Volkstümler

Volkstümler

Narodniki (russ. Volkstümler, Volksfreunde) war eine sozialrevolutionäre Bewegung im zaristischen Russland, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Erscheinung trat.

Im Vordergrund dieser Bewegung standen revolutionäre Intellektuelle, die ihre gewohnte Umgebung verließen und als einfache Arbeiter lebten. Sie klärten das einfache Volk über soziale Missstände auf. Propagiert wurde die Erneuerung Russlands durch eine Bauernbewegung zu einem Sozialismus, in dessen theoretischem Mittelpunkt die Dorfkommune stand. Sie sahen in der Dorfkommune, die die wichtigsten Elemente einer sozialistischen Gesellschaft enthielten, die Möglichkeit, das kapitalistische Entwicklungsstadium zu umgehen und unmittelbar den Sozialismus zu erreichen. Trotz der wichtigen Fortschritte des Kapitalismus in der russischen Landwirtschaft nach der Bauernreform von 1861 waren die neuen Strukturen für sie ein künstliches Produkt, das keinen Zusammenhang mit der russischen Geschichte hatte.[1] Anstatt den langen und qualvollen Prozeß der kapitalistischen Entwicklung zu durchlaufen, könnten die russischen Revolutionären, nach den Narodniki zufolge, die historischen Bedingungen von Russland zum Interesse der Bauern benützen und durch Machtergreifung einer revolutionären Elite den Sozialismus von Oben gründen.

Im Frühjahr 1874 erfolgte ein spontaner und unorganisierter Aufstand, welcher jedoch niedergeschlagen wurde.

Die bekanntesten Vertreter dieser revolutionären Richtung waren Alexander Iwanowitsch Herzen, Nikolai Gawrilowitsch Tschernyschewski und Pjotr Lawrowitsch Lawrow.

Das Spektrum ihrer Anschauungen reichte von bürgerlich-demokratischer Aufklärung, über Philanthropie bis zum sozialrevolutionären Terrorismus.

Intellektuelle Vertreter suchten auch Kontakt zu Karl Marx (z. B. Wera Iwanowna Sassulitsch); das Scheitern ihrer Kulturrevolution wie ihres Terrorismus führte namentlich Plechanow zur Ablehnung der Narodniki und zur Auffassung, dass die russischen sozialen Probleme nur durch den Marxismus und die Sozialdemokratie zu lösen seien.

Ein Teil der Narodniki bildete 1879 die Geheimgesellschaft Narodnaja Wolja (Volkswille), welche die Ermordung (1881) Zars Alexander II. organisierte.

Die heterogene und schwärmerische Volkstümler-Ideologie beeinflusste auch den Schriftsteller Lew Tolstoj und war die Triebfeder für die russische Partei der "Sozialrevolutionäre". Ihr rechter Flügel war eine Koalitionspartei der "Provisorischen Regierung" nach der Februarrevolution 1917; ihr linker Flügel regierte zusammen mit den Bolschewiki vom November 1917 bis zum Juni 1918. (Attentat auf den deutschen Botschafter Wilhelm von Mirbach-Harff und auf Lenin, um den separaten Friedensvertrag von Brest-Litowsk zu brechen).

Einzelnachweise

  1. Richard Lorenz: Georgi Walentinowitsch Plechanow. In: Walter Euchner (Hg.) Klassiker des Sozialismus, München, 1991, C. H. Beck, S. 251-263 ISBN 3-406-35089-5

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Narodniki — Na|rọd|ni|ki 〈Pl.〉 Anhänger einer polit. u. literar. Bewegung im Russland der zweiten Hälfte des 19. Jh., die über eine Agrarreform die sozialistische Erneuerung Russlands anstrebten [russ., „Volkstümler“; zu narod „Volk“] * * * Narọdniki  … …   Universal-Lexikon

  • Legale Marxisten — Als Legale Marxisten wurden in Russland gegen Ende des 19. Jahrhunderts (1894 1899/1901) sozialwissenschaftliche Publizisten bezeichnet, die aus dem Marxismus ableiteten, dass Russland eine allmähliche kapitalistische Entwicklung bevorstehe. Da… …   Deutsch Wikipedia

  • Legaler Marxismus — Als Legale Marxisten wurden in Russland gegen Ende des 19. Jahrhunderts sozialwissenschaftliche Publizisten bezeichnet, die aus dem Marxismus ableiteten, dass Russland eine allmähliche kapitalistische Entwicklung bevorstehe. Deshalb lehnten sie… …   Deutsch Wikipedia

  • Leib Bronschtein — Leo Trotzki, ca. 1929 Trozki (russisch Троцкий, wiss. Transliteration Trockij, Pseudonym von Lew Dawidowitsch Bronstein / Лев Давидович Бронштейн / Lev Davidovič Bronštejn, jiddisch Leib Bra …   Deutsch Wikipedia

  • Leib Bronstein — Leo Trotzki, ca. 1929 Trozki (russisch Троцкий, wiss. Transliteration Trockij, Pseudonym von Lew Dawidowitsch Bronstein / Лев Давидович Бронштейн / Lev Davidovič Bronštejn, jiddisch Leib Bra …   Deutsch Wikipedia

  • Leo Trotzki — Leo Trotzki, um 1929 Leo Trotzki (russisch Лев Троцкий, wiss. Transliteration Lev Trockij, Pseudonym von Lew Dawidowitsch Bronstein / Лев Давидович …   Deutsch Wikipedia

  • Leo Trotzkij — Leo Trotzki, ca. 1929 Trozki (russisch Троцкий, wiss. Transliteration Trockij, Pseudonym von Lew Dawidowitsch Bronstein / Лев Давидович Бронштейн / Lev Davidovič Bronštejn, jiddisch Leib Bra …   Deutsch Wikipedia

  • Leon Trotsky — Leo Trotzki, ca. 1929 Trozki (russisch Троцкий, wiss. Transliteration Trockij, Pseudonym von Lew Dawidowitsch Bronstein / Лев Давидович Бронштейн / Lev Davidovič Bronštejn, jiddisch Leib Bra …   Deutsch Wikipedia

  • Lev Davidovitch Bronstein — Leo Trotzki, ca. 1929 Trozki (russisch Троцкий, wiss. Transliteration Trockij, Pseudonym von Lew Dawidowitsch Bronstein / Лев Давидович Бронштейн / Lev Davidovič Bronštejn, jiddisch Leib Bra …   Deutsch Wikipedia

  • Lew Bronstein — Leo Trotzki, ca. 1929 Trozki (russisch Троцкий, wiss. Transliteration Trockij, Pseudonym von Lew Dawidowitsch Bronstein / Лев Давидович Бронштейн / Lev Davidovič Bronštejn, jiddisch Leib Bra …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”