Weißmeer-Ostsee-Kanal

Weißmeer-Ostsee-Kanal
Der Verlauf des Weißmeer-Kanals

Der Weißmeer-Ostsee-Kanal (russisch Беломо́рско-Балти́йский кана́л; Transkription: Belomorsko-Baltijskij kanal, bis 1961 russisch Беломорско-Балтийский канал имени Сталина; Stalin-Weißmeer-Ostsee-Kanal) ist eine 227 km lange, aus Flüssen, Seen und künstlichen Abschnitten kombinierte Wasserstraße von Powenez am Onegasee durch den Wygosero bis nach Belomorsk (Soroka) am Weißen Meer im Norden. Er ist Teil des Weißmeer-Ostsee-Wasserweges, der Sankt Petersburg mit der Barentssee verbindet.

Er wurde vom 16. Oktober 1931 bis zum 30. August 1933 auf Anweisung Stalins im Zusammenhang mit dem ersten sowjetischen Fünfjahresplan unter der Leitung von Naftali Aronowitsch Frenkel und Genrich Grigorjewitsch Jagoda mit Hilfe tausender politischer Häftlinge der sowjetischen Staatspolizei OGPU erbaut. 1983 wurde der Kanal mit dem Orden des Roten Banners der Arbeit ausgezeichnet.

Der Kanal wird heute durch den staatlichen Weißmeer-Onega-Schifffahrtsdienst instand gehalten, der 787 Mitarbeiter beschäftigt.[1][2]

Inhaltsverzeichnis

Planung

Der Handelsweg vom Weißen Meer nach Mittelrussland war bereits den Kaufleuten des 16. Jahrhunderts bekannt. Sie nutzten vor allem die Seen und Flüsse der Region zur Beförderung ihrer Waren. Im Zuge der Besiedelung dieses nördlichen Teils des Russischen Reiches (die Regionen Murmansk, Archangelsk etc.) wurden neue Verkehrswege benötigt, auf denen die Güter in das Zentrum Russlands transportiert werden konnten.

Da der Bau eines befestigten Landweges aufgrund der hohen Kosten immer wieder hinausgeschoben wurde, nutzten die Kaufleute die Region zwischen dem Weißen Meer, dem Onega- und dem Ladogasee, um ihre Waren über den Wasserweg nach Süden zu bringen. Seit dem 19. Jahrhundert gab es Projekte für den Bau eines Kanals, von denen eines von W. E. Timonow auf der Weltausstellung 1900 in Paris mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde. Jedoch wurde die Umsetzung des Projekts von der russischen Regierung aus Kostengründen abgelehnt. Erst zu Beginn des Jahres 1917, kurz vor der Russischen Revolution, bewilligte das Verkehrsministerium des Russischen Reiches den Bau des Kanals. Dieser Beschluss wurde durch die gewaltsame Machtergreifung der Bolschewiki und den darauf folgenden Bürgerkrieg bis 1922 hinfällig.

Während der von Stalin vorangetriebenen Industrialisierung der Sowjetunion wurden diese Planungen wieder in Betracht gezogen. Die Entscheidung für den Bau des Kanals wurde am 3. Juni 1930 vom sowjetischen Rat für Arbeit und Verteidigung gefasst. Am 1. Juli 1931 wurde die Projektskizze bewilligt, einen Monat später begann die Projektarbeit am Ort der zukünftigen Baustelle. Obwohl das Projekt erst im Februar 1932 endgültig angenommen wurde, begann man bereits am 16. Oktober 1931 mit den Erdarbeiten.

Bau

Panorama der Bauarbeiten am Weißmeer-Ostsee-Kanal (Sommer 1932)
Für den Bau des Kanals verantwortliche OGPU-Kommissare, ganz rechts Naftali Frenkel (1932)

Der Kanal wurde weitgehend ohne Stahl, Beton und Maschinen, nur aus Holz und Erde von Zwangsarbeitern, die dem Gulag unterstanden, erbaut. Zusätzlich zu diesen Bauarbeitern wurden etliche Fachleute nur für den Bau des Kanals inhaftiert und nach dessen Fertigstellung wieder freigelassen. Auf diese Weise wurden 12.484 Häftlinge entlassen, bei 59.516 weiteren wurde die Haftzeit verkürzt. Diese Massenentlassung war in der Geschichte der Sowjetunion einzigartig.

Im Mai 1933 befuhren die ersten Schiffe den Weißmeer-Ostsee-Kanal, der schließlich am 30. August offiziell eröffnet wurde. In einer Gemeinschaftspublikation unter Maxim Gorki als Herausgeber verfassten sowjetische Schriftsteller eine Eloge auf den Bau des Kanals. Alexei Nikolajewitsch Tolstoi, Boris Pilnjak, Ilf und Petrow, Schklowski und Soschtschenko waren unter den Autoren des Bands Kanal imeni Stalina (Der Stalinkanal; wörtlich „Der Kanal namens Stalin“), der 1934 mit Fotos von Alexander Rodtschenko erschien und an die Teilnehmer des 17. Parteitag verteilt wurde. 1937 wurde das Buch in der Sowjetunion verboten und aus dem Verkehr gezogen.[3] (→Zensur in der Sowjetunion)

Während des Baus starben zahlreiche Menschen. Anne Applebaum gibt an, es seien 170.000 Häftlinge beim Bau eingesetzt worden, dabei seien mindestens 25.000 ums Leben gekommen. Nach nicht belegten Angaben von Alexander Solschenizyn hingegen seien von den ca. 350.000 Bauarbeitern im Laufe der Bauzeit ca. 250.000 ums Leben gekommen.

Noch heute sind viele Holzkonstruktionen der 1930er Jahre erhalten. Sie sollen jedoch bis 2007 vollständig durch Stahlbeton ersetzt und modernisiert werden.

Nach Angaben Alexander Solschenizyns wurden die Bauvorhaben schlecht durchgeführt, weil die Arbeitsnormen für die Häftlinge praktisch unerfüllbar waren. Die Essensrationen der Häftlinge waren damals an die Erfüllung des Plansolls gekoppelt, so dass Arbeitsleistungen verbucht wurden, die in Wirklichkeit gar nicht erbracht worden waren. „So seicht ist er [der Kanal], dass nicht einmal die Panzerkreuzer durchkommen … Müssen auf Schleppkähne verladen und gezogen werden“.[4]

Nutzen

Der wirtschaftliche wie militärische Nutzen des Kanals erwies sich nach der Fertigstellung als unbedeutend.[5] Das Transportvolumen lag 1940 bei einer Million Tonnen, 44% seiner Kapazität. Wegen seiner geringen Tiefe von 3,60 m ist er kaum schiffbar. Heute passieren den Kanal zwischen 10 und 40 Schiffe pro Tag.

Trotzdem hat der Kanal eine gewisse Bedeutung für die Industrie der Halbinsel Kola und der Oblast Archangelsk, da er deren Warenaustausch mit Zentralrussland vereinfacht. Außerdem hat er als Verbindung zwischen der Ostsee und dem Nordmeer einen gewissen strategischen Nutzen, da er die Verlegung von Teilen der Flotte ermöglicht.

Literatur

  • Cynthia Ann Ruder: Making history for Stalin: the story of the Belomor Canal; University Press of Florida 1998; ISBN 0813015677
  • Anne Applebaum (übers. Frank Wolf): Der Gulag; Siedler-Verlag Berlin 2003; ISBN 3886806421
  • Maxim Gorki, L. Auerbach, S. G. Firin (Hrsg.), The White Sea canal; being an account of the construction of the new canal between the White Sea and the Baltic Sea; London: John Lane, 1935.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. [1] Offizielle Seite der Republik Karelien(abgerufen am 1. Mai 2010)
  2. [2] Artikel über den BBK auf der offiziellen Seite der Stadt Petrosawodsk (abgerufen am 1. Mai 2010)
  3. Bastiaan Kwast: The White Sea Canal: A Hymn of Praise for Forced Labour, 2003
  4. In: Der Archipel Gulag.
  5. Mikhail Morukov: The White Sea–Baltic Canal; in: Paul R. Gregory, Valery Lazarev (Hrsg.): The Economics of Forced Labor: The Soviet Gulag, 2003

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