Vertragsstatut

Vertragsstatut

Der fünfte Abschnitt des EGBGB regelt das deutsche Internationale Privaterecht des Schuldrechts in den Unterabschnitten ‚Vertragliche Schuldverhältnisse‘ (Art. 27–37) und ‚Außervertragliche Schuldverhältnisse (Art. 38–42)‘. Die deutschen IPR-Regelungen zu den vertraglichen Schuldverhältnissen gehen zurück auf das Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 (EVÜ).

Inhaltsverzeichnis

Freie Rechtswahl

Nach Art. 27 Abs. 1 unterliegt der Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss ausdrücklich sein oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die Parteien können die Rechtswahl für den ganzen Vertrag oder nur für einen Teil treffen.

Nach Art. 27 Abs. 2 können die Parteien jederzeit vereinbaren, dass der Vertrag einem anderen Recht unterliegen soll als dem, das zuvor auf Grund einer früheren Rechtswahl oder auf Grund anderer Vorschriften dieses Unterabschnitts für ihn maßgebend war. Die Formgültigkeit des Vertrages nach Artikel 11 und Rechte Dritter werden durch eine Änderung der Bestimmung des anzuwendenden Rechts nach Vertragsabschluss nicht berührt.

Ist der sonstige Sachverhalt im Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat verbunden, so kann die Wahl des Rechts eines anderen Staates – auch wenn sie durch die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Staates ergänzt ist – die Bestimmungen nicht berühren, von denen nach dem Recht jenes Staates durch Vertrag nicht abgewichen werden kann (zwingende Bestimmungen). (Art. 27 Abs. 3)

Auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Einigung der Parteien über das anzuwendende Recht sind die Art. 11 , Art. 12 und Art. 29 Abs. 3 und Art. 31 anzuwenden (Art. 27 Abs. 4). Art 31 (Einigung und materielle Wirksamkeit) bestimmt in Absatz 1, dass das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrages oder einer seiner Bestimmungen sich nach dem Recht beurteilen, das anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die Bestimmung wirksam wäre.

Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht

Soweit das auf den Vertrag anzuwendende Recht nicht nach Artikel 27 vereinbart worden ist, unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist. Lässt sich jedoch ein Teil des Vertrages von dem Rest des Vertrages trennen und weist dieser Teil eine engere Verbindung mit einem anderen Staat auf, so kann auf ihn ausnahmsweise das Recht dieses anderen Staates angewandt werden. (Art. 28 Abs. 1 EGBGB) Es wird vermutet, dass der Vertrag die engsten Verbindungen mit dem Staat aufweist, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder, wenn es sich um eine Gesellschaft, einen Verein oder eine juristische Person handelt, ihre Hauptverwaltung hat. Ist der Vertrag jedoch in Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Partei geschlossen worden, so wird vermutet, dass er die engsten Verbindungen zu dem Staat aufweist, in dem sich deren Hauptniederlassung befindet oder in dem, wenn die Leistung nach dem Vertrag von einer anderen als der Hauptniederlassung zu erbringen ist, sich die andere Niederlassung befindet.

Dieser Absatz ist nicht anzuwenden, wenn sich die charakteristische Leistung nicht bestimmen lässt (Art. 28 Abs. 2 EGBGB). Soweit der Vertrag ein dingliches Recht an einem Grundstück oder ein Recht zur Nutzung eines Grundstücks zum Gegenstand hat, wird vermutet, dass er die engsten Verbindungen zu dem Staat aufweist, in dem das Grundstück belegen ist (Art. 28 Abs. 3 EGBGB). Bei Güterbeförderungsverträgen wird vermutet, dass sie mit dem Staat die engsten Verbindungen aufweisen, in dem der Beförderer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seine Hauptniederlassung hat, sofern sich in diesem Staat auch der Verladeort oder der Entladeort oder die Hauptniederlassung des Absenders befindet. Als Güterbeförderungsverträge gelten für die Anwendung dieses Absatzes auch Charterverträge für eine einzige Reise und andere Verträge, die in der Hauptsache der Güterbeförderung dienen (Art. 28 Abs. 4 EGBGB). Die Vermutungen nach den Absätzen 2, 3 und 4 gelten nicht, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweist (Art. 28 Abs. 5 EGBGB).

Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht ist das Prinzip der freien Rechtswahl durch Art. 30 Abs. 1 EGBGB insoweit eingeschränkt, als die Rechtswahl der Parteien, die faktisch typischerweise der Arbeitgeber vorgibt, nicht dazu führen darf, dass zwingende Arbeitnehmerschutzbestimmungen desjenigen Staates umgangen werden, zu dem das Arbeitsverhältnis die engste Verbindung aufweist. Es ist ein Günstigkeitsvergleich durchzuführen. Der Arbeitnehmer kann sich auf eine ihm günstigere in- oder ausländische Regelung der zwingenden Bestimmungen des Rechts berufen, das nach Artikel 30 Abs. 2 EGBGB mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre (z. B. Kündigungsfrist).

Das ist in der Regel das Recht des Staats, in dem der Arbeitnehmer seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt ist. Wird die Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet wird, so gelten die Schutzbestimmungen des Staates, in dem der Arbeitgeber bzw. dessen einstellende Niederlassung den Sitz hat. Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist, ist in diesem Fall das Arbeitnehmerschutzrrecht dieses anderen Staates anzuwenden

Verrichtet zum Beispiel ein Arbeitnehmer seine Tätigkeit in mehr als einem Staat, bringt aber den größten Teil seiner Arbeitszeit in einem Staat zu, in dem er ein Büro hat, von dem aus er seine Tätigkeit für seinen Arbeitgeber organisiert und wohin er nach jeder im Zusammenhang mit seiner Arbeit stehenden Auslandsreise zurückkehrt, so ist dieser Ort der Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Zu diesem Staat sind dann die engsten Verbindungen gegeben (EuGH IPRax 99,365, Urteil v. 9. Januar 1997, C-383-95).

Wird keine ausdrückliche oder konkludente Rechtswahl getroffen, gilt das Recht des Staates, zu dem das Arbeitsverhältnis die engsten Verbindungen in dem beschriebenen Sinn aufweist (Art. 30 Abs. 2 EGBGB).

Zwingendes Recht

Nach Art. 34 EGBGB lassen die Kollisionsnormen des vertraglichen Schuldrechts die Anwendung derjenigen Bestimmungen des deutschen Rechts unberührt, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln (sog. Eingriffsnormen). Inländische Gesetze sind dann Eingriffsnormen, wenn sie entweder ausdrücklich oder nach ihrem Sinn und Zweck ohne Rücksicht auf das nach den deutschen Kollisionsnormen anwendbare Recht gelten sollen (BAG, Urteil vom 12. Dezember 2001 - 5 AZR 255/ 00).

Sie müssen zumindest auch überwiegend Gemeinwohlinteressen dienen und nicht nur dem Ausgleich von Individualinteressen und sie müssen zwingend sein. Eingriffsnormen im Arbeitsrecht sind beispielsweise die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder bei Mutterschaft, wenn der Arbeitnehmer in der deutschen Sozialversicherung versichert ist, Regelungen bei Massenentlassungen, der Mutterschutz, Jugendarbeitsschutz.

Siehe auch

Literatur

  • Christian von Bar, Internationales Privatrecht Zweiter Band Besonderer Teil, C.H. Beck Verlag München 1991
  • Firsching/von Hoffmann, JuS Schriftenreihe Internationales Privatrecht, 5.Auflage, C.H. Beck Verlag München 1997
  • Jan Kropholler Internationales Privatrecht, 6.Aufl., Mohr Siebeck Verlag, 2005

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