Wagenburg (Formation)

Wagenburg (Formation)
Zeitgenössische Darstellung einer Wagenburg aus dem 15. Jahrhundert
Darstellung einer spätmittelalterlichen Wagenburg im Mittelalterlichen Hausbuch von Schloss Wolfegg, spätes 15. Jahrhundert
Zweireihige Wagenburg als Feldlager im 16. Jahrhundert, links, oben und unten sind Ausfalltore erkennbar. Auffallend ist das völlige Fehlen der Zugtiere, die offensichtlich außerhalb der Wagenburg weiden.

Als Wagenburg werden zu einer Defensivformation aufgefahrene Wagen bezeichnet, die dabei die gleiche Funktion wahrnehmen wie Wälle oder Mauern bei Festungen oder Burgen. Als Form kommen bei Wagenburgen in erster Linie Kreis oder Viereck, je nach Gelände aber auch andere geometrische Figuren in Frage. Sie sind seit ältester Zeit als zweckmäßiges Schutz- und Verteidigungsmittel bekannt und wurden von Nomaden, wandernden Völkern und ziehenden Armeen verwendet. Bekannteste Beispiele sind die Wagenburgen der germanischen Völker und der Hussiten.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der älteste schriftliche Nachweis über die Verwendung von Wagenburgen findet sich in dem Drama "Die Phönikerinnen" von Euripides (5. Jahrhundert vor Christus). Es ist jedoch anzunehmen, dass schon lange vorher während längerer Märsche aus den Trossfahrzeugen der Armeen Feldlager im Stil von Wagenburgen aufgefahren wurden. Historisch nachgewiesen ist die Verwendung von Wagenburgen für wandernde Germanenstämme, die sie auch während der Schlacht als Rückzugspunkt oder letzte Bastion nutzten. So zum Beispiel bei den Schlachten von Aquae Sextiae (102 v.Chr.), Vercellae (101 v.Chr.) und Adrianopel (378 n.Chr.). Im Mittelalter werden Wagenburgen zu verschiedenen Zeiten erwähnt, dringen aber mit den Hussitenkriegen wieder ins allgemeine Bewusstsein. Wie die Völker während der Völkerwanderungen völlig auf die Wagen angewiesen, entwickelten die Hussiten großes Geschick im schnellen Bilden von Wagenburgen. Die Hussiten fuhren in der Schlacht bei Tachau (1427) 3.600 Wagen zu einer Wagenburg zusammen. Auch in Ungarn war der Einsatz von Wagenburgen seit der Schlacht bei Muhi üblich. Falls nicht ohnehin bekannt, gelangte das Wissen über die Wagenburgen von dort in das Osmanische Reich. Bei ihrem Sieg über die Ungarn in der Schlacht von Mohács (1526) bedienten sich die Osmanen einer Wagenburg. Auch während des Deutschen Bauernkriegs im frühen 16. Jahrhundert wurden Wagenburgen verwendet. In der jüngeren Neuzeit fand die Wagenburg bei den Siedlern des Wilden Westens und bei den Buren Anwendung. Aber selbst im Zweiten Weltkrieg sollen Flüchtlingstrecks noch Wagenburgen gebildet haben.

Aufbau und Anwendung

Die Idee, aus den im Tross ohnehin mitgeführten Wagen eine Deckung für die nächtlichen Lager oder im Fall eines Angriffs zu bilden, ist naheliegend. Dank verschiedener, stellenweise zwar phantastischer, sonst aber glaubwürdiger Berichte aus der Zeit der Hussiten, ergibt sich ein weitgehend klares Bild der hussitischen Wagenburg ("Tabor") aus dem 15. Jahrhundert.

Der Zug bestand demnach aus reinen Trossfahrzeugen und aus Mannschaftswagen; letztere waren mit je ca. 20 Kämpfern besetzt, bewaffnet mit Dreschflegeln und Spießen, Handrohren, Armbrüsten und Bögen. Durch Signalflaggen geregelt, die auf dem Spitzen- und dem Schlussfahrzeug jeder Reihe aufgezogen waren, wurde die Wagenburg aus der Bewegung zu kreisförmigen Reihen dicht nebeneinander stehender Wagen aufgefahren. Innerhalb dieses äußeren Kreises wurde aus den Trossfahrzeugen ein ebenfalls zweireihiger innerer Kreis, oder eine innere Wagenburg gebildet. Nach dem Ausschirren der Zugtiere wurden die Deichseln mit dem davor stehenden Wagen mit Ketten verbunden. Dabei wurde darauf geachtet, mehrere Ausfallöffnungen im Kreis zu lassen, die durch spanische Reiter geschlossen oder durch mit Setztartschen bewehrten Wagenlenker gesichert wurden. Um ein Unterkriechen der Wagen zu verhindern und als Deckung gegen Beschuss konnten Bretter von den Bracken herabgeklappt werden, zusätzlich wurden die Räder so weit es ging rasch mit Erdaufwürfen bedeckt. Auf den äußeren Wagen waren Kanonenrohre ("Tarasnitzen") so festgebunden, dass sie nach außen schießen konnten. Der angreifende Feind wurde nach einem Feuerschlag mit diesen Geschützen von den auf den Wagen erhöht stehenden Verteidigern bekämpft und zum Stillstand gebracht. Im entscheidenden Moment brachen aus den Ausfalltoren die Verteidiger mit Schwertern, Morgensternen und Dreschflegeln zum Gegenangriff hervor, während aus dem hinteren Tor die innerhalb der Wagenburg im Hintergrund bereitgehaltene Reiterei herausbrach, um die Seiten der Wagenburg herumstürmte und den Feind in den Flanken angriff oder verfolgte.

Taktischer Wert

Der taktische Nutzen der Wagenburg liegt hauptsächlich darin, die sonst eher hinderlichen Trossfahrzeuge auch im Gefecht einem positiven Zweck zuführen zu können. Die Verteidigung wird durch die Möglichkeit, sich auf diese mobile Befestigung abstützen zu können, nachhaltig gestärkt. Die Zeit, die zur Errichtung der Befestigung benötigt wird, ist wesentlich kürzer, als die zum Errichten eines Standlagers in der Art der römischen Legionen. Energie und Kampfkraft der Besatzung werden nicht für Schanzarbeiten verbraucht, sondern bleiben für das eigentliche Gefecht beinahe vollständig erhalten.

Wagenburgen sind jedoch rein defensive Einrichtungen, haben also bezogen auf das Gefecht keinen positiven, auf Lösung oder Beendigung des Konflikts gerichteten Zweck. Die Wagenburg kann keine Entscheidung erzwingen, sondern ist zum passiven Dulden gezwungen. Erst die vorbedachte Aussparung von Ausfallpforten in der Wagenburg ermöglicht Gegenangriffe, die nötig sind, um dem Gefecht einen positiven Zweck zu verleihen. Dadurch kann die Wagenburg aber auch im Rahmen offensiv-defensiver Feldzüge, wie auch von den Hussiten bewiesen, Wert erlangen. Die Idee der Wagenburg lässt sich nicht zu modernen Formen weiter entwickeln und bleibt dadurch lediglich Episode der Kriegsgeschichte. Besonders nachdem die Waffenentwicklung zu taktischer Auflockerung zwang und den Angreifer in die Lage versetzte, jede über Bodenhöhe aufragende Deckung schlagartig zu beseitigen, hatte die Wagenburg auch ihren defensiven Wert verloren. Die anachronistische Verwendung im Zweiten Weltkrieg erfolgte auch nicht durch taktisch geschulte Gruppen, sondern durch Flüchtlinge, die kompakte Bollwerke noch eher als Schutz denn als höhere Gefährdung betrachteten.

Legenden

Schilderungen aus der Zeit der Hussitenkriege und danach berichten von phantastischen Manövern, die mit den Wagen vollbracht worden sein sollen. Danach wurden die Wagen und die Wagenburg auch offensiv verwendet. Auf das Zeichen des Anführers sollen sich die Wagenkolonnen geteilt haben und in langen Reihen in das feindliche Heer eingefahren sein. Dadurch seien die feindlichen Truppen voneinander getrennt worden, verirrten sich in den nur den Hussiten bekannten, labyrinthischen Irrgängen und konnten dank der künstlich herbeigeführten Übermacht der Wagenbesatzungen leicht zwischen den Wagen nieder gemacht werden. Ein anderes Manöver bestand angeblich darin, dass die Wagen beim Auffahren zur Wagenburg schnell einen Teil des feindlichen Heeres umfuhren und dadurch in der entstehenden Wagenburg einschlossen, wo er wiederum mit Leichtigkeit vernichtet und die Gesamtstreitmacht des Feindes geschwächt werden konnte. Schon Delbrück verwarf diese Vorstellungen nach kritischer Quellenanalyse. Er wies darauf hin, das diese Manöver schon durch den Ausfall eines Pferdes empfindlich gestört wurden. Außerdem wäre es unlogisch, dass der Gegner das Herumfahren in seinen Reihen geduldet hätte.

Literatur

  • Bamm, Peter: Die unsichtbare Flagge, München 1952.
  • Delbrück, Hans: Geschichte der Kriegskunst. Das Mittelalter, Hamburg 2003.
  • Schmidtchen, Volker: Kriegswesen im späten Mittelalter. Technik, Taktik, Theorie, Weinheim 1990. ISBN 3-527-17580-6

Weblinks


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