- Volkstribunat
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Volkstribun (tribunus plebis) war ein Magistrat, das heißt ein gewählter politischer Amtsträger, in der Römischen Republik. Welche Stellung das Amt im cursus honorum hatte und ab wann es überhaupt dazu gezählt werden kann, ist umstritten.[1] Ihr Amtsantritt war stets am 10. Dezember des Jahres.[2]
Inhaltsverzeichnis
Römische Republik
Das Volkstribunat entstand gemäß der legendären römischen Überlieferung im Jahre 494 v. Chr., 15 Jahre nach der Gründung der römischen Republik, zu Beginn der Ständekämpfe. Die ersten Volkstribune traten 493 v. Chr. ihr Amt an. Aufgabe der Volkstribunen war die Verteidigung der Plebejer gegen die Macht der Patrizier (ius auxilii). Sie schritten gegen Entscheidungen und Maßnahmen patrizischer Beamter und des Senats ein. Dabei stützten sie sich nicht auf eine gesetzliche Grundlage, sondern auf ein religiöses Tabu: Die Person eines Volkstribunen galt als sakrosankt (lat. sacrosanctitas: „Unantastbarkeit“) bzw. wurde er durch den Eid der Plebejer auf sich vor einem Angriff geschützt.[3] Wer einen Volkstribunen körperlich attackierte, konnte ursprünglich vom Volk getötet werden, in späterer Zeit konnte er als Hochverräter hingerichtet werden. Der Volkstribun bewegte sich daher demonstrativ unbewaffnet und ließ auch nachts die Tür seines Hauses unverschlossen. Die sacrosanctitas war mehr als ein Schutz, sie konnte als offensives, z. B. als physisches Mittel, Widerstand zu brechen, und defensives Mittel, z. B. durch das Einspruchsrecht, eingesetzt werden.[4]
Die Zahl der Volkstribune variierte im Laufe der Zeit: Anfangs waren es zwei oder fünf[5], seit 471 v. Chr. betrug ihre Zahl vier; 457 v. Chr. schließlich wurde das Volkstribunat ein Zehnerkollegium.[6] Wie alle römischen Beamten wurden die Volkstribunen für ein Jahr gewählt, allerdings nicht von einer Versammlung des gesamten Volkes, sondern nur von den Plebejern im concilium plebis. Im Weiteren galten für das Amt die Prinzipien aller römischen Magistrate: Kontinuation (direkte Wiederholung), Iteration und Kumulation (Ämterhäufung) waren verboten. Abweichungen von diesen Regeln gab es vereinzelt in der frühen Republik, doch erst in der späten, ab dem Jahre 123 v. Chr., wurden bewusst von diesen Regeln abgewichen, so dass das Tribunat direkt und hintereinander ausgeübt werden konnte.[7]
In der mittleren Republik
Nach dem Ende der Ständekämpfe mit der Lex Hortensia 287 v. Chr. veränderte sich die Bedeutung des Volkstribunats, da nunmehr auch Plebejer in die politische Führungsschicht (Nobilität) eingebunden waren. Das Amt bestand fort, jetzt aber öffentlich anerkannt, wenn auch nicht als formeller Bestandteil der Ämterlaufbahn (cursus honorum). Weiterhin waren nur Plebejer für das Amt wählbar. Die Volkstribune konnten, im Gegensatz zu den anderen Amtsträgern, innerhalb der Stadt Rom alle Entscheidungen und Maßnahmen der anderen Magistrate durch ihr Veto (lat. „ich verbiete“) außer Kraft setzen (ius intercessionis). Sie hatten das Recht, den Senat einzuberufen (ius senatus habendi) und sich im Senat zu äußern (ius agendi cum senatu) sowie in der Versammlung der Plebejer Gesetze beschließen zu lassen, die für alle Römer, auch die Nobilität, bindend waren (ius cum plebe agendi). Ähnlich den anderen Magistraten konnten die Volkstribune das ius obnuntiandi nutzen, mit dem sich die Durchführung einer Versammlung oder einer Wahl bei schlechten Vorzeichen verhindern ließ. Die konkreten Möglichkeiten – entweder das Recht, selbst die Auspizien zu deuten und zu interzedieren, oder nur das Recht der Weiterleitung des Vorzeichens an die leitenden Beamten – sind unklar. Bis zur Wiederherstellung der Rechte des Volkstribunats nach Sulla in der späten Republik wurde die Obnuntiation nicht genutzt.[8] Als das mächtigste Werkzeug der tribunizischen Gewalt wird das ius contionandi angesehen, das Recht, beratende Zusammenkünfte (contiones) vor Volksversammlungen einzuberufen.
Alle Rechte der Volkstribunen waren sog. „negierende Rechte“, da sie nur Handlungen unterbinden, selbst jedoch keine in Kraft setzen konnten. Damit fehlte ihnen ein exekutiver und legislativer Charakter. Die indirekte Ausnahme bildete das Recht, mit Hilfe des concilium plebis Gesetze zu gestalten. Allerdings wurde diese Möglichkeit weder umfassend noch konsequent genutzt, sondern nur von Einzelpersönlichkeiten in bestimmten Situationen, in der Regel, um von popularer Seite gegen die Senatsmehrheit zu operieren.[9]
In der späten Republik
Im letzten Jahrhundert der römischen Republik diente das Amt dann bevorzugt popularen Politikern als entscheidendes Machtinstrument. Tiberius Sempronius Gracchus (Volkstribun 133 v. Chr.), sein Bruder Gaius (Volkstribun 123 und 122 v. Chr.), Lucius Appuleius Saturninus (Volkstribun 103, 100 und 99 v. Chr.) und Marcus Livius Drusus (Volkstribun 91 v. Chr.) versuchten ihre Reformpläne mit den Möglichkeiten des Volkstribunats durchzusetzen. Nach anfänglichen Erfolgen scheiterten sie und wurden getötet. Mit Hilfe der contiones, die sich lautstark und in der späten Republik teils auch gewalttätig äußern konnten, war es den Volkstribunen möglich, öffentlich Druck zu erzeugen oder den Senat bzw. die anderen Magistrate einzuschüchtern.[10] Besonders von Anhängern der popularen Methode wurden die contiones genutzt, indem sie ihre – durchaus wechselnde – Gefolgschaft mobilisierten.[11]
Um das Amt für karrierebewusste Politiker unattraktiv zu machen und um es zu schwächen, beschränkte es der Diktator Sulla (82–79 v. Chr.) massiv.[12] Im Anschluss an das Volkstribunat durfte keine weitere Magistratur bekleidet werden. Außerdem hatten die Volkstribunen ihre Gesetzesinitiativen vorher mit dem Senat abzustimmen, was ihnen faktisch jegliche Möglichkeit zur Gesetzesinitiative nahm.[13] Im Weiteren schränkte Sulla das ius intercessionis[14] und die Möglichkeit der Mitsprache im Senat[15] ein; die Tragweite dieser Einschränkungen ist jedoch unklar und umstritten. Im Rahmen seiner Neuordnung der Ämterlaufbahn wurde das Volkstribunat Teil des cursus honorum und der Ädilität gleich gestellt. Damit hatte ein Volkstribun nach dem Ende seiner Amtszeit auch das Anrecht auf einen Sitz im Senat.[16]
Diese Maßnahmen wurden – mit Ausnahme der Einordnung in die Ämterlaufbahn und des Senatssitzes – von Pompeius und Crassus in ihrem ersten Konsulat 70 v. Chr. wieder aufgehoben, so dass in den letzten Jahren der Republik das Volkstribunat für manche Politiker, etwa Publius Clodius Pulcher, eine interessante Option zusätzlich zu den Magistraturen des cursus honorum sein konnte.
Im Jahre 48 v. Chr. (vielleicht auch erst 44 v. Chr.) wurden vermutlich auf Antrag des amtierenden Tribunen Aulus Hirtius Gaius Iulius Caesar ein Teil der tribunizischen (Ehren-)Rechte zuteil: Der Diktator durfte während der Spiele auf der Tribunenbank sitzen (ius subsellii).[17]. Vier Jahre später bekam Caesar, legitimiert durch die Volksversammlung und den Senat, die sacrosanctitas zugestanden,[18] wofür das Volk – analog zum Vorgehen bei den Volkstribunen – einen Eid auf ihn schwor.[19] Damit zeigte sich, dass die Macht und die Rechte des Amtes vom Amt selber abgelöst werden konnten, was schließlich seiner Entmachtung in der Kaiserzeit führte.
Römische Kaiserzeit
Die Verleihung der tribunicia potestas an Augustus ist aufgrund der Quellenlage[20] unklar und umstritten. 36 v. Chr. erhielt er die tribunizische Gewalt, so die sacrosanctitas, das ius subselli und das ius auxilii. 30 v. Chr. wurde letzteres über das Stadtgebiet Roms bis zum ersten Meilenstein ausgeweitet. Ab 23 v. Chr. konnte der Princeps über die tribunicia potestas annua et perpetua verfügen und damit im gesamten Reichsgebiet des römischen Imperiums ständig ausüben. Seitdem war die Amtsgewalt der Tribunen Bestandteil der kaiserlichen Macht, was sich auch an der Zählung der Kaiserjahre nach der tribunicia potestas zeigte. Das Amt selber und den Titel übernahm Augustus nicht.[21]
Damit war seit diesem Zeitpunkt das Amt selbst bedeutungslos. Es bestand zwar auch in der Kaiserzeit fort, wo es anstelle des Ädilenamtes im cursus honorum bekleidet werden konnte, hatte allerdings keine politische Funktion mehr.
Nachwirkungen
Im Mittelalter wurde noch einmal ein kurzer Versuch gemacht, das Tribunat wiederherzustellen, indem das römische Volk 1347 die Republik erklärte und Cola di Rienzo zum Tribun erhob.
Amtsträger
siehe Liste der Volkstribune der römischen Republik
Anmerkungen
- ↑ Lukas Thommen: Das Volkstribunat der späten römischen Republik, Stuttgart 1989, S. 22–30.
- ↑ Wolfgang Kunkel, Roland Wittmann: Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik. Zweiter Abschnitt: Die Magistratur, München 1995, S. 566.
- ↑ Jochen Bleicken: Das römische Volkstribunat, in: Chiron 11, 1981, S. 93.
- ↑ Andrew Lintott: The Constitution of the Roman Republic, Oxford 1999, S. 123–125.
- ↑ Lintott, S. 121, Anmerkung 1.
- ↑ Heinz Bellen: Grundzüge der römischen Geschichte. Teil 1. 2. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995, ISBN 3-534-02726-4, S. 22 bzw. 24.
- ↑ Thommen, S. 31 f.
- ↑ Thommen, S. 241–248
- ↑ Thommen, S. 126 - 139.
- ↑ Thommen, S. 171–179.
- ↑ Thommen, S. 179–187
- ↑ Zu Sullas Motiven, auch den persönlichen, siehe u. a. Karl-Joachim Hölkeskamp: L. Cornelius Sulla, in: Hölkeskamp/Hölkeskamp (Hgg.): Von Romulus zu Augustus. Große Gestalten der römischen Republik, Beck, München 2000, S. 200–218.
- ↑ Möglicherweise wurde ihnen auch de facto die Gesetzesinitiative vor der Volksversammlung genommen. Vgl. Herbert Heftner: Von den Gracchen bis Sulla. Die römische Republik am Scheideweg 133–78 v. Chr., Regensburg, 2006, S. 213–215.
- ↑ Heftner, S. 214, bsd. Anmerkung 15 (S. 274).
- ↑ Thommen, S. 195 f.
- ↑ Heftner, S. 215 f.
- ↑ Ernst Hohl: Besaß Cäsar Tribunengewalt? In: Klio 32, 1939, S. 61–75.
- ↑ Thommen, S. 103 f.
- ↑ Hohl, S. 69 f.
- ↑ Cassius Dio, 49, 15, 5 f. nennt die Unverletzlichkeit und das Sitzrecht als Ehrenrechte, Appian, Bürgerkriege 5, 132 hingegen und darauf aufbauend Orosius 6, 18, 4 sprechen von einer Verleihung der vollen Rechte durch den Senat.
- ↑ Hohl, S. 64 f. und 68.
Quellen
- M. Tullius Cicero, De Legibus
- T. Livius, Ab urbe condita
- Valerius Maximus, Buch 7
- P. Cornelius Tacitus, Historiae, Buch 4
Literatur
- Jochen Bleicken: Das Volkstribunat der klassischen römischen Republik. Studien zu seiner Entwicklung zwischen 281 und 133 v. Chr., München 1968 (= Zetemata 13).
- Thomas Robert Shannon Broughton, The Magistrates of the Roman Republic, New York 1951-1986.
- Giovanni Niccolini, I fasti dei tributi della plebe, Mailand 1934.
- Lukas Thommen: Das Volkstribunat der späten römischen Republik, Stuttgart 1989 ISBN 3-515-05187-2.
Weblinks
- Jona Lendering: Artikel bei Livius.org (englisch)
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