- Kollisionsrecht
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Internationales Privatrecht, kurz IPR, ist der Teil des nationalen Rechts, der entscheidet, welches (materielle) Privatrecht inländische Behörden und Gerichte auf einen Sachverhalt mit Auslandsberührung anzuwenden haben.
Nahe mit dem IPR verwandt ist das Internationale Prozessrecht, das die internationale Zuständigkeit nationaler Gerichte regelt und die Vollstreckbarkeit ausländischer Gerichtsentscheidungen sowie die Anerkennung sonstiger ausländischer Rechtsakte klärt.
Inhaltsverzeichnis
Erklärung des Begriffs
Das Internationale Privatrecht (IPR) ist derjenige Teil einer nationalen Rechtsordnung, der bestimmt, welches nationale Recht auf einen Sachverhalt („Lebensverhältnis“, „Rechtsverhältnis“) angewandt wird. Faktisch relevant wird dies nur, wenn der Sachverhalt Beziehungen zu mehreren Rechtsordnungen aufweist (sog. Auslandsberührung). In Deutschland enthält Art. 3 Abs. 1 EGBGB (= Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch) eine Legaldefinition des Internationalen Privatrechts. Die Bezeichnung "Internationales Privatrecht" ist irreführend; denn das IPR ist in jedem Staat nationales Recht (in Deutschland im EGBGB geregelt) und führt nicht zur materiell-rechtlichen Entscheidung privatrechtlicher Streitigkeiten.
Das IPR ist vielmehr Kollisionsrecht, weil mehrere Rechtsordnungen den Sachverhalt regeln könnten und dadurch gleichsam „kollidieren“. Treffender wäre es wohl, einen Konflikt zwischen den betreffenden Rechtsordnungen zu konstatieren. Deshalb ist der englische bzw. amerikanische Fachbegriff für das Internationale Privatrecht auch "Conflict of Laws".
Ziele des IPR
Das IPR verfolgt das Ziel, die Rechtsordnung zur Anwendung zu bringen, mit welcher der Sachverhalt am engsten verbunden ist oder in der das Rechtsverhältnis „seinen Sitz“ (Friedrich Carl von Savigny) hat. Damit soll erreicht werden, dass die Rechtsordnung über einen Sachverhalt eine Entscheidung fällt, welche auch tatsächlich am besten dafür geeignet ist, weil eine besondere sachliche Nähebeziehung besteht. Die Anerkennung ausländischer Rechtsordnungen wird auf das völkerrechtliche Prinzip der comitas gestützt. Rechtstheoretisch wird die Gleichrangigkeit aller Rechtsordnungen mit der universellen Geltung der Menschenrechte begründet. Früher führte man die gemeinsame „christliche Gesittung“ (Savigny) an.
Internationaler Entscheidungseinklang
Idealtypischerweise strebt das IPR nach internationalem Entscheidungseinklang und vermeidet hinkende Rechtsverhältnisse. Die Rechtsordnung eines Staates kann nur auf dessen eigenem Staatsgebiet Geltung beanspruchen. Daher könnte jeder Staat seinen Gerichten und Behörden aufgeben, nur eigenes innerstaatliches Recht anzuwenden. Verführe jeder Staat in dieser Weise, würden internationale Sachverhalte (z. B. "ein Deutscher wird in Italien in einen Verkehrsunfall mit einem Franzosen verwickelt") regelmäßig unterschiedlichen Ergebnissen zugeführt, je nach dem, ob die Gerichte und Behörden des Staates X oder des Staates Y über den Sachverhalt entscheiden. Einander inhaltlich widersprechende Doppel- oder Mehrfachentscheidungen zum selben Fall wären schon wegen der der Rechtssicherheit dienenden Rechtskraft eines gerichtlichen Urteils auch auf zwischenstaatlicher Ebene unannehmbar.
Freilich kann ein internationaler Entscheidungseinklang nur hergestellt werden, wenn die verschiedenen Rechtsordnungen sich wechselseitig durch die Schaffung eines IPR anerkennen und ihnen dadurch auch im Ausland zur Geltung verholfen wird. Durch völkerrechtliche Abkommen und EU-Rechtsetzung wird in neuerer Zeit vermehrt versucht, die Anknüpfungsgegenstände und -momente des IPR zu vereinheitlichen, um so den internationalen Entscheidungseinklang zu fördern und der unerwünschten Praxis des „forum shoppings“ vorzubeugen.
Bedeutung des IPR
Die Bedeutung des IPR hat durch die sehr starke Steigerung des Warenwelthandels, die zwischenstaatliche Erbringung von Dienstleistungen und den internationalen Kapitalverkehr deutlich zugenommen. Die starken Exportleistungen der deutschen Wirtschaft führen zu zahlreichen Streitfällen mit Auslandsberührung.
Nach dem zweiten Weltkrieg hat der Fremdenverkehr explosionsartig zugenommen. Mitarbeiter multinationaler Unternehmen wohnen im Ausland. Urlauber schließen Reiseverträge, mieten Hotels oder sind in Verkehrsunfälle verwickelt.
Auch durch den stetig wachsenden Anteil ausländischer Bevölkerung wächst die Zahl der IPR-relevanten Fälle in Deutschland.
Andererseits hat in Deutschland die IPR-Reform von 1986 zu einer verminderten Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit im Eherecht und im Sorgerecht geführt. Im Eherecht wird nun statt an das Mannesrecht bei unterschiedlicher Staatsangehörigkeit der Verlobten/Ehegatten hilfsweise („Kegelsche Leiter“), im Sorgerecht stets an das Recht des ständigen Aufenthalts (d. h. meist in Deutschland) angeknüpft. Auch weltweit ist die Tendenz in Richtung stärkerer Berücksichtigung des Aufenthalts vorhanden.[1] Das führt zu einer vermehrten Anwendung inländischen Rechts.
In Deutschland haben die Reformen des Staatsangehörigkeitsrechts, namentlich die teilweise Abkehr vom ius sanguinis, welche zu vermehrten Einbürgerungen und die Abschaffung des Mannesrechts im Staatsangehörigkeitswesen, die vermehrte Geburten deutscher Kinder aus gemischten deutsch-ausländischen Ehen zur Folge hatten, ebenfalls zu einer selteneren Anwendung ausländischen Rechts geführt.
Auch die internationale Vereinheitlichung des materiellen Rechts, z. B. im kaufmännischen Rechtsverkehr durch das UN-Kaufrecht, mindert auf diesem Felde die Bedeutung des IPR.
Überblick über die Geschichte des IPR
In der Antike gab es noch kein eigentliches IPR, und grob gesagt blieb jeder seinem „persönlichen“ Recht unterstellt: für Römer das ius civile proprium, für Germanen je nach Herkunft die lex salica oder die lex burgundionum etc., ius gentium für Fremde bzw. Beziehungen zwischen Fremden und Römern.
Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches entstanden in Europa tausende kleiner Fürstentümer, welche jeweils ihr eigenes Rechtssystem hatten, dessen Anwendung sie auf ihrem Territorium durchsetzten (Statutentheorie); mit dem Aufschwung des Handels im 11. und 12. Jh., zunächst in Norditalien, stellte sich dann mehr und mehr das Problem des anwendbaren Rechts. Basierend auf der im 12. Jh. in Bologna gegründeten römischen Rechtsschule (Tocco, Accursius, Bartolus, Baldus etc.) bildete sich im Mittelalter dann in ganz Europa de facto ein „Einheits-IPR“ heraus, welches aufgrund der einheitlichen und lange Zeit auch „extra-nationalen“ Rechtsausbildung der Juristen gemeinsame Züge aufwies – ein universelles Kollisionsrecht.
Noch zur Zeit Savignys (1779–1861) herrschte ein universeller Ansatz vor: ein Sachverhalt mit internationalem Charakter sollte, unabhängig vom zuständigen Richter, immer gemäß demselben anwendbaren Recht gelöst werden. Dies setzt international koordinierte und determinierte Zuständigkeits- und Rechtsverteilungen wie z. B. lex rei sitae oder mobilia sequuntur personam voraus, welche vom Sachverhalt ausgehen und dabei einen Schwerpunkt bestimmen; viele solcher allgemein anerkannter Prinzipien sind auch heutzutage noch in den meisten IPRGs enthalten.
Im 19. und Anfang des 20. Jh. schufen die neu entstandenen Nationalstaaten aufgrund politischer Differenzen ihre Rechtsordnungen dann aber ohne Rücksicht auf diesen gemeinsamen Hintergrund. Dass die historischen Gemeinsamkeiten trotzdem heute noch überwiegen, und dass es für die EU und insbesondere die Haager Konferenz für internationales Privatrecht heute überhaupt möglich ist, die IPR-Vereinheitlichung wieder voranzutreiben, liegt insbesondere an der Struktur des IPR-Kollisionsrechts: es hat keinen materiellen Inhalt, und muss somit nicht an gesellschaftliche Entwicklungen angepasst werden.
Regelungsorte des Internationalen Privatrechts
Das deutsche Internationale Privatrecht findet sich
- im Wesentlichen im Zweiten Kapitel (Artikel 3 bis 46) des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB),
- in einigen Spezialgesetzen (zum Beispiel Art. 91 ff. Wechselgesetz),
- ferner zu einem erheblichen Teil in Staatsverträgen, soweit sie in innerstaatliches Recht transformiert wurden (vgl. Art 3 Abs. 2 EGBGB).
Die Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen innerhalb der Europäischen Union sieht u. a. auch eine Harmonisierung der Kollisionsregeln der nationalen IPRs vor (sog. ROM I - IV).
In Österreich ist das IPR im Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPRG) vom 15.Juni 1987, in der Schweiz im Bundesgesetz über das internationale Privatrecht vom 18.Dezember 1987 geregelt. Belgien hat die loi portant le code de droit international privé am 16.Juli 2004 erlassen.
Allgemeine Lehren
Adressat des IPR
Das IPR richtet sich, als Teil der nationalen Rechtsordnung, auch nur an die innerstaatlichen Gerichte und inländische Behörden. Deshalb setzt die Anwendbarkeit des IPR stets die internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte und Behörden voraus. Die internationale Zuständigkeit der Gerichte wird im internationalen Prozessrecht geregelt.
Anknüpfungsmoment
Hauptartikel: Anknüpfungsmoment
Das internationale Privatrecht bestimmt das anwendbare Recht (auch „Statut“ genannt) dadurch, dass es für einzelne Rechtsbereiche (Anknüpfungsgegenstände oder Verweisungsbegriffe genannt) jeweils die hierfür maßgebenden Anknüpfungsmomente festlegt. Das Anknüpfungsmoment stellt die Beziehung zwischen einer Person oder Sache und einer Rechtsordnung her.
Als Anknüpfungsmomente kommen insbesondere in Betracht: Staatsangehörigkeit, Volkszugehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt, Wohnsitz, Belegenheitsort, Registerort, der Ort, an dem die Handlung vorgenommen wurde oder sich ereignete (Tatort, Ort des Vertragsschlusses, Beurkundungsort, Erfüllungsort). Die Anknüpfungsmomente stellen typisierte Fallgruppen auf, welche in der Regel die stärkste sachliche Verbundenheit zu der Rechtsordnung kennzeichnen, auf die durch das Anknüpfungsmoment verwiesen wird. Um diese pauschalisierende Betrachtungsweise den besonderen Interessenlagen des Einzelfalls anzupassen, hat der Gesetzgeber in jüngerer Zeit oftmals für die beteiligten Parteien Rechtswahlmöglichkeiten eingeführt.
Im deutschen, österreichischen und belgischen IPR wird für die Beurteilung des Personalstatuts grundsätzlich an die Staatsangehörigkeit angeknüpft. Im deutschen Eherecht bildet bei unterschiedlicher Staatsangehörigkeit der Ehegatten der gewöhnliche Aufenthalt eine Hilfsanknüpfung. Das Recht der Staatsangehörigkeit verbleibt aber als eine vertraglich bedingbare Wahlmöglichkeit (→ siehe Eherecht). Eine Ausnahme bildet die Lebenspartnerschaft, bei der das Recht des Registerorts maßgeblich ist.
Das Vertragsstatut unterliegt weitergehender Vertragsfreiheit. Wenn keine ausdrückliche Vereinbarung besteht, wird vermutet, dass die Rechtsordnung desjenigen Ortes die „sachnächste“ ist, an dem die Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, welche die dem Vertrag eigentümliche Leistung erbringt, oder am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verbrauchers, oder an dem Ort, an dem der Arbeitnehmer für gewöhnlich seine Dienste erbringt.
Beim Deliktsstatut ist der Tatort der unerlaubten Handlung maßgeblich.
Für das Sachenrechtsstatut ist der Belegenheitsort der Sache grundsätzlich Anknüpfungsmoment.
Auf das Recht einer Gesellschaft wird das Recht der Registerorts angewandt.
Allseitige und einseitige Normen
Einseitige Normen des IPR befehlen den inländischen Gerichten und Behörden nur, unter welchen Umständen inländisches Recht anzuwenden ist. Dabei wird offengelassen, welche Rechtsordnung anzuwenden ist, wenn die inländische keine Anwendung findet.
Allseitige Kollisionsnormen legen dagegen überhaupt fest, welche Rechtsordnung auf den Sachverhalt mit Auslandsberührung Anwendung findet. Die Anwendung ausländischen Rechts durch inländische Gerichte und Behörden verstößt nicht gegen die Souveränität der Staaten, da sich der Anwendungsbefehl nur an inländische Organe richtet.
Gesamtverweisungen und Sachnormverweisungen
Rechtstechnisch unterscheidet man im Kollisionsrecht Gesamtverweisungen und Sachnormverweisungen.
- Eine Gesamtverweisung verweist auf das Recht eines anderen Staates unter Einschluss von dessen nationalem Kollisionsrecht. Die Gesamtnormverweisung wird daher auch (treffender) als „IPR-Verweisung“ bezeichnet. Sie stellt im deutschen IPR die Regel dar (Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB). Verweist das ausländische IPR auf eine dritte Rechtsordnung, ist auch diese Rechtsordnung zu konsultieren. Ob diese zweite Verweisung ebenfalls eine Gesamtnormverweisung darstellt, ist nicht vom deutschen IPR abhängig, sondern dem, welches die („Weiter-“)Verweisung ausgesprochen hat.
- Eine Sachnormverweisung verweist direkt auf Sachnormen einer anderen Rechtsordnung unter Ausschluss des fremden Kollisionsrechts und liegt nur vor, wenn das Gesetz es ausdrücklich vorsieht oder eine Gesamtnormverweisung dem Sinn der Verweisung widersprechen würde. Ein Beispiel für eine ausdrücklich gesetzlich angeordnete Sachnormverweisung ist Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB: Erklärt das fremde Kollisionsrecht deutsches Recht für anwendbar, so kommt es zu einer Rückverweisung (sogenannter „Renvoi“) auf deutsches Recht. Es ist aber nicht erneut das deutsche IPR anzuwenden, sondern direkt deutsches Sachrecht.
Eine Sachnormverweisung zerstört den internationalen Entscheidungseinklang, da die Gerichte und Behörden desjenigen Staates, auf dessen Rechtsordnung verwiesen wird, ihr materielles Recht wegen ihrer Verweisungsvorschriften selbst nicht anwenden würden. Deshalb bildet die Sachnormverweisung gegenüber der Gesamtverweisung die Ausnahme.
Einzelnachweise
- ↑ Kropholler IPR §38 IV, §39 III Nr.2
Siehe auch
- Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPR-Gesetz), Österreich
- Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG), Schweiz
- UN-Kaufrecht (CISG)
- Europäisches Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ)
- IPR-Vertragsstatut (siehe auch EGBGB)
- Internationales Zivilverfahrensrecht
- Qualifikation (Internationales Privatrecht)
- Kollisionsregel
- Lex loci delicti (Tatortprinzip)
- Lex loci laboris (Recht des Arbeitsorts)
Literatur
- Menno Aden: Internationales privates Wirtschaftsrecht. Oldenbourg Verlag, München 2005, ISBN 3-486-57892-8.
- Rainer Gildeggen, Andreas Willburger: Internationale Handelsgeschäfte, Eine Einführung in das Recht des grenzüberschreitenden Handels. Verlag Vahlen, München 2005, ISBN 3-8006-3217-9.
- Gerhard Kegel und Klaus Schurig: Internationales Privatrecht. Ein Studienbuch. C.H. Beck, München 2004, ISBN 3-406-49587-7.
- Karl Kreuzer: Zu Stand und Perspektiven des Europäischen Internationalen Privatrechts. In: RabelsZ. 70. Jg., 2006, S. 1–88.
- Stefan Leible (Hrsg.): Die Bedeutung des Internationalen Privatrechts im Zeitalter der neuen Medien. Boorberg Verlag, Stuttgart, München, Hannover, Berlin 2003, ISBN 3-415-03239-6.
- Gralf-Peter Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, Mohr-Siebeck, Jus-Privatum 103, Tübingen 2005
Weblinks
- Art 3–46 EGBGB
- Art. 27 Freie Rechtswahl
- Art. 28 Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht
- Internationales Privatrecht Österreichs
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