- Baustatiker
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Baustatik oder die Statik der Baukonstruktionen ist die Lehre von der Stabilität von Tragwerken im Bauwesen. Die Berechnungsverfahren der Baustatik sind Hilfsmittel der Tragwerksplanung und mit der Lehre der Modellbildung und der Konstruktionslehre Teil der Tragwerkslehre.
Die Baustatik ist eine Sammlung analytischer und graphischer Verfahren, welche dazu dienen, bei Bauwerken aus der Einwirkung äußerer Lasten auf innere Spannungen und Verformungen zu schließen, die Lastabtragung des sogenannten Tragwerks nachzuvollziehen und damit letztlich dessen Stabilität oder Nichtstabilität (Kinematik) nachzuweisen. (Ein Tragwerk ist die Modellvorstellung der lastabtragenden Teile eines Bauwerks, welche sich in Steifigkeit, Festigkeit und Material grundsätzlich unterscheiden können.) Die auf ein Bauwerk wirkenden Lasten unterteilt man nach der Häufigkeit ihres Auftretens in ständige (etwa das Eigengewicht der Konstruktion und des Mobiliars), veränderliche (etwa Schnee, Wind, Temperatur, Verkehr oder schwankende Wasserstände) und außergewöhnliche Einwirkungen (etwa Erdbeben, Feuer oder den Anprall von Fahrzeugen). Eine Zielsetzung ist dabei, die ungünstigste Kombination aus diesen Lasten zu ermitteln und zwar hinsichtlich der Beanspruchung der Bauwerksmaterialien und der Begrenzung von Verformungen (Nachweis der Gebrauchstauglichkeit).
Die Problemstellungen beschränken sich auf statische (also ruhende, unbewegte) Konstruktionen, während die verwandte Baudynamik die Stabilität schwingender Konstruktionen erfasst.
Als spezielles und spezialisiertes Teilgebiet der Mechanik bedient sich die klassische Baustatik vor allem der Elastizitätstheorie und des Hookeschen Gesetzes. Eine wichtige Rolle in ihr spielt deshalb das Superpositionsprinzip, also die Annahme der Proportionalität von Last und Verformung und damit der inneren Spannungen.
Inhaltsverzeichnis
Abgrenzungen und Begriffe
Der Begriff Statik wird mehrdeutig verwendet und betrifft oft die theoretisch-mathematisch-physikalische Seite, während die Baustatik die Anwendung der Statik im Bauwesen zum Ziel hat. Deshalb steht zuerst die Konstruktion des Tragwerkes und danach die Bemessung von Bauteilen im Vordergrund, also die Planung des Tragwerkes mit der Ermittlung der notwendigen Dimensionen, der Abmessungen, der Querschnitte, der Bewehrung usw.
Der verantwortliche Baustatiker oder Tragwerksplaner - heute in der Regel ein Bauingenieur, seltener ein Architekt - wird umgangssprachlich oft als Statiker bezeichnet. Das Ergebnis seiner Überlegungen und Berechnungen, die Statische Berechnung wird in einigen Zusammenhängen Standsicherheitsnachweis oft verkürzt aber auch Statik genannt.
Aufgaben
Die wichtigste Grundforderung der Baustatik wie der Statik ist, dass das Tragsystem im stabilen Gleichgewicht ist. Ein wesentlicher Teil der Baustatik ist es, aus einem komplexen Bauwerk ein klar definiertes Tragsystem zu modellieren, das man mit wirtschaftlich sinnvollem Aufwand berechnen kann. Zuerst werden die Lasten ermittelt. Daraus ergeben sich die wirkenden Kräfte. Diese werden dann durch die tragenden Teile in den Baugrund abgetragen.
Tragwerke
Die Baustatik kennt zwei große Gruppen von Tragwerken:
- Stabwerke und Fachwerke (Stäbe, Träger, Stützen, Rahmen)
- Flächentragwerke, bestehend aus Platten, Scheiben, Schalen oder Membrane (Flächenstatik).
Einwirkungen (Lasten)
Die Einwirkungen (bzw. Lasten) für die ein Tragwerk mittels der Baustatik bemessen werden muss, sind u.a.
- Eigengewicht
- Nutzlast (früher auch Verkehrslast)
- Windlast
- Schneelast
- Wasserdruck
- Erddruck
- Fahrzeuganprall
- Erdbeben; Bemessungskriterien (Erdbeben)
- Eisdruck, Eislast
- Temperatur
- Zwang
Dynamische Lasten (Stöße, Vibrationen, Schwingungen, Erdbeben) werden üblicherweise in statische Ersatzlasten umgerechnet, bevor sie auf ein Bauwerk angesetzt werden.
Berechnungsverfahren
- Hauptartikel: Statische Berechnung
Die Berechnungsverfahren in der Baustatik lassen sich unterteilen in:
- Zeichnerische Verfahren (Grafische Statik)
- Rechnerische Verfahren (Starrkörperstatik, Elastizitätslehre, Nichtlineare Stabstatik, ...)
- Experimentelle Statik
Zeichnerische Verfahren
Rechnerische Verfahren
Zu den rechnerischen Verfahren der Baustatik zählen u.a.:
Klassische Verfahren
- Ritter'sches Schnittverfahren
- Kraftgrößenverfahren
- Weggrößenverfahren
- Formänderungsverfahren
- Momentenausgleichsverfahren
- Drehwinkelverfahren
- Cross-Verfahren
- Kani-Verfahren (Verfahren nach Kani)
- Spannungstrapezverfahren
Matrizenverfahren
- Finite-Elemente-Methode (FEM)
- Finite-Differenzen-Methode (FDM)
- Randelemente-Methode (REM) (=Boundary Element Method, BEM)
- Discrete element method (DEM) (=Distinct element method)
Elektronische Berechnungen
Statische Berechnungen werden heute fast nur noch mit Computerprogrammen erstellt, weil es für jeden Zweck Bemessungsprogramme gibt. Die untersuchten statischen Systeme werden immer komplexer und anspruchsvoller. Die Berechnung von ebenen Flächentragwerken wie Deckenplatten, elastisch gebetteten Platten, Wandscheiben etc. ist heute in der Praxis eine Routineaufgabe. Mit der Finite-Elemente-Methode werden kompliziertere Tragwerke wie Membran- und Schalentragwerke untersucht.
Erweiterte Technische Biegelehre
Die Technische Biegelehre wurde derart erweitert, daß auch für die allgemeine Schnittgrößenkombination (N, My, Mz, Vz, Vy, T) der zugehörige Verzerrungszustand berechnet werden kann. Er ist ebenfalls eine Dehnungsebene, die infolge der zu berücksichtigenden Gleitung zusätzlich noch verwölbt wird. Bei der Erweiterten Technischen Biegelehre (ETB) werden analog der Technischen Biegelehre die notwendigen Bedingungen von Gleichgewicht und geometrischer Verträglichkeit bei realistischem Werkstoffverhalten erfüllt. Die Anwendung der ETB macht die getrennten Nachweise Biegebemessung und Schubbemessung überflüssig.
Theorie I., II. oder III. Ordnung
Die Berechnung der Kräfte an unverformten Tragwerken nennt man Theorie I. Ordnung. Das bedeutet, dass die Änderung der Geometrie der Tragwerke durch die Belastung selbst vernachlässigt wird. Diese Vorgehensweise ist dann und nur dann zulässig, wenn die Verformungen so klein sind, dass sie die Ergebnisse der Berechnung nur unwesentlich beeinflussen.
Wenn die Gefahr des Stabilitätsverlustes für das Tragwerk nicht ausgeschlossen werden kann, muss bei der Berechnung die Geometrie des verformten Tragwerkes berücksichtigt werden. Dabei ist es im Allgemeinen außerdem erforderlich, auch die ungewollten Abweichungen des Tragwerkes von der geplanten Geometrie (z. B. Schiefstellung von Stützen) und die Vorverformungen der Bauteile (z. B. Krümmung von Druckstäben) zu berücksichtigen. Die zu berücksichtigende Größe dieser Imperfektionen im Bauingenieurwesen ist in Normen festgelegt.
Bei der sogenannten Theorie II. Ordnung (Deflektionstheorie) wird angenommen, dass die Verdrehungen eines Bauteils sehr klein sind. Dies stellt im Bauwesen die Regel dar, denn große Verdrehungen führen dazu, dass die Gebrauchstauglichkeit nicht mehr gegeben ist. Aus der Annahme kleiner Verdrehungen folgen die Vereinfachungen sin φ = φ und cos φ = 1. Außerdem kann angenommen werden, dass das Produkt zweier Winkel zu Null wird.
Seltener ist es erforderlich, auch die große Verdrehungen eines Tragwerkes zu erfassen. In diesem Fall spricht man von einer Berechnung nach Theorie III. Ordnung. Die Vereinfachungen der Theorie II. Ordnung gelten dann nicht mehr.
Soweit die Gefahr des Stabilitätsverlustes nur für einzelne Bauteile (z. B. durch Knicken oder Beulen) besteht, kann auf spezielle Nachweise für diese Versagensformen zurückgegriffen werden.
Baustoffe
Die Berechnungsergebnisse der Baustatik dienen der Bemessung der Tragwerke. Diese unterscheiden sich auch nach den Baustoffen, die deshalb ganz unterschiedliche Bemessungsverfahren bedingen:
- Beton, Stahlbeton, Spannbeton, Mauerwerk (Massivbau)
- Stahl und andere Metalle, speziell Aluminium (Stahlbau und allgemeiner Metallbau)
- Beton mit Stahl (Verbundbau)
- Holz (Holzbau)
- Kunststoff (Kunststoffbau)
- Boden und Erdstoffe (Grundbau)
- Konstruktiver Glasbau
Geschichte der Baustatik
Die Geschichte der Baustatik ist eng mit den Forschungen und Veröffentlichungen u.a. der folgenden Autoren verknüpft:
- Archimedes (287–212 v. Chr.) Hebelgesetz
- Leonardo da Vinci (1452–1519) erste anschauliche Überlegungen zur Gewölbewirkung und Balkenbiegung, qualitative Aussagen zur Tragfähigkeit
- Simon Stevin (1548–1620) belgisch-niederländischer Mathematiker, Physiker und Ingenieur. Parallelogramm der Kräfte, Statik fester Körper und der Flüssigkeiten; Einführung der Dezimalstellen
- Galileo Galilei (1564–1642) Prinzipien der Mechanik, Festigkeitslehre und Fallgesetze
- Edme Mariotte (1620–1684) – Spannungsverteilung – „Achse des Gleichgewichts“
- Robert Hooke (1635–1703) Proportionalitätsgesetz
- Pierre Bullet (1639–1716) erster Versuch einer Erddrucktheorie 1691
- Sir Isaac Newton (1643–1727) Begründer der klassischen theoretischen Physik und damit der exakten Naturwissenschaften, mathematische Grundlagen der Naturwissenschaften, Formulierung der drei Bewegungssätze, Gleichgewicht der Kräfte, Infinitesimalrechnung
- Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) – Widerstandsmomente, Infinitesimalrechnung
- Jakob Bernoulli (1655–1705) Krümmung des elastischen Balkens, Zusammenhang zwischen Belastung und Biegung; Ebenbleiben der Querschnitte
- Pierre de Varignon (1654–1722) französischer Mathematiker. Zusammensetzung der Kräfte, Gesetz vom Kräfteparallelogramm (Varignon-Parallelogramm), Begriff des Kraftmoments, Seilpolygon
- Antoine Parent (1666–1716) – Dreieckige Verteilung der Zugspannung
- Jakob Leupold (1674–1727) – Durchbiegung und Tragfähigkeit
- Pierre Couplet Starrkörper-Theorie des Gewölbes 1730
- Leonhard Euler (1707–1783) Balkentheorie; elastische Linie; Seile; Knickstab
- Charles Augustin de Coulomb (1736–1806) Reibung, Erddrucktheorie, Gewölbetheorie, Torsion, Festigkeit, Spannungen, Balkenbiegung
- Johann Albert Eytelwein (1764–1848) Auflagerkräfte des Durchlaufträgers, Euler-Eytelwein-Formel
- Claude Henri Navier (1785–1836) Theorie der Hängebrücke 1823; erste umfassende Baustatik, Technische Biegelehre 1826; Untersuchung statisch unbestimmter Stabtragwerke
- Augustin Louis Cauchy (1789–1857) Elastizitätstheorie, Spannungsbegriff
- Benoit Paul Emile Clapeyron (1799–1864) Dreimomentengleichung am Durchlaufträger 1857
- William John Macquorn Rankine (1820–1872) Erddrucktheorie 1856, weitere Beiträge zu baustatischen Einzelfragen ab 1858
- Karl Culmann (1821–1881) Fachwerktheorie 1851; grafische Statik 1866
- Gustav Robert Kirchhoff (1824–1887) Plattentheorie
- Federico Luigi Menabrea (1809–1896) Satz von Menabrea zur Formänderungsenergie statisch unbestimmter Systeme (Prinzip von Castigliano und Menabrea)
- Enrico Betti (1823–1892) Satz von Betti
- August Ritter (1826–1908) Ritter'sches Schnittverfahren für statisch bestimmte Fachwerke 1863
- Luigi Cremona (1830–1903) Zeichnerische Bestimmung der Stabkräfte in statisch bestimmten Fachwerken ("Cremonaplan", 1872)
- Emil Winkler (1835–1888) Winklersche Bettung, Verfahren der Influenzlinien (Einflusslinien)
- Christian Otto Mohr (1835–1918) Mohr-Coulombsche Festigkeitshypothese; Mohr'scher Spannungskreis; graphische Bestimmung der Biegelinie
- Carlo Alberto Castigliano (1847–1884) Sätze von Castigliano, darauf aufbauend Analyse statisch unbestimmter Systeme
- Rudolf Bredt (1842–1900) Bredtsche Formeln in der Festigkeitslehre
- Heinrich Müller-Breslau (1851–1925) Systematik der rechnerischen Methoden, insbesondere Prinzip der virtuellen Verschiebungen und systematische Anwendung der Energiesätze
- Augustus Edward Hough Love (1863–1940) theoretische Kontinuumsmechanik; Lehrbuch über Elastizitätstheorie
- Kurt Beyer (1881–1952) Lösung linearer Gleichungssysteme
- Hardy Cross (1885–1959) Cross-Verfahren, eine Methode zur iterativen Berechnung statisch unbestimmter Stabtragwerke, 1930
- Alexander Hrennikoff (1896–1984) Vorarbeiten zur FEM, 1941
- Gaspar Kani (1910–1968) Kani-Verfahren 1949
- Kurt Hirschfeld (1902–1994) Lehrbuch der Baustatik 1958
- John Argyris (1913–2004) Mitbegründer der Finite-Elemente-Methode
- Olgierd Cecil Zienkiewicz (1921–2009) Pionier der Finite-Elemente-Methode; erstes Lehrbuch der FEM
Siehe auch
Literatur
- Dr.-Ing. Bernhard Hartung: Zur Mechanik des Stahlbetonbalkens. Dissertation TH Darmstadt 1985 D 17.
- Dr.-Ing. Bernhard Hartung, Prof. Dr.-Ing. Albert Krebs: Erweiterung der Technischen Biegelehre Teil 1". Beton- und Stahlbetonbau 99(2004), Heft 5.
- Dr.-Ing. Bernhard Hartung, Prof. Dr.-Ing. Albert Krebs: Erweiterung der Technischen Biegelehre Teil 2". Beton- und Stahlbetonbau 99 (2004), Heft 7.
- Karl-Eugen Kurrer: Geschichte der Baustatik. Berlin: Ernst & Sohn 2002. ISBN 3-433-01641-0.
- Karl-Eugen Kurrer: The History of the Theory of Structures. From Arch Analysis to Computational Mechanics. Berlin: Ernst & Sohn 2008. ISBN 978-3-433-01838-5.
Weblinks
- www.statik-lernen.de - Diplomarbeit an der FH Kaiserslautern.
- KI-SMILE - Visualisierungen zum Thema Statik und Einwirkungen
- EasyStatics - Computerprogramm von der ETH Zürich zur Berechnung von ebenen Stabtragwerken.
- www.statikblog.de - Der einzige Blog zum Thema Statik.
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