- Vélodrome d'Hiver
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Vélodrome d’Hiver, umgangssprachlich auch Vel' d’Hiv (frz. Winterradrennbahn) war eine Sporthalle mit Radrennbahn in Paris in der Nähe des Eiffelturms. Das Velodrom wurde 1900 erbaut, 1903 als Vielzweck-Sporthalle in Betrieb genommen und 1959 abgerissen. Im Jahre 1942 wurden dort rund 13.000 Juden vor ihrem Transport in Konzentrationslager gefangen gehalten. Dieses Ereignis wurde bekannt als „la Grande rafle du Vel’ d’Hiv" (Razzia des Wintervelodroms).
Inhaltsverzeichnis
Die Vorläuferin
Das Vélodrome d’Hiver war ursprünglich eine Maschinenhalle, die für die Weltausstellung im Jahre 1900 errichtet worden war, deren Prundstück der Eiffelturm (erbaut für die Weltausstellung 1889) war. Henri Desgrange, Herausgeber der Zeitschrift ‚‘L’Auto‘‘ und späterer Begründer der Tour de France, veranlasste im Jahre 1902, dass eine 333-Meter-Radrennbahn in die Halle eingebaut wurde. Die erste Veranstaltung am 20. Dezember 1903 im „Vel’ d’Hiv“ war ein Geher-Wettbewerb als Vorprogramm für ein Steher-Rennen mit den Stars der damaligen Zeit vor 20.000 Zuschauern. Der Eintritt kostete 7 Francs, es gab nur primitive Sitztribünen und keine Heizung.
Umzug und Namensänderung
1909 wurde die Maschinenhalle für den Abriss freigegeben. Desgrange suchte und fand eine neue Halle an der Ecke Boulevard de Grenelle/Rue Nélaton. Das neue Gebäude erhielt den Namen „Vélodrome d’Hiver“, eine Radrennbahn von 253,16 Metern wurde eingebaut, die Linie, auf der die Steher idealerweise fuhren, ergab genau eine Rundenlänge von 250 Metern. Der 2700 Quadratmeter große Innenraum wurde als Rollschuhbahn konzipiert. Erleuchtet wurde das Vel’ d’Hiv von 1253 Hängelampen. Erschwert wurden die Bauarbeiten durch ein Hochwasser der Seine, weshalb auch die Eröffnung der Halle verschoben werden musste.
Sechstagerennen
Das erste Sechstagerennen im ausverkauften Vel’ d’Hiv fand am 13. Januar 1913 statt. Unter den 20.000 Zuschauern waren zahlreiche Prominente, darunter Henri de Rothschild, der ein Preisgeld von 600 Francs, und die Tänzerin Mistinguett, die 1000 Francs aussetzte. Im Fahrerfeld befanden sich populäre Rennfahrer wie Émile Friol, der Deutsche Walter Rütt und der Däne Thorvald Ellegaard sowie die beiden Tour-de-France-Sieger Louis Trousselier und Émile Georget.
Kriegsbedingt fand das nächste Sechstagerennen erst im Jahre 1921 statt, fortan jährlich, meist anfangs April. Unter den Siegern der Pariser Six days im Vel’ d’Hiv befanden sich bekannte Fahrer wie Oscar Egg, Georges Serès, Émile Aerts, Piet van Kempen, Reggie McNamara, Georges Wambst, René Pijnenburg und Rik van Steenbergen. Das letzte Pariser Sechstagerennen im Vel’ d’Hiv gewann Jacques Anquetil, am Start waren zudem Fausto Coppi und Roger Rivière.
Ab 1926 wurde es Tradition, eine „Sechstage-Königin“ zu wählen, darunter Edith Piaf, die Schauspielerin Annie Cordy und die Akkordeonspielerin Yvette Horner, im letzten Jahr (1958) war dies die Schauspielerin Michèle Mercier („Angelique“). Passionierte Besucher der Six days waren Ernest Hemingway und Samuel Beckett, während sie in Paris lebten.
Weitere Veranstaltungen
Neben Sechstagerennen und anderen Wettkämpfen auf der Radrennbahn wie Steher-Rennen und Sprint-Wettbewerbe fanden viele weitere Sportveranstaltungen im Vel' d'Hiv statt wie Boxkämpfe, Ringen, Eislaufen – mit Sonja Henie oder den „Skating Vanities“ aus den USA – und Eishockey (dafür wurde der Innenraum in eine Eisfläche verwandelt) sowie Zirkusauftritte. 1951 wurde dort die Basketball-Europameisterschaft ausgetragen.
Die spektakulärste Zirkusshow im Jahre 1931, organisiert vom amerikanischen Box-Promoter Jeff Dickson, war gleichzeitig der größte Flop im Vel’ d’Hiv. Dickson hatte günstig 100 Löwen von einem Zirkus kaufen können und stellte eine Schau mit Kamelen und schwarzen Darstellern auf die Beine. Doch die Löwen waren krank und müde, Schreckschüsse in die Luft änderten daran nichts. Als Mitarbeiter begannen, die Löwen zu schlagen, protestierte das Publikum. Dickson versuchte, die Tiere loszuwerden, indem er etwa die Kamele aussetzen ließ – ohne Erfolg. Die Tiere wurden schließlich in einen deutschen Zoo geschafft. Das Debakel verursachte ein Minus von 700.000 Francs.
La Grande rafle du Vel’ d’Hiv
1940 wurde der Norden Frankreichs von der deutschen Wehrmacht besetzt, im Süden herrschte die Vichy-Regierung unter Marschall Philippe Pétain. Diese Regierung, der die Polizei von ganz Frankreich unterstand, arbeitete mit den deutschen Besatzern zusammen. Im September 1940 wurde in Paris eine Volkszählung durchgeführt, um die Zahl der Juden (150.000) festzustellen.
Nach gemeinsamer Planung deutscher und französischer Beamter begannen 1942 die Vorbereitungen für eine Massenrazzia in Paris. Es sollten staatenlose und ausländische Juden zwischen 16 und 60 Jahren verhaftet werden. Nur ein Viertel der Juden, die vor Ausbruch des Krieges in Paris lebten, waren in Frankreich geboren worden. Die meisten waren Flüchtlinge aus Osteuropa, Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei.[1]
Am 16. und 17. Juli 1942 wurde die geplante Razzia in Paris durchgeführt. Fast 13.000 Juden, unter ihnen über 4.000 Kinder, wurden festgenommen. Mindestens 4.500 französische Polizisten waren beteiligt. Jedoch konnten sich mehr als 10.000 Juden retten, da sie von Polizeibeamten gewarnt worden waren. Die festgenommenen Juden wurden vor ihrem Transport nach Auschwitz im Vel’ d’Hiv zusammengepfercht. Diese Aktion wird als „la Grande rafle du Vel’ d’Hiv“ bezeichnet.[2]
Unter dem Glasdach der Radsporthalle stiegen die Temperaturen ins Unerträgliche. Toiletten gab es keine, nur wenig Nahrung und Wasser durfte von Hilfsorganisationen gebracht werden. 30 Menschen starben schon dort. Nach fünf Tagen wurden die Erwachsenen nach Auschwitz transportiert. Obwohl die französische Regierung sich dafür einsetzte, die zurückgebliebenen Kinder in Kinderheimen unterzubringen, entschied das Reichssicherheitshauptamt, die Kinder ebenfalls in Vernichtungslager schicken zu lassen.[3]
Die Beteiligung der französischen Vichy-Regierung sowie französischer Polizeibeamter an dieser Aktion war jahrzehntelang ein Tabu in Frankreich. Erst am 16. Juli 1995 entschuldigte sich der französische Staatspräsident Jacques Chirac öffentlich.[4]
An der Stelle, wo bis 1959 das Velodrom stand, wurde im Jahre 1994 ein Denkmal zur Erinnerung an die „Rafle du Vel’ d’Hiv“ eingeweiht. Gestaltet wurde das Denkmal vom Architekten Mario Azagury und dem polnischen Bildhauer Walter Spitzer, der zu den Überlebenden von Auschwitz gehört.
Die letzten 14 Jahre
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fanden im Vel’ d’Hiv zahlreiche weitere Veranstaltungen statt wie Boxkämpfe, Catchen wie auch Roller-Catchen, ein Rodeo, Militär-Musikfestivals, Springreiten, Eisshows, Zirkusauftritte und natürlich weiterhin Sechstagerennen, aber auch politische Veranstaltungen.
Das letzte Sechstagerennen im Vel’ d’Hiv startete am 7. November 1958. Anschließend kam es zu einem Brand in der Halle, der Rest wurde schließlich 1959 abgerissen. Am 12. Mai 1959, eine Woche vor dem Abbruch, veranstaltete der Künstler Salvador Dali eine Kunstaktion auf der Bühne des Vel’ d’Hiv, indem er dort das Modell eines Eiffelturms explodieren ließ.
Heute stehen Wohnblocks an der Stelle, wo einst das Velodrom stand.
Anmerkungen
- ↑ http://images.buch.de/leseproben/9783833305481.pdf
- ↑ ‘‘Spiegel‘‘, 29. September 1997, S. 174
- ↑ http://www.braunbuch.de/2-01.shtml#i03
- ↑ http://images.buch.de/leseproben/9783833305481.pdf
Literatur
- Liliane Grumwald; Claude Cattaert, Le Vel’ d’Hiv, Paris 1979
- Renate Franz, Der vergessene Weltmeister, Bielefeld 2007
- Claude Levy;André Tillard, La Grande rafle du Vel’ d’Hiv' , Paris 1967
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