Weißmeer-Kanal

Weißmeer-Kanal
Der Verlauf des Weißmeer-Kanals

Der Weißmeer-Ostsee-Kanal (auch kurz Weißmeer-Kanal; russisch Belomorsko-Baltijskij kanal, kurz Belomorkanal oder BBK) ist eine 227 km lange, aus Flüssen, Seen und künstlichen Abschnitten kombinierte Wasserstraße von Powenez am Onegasee bis nach Belomorsk (Soroka) am Weißen Meer im Norden. Er ist Teil des Weißmeer-Ostsee-Wasserweges, der Sankt Petersburg mit der Barentssee verbindet.

Er wurde in knapp zwei Jahren (16. Oktober 1931 - 30. August 1933) auf Geheiß Stalins unter der Leitung von Naftali Aronowitsch Frenkel erbaut, der vorher das Lager auf den Solowezki-Inseln (in dem er selbst inhaftiert gewesen war) unter einem straffen Regime zu einem Zwangsarbeitslager umfunktioniert hatte.

Inhaltsverzeichnis

Planung

Der Handelsweg vom Weißen Meer nach Mittelrussland war bereits den Kaufleuten des 16. Jahrhunderts bekannt. Sie nutzten vor allem die Seen und Flüsse der Region zur Beförderung ihrer Waren. Im Zuge der Besiedelung dieses nördlichen Teils des Russischen Reiches (die Regionen Murmansk, Archangelsk etc.) wurden neue Verkehrswege benötigt, auf denen die Güter in das Zentrum Russlands transportiert werden konnten.

Da der Bau eines befestigten Landweges aufgrund der hohen Kosten immer wieder herausgeschoben wurde, nutzten die Kaufleute die Region zwischen dem Weißen Meer, dem Onega- und dem Ladogasee, um ihre Waren über den Wasserweg nach Süden zu bringen. Seit dem 19. Jahrhundert gab es dann auch Projekte für den Bau eines Kanals, von denen eines (von W. E. Timonow) auf der Weltausstellung 1900 in Paris mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde. Jedoch wurde die Umsetzung des Projekts von der Regierung aus Kostengründen abgelehnt. Erst im Jahr 1917 – kurz vor der Revolution – bewilligte das Verkehrsministerium den Bau des Kanals.

Der Beschluss über den Bau des Kanals wurde am 3. Juni 1930 vom Rat für Arbeit und Verteidigung gefasst. Am 1. Juli 1931 wurde die Projektskizze bewilligt, einen Monat später begann die Projektarbeit am Ort der zukünftigen Baustelle. Obwohl das Projekt erst im Februar 1932 endgültig angenommen wurde, war schon am 16. Oktober 1931 mit den Erdarbeiten begonnen worden.

Bau

Zwangsarbeiter am Belomorkanal, 1931-1933
Frenkel (ganz rechts) beim Bau des Weißmeer-Ostsee-Kanals

Der Kanal wurde weitgehend ohne Stahl, Beton und Maschinen aus Holz und Erde von Zwangsarbeitern erbaut, die dem Gulag unterstanden. Zusätzlich zu diesen Bauarbeitern wurden etliche Fachleute nur für den Bau des Kanals inhaftiert und nach dessen Fertigstellung wieder freigelassen. Auf diese Weise wurden 12.484 Häftlinge entlassen, bei 59.516 weiteren wurde die Haftzeit verkürzt. Diese Massenentlassung war in der Geschichte der Sowjetunion einzigartig.

Im Mai 1933 befuhren die ersten Schiffe den Weißmeer-Ostsee-Kanal, der schließlich am 30. August offiziell eröffnet wurde. In einer Gemeinschaftspublikation unter Maxim Gorki als Herausgeber verfassten sowjetische Schriftsteller eine Eloge auf den Bau des Kanals. Alexei Nikolajewitsch Tolstoi, Boris Pilnjak, Ilf und Petrow, Schklowski und Soschtschenko waren unter den Autoren des Bands Kanal imeni Stalina (Der Stalinkanal; wörtlich „Der Kanal namens Stalin“), der 1934 mit Fotos von Alexander Rodtschenko erschien und an die Teilnehmern des 17. Parteitag verteilt wurde. 1937 wurde das Buch in der Sowjetunion verboten und aus dem Verkehr gezogen.[1]

Traurige Berühmtheit erlangte er durch die immense Zahl an Menschenleben, die sein Bau kostete. Anne Applebaum gibt an, es seien 170.000 Häftlinge beim Bau eingesetzt worden, dabei seien mindestens 25.000 ums Leben gekommen. Nach nicht belegten Angaben von Alexander Solschenizyn hingegen seien von den ca. 350.000 Bauarbeitern im Laufe der Bauzeit ca. 250.000 ums Leben gekommen.

Noch heute sind viele Holzkonstruktionen der 1930er Jahre erhalten. Sie sollen jedoch bis 2007 vollständig durch Stahlbeton ersetzt und modernisiert werden.

Nach Angaben Alexander Solschenizyns (in seinem Buch Der Archipel Gulag) wurden die Bauvorhaben schlecht durchgeführt, weil die Arbeitsnormen für die Häftlinge praktisch unerfüllbar waren. Die Essensrationen der Häftlinge waren damals an die Erfüllung des Plansolls gekoppelt, so dass Arbeitsleistungen verbucht wurden, die in Wirklichkeit gar nicht erbracht worden waren. „So seicht ist er [der Kanal], dass nicht einmal die Panzerkreuzer durchkommen... Müssen auf Schleppkähne verladen und gezogen werden...“ (Der Archipel Gulag)

Nutzen

Der wirtschaftliche wie militärische Nutzen des Kanals erwies sich nach der Fertigstellung als unbedeutend.[2] Das Transportvolumen lag 1940 bei einer Million Tonnen, 44% seiner Kapazität. Wegen seiner geringen Tiefe von 3,60 m ist er kaum befahren. Heute passieren den Kanal zwischen 10 und 40 Schiffe pro Tag.

Trotzdem hat der Kanal eine gewisse Bedeutung für die Industrie der Halbinsel Kola und des Oblast Archangelsk, da er deren Warenaustausch mit Zentralrussland vereinfacht. Außerdem hat er als Verbindung zwischen der Ostsee und dem Nordmeer einen gewissen strategischen Nutzen, da er die Verlegung von Teilen der Flotte ermöglicht.

Literatur

  • Anne Applebaum: Der Gulag, Berlin 2003.
  • Maxim Gorki, L. Auerbach, S. G. Firin (Hrsg.), The White Sea canal; being an account of the construction of the new canal between the White Sea and the Baltic Sea, London: John Lane, 1935

Weblinks

Quellen

  1. Bastiaan Kwast: The White Sea Canal: A Hymn of Praise for Forced Labour, 2003
  2. Mikhail Morukov: The White Sea–Baltic Canal in The Economics of Forced Labor: The Soviet Gulag, Paul R. Gregory, Valery Lazarev (Hrsg.), 2003


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