Waldes

Waldes
Valdes auf dem Lutherdenkmal (1868) in Worms

Petrus Valdes, auch Waldes, Waldus, Valdus, Peter Waldo, Pierre Waldes († vor 1218), war Kaufmann in Lyon und begründete als religiöser Laie und Wanderprediger die Glaubensgemeinschaft der später nach ihm benannten Waldenser, die als eine der bedeutendsten mittelalterlichen Häresien (Ketzerbewegungen) gilt und die als religiöse Vereinigung trotz Verfolgungen durch die Inquisition bis heute überdauert hat.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken in Lyon

Valdes widmete sich als reicher Lyoner Bürger dem Bibelstudium und beauftragte in den frühen 1170er Jahren den Priester Stephan von Anse, die lateinische Bibelübersetzung, die Vulgata, in den örtlichen südfranzösisch/okzitanischen Dialekt zu übersetzen, damit die Bibel auch vom einfachen Volk verstanden werden konnte. Es wurden Abschriften dieser Übersetzung hergestellt, die nicht mehr erhalten sind.

Vermutlich um 1176/77, als eine Hungersnot übers Land zog, erfuhr Valdes ein religiöses Läuterungserlebnis, das sein bisheriges Leben in entscheidender Weise ändern sollte. Die Hintergründe dieses Ereignisses werden in den Quellen unterschiedlich dargestellt. So soll Valdes etwa nach Auskunft des Anonymus von Laon († nach 1219) vom Lied eines Spielmannes, welches die Legende vom Heiligen Alexius zum Inhalt hatte, tief ergriffen worden sein. Danach soll Valdes unter Übergabe eines großen Teils seines Vermögens an seine Gemahlin diese verlassen und seine Töchter dem Kloster in Fontévrault anvertraut haben.

Während der Hungersnot organisierte Valdes im Gebiet von Lyon öffentliche Armenausspeisungen und hielt in den folgenden Monaten Lesungen aus der Bibel ab, wodurch er zahlreiche Anhänger gewann, die seinem Beispiel von einem frommen Leben in freiwilliger Armut folgen wollten. Im Ideal eines apostelgleichen Lebens zogen in den folgenden Jahren immer mehr Männer und Frauen in Armut predigend und vom Betteln lebend, durch das Gebiet der Diözese Lyon, weshalb Valdes und seine Anhänger, die späteren Waldenser (frz. Vaudois), die Bezeichnung Arme von Lyon erhielten.

Der Konflikt mit der Kirche

Valdes und seine Anhänger hatten sich vorrangig der Aufforderung Christi an seine Apostel: Verkündet das Evangelium allen Geschöpfen (Mk. 16,15) verschrieben, die sie als im Prinzip jedem Christen freistehenden Auftrag auffassten. Genau an diesem Punkt jedoch tat sich jener grundlegende Konflikt mit der katholischen Kirche auf, der die Waldenser später auch zum Zielobjekt der Inquisition machen sollte. Denn die Kirche sah diesen Auftrag Christi unter Verweis auf das Bibelwort: Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen (Mt. 16,18) auf sich alleine übertragen; das Recht auf Predigt war nach kirchlicher Ansicht demnach einzig dem eigenen Klerus vorbehalten. Die Freigabe des Predigtrechts an Laien hätte die Berechtigung kirchlicher Institutionen grundlegend in Frage gestellt.

Valdes erkannte dieses Problem und wandte sich, um einem größeren Konflikt zuvorzukommen, im Jahr 1179 im Zuge des in Rom tagenden Dritten Laterankonzils an Papst Alexander III., um eine offizielle päpstliche Predigterlaubnis zu erwirken. Auf einer Nebensitzung des Konzils, unter dem Vorsitz des englischen Abgesandten Walter Map († 1208-10), wurden zwei vorsprechende Arme von Lyon von der katholischen Geistlichkeit unter großem Gelächter verhöhnt. Dennoch billigte letztlich der Papst, der nach Mitteilung des Anonymus von Laon Valdes sogar umarmt haben soll, die Lebensweise der Armen von Lyon in Armut und erteilte ihnen die gewünschte Predigterlaubnis, allerdings mit der wesentlichen Einschränkung, dass nur mit Genehmigung des örtlichen Bischofs gepredigt werden dürfe.

1180 unterzeichnete Valdes im Gegenzug auf einer in Lyon abgehaltenen Synode im Beisein des päpstlichen Legaten gegen die Katharer, des zisterziensischen Kardinalbischofs von Albano Henri de Marcy, ein rechtgläubiges Bekenntnis (mit ego Valdesius - der Vorname Petrus wurde Valdes erst 1368 zugeschrieben), das die Vorstellungen der Armen von Lyon zu Armut und Predigt gegenüber jenen der katholischen Kirche relativierte. Gleichzeitig wurden Glaubenssätze formuliert, die die Waldenser von der für die Kirche in Südfrankreich mittlerweile gefährlich gewordenen häretischen Bewegung der Katharer deutlich abgrenzten, um eine etwaige Annäherung zwischen diesen Gemeinschaften zu verhindern.

Für einige Zeit konnten Valdes und seine Anhänger auf Basis der nun errungenen Predigterlaubnis der Verkündung der Evangelien unter dem Lyoner Erzbischof Guichard († 1181) rechtmäßig nachkommen. Doch mit dessen Nachfolger Jean Bellesmains kam es unter nicht ganz geklärten Umständen neuerlich zum Konflikt. Nach Mitteilung Stephans von Bourbon († 1261), der sich in Bezug auf die Armen von Lyon insbesondere über die Mitwirkung von Frauen an der Predigt beschwerte, entzog der Erzbischof Valdes, der auf eine Vorladung hin bei jenem erschienen war, formal das Predigtrecht. Valdes, der hingegen auf der Ausübung des Predigens beharrte, soll ihm gegenüber mit dem Bibelzitat geantwortet haben: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apg. 5,29).

Vertreibung als Ketzer

Nach der Weigerung Valdes’, dem bischöflichen Predigtverbot Folge zu leisten, wurde er 1182/83 durch den Erzbischof exkommuniziert und mit seinen Anhängern aus Lyon vertrieben. Im Jahr 1184 wurden die Armen von Lyon in dem von Papst Lucius III. nach dem Konzil von Verona verfassten Edikt Ad Abolendam erstmals als Häretiker (Ketzer) aufgeführt, mit dauernder Exkommunikation belegt und mit schweren Strafsanktionen bedroht. Eine weitere Verurteilung erfolgte 1215 im Zuge des IV. Laterankonzils unter Papst Innozenz III.

Die Armen von Lyon verbreiteten sich nach ihrer Vertreibung zunächst in Südfrankreich und Norditalien. In Mitteleuropa sind sie bereits an der Wende zum 13. Jahrhundert nachweisbar. Ihrer religiösen Anschauung nach mochten sich die frühen Waldenser in ihrem Selbstverständnis zunächst nicht mit den katholischen Lehren im Konflikt gesehen haben. Doch im Zuge der Auseinandersetzung mit den kirchlichen Institutionen begannen sich bibelstrengere Ansichten durchzusetzen, die den katholischen Lehren zuwider liefen. Bereits für das Jahr 1218 ist die Ablehnung des Fegefeuers, der Heiligenverehrung, der Kirchensatzungen sowie der weltlichen Strafgerichtsbarkeit und der Eidesleistung dokumentiert - sowohl bei den französischen Armen von Lyon als auch bei ihren Glaubensbrüdern, die in Norditalien als Lombardische Arme bezeichnet wurden. Zu größeren Wellen der Verfolgung durch die Inquisition kam es erst in den 1230/40er Jahren.

Über die letzten Lebensjahre Valdes’, der in seiner Auffassung vom laikalen Dienst am Glauben gerne mit Franz von Assisi verglichen wird, ist nichts bekannt. Sein Tod wird in der Literatur in den Jahren vor 1207, mit Sicherheit aber vor 1218 angesetzt.

Zur weiteren Geschichte der Anhänger von Valdes siehe Waldenser.

Siehe auch

Quellen

  • Ad Abolendam. In: Aemilius Friedberg (Hg.): Corpus iuris canonici, Band 2. Leipzig 1879 (fotomechanischer Nachdruck Graz 1955), Sp. 780-782.
  • Anonymus von Laon: Ex chronico universali Anonymi Laudunensis. In: Monumenta Germaniae Historica, Scriptores (in Folio) 26: Ex rerum Francogallicarum scriptoribus. Ex historiis auctorum Flandrensium Francogallica lingua scriptis. Herausgegeben von Georg Waitz. Hannover 1882, S. 442–457 (Digitalisat).
  • Ignaz Döllinger: Beiträge zur Sektengeschichte des Mittelalters. Band 2, München 1890, S. 6.
  • Liber Visionum et Miraculorum. In: Michel Rubellin: Église et société chrétienne d’ Agobard à Valdès. Lyon 2003, S. 502f.
  • Durandus von Osca: Liber Antihaeresis. In: Kurt-Victor Selge: Die ersten Waldenser. Mit Edition des Liber Antiheresis des Durandus von Osca. 2 Bände. Berlin 1967. (Arbeiten zur Kirchengeschichte 37). Darin das Glaubensbekenntnis von 1180: Bd. II, S. 3-6.
  • Stephan von Bourbon & Passauer Anonymus: Texte in: Alexander Patschovsky und Kurt-Victor Selge(Hg.): Quellen zur Geschichte der Waldenser. Gütersloh 1973. (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 18), S. 15-17 und 19.
  • Walter Map: De nugis curialium. Herausgegeben von Montague Rhodes James. Oxford 1983, ISBN 0-19-822236-X, Kap. 31, S. 124-129.

Literatur

  • Gabriel Audisio: Die Waldenser. Die Geschichte einer religiösen Bewegung. Bechtermünz, Augsburg 2001, ISBN 3-8289-4885-5.
  • Peter Biller: The Waldenses, 1170-1530. Between a religious order and a church (Collected Studies Series; 676). Ashgate Variorum Books, Aldershot 2001, ISBN 0-86078-798-2.
  • Herbert Grundmann: Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, der Bettelorden und den religiösen Frauenbewegungen des 12. und 13. Jahrhunderts und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik. Wissenschaftliche Buchgemeinschaft. Darmstadt 1977 (Repr. d. Ausg. Berlin 1935).
  • Malcolm Lambert: Ketzerei im Mittelalter. Häresien von Bogumil bis Hus. Bechtermünz, Augsburg 2004, ISBN 3-8289-4886-3.
  • Amadeo Molnár: Die Waldenser. Geschichte und europäisches Ausmaß einer Ketzerbewegung. Herder, Freiburg/B. 1994, ISBN 3-451-04233-9.
  • Kurt-Victor Selge: Die ersten Waldenser. Mit Edition des Liber Antiheresis des Durandus von Osca (Arbeiten zur Kirchengeschichte; 37). De Gruyter, Berlin 1967.
  1. Untersuchung und Darstellung
  2. Der liber antitheresis
  • Martin Windischhofer: Die ersten Waldenser. In: Ders.: Die Waldenser in Österreich. Aufbruch, Verfolgung und Wandel der frühen Bewegung bis 1315. Diplomarbeit, Universität Wien 2006, S. 7-29.
  • Rolf Zerfaß: Der Streit um die Laienpredigt. Eine pastoralgeschichtliche Untersuchung zum Verständnis des Predigtamtes und zu seiner Entwicklung im 12. und 13. Jahrhundert (Untersuchungen zur praktischen Theologie der Seelsorge; 2). Herder, reiburg 1974, ISBN 3-451-16626-7.

Weblinks


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