindung mit einer Einteilung in männliches und weibliches Geschlecht mit der Zeit bildete.

Die Inanimata (Neutra) konnten nicht Subjekt eines Satzes sein, folglich gab es für sie keinen Nominativ. Dies ist noch in den Folgesprachen bei den Neutra zu beobachten, wo der Akkusativ (bzw. im Hethitischen ein auf den Instrumental zurückgehender Kasus) die Rolle des Nominativ übernimmt.

Es wird angenommen, dass Inanimata nur den Kollektivplural hatten. Eine Spur hiervon wäre das Phänomen des Altgriechischen, dass bei einem Subjekt im Neutrum Plural das Verb im Singular steht.

Deklination

Endungsschemata

Die folgende Tabelle zeigt rekonstruierte Endungsschemata einschließlich der charakteristischen Suffixe.

Singular
Thematisch Athematisch
o-Stämme Kons. eh₂-Stämme i-Stämme u-Stämme
m (f) n m/f n f m/f n m/f n
Nominativ -o-s -o-m -s, -ø -ø -eh₂-ø -i-s -ø -u-s -ø
Vokativ -e-ø -ø -eh₂-ø -ey-ø -ew-ø
Akkusativ -o-m - -eh₂-m -i-m -u-m
Instrumental -o-h₁, -e-h₁ -(e)h₁ -eh₂-eh₁ -i-h₁ -u-h₁
Dativ -ōy (< -o-ey) -ey -eh₂-ey -ey-ey -ew-ey
Ablativ t -s, -es, -os -eh₂-es, -eh₂-os -oy-s -ow-s
Genitiv -o-s(y)o
Lokativ -o-y, -e-y -i, -ø -eh₂-i -ēy-ø -ēw-ø
  Plural
Thematisch Athematisch
o-Stämme Kons. eh₂-Stämme i-Stämme u-Stämme
m (f) n m/f n f m/f n m/f n
Nominativ -ōs (< -o-es) -e-h₂ -es -h̥₂ -eh₂-es -ey-es -i-h₂ -ew-es -u-h₂
Vokativ
Akkusativ -o-ms -m̥s -eh₂-ms -i-ms -u-ms
Instrumental -ō-ys, -o-mis -bʰis, -mis -eh₂-bʰis, -eh₂-mis -i-bʰis, -i-mis -u-bʰis, -u-mis
Dativ -o-bʰos, -o-mos -bʰos, -mos -eh₂-bʰos, -eh₂-mos -i-bʰos, -i-mos -u-bʰos, -u-mos
Ablativ
Genitiv -ōm (< o-om) -om -eh₂-om -y-om -w-om
Lokativ -oysu -su -eh₂-su -i-su -u-su

Über den Dual kann kaum eine Aussage gemacht werden, außer dass die Endung im Nominativ/Vokativ/Akkusativ *-h₁ oder *-e gewesen sein dürfte.

Die *i- und *u-Stämme verhalten sich wie andere athematische Substantive auch und bilden noch keine eigentlichen eigenen Deklinationsklassen. In vielen Folgesprachen haben sie allerdings durch Lautverschmelzungen und Analogiebildungen ein Eigenleben entwickelt.

Bei der thematischen (*-o)-Deklination haben sich die Endungssätze über die Zeit hin mehr und mehr von den athematischen Endungen entfernt. Auffällig ist das Genitiv-i im Lateinischen und Keltischen, das zu der (heute verworfenen) Annahme einer italo-keltischen Untergruppe der Indogermanischen Sprachen geführt hat.

Die (athematischen) *eh₂-Feminina sind der Ursprung der a-Deklinationen der verschiedenen Folgesprachen (im Sanskrit die thematische *o-Deklination zu der hiermit nicht zu verwechselnden a-Deklination geworden, die Feminina enden auf langem ā). Da diese Stämme oft die weiblichen Versionen männlicher Wörter der *o-Stämme bilden, kam es zu Angleichungen der Endungsschemata in den Folgesprachen. Eine Variante der *eh₂-Feminina sind die *yeh₂-Feminina, die zu der großen Gruppe der ī-Feminina (z. B. Devī) im Sanskrit geführt hat.

Im Lateinischen findet man eine Gruppe von maskulinen Berufsbezeichnungen auf -a (poeta, agricola, nauta), die dem femininen Deklinationsschema folgen.

Akzent- und Ablautklassen

Zusätzlich zu den Endungen werden die Kasus der athematischen Substantive durch die Position des Akzents und die Ablautstufe der Elemente Wurzel, Suffix und Endung markiert. Dieses ältere System ist im Sanskrit und im Griechischen noch deutlich, im Lateinischen noch ansatzweise im Unterschied zwischen Nominativstamm und dem Stamm der anderen Kasus in der konsonantischen Konjugation (z. B. Lat. nomen, nominis) erkennbar.

Hierzu wird zwischen starken Kasus und schwachen Kasus unterschieden. Die starken Kasus sind Nominativ, Vokativ und Akkusativ im Singular und Dual, Nominativ und Vokativ im Plural; alle anderen Kasus sind schwach. Es gibt nun vier Deklinationsklassen (manche postulieren weitere Klassen oder benennen sie anders): akrostatische, proterokinetische, hysterokinetische und amphikinetische Substantive. Die folgende Tabelle zeigt die typischen Situationen.

  akrostatisch proterokinetisch
Wurzel Suffix Endung Wurzel Suffix Endung
starke Kasus Akzent
*o-Stufe
*nókʷ-t-s (Nacht)
Akzent
*e-Stufe
*mén-ti-s (Gedanke)
schwache Kasus Akzent
*e-Stufe
*nékʷ-t-s (Gen.)
Akzent
*e-Stufe
mn̥-téy-s (Gen.)
hysterokinetisch amphikinetisch
Wurzel Suffix Endung Wurzel Suffix Endung
Starke Kasus Akzent
*e-Stufe
*ph₂-tér-s (Vater)
Akzent
*e-Stufe
*h₂éw-sō-s (Morgenröte)
*ō-Stufe (Nom)
*o-Stufe (Akk.Sg.)
schwache Kasus Akzent
*e-Stufe
*ph₂-tr-és (Gen.)
Akzent
*e-Stufe
*h₂u-s-és (Gen.)

Die leeren Felder bezeichnen die unbetonte Schwundstufe.

Bei den sogenannten Wurzelsubstantiven ist das Suffix leer. Sie kommen mit statischem und mobilem Akzent vor.

Adjektive

Adjektive wurden wie die Substantive nach Numerus und Kasus, aber anders als diese auch nach Genus dekliniert. Die Formen sind dabei dieselben wie die der Substantive (und ein Adjektiv konnte auch als Substantiv verwendet werden). Die Großzahl der Adjektive folgt im Maskulinum und Neutrum der *o-Deklination, im Femininum der *eh₂- oder *yeh₂-Deklination. Auch *i- und *u- oder konsonantisch-stämmige Adjektive kamen vor; das Femininum wurde manchmal durch das *yeh₂-Suffix, manchmal gar nicht gesondert bezeichnet.

Eine zusätzliche Flexion der Adjektive ist die Steigerung. Der Komparativ wird durch das amphikinetische Suffix *-yos (Ablautformen *-yōs *-is) (lateinisch maior größer) oder das thematische Suffix *-tero- (griechisch σοφώτερος sophṓteros weiser) bezeichnet. Der Superlativ hat die Suffixe *-m̥mo- (lat. minimus der kleinste) oder *-isto- (griech. μέγιστος mégistos der größte). Die lateinische Superlativendung „issimus“ geht auf eine Kombination des Komparativsuffix *-is- mit dem Superlativsuffix *-m̥mo- zurück).

Pronomina

Die Rekonstruktion der verschiedenen Formen der Pronomina ist nur unvollständig möglich.

Personalpronomina

Die Personalpronomina der ersten und zweiten Person (für die dritte Person siehe unter Demonstrativpronomina) hatten keine Genusunterscheidung. Es gab Singular, Dual und Plural; dabei muss aber beachtet werden, dass „wir“ nicht in genau demselben Sinne der Plural von „ich“ ist wie „Personen“ der Plural von „Person“, da die Rollen des Sprechers und des Angesprochenen sich nicht ohne weiteres in diese Kategorien einbeziehen lassen. Entsprechend gibt es auch im Singular ganz andere Wortwurzeln als im Plural.

Die Personalpronomina hatten jeweils eine betonte und eine enklitische Form. Im Griechischen und Indoiranischen hat sich diese Unterscheidung gehalten; in anderen Folgesprachen hat sich der Formenbestand der beiden Typen vermischt. Die enklitische Form kam nicht in allen Kasus vor.

  ich du wir ihr
betont enkl. betont enkl. betont enkl. betont enkl.
Nominativ eg̑óh₂, eg̑h₂óm túh₂ wéys yúhs
Akkusativ mḗ me tḗ te, twe n̥smé nos usmé wos
Dativ meg̑ʰey, meg̑ʰyom moy tebʰey tebʰyom toy n̥sméy  ? usméy  ?
Genitiv méne téwe n̥sóm usóm

Reflexivpronomen

Vom Reflexivpronomen *swe/*se lassen sich die Dativform *soy und der enklitische Akkusativ *se rekonstruieren.

Demonstrativpronomina

Wie auch in den modernen Sprachen gab es verschiedene Demonstrativpronomina, die verschiedene Arten bzw. Grade der Demonstrativität ausdrückten. (Vgl. er, dieser, jener, derselbe).

Das Pronomen *so/*seh₂/*to- (er/sie/es) wurde – in attributiver Verwendung – auch Ausgangspunkt des bestimmten Artikels (im Griechischen, in gewissem Sinne auch im Sanskrit; viel später auch im Deutschen). Einige Formen:

  Singular Plural
m n f m n f
Nom. so tod seh₂, sih₂ toy teh₂ teh₂s
Akk. tom teh₂m toms teh₂ms
Dat. tosmey tosyeh₂ey toybʰ- teh₂bʰ-
Abl. tosmōt tosyeh₂eys
Gen. tosyo toysōm teh₂sōm
Lok. tosmi  ? toysu teh₂su

Dieses Pronomen findet man z. B. im deutschen das und im griechischen Artikel ho, hē, το to, im Sanskritpronomen sas, , tad.

Ein zweites Demonstrativpronomen *i- (Ablaut *ei-) entspricht dem lateinischen is, ea, id, Sanskrit ayam, iyam, idam

Interrogativ-, Indefinit-, Relativpronomina

Als Fragepronomen wird substantivisch *kʷi-, adjektivisch *kʷo- rekonstruiert. Daraus, dass diese eine eigene Form für das Neutrum, aber keine Genusunterscheidung zwischen Maskulinum und Femininum kennen, schließt man auf das hohe Alter dieser Formen.

In enklitischer Form hatten die Fragepronomina indefinite Bedeutung („wer auch immer“).

Das Relativpronomen geht ebenfalls auf das Fragepronomen zurück und entwickelt z. T. eigene Formen. Ein weiterer Relativstamm war *yo- eventuell mit einleitendem Laryngal; dieser ist im Sanskrit als Relativpronomen yad, im Griechischen als , im Keltischen als yo bekannt.

Einige rekonstruierte Formen des Interrogativpronomens:

  Singular Plural
m/f n m/f n
Nom. kʷis kʷid kʷéyes kʷih₂
Akk. kʷim  
Instr. kʷih₁  
Dat. kʷósyo kʷésyo    
Gen. kʷósmōy kʷésmōy    

Relativpronomina wurden ähnlich wie die Interrogativ- bzw. Demonstrativpronomina flektiert.

Weitere pronomiale Bildungen

Es wurden dem Possessivpronomen entsprechende Adjektive rekonstruiert. Der Genitiv des Personal/Demonstrativpronomens füllt aber meist diese Funktion. Weitere Wörter (ein anderer, keiner, die Zahlwörter etc.) passen von der Rolle wie der Flexion in das System der Pronomina.

Verben

Das indogermanische Verb wurde nach Numerus, Person, Aspekt, Tempus/Modus und Diathese flektiert. Zusätzlich gab es mehr oder weniger produktive Verfahren, die (meist durch ein geeignetes Suffix) die Bildung neuer abgeleiteter Verben (z. B. Kausativ, Desiderativ) ermöglichten. Andere Suffixe erlaubten die Bildung von Verben aus Substantiven/Adjektiven (Denominativ) oder umgekehrt die Bildung von Adjektiven/Substantiven aus Verben (Partizip, Gerundivum, Gerundium usw.).

Es wird angenommen, dass in einer Vorform des Indogermanischen die Suffixe für Tempus, Aspekt, Aktionsart etc. freier miteinander kombinierbar waren, sodass nicht zwischen Wortbildung und Flexion getrennt werden kann. Daraus entwickelte sich das „klassische“ indogermanische Verbalsystem, das in seiner vollen Ausprägung vor allem im Griechischen und im Indoiranischen feststellbar ist. In manchen Folgesprachen (z. B. Latein, entfernter schon Germanisch) kann man einen späteren Umbau dieses Systems feststellen, im Fall des Hethitischen geht man eher davon aus, dass sich das klassische System erst nach der Abspaltung der Sprache entwickelt hat.

Numerus und Person entsprechen dem, was aus modernen indogermanischen Sprachen bekannt ist, wobei natürlich der Numerus des Dual dazu kommt.

Aspekt

Die wichtigste Kategorie des indogermanischen Verbs ist nicht etwa das Tempus (wie die Bezeichnung „Zeitwort“ für „Verb“ vermuten lassen könnte), sondern der Aspekt. Der Aspekt drückt die zeitliche Haltung des Sprechers zum berichteten Ablauf aus: der perfektive Aspekt sieht den gesamten Handlungsablauf in seiner Einordnung in den Berichtsablauf („abgeschlossene Handlung“), im imperfektiven Aspekt liegt der berichtete Zeitpunkt innerhalb des Handlungsablaufs, und im resultativen Aspekt ist der Bericht auf das Ergebnis des Ablaufs konzentriert.

Den drei Aspekten entsprechen die indogermanischen Formengruppen Präsens (imperfektiv), Aorist (perfektiv), und Perfekt (resultativ); (die Bezeichnung „Tempus“ sollte hier vermieden werden). Das Perfekt nimmt allerdings eine Sonderstellung ein:

Man vermutet, dass es in einer früheren Sprachstufe zwei Arten von Verben (bzw. eigentlich zwei verschiedene Wortarten) gab: die Aktionsverben und die Stativverben. Die Aktionsverben denotieren Ereignisse und Handlungen, die Stativverben längerfristige Zustände. Es gibt Spekulationen, die die Aktionsverben mit den animaten Substantiven, die Stativverben mit den inanimaten Substantiven in Verbindung bringen. Die Stativverben haben den reduzierten Formenbestand des späteren Perfekts, die Aktionsverben den von Präsens und Aorist.

Im Hethitischen hat sich diese Zweiteilung zu zwei Konjugationsklassen entwickelt (mi-Konjugation und ḫḫi-Konjugation, unter Aufgabe der semantischen Einteilung in Aktions- und Zustandsverben). Im Hauptstrom der indogermanischen Sprachentwicklung wurde die Stativkonjugation in das System aller Verben integriert, wobei der im Stativ beschriebene Zustand eben das Resultat der Handlung ist.

Morphologisch wird der Aspekt durch die Bildung separater Stämme für Präsens, Aorist und Perfekt aus der Wortwurzel ausgedrückt. Die Bildungsverfahren sind verschiedene Kombinationen von Ablautstufen, Reduplikation und speziellen Suffixen. Das Perfekt zeichnet sich darüber hinaus durch einen separaten Satz von Endungen aus.

Tempus/Modus

Innerhalb einer Aspektgruppe (im Perfekt aber nicht voll ausgebildet) gibt es fünf Tempus/Modus-Kategorien: Die Gegenwart (fehlt in der Aoristgruppe aus logischen Gründen, da ein gegenwärtiger Ablauf noch nicht vollständig ist), die Vergangenheit, den Konjunktiv (der die Zukunft oder die Absicht bezeichnete), den Optativ (Wunsch, Möglichkeit), den Imperativ (Befehl, nicht in der ersten Person). Zur Kennzeichnung dienten

  • die Endungssätze:
    • die sogenannten primären oder Hic-et-nunc-Endungen für Gegenwart und Konjunktiv,
    • die sekundären Endungen für Vergangenheit und Optativ,
    • ein spezieller Endungssatz für den Imperativ;
  • das Augment zur Kennzeichnung der Vergangenheit (wird als regionale Besonderheit angesehen);
  • spezielle Suffixe:
    • *e/*o (der Themavokal) für den Konjunktiv,
    • *yeh₁/*ih₁ für den Optativ.

An Stelle des nicht vorhandenen Aorist der Gegenwart gab es einen Injunktiv, das ist ein augmentloser Aorist, der wohl eine zeitlose Betrachtung der Handlung darstellte. Dieser hat allerdings die Sekundär- nicht die Primärendungen, passt also nicht an die freie Stelle des Aoristes der Gegenwart.

Diathese

Wir kennen aus den modernen indogermanischen Sprachen die Diathese Aktiv-Passiv, die sich in den einzelnen Sprachzweigen unabhängig gebildet hat. Ein Passiv war aber in der Ursprache nicht existent; stattdessen gab es ein Medium, das bezeichnete, dass das Subjekt des Satzes zusätzlich direktes oder indirektes Objekt ist. (Ich koche mich selbst bzw. ich koche mir selbst).

Endungsschemata

Man unterscheidet beim Präsenssystem (der imperfektiven Aspektgruppe) zwei grundsätzliche Typen von Stämmen, nämlich thematische und athematische. Bei Ersteren endet der Stamm auf einen charakteristischen Vokal, den sogenannten Themavokal, der bei Letzteren fehlt. Der Themavokal ist entweder *e oder *o, und zwar nach folgender Verteilung: 1.Sg., 1. Du., 1.Pl. und 3.Pl. haben *o, die anderen Personen e.

  Aktiv Medium
Numerus Pers. Primär Sekundär Primär Sekundär
Singular 1. -h₂ (them.), -mi (athem.) -m -h₂or (-ar) -h₂o (-a)
2. -si -s -th₂or -th₂o
3. -ti -t -(t)or -(t)o
Dual 1. -wos -we (-wosdʰh₂) (-wedʰh₂)
2. -th₁es -tom (-teh₁) (-htoh₁)
3. -tes -tām (-teh) (-hteh)
Plural 1. -mos -me -mosdʰh₂ -medʰh₂
2. -te -te -dʰwo -dʰwo
3. -nti -nt, -(ē)r -ntor, (-(ē)ror) -nto, -(ē)ro

Die eingeklammerten Endungen müssen als sehr spekulativ gelten.

Für den Imperativ lassen sich nur die Singularendungen im Aktiv rekonstruieren. Endung der zweiten Person Singular Imperativ ist *-e für thematische, *-dʰi für athematische Verben. In der dritten Person gibt es die Endung *-tōd.

Die Perfektendungen gibt es nur im Aktiv. Sie lauten:

1. Sg. -h₂e
2. Sg. -th₂e
3. Sg. -e
1. Pl. -me
2. Pl. -e
3. Pl. -(ē)r

Stammbildungen

Präsens

Die Bildungen für Präsensstämme im Indogermanischen sind mannigfaltig. Hier seien daher nur die wichtigsten genannt:

  • *-ye-/yo-: Dieses Suffix, welches einen thematischen Stamm ergibt, kann wohl als das produktivste im Indogermanischen überhaupt gelten. Die Wurzel ist entweder in der Nullstufe, wenn die Verben meist Intransitiva sind, oder in der Vollstufe, was meist Transitiva ergibt. Weiters wird das Suffix häufig zur Bildung von Denominativa benutzt.
  • *-e(h₂)ye-/yo-: Diese beiden Suffixe dürfen Varianten des obigen sein. Die Wurzel pflegt in der o-Stufe zu stehen und die Bedeutung entweder kausativ oder iterativ zu sein.
  • *-ske/sko-: Dieses thematische Suffix wird an die Nullstufe der Wurzel gehängt und ergibt Stämme iterativer Bedeutung. Die Inchoativa des Latein, die mit -sc aktionsartspezifiziert sind, gehen beispielsweise auf diese Bildung zurück sowie auch Iterativa mit -ske im Altgriechischen.
  • *-h₁s(y)e/h₁(y)o-: Dieses Suffix tritt entweder an die reduplizierte Wurzel (z. B. *dʰedʰh₁- von *dʰeh₁-) oder an die *e-Stufe und hat desiderative Bedeutung. Es ist der Ursprung einiger indogermanischer Futurbildungen, so einer des Griechischen etwa.
  • „Nasalpräsens“: In die Nullstufe der Wurzel wurde ein Infix *-ne- vor dem letzten Konsonanten eingefügt. Der sich ergebende Stamm war ursprünglich athematisch, wurde aber in den Folgesprachen auf mannigfaltige Weise thematisiert. Das Nasalpräsens ist u. A. noch im Lateinischen vorhanden (vincere – Perfect vici).

Aorist

Die Folgesprachen der Ursprache zeigen verschiedene Aoristbildungen, die einzige definitiv der Ursprache zugehörige ist eine Bildung mit *-s- (vgl. z. B. den σ-Aorist im Griechischen oder das s-Perfekt im Lateinischen), welches direkt an die Wurzel tritt und auf welches ohne Themavokal die Sekundärendungen folgen. Die Wurzel steht dabei in der Dehnstufe. Aufgrund von Befunden aus dem Tocharischen und Hethitischen ist umstritten, ob das s-Suffix in allen Personen ursprünglich ist oder nur in der 3. Singular. Das Vorhandensein eines Augments ist auch hier fraglich.

Perfekt

Der Perfektstamm besteht meist nur aus der reduplizierten Wurzel. Als Vokal der Reduplikationssilbe tritt immer *e auf, die Wurzel steht im Aktiv Singular in der o-Stufe, sonst in der Nullstufe. (Im Lateinischen hat als Rest das Reduplikationsperfekt überdauert, z. B. dare (geben), Perfekt dedi, cadere (fallen), cecidi.) Eine Ausnahme durch das Fehlen der Reduplikation stellt die sehr alte Bildung *woydh₂e „ich weiß“ von der Wurzel *weyd- (sehen, vgl. lat. videre) dar (s. a. Präteritopräsentia).

Das Verb in den Folgesprachen

Im Vedischen und im Griechischen findet man das dargestellte Verbsystem am deutlichsten wieder. Das ist insofern kein Wunder, als die Rekonstruktion des Urindogermanischen vor allem auf diesen beiden Sprachen beruht (sogenanntes graeco-arisches Rekonstruktionsmodell). Die Gültigkeit dieses Ansatzes ist angezweifelt worden; bislang konnte aber kein Alternativmodell geliefert werden.[22]

Anatolische Sprachen

Von den anatolischen Sprachen wird angenommen, dass sie sich vor der Bildung der meisten „graeco-arischen“ Merkmale abgespalten haben. Das Verbalsystem ist viel einfacher; es gibt Gegenwart und Vergangenheit, Aktiv und Mediopassiv (das Medium hat auch Funktionen eines Passivs übernommen), und (wie oben erwähnt), statt eines Perfektes eine zweite Konjugationsklasse. Thematische Verben spielen so gut wie keine Rolle.

Griechisch

Im Griechischen sind die Funktionen der verschiedenen Verbformen am klarsten ausgeprägt. Zu den Aspektstämmen Präsens, Aorist, Perfekt ist ein Futurstamm hinzugetreten (oft, aber nicht immer durch ein s-Suffix gekennzeichnet). Der Formenbestand wurde ausgebaut (z. B. durch ein Plusquamperfekt oder Mediumsformen des Perfekts). Zum Aktiv und zum Medium gesellte sich das Passiv hinzu, welches aber in den meisten Formen vom Medium mitübernommen wird. Lediglich im Aorist und im Futur gibt es ein eigenes Passiv, das interessanterweise die Aktivendungen führt. Die athematische Konjugation hat zugunsten der thematischen etwas an Boden verloren.

Sanskrit

Im Sanskrit ist die Formenvielfalt noch viel reichhaltiger als im Griechischen. Allerdings sind die Bedeutungsnuancen deutlich auf dem Rückzug. Der Unterschied zwischen Aktiv und Medium ist oft kaum fassbar. Auch die Aspektunterschiede sind bereits im Rigveda oft nicht mehr zu erkennen.[23] Im klassischen Sanskrit werden Imperfekt, Perfekt und Aorist als Vergangenheitsformen ohne Bedeutungsunterschied verwendet. Auch im Sanskrit sind Verbformen hinzugekommen: Ein Futur (ebenfalls mit s-Suffix), ein Passiv (hier mit medialen Endungen und ohne Zusammenhang mit dem Griechischen) und eine Reihe produktiver abgeleiteter Verbformen wie Desiderativ oder Kausativ. Der alte Konjunktiv ist nur noch in den Formen des „Imperativs der ersten Person“ erhalten.

Italisch

In den italischen Sprachen (z. B. Latein) ist das Konjugationssystem unter Verwendung der vorhandenen Bausteine stark umgebaut worden; das Ergebnis ist ein symmetrischeres und durchschaubareres System.

Die athematischen Verben sind (mit der Ausnahme einiger weniger Verben aus dem Grundwortschatz, s. o.) verschwunden. Die thematischen Verben formierten sich durch Inkorporation verschiedener Suffixe zu den bekannten Konjugationsklassen (a, e, „konsonantische“, i). Zur a-Konjugation führte z. B. Verbalisierung von Nomina auf -a (curare Sorge tragen, von cura Sorge), ein faktitives *eh₂-Suffix (novare erneuern aus *new-eh₂-), oder ein Intensivsuffix (canere, cantare singen). Die ē-Konjugation geht auf ein Kausativsuffix *-eye- (monēre mahnen aus *mon-eye- zum Denken bringen) und ein Stativsuffix *-eh₁-ye- (alb-ē-re weiß sein, sed-ē-re sitzen) zurück. Die i-Konjugation geht auf eine Reihe von Suffixen sowie durch Verbalisierung von Nomina auf -i und -o zurück. Die konsonantische Konjugation schließlich setzt die thematische Konjugation des Urindogermanischen fort.

Das Medium hat sich zu einem Passiv gewandelt. Von den drei Aspektsystemen sind Perfekt und Aorist zum Perfektsystem zusammengefallen. Dabei finden sich Formelemente des alten Perfekts (Endungen, vereinzelt Reduplikation) als auch des Aorist (im -s-Perfekt, z. B. duco – duxi führen). Beide Aspektfunktionen finden sich, sowohl der resultative Aspekt („Vorzeitigkeit“) als auch der perfektive („abgeschlossene Handlung“).

Das Tempus ist nun vom Modus getrennt. Das alte Imperfekt ist spurlos verlorengegangen. Ein neues Imperfekt mit dem Suffix -ba- tritt an seine Stelle (vielleicht <**bʰuH, sein, werden). Ein Futur bildet sich aus dem alten Konjunktiv; in zwei Konjugationen wird nicht diese Bildung, sondern eine mit Suffix -b- verwendet (der vermutlich auf den Konjunktiv von *bʰew zurückgeht).

Der Konjunktiv geht (in einem Teil der Formen) auf den alten Optativ zurück.

Tempus, Modus, Aspekt sind kombinierbar, allerdings gibt es keinen Konjunktiv-Futur.

Germanisch

Im Germanischen ist das Verbalsystem stark vereinfacht. Aorist, Imperfekt und Konjunktiv sind verlorengegangen. Der Optativ entwickelte sich zum Konjunktiv, der ähnlich wie der lateinische Konjunktiv verwendet wurde. Das Perfekt wurde zur Vergangenheit.

Es haben sich zwei Verbklassen entwickelt, die starken und die schwachen Verben. Die starken Verben bilden ihre Vergangenheitsform durch Ablaut, in Fortsetzung der alten Stammbildung. Die schwachen Verben waren ursprünglich diejenigen, für die kein Perfekt existierte, und die die Vergangenheit mit einem neuen Suffix *-d- bildeten. Es wird vermutet, dass dieser auf dieselbe Wurzel wie das Verb „tun“ zurückgeht.

Ein Mediopassiv ist z. B. im Gotischen noch erhalten, schließlich aber in dieser Form in allen germanischen Sprachen ausgestorben. (Passive wurden allerdings neu gebildet).

Die weiteren Formen wurden, wie in vielen anderen Folgesprachen auch, durch periphrastische Bildungen (Hilfsverbkonstruktionen) ersetzt.

Slawisch

In den slawischen Sprachen wird der Aspekt durch das Lexikon ausgedrückt: für jedes Verb gibt es eine perfektive und eine imperfektive Form. Der Begriff des Aspektes stammt aus der Untersuchung der slawischen Sprachen.

Satzsyntax

Über den Satzbau der Ursprache können weniger deutliche Aussagen gemacht werden als über die Formenlehre, da man ein Mittel wie die Analyse der sich typischerweise sehr regelmäßig verhaltenden phonetisch/phonologischen Entwicklungen, aus denen man Schlüsse auf die Morphologie ziehen kann, auf der Satzebene nicht zur Verfügung hat. Es bleibt, typische Satzmuster der frühen Formen der Folgesprachen zu sammeln und vorsichtig Schlüsse zu ziehen, inwiefern diese bereits in der indogermanischen Ursprache bestanden haben könnten.

Aus dem Deutschen sind wir gewohnt, dass ein Hauptsatz wenigstens ein Subjekt und ein Prädikat enthält. Anders zum Beispiel im Lateinischen: hier darf ein Pronomen der ersten oder zweiten Person nur verwendet werden, wenn es betont ist, sodass Sätze ohne formales Subjekt entstehen. Diese Situation wird auch für die Ursprache angenommen. Allerdings haben wir durch die Verbform immer noch ein durch Person und Numerus vorgegebenes implizites Subjekt; übrigens ist in manchen nicht-indogermanischen Sprachen nicht einmal das erforderlich.

Auch vollständige Sätze ohne Prädikat waren üblich: Die Kopula, die Subjekt und Prädikatsnomen als formales Verb verbindet (Der Mann ist schön; die Frau ist Handwerkerin; Mutter ist daheim), kommt z. B. im modernen Russisch nicht vor. Es wird angenommen, dass solche Nominalsätze (Mann schön, Frau Handwerkerin, Mutter daheim) im Indogermanischen üblich waren. Die Verben *h₁es- (existieren), *bʰew- (werden) und andere tauchen schon in den Folgesprachen als (oft fakultative) Kopula auf (vgl. er ist, ich bin).

Das Verb stand normalerweise am Ende des Satzes, allerdings konnten beliebige Satzglieder zur Hervorhebung an den Satzanfang gezogen werden. (Lateinisch habent sua fata libelli – es haben ihre Schicksale die Bücher – das Deutsche verlangt noch das „es“ vor dem Verb.) In den inselkeltischen Sprachen ist die Verbfrontstellung zum Standard geworden.

Syntaktische Beziehungen zwischen Substantiven, Adjektiven, Pronomina und Verben wurden durch Kongruenz der Flexionsformen hergestellt.

Zur Gliederung von Sätzen und Satzfolgen dienen Enklitika: nachgestellte Partikel (oder auch flektierte Wörter), deren Akzent auf das davor stehende Wort übergeht. Ein Beispiel ist das Lateinische -que (und, griechisch -τε, Sanskrit ca, indogermanisch *kʷe), griechische Satzgliederungspartikel wie μεν, δε – men, de (zwar, …, aber), die enklitischen Pronomina.

Solche Enklitika finden sich besonders gern an der zweiten Position des (Haupt- oder Teil-)Satzes. (Wackernagels Gesetz. Ketten enklitischer Partikel an dieser Stelle sind für das Hethitische besonders typisch.

Fragesätze sind durch die Verwendung von Fragepronomina oder Frage-Enklitika (z. B. lat. -ne) gekennzeichnet, Verneinung durch das Adverb *ne und den Wortpräfix *n̥-.

Relativsätze verwenden das Relativpronomen und gehen dem Hauptsatz voraus. Man nimmt an, dass sich in der Ursprache diese wie im Sanskrit nicht direkt auf die Substantive, sondern auf separate Demonstrativpronomina im Hauptsatz bezogen. (Im Deutschen ist dieser Unterschied durch die Artikel etwas verwischt; im Lateinischen haben wir die entgegengesetzte Situation, dass Relativsätze sowohl als Subjekt- wie als Attributsätze kein Bezugspronomen benötigen) Die zwei Typen von Relativpronomina (*kʷi/*kʷo und *hyo) entsprechen den beiden Typen von Relativsätzen (explikativen und restriktiven).

Andere Typen von Nebensätzen, z. B. durch Konjunktionen eingeleitete Kausalsätze, können nicht rekonstruiert werden.

In den Folgesprachen kennt man absolute Konstruktionen, z. B. den lateinischen Ablativus absolutus, den griechischen Genitivus absolutus, den Locativus absolutus des Sanskrit, den Dativus absolutus des Altkirchenslawischen. Es ist unklar, ob diese Konstruktionen auf eine gemeinsame Wurzel zurück gehen oder Innovationen der Einzelsprachen sind.

Lexikon

Siehe auch: Indogermanische Wortwurzel

Wortbildung

Lehnwörter

Das Urindogermanische hat vermutlich, wie alle Sprachen, Wörter aus anderen Sprachen übernommen. Es sind heute aber keine Beispiele von Wörtern bekannt, die eindeutig in urindogermanischer Zeit aus benennbaren Nachbarsprachen entlehnt wurden. Einige Wörter sind allerdings aufgrund ihrer untypischen Gestalt mit großer Wahrscheinlichkeit Lehnwörter; das bekannteste Beispiel ist *abel (Apfel). Ein anderes ist *pelek̑us (Axt), das man früher mit dem akkadischen Wort pilakku in Verbindung brachte, bis sich dessen Bedeutung als „Spindel“, nicht „Axt“, herausstellte.

Suffixe

Das wichtigste Mittel der Bildung von Wörtern aus Wurzeln und anderen Wörtern waren die bereits erwähnten Suffixe.

Die Tabelle zeigt einige für die Wortbildung wichtige Suffixe:

*-yo- Zugehörigkeit lat pater – patrius (Vater, väterlich)
*-ey-o- Stoff lat aurum – aureus (Gold, golden)
*-to-, *-no Partizip Perfekt Passiv von Verben Partizipendungen auf -t- und -n- im Sanskrit, im Deutschen
*-ih₂-, *-eh₂ Weibliche Form Skr. deva – devī, lat. deus – dea (Gott, Göttin)
*-ko-, *-lo- Verkleinerung lat. -ul-
*-teh₂- Abstraktum newó-teh₂-t (lat. novitas) Neuheit
*-ter- Täter lat cunctator (Zauderer) (Das deutsche -er in Täter ist kein Beispiel!)
*-ter- Verwandtschaft Vater, Mutter, Tochter, Bruder, (aber nicht Schwester und Eltern!)

Wortbildung durch Akzent/Ablautverschiebung

Der Wechsel von einer Akzent-/Ablautklasse in eine andere war ein Mittel der Wortbildung. Ein Beispiel: Proterokinetisch *bʰlég̑hmn̥ (heiliges Wort, vgl. skr. brahmaṇ), amphikinetisch *bʰlég̑hmōn (Priester, skr. brāhmaṇa).

Eine nur vereinzelt vorkommende Variante der wortbildenden Verwendung des Ablautes bei Nomina ist im Sanskrit sehr produktiv geworden: die sogenannte Vṛddhi-Ableitung. Hier wird aus einem Substantiv ein abgeleitetes Substantiv dadurch gebildet, dass die erste Silbe in die Dehnstufe gebracht wird. Beispiele kennt man aus der religiösen Terminologie: Ein Anhänger des Gottes Vishnu ist ein Vaishnava (ai ist im Sanskrit die Dehnstufe zu i), ein Anhänger des Shiva ein Shaiva, ein Anhänger des Jina ein Jaina (daher die beiden Bezeichnungen Jinismus und Jainismus für diese Religion).

Komposition

Wortbildung durch Komposition, wie sie ja auch für das Neuhochdeutsche typisch ist, wird auch für das Urindogermanische angenommen, allerdings in deutlich geringerem Umfang als später im Griechischen oder gar im Sanskrit. Substantive wurden aneinander gehängt, das Hinterglied wurde flektiert. Nicht in allen Folgesprachen waren Substantivkomposita häufig, im Lateinischen findet man sie selten, im Hethitischen praktisch gar nicht.

Verknüpfung mit Adverbien und Präpositionen führte zu den Verbalvorsilben der Folgesprachen.

Typisch sind Personennamen (*hneh₃men), die aus zwei religiös/gesellschaftlich bedeutsamen Komponenten aufgebaut sind: Griechisch Themisto-klḗs (Gesetz-Ruhm), Althochdeutsch Ans-elm (Gott-Helm), Tschechisch Bohu-slav (Gott-Ruhm), Gallisch Catu-rīx (Schlacht-König), Irisch Fer-gus (Held-Kraft).

Wortschatzanalyse

Aus dem gemeinsamen Wortschatz versucht man, Schlüsse auf die Zivilisation und Kultur der Sprachgemeinschaft des Urindogermanischen zu ziehen. Wie erwähnt, ist der Stamm *kʷe-kʷl-o (Rad) mit seiner charakteristischen, die wiederholte Drehbewegung ikonisch darstellenden Reduplikation in den Folgesprachen überliefert: Vedisch cakra, Griechisch kyklos, tocharisch kukäl (Wagen), altenglisch hweohl (wheel). Daraus schließt man, dass das Rad bekannt war. Der Wortschatz lässt auf eine neolithische Agrarkultur schließen, die den Pflug, das Melken, Kühe, Schafe, Pferde kannte. Zur klaren Feststellung der Urheimat reichen die Hinweise aus dem Wortschatz allerdings nicht aus. (Im Artikel Lachsargument wird ein Fallbeispiel einer derartigen Analyse beschrieben).

Am intensivsten wurden im gemeinsamen Wortschatz die Verwandtschaftsbezeichnungen studiert. Charakteristische Eigenschaften sind hierbei zum Beispiel, dass zwischen älteren und jüngeren Geschwistern nicht unterschieden wird, und die merkwürdige Tatsache, dass „Neffe“ und „Enkel“ mit demselben Wort bezeichnet werden.

Mehr zu den aus dem Wortschatz gewonnenen Aussagen über die Sprecher findet man in den Artikeln Indogermanen, Proto-Indoeuropäer, Urheimat, Kurgankultur.

Rekonstruktionsmethoden

Hauptartikel Rekonstruktion (Sprachwissenschaft).

Die komparative Methode

Diese Methode wurde im neunzehnten Jahrhundert anhand der indogermanischen Sprachen entwickelt und wurde zum Standardverfahren der historischen Linguistik bei der Rekonstruktion früherer Formen in Sprachgruppen. Sie funktioniert am besten (aber nicht ausschließlich) auf dem Gebiet der Phonologie, da Lautveränderungen typischerweise sehr systematisch sind.

Man bildet aus verdächtigen Wortkorrespondenzen Korrespondenzregeln. So eine Regel muss an anderen Wörtern geprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Auf der Basis dieser Korrespondenz modelliert man plausible ursprachliche Formen und lautgeschichtlich plausible Entwicklungswege von den Protoformen zu den einzelsprachlichen Lauten. Auf diese Weise rekonstruiert man ursprachliche Wortwurzeln und grammatische Formen.

Die Möglichkeiten und Grenzen dieser Methode kann man am Vergleich der aus den romanischen Sprachen erschlossenen Protosprache mit dem überlieferten Latein erkennen. Die Existenz des lateinischen h lässt sich aus den romanischen Sprachen nicht schließen, da der Laut bereits vor der Trennung in die Folgesprachen im Latein verlorengegangen ist.

Interne Rekonstruktion

Diese Methode betrachtet nur eine einzige Sprache, typischerweise die bereits rekonstruierte Ursprache selbst. Man stellt eine Regelmäßigkeit in der Sprache fest, zu der es aber Ausnahmen gibt. Ausgehend von der Annahme, dass die Ausnahmeformen in einer früheren Sprachform auch regelmäßig waren, modelliert man das frühere Regelsystem und die Änderungsprozesse, die zu den Ausnahmen führten.

Das bekannteste Beispiel der Anwendung interner Rekonstruktion ist Ferdinand de Saussures Rekonstruktion der Laryngale, die erst nach seinem Tod durch die Entzifferung des Hethitischen bestätigt werden konnten.

Glottochronologie

Die Glottochronologie ist ein Versuch aus den 1950er Jahren, durch statistische Betrachtung der Veränderungen des Grundwortschatzes auf das Alter der verschiedenen Sprachstufen zu schließen. Die Änderung der Sprachformen ist aber variabel und von äußeren Faktoren abhängig, und gerade im Bereich der Indogermanistik fehlen die Informationen über diese Faktoren. Das Verfahren wird heute von der Fachwelt praktisch einhellig abgelehnt.

Typologische Verfahren

Man stellt aufgrund der Beobachtung vieler Sprachen der Welt fest, dass gewisse syntaktische Eigenschaften von Sprachen typischerweise gemeinsam auftreten. So schloss Winfred P. Lehmann, aufbauend auf der Wortstellungstypologie von Theo Vennemann, darauf, dass in der Ursprache das Verb am Satzende stand (Subjekt-Objekt-Verb). Davon ausgehend konnte er weitere syntaktische Eigenschaften der Ursprache postulieren. Der Ansatz ist umstritten: Manche lehnen ihn ganz ab[24], andere sind vorsichtig wohlwollend.[25]

Zeittafel zur Rekonstruktion

Siehe auch: Indogermanistik

Jahr Forscher Beitrag
1814 Rasmus Christian Rask Detaillierte Vergleichsstudien verschiedener indogermanischer Sprachen
1816 Franz Bopp
1819 Jacob Grimm
1833–1836 August Friedrich Pott Begründet die indogermanische Etymologie.
1861 August Schleicher Erste Rekonstruktion, Stammbaumtheorie. Seine rekonstruierte Sprache zeigt große Ähnlichkeiten zum Sanskrit.
1876 Hermann Osthoff Syllabische Koronale
1876 Karl Brugmann Syllabische Nasale
Er nimmt sowohl stimmhafte als auch stimmlose Aspirata und mehr Frikative an (stimmhaftes s sowie ð und þ, sowie deren aspirierten Versionen).
Morphologie
1878 Ferdinand de Saussure Nimmt nicht mehr den a-Vokalismus des Sanskrit sondern e-o-a als grundlegende Vokale der Ursprache an.
Laryngale: Er schlägt zwei unbestimmte vokalartige Laute vor, die er „Koeffizienten“ (coefficients sonantiques) nennt.
    Die Lehrmeinung nimmt in der Folge für die Koeffizienten zunächst einen einzigen Schwa-Laut an.
1880 Hermann Möller Er schlägt einen dritten Koeffizienten vor und nimmt eine laryngale Lautlichkeit für alle drei an.
1890 Peter von Bradtke Nimmt eine grundlegende Dialekteinteilung in Kentum- und Satem-Sprachen an. Die Annahme ist bis ins späte zwanzigste Jahrhundert hinein anerkannte Lehrmeinung.
1893,1897 1900 Berthold Delbrück Vergleichende Syntax der indogermanischen Sprachen
1895, 1900 Hermann Hirt klärt Akzent und Ablaut.
1912 Albert Cuny Beschreibt in einem Aufsatz bereits die wesentlichen Elemente der heutigen Laryngaltheorie.
Per Persson Systematische Untersuchung der Suffixe
1926, 1928 Jacob Wackernagel Untersucht die Satzsyntax, insbesondere die Rolle der Enklitika.
1927 Jerzy Kuryłowicz Identifiziert das hethitische ḫ mit dem zweiten Laryngal von Cuny.
1927–1932 Alois Walde, Julius Pokorny Lexikon
1973 Tamas Gamqrelidse, Wjatscheslaw Wsewolodowitsch Iwanow Glottaltheorie
1974 Winfred P. Lehmann Anwendung sprachtypologischer Methoden auf die Erforschung der Syntax
bis 197x   Die Laryngaltheorie wird bis in die 1970er Jahre nicht von allen Forschern akzeptiert.
1975, 1998 Helmut Rix Tempus/Modus/Aspektsystem des Verbs

Beispieltexte

August Schleicher

Selbstverständlich sind von der indogermanischen Ursprache als einer Rekonstruktion keinerlei Texte überliefert. Und doch wurde versucht, Texte auf Urindogermanisch zu verfassen. Besonders prominent ist bis heute die erfundene indogermanische Fabel von August Schleicher Das Schaf und die Pferde von 1868; der jeweilige Stand der Sprachwissenschaft hat die Fabel immer wieder angepasst. So wurde aus Schleichers „Avis akvasas ka“ in einer aktuelleren Version von 1979 „Owis eḱwōskʷe“. Die Rekonstruktion ganzer Texte gilt in der Sprachwissenschaft als sehr spekulativ.

Literatur

  • Michael Meier-Brügger: Indogermanische Sprachwissenschaft. de Gruyter, Berlin 2002, ISBN 3-11-017243-7.
  • Benjamin W. Fortson: Indo-European Language and Culture. An Introduction. Blackwell Publishing, Malden 2004, ISBN 1-4051-0316-7. (Englisch)
  • Winfred P. Lehmann: Theoretical Bases of Indo-European Linguistics. Routledge, London 1996, ISBN 0-415-13850-7. (Englisch)
  • Andrew L. Sihler: New Comparative Grammar of Greek and Latin. Oxford University Press, Oxford/New York 1995, ISBN 0-19-508345-8.
  • Harald Wiese: Eine Zeitreise zu den Ursprüngen unserer Sprache. Wie die Indogermanistik unsere Wörter erklärt. Logos Verlag, Berlin 2007, ISBN 3-8325-1601-8.
  • Eva Tichy: Indogermanistisches Grundwissen. Hempen Verlag, Bremen 2000, ISBN 3-934106-14-5.
  • Helmut Rix: Historische Grammatik des Griechischen. Laut- und Formenlehre. Darmstadt 1976, 1992, ISBN 3-534-03840-1
  • Helmut Rix: Lexikon der indogermanischen Verben. Die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen (LIV). Bearbeitet von M. Kümmel, Th. Zehnder, R. Lipp und B. Schirmer. Wiesbaden 1998, 2001, ISBN 3-89500-219-4.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Fortson, 2.58f
  2. Fortson, 2.73f
  3. nach Fortson, 7.14
  4. Maier-Brügger E507
  5. Larry Trask: Historical Linguistics. Hodder Arnold, London 1996, 8.3, ISBN 0-340-60758-0. (Englisch)
  6. Meier-Brügger, Kap. II; Fortson Kap. III
  7. Lehmann 1966, 5.2.2 letzter Absatz
  8. Donald Ringe: From Proto-Indo-European to Proto-Germanic. A Linguistic History of English. v. 1. Oxford University Press, Oxford 2006, S. 60, ISBN 0-19-928413-X.
  9. Damaris Nübling u. a.: Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Narr Studienbücher. Tübingen 2006, 9.1.2 (Tabelle 24), ISBN 3-8233-6212-7.
  10. Meier Brügger F 304 (7. Aufl)
  11. Braune, Wilhelm und Heidermanns, Frank (Bearb.): Gotische Grammatik.
    Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 2004, 20. Aufl., S. 142
  12. Formen aus:
    Gordon, E. V. und Taylor, A. R.: An Introduction to Old Norse.
    At the Claredon Press, Oxford, 2nd ed., S. 293
  13. nach: Brunner, Karl: Altenglische Grammatik
    Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 1965, 3. Aufl., S. 259
  14. a b Der Gen. Du. der 1. Person (*ugkara) und der Nom. Du. der 2. Person (*jut) sind nicht belegt, können aber rekonstruiert werden.
    vgl.: Braune / Heidermanns, 2004, S. 132f.
  15. vgl.: Braune / Heidermanns, 2004, S. 132f.
  16. Das „g“ in den Buchstabenverbindungen „gk“ und „gq“ bezeichnet einen velaren Nasal [ŋ]
  17. Braune, Wilhelm und Reiffenstein, Ingo: Althochdeutsche Grammatik I. Laut- und Formenlehre.
    Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 2004, 15. Aufl., S. 241
  18. Braune / Reiffenstein, 2004, S. 182
  19. Die altisländischen Pluralpronomina werden zur höflichen Anrede, bzw. in hohem Stil verwendet.
    vgl. dazu: Einarsson, Stefán: Icelandic.
    John Hopkins University Press, Baltimore / London, 1945, reprint: 1994, S. 68 u. 122
  20. Fortson Kap. 17
  21. Meier-Brügger F303
  22. Meier-Brügger, F200
  23. Fortson, 5.10
  24. Bernard C. Comrie: Language Universals and Linguistic Typology. Syntax and Morphology. University of Chicago Press, Chicago 1989, ISBN 0-226-11433-3. (Englisch)
  25. Trask, 8.8

Die Informationen dieses Artikels entstammen hauptsächlich den ersten vier der unter Literatur genannten Werken (Meier-Brügger, Fortson, Lehmann, Sihler).


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