Westminster-Modell

Westminster-Modell
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Das Westminster-System (auch: die Westminster-Demokratie) ist eine demokratische Regierungsform, die auf dem politischen System von Großbritannien basiert, und nach dem Palace of Westminster benannt ist, wo beide Häuser des britischen Parlamentes ihren Sitz haben. Es umfasst eine Reihe typischer Verfahren. Es wird, oder wurde, in den meisten Commonwealth- und ehemaligen Commonwealth-Staaten benutzt. Außerhalb des Vereinigten Königreiches kam es Mitte des 19. Jahrhunderts in dessen kanadischen Provinzen zum ersten Einsatz. Heute benutzten es Australien, Indien, Irland, Jamaika, Malaysia, Malta, Neuseeland und Singapur. In anderen Staaten, wie Deutschland oder Italien, gibt es ein Parlamentarisches Regierungssystem, welches sich erheblich von dem Westminster-System unterscheidet.

Inhaltsverzeichnis

Grundzüge

Wichtige Besonderheiten des Westminster-Systems sind:

  • die Exekutive (Premierminister,Minister, Staatssekretäre) rekrutiert sich aus Mitgliedern der Legislative;
  • eine parlamentarische Opposition besteht und wird durch ein besonderes Regelsystem geschützt;
  • mindestens eine Kammer oder im Einkammersystem das Parlament selber wird vom Volk gewählt (der Monarch hat kein Wahlrecht); die Sitze der zweiten Kammer können durch persönliche Nobilitierung oder Berufung (in Großbritannien auch durch Erbgang) besetzt werden;
  • das Staatsoberhaupt ist zumeist ein Erbmonarch und hat vor allem repräsentative Funktionen, die Regierungsgewalt liegt jedoch beim Chef der Exekutive;
  • das Unterhaus des Parlamentes kann die Regierung entweder durch ein Misstrauensvotum stürzen oder sie zum Rücktritt zwingen, indem es die Bereitstellung finanzieller Mittel blockiert (Ablehnung des Staatshaushaltes), es kann jederzeit die Vertrauensfrage erzwingen;
  • es kann sich jederzeit selbst auflösen und dadurch Neuwahlen erzwingen.

In einem Westminster-System werden die Mitglieder des Kabinetts mit Stimmenmehrheit gewählt. Der Regierungschef wird jedoch formal vom Staatsoberhaupt, meist der Generalgouverneur, mit der Bildung einer Regierung beauftragt. In der Republik Irland gibt es bemerkenswerte Unterschiede. Der Präsident von Irland erhält sein Mandat per Direktwahl, und der Ministerpräsident (Taoiseach) wird vor der Ernennung durch den Präsidenten von dem demokratisch gewählten irischen Unterhaus Dáil Éireann nominiert.

Varianten

Die meisten der Vorgehensweisen in einem Westminster-System gründen auf Konventionen, Gewohnheiten und Präzedenzfällen des britischen Parlamentes, die nicht Bestandteil einer geschriebenen britischen Verfassung sind. Die meisten Staaten mit dem Westminster-System haben, anders als Großbritannien, diese durch Präzendenz geschaffenen Normen in einer schriftlichen Verfassung kodifiziert, wobei in diesen Verfassungen, zumal in den bereits vor längerer Zeit beschlossenen, Teile der später gängig gewordenen Rechts- und Institutionspraxis fehlen. So kennt die kanadische Verfassung oder die australische Verfassung den Begriff des Kabinetts oder den Titel eines Regierungschef, beispielsweise des Premierministers nicht, weil Existenz und Aufgaben dieser Ämter sich außerhalb des ursprünglichen Verfassungstextes entwickelt haben.

Durch das Mandat und die erhebliche verfassunggebende Macht des irischen Präsidenten ähnelt die Verfassung von Irland eher dem semipräsidentiellen Regierungssystem als dem Westminster-System. In ähnlicher Weise haben die Präsidenten oder Generalgouverneure in einigen Ländern des Commonwealth erhebliche Macht. Ein Beispiel ist die australische Verfassungskrise von 1975, als Generalgouverneur Sir John Kerr den Premierminister Gough Whitlam entließ, obwohl er die Mehrheit im australischen Repräsentantenhaus hatte. Wegen der Unterschiede in den Verfassungen variiert die Macht des Präsidenten oder Generalgouverneurs von Land zu Land. Weil ein Generalgouverneur nicht direkt gewählt wird, vermeidet dieser meist die Anwendung seiner Macht in unilateralen oder strittigen Entscheidungen und dadurch öffentliche Missbilligung.

Arbeitsweise

Das Oberhaupt der Regierung, normalerweise der Premierminister, muss in der Lage sein, die Mehrheit der Sitze im Unterhaus zu kontrollieren, um sicher zu stellen, dass sich keine absolute Mehrheit gegen ihn bildet. Wenn im Parlament eine Mehrheit für ein Misstrauensvotum zustande kommt oder die Regierung ein wichtiges Gesetz wie den Staatshaushalt nicht beschließen kann, muss die Regierung entweder zurücktreten oder die Auflösung des Parlaments ersuchen, um durch öffentliche Neuwahlen eine Bestätigung oder Ablehnung ihrer Politik zu erhalten.

Zusätzlich zu der Mehrheit im Repräsentantenhaus muss ein australischer Premierminister ebenso gewissen Einfluss auf den australischen Senat (die andere Kammer des Parlamentes) haben, der den Haushalt bewilligt. Dies ist praktisch, um der Regierung das Regieren zu ermöglichen. Doch ist die Unterstützung des Senates in keiner Weise zur Bildung einer Regierung erforderlich. Nur das Unterhaus ist nötig, um eine Regierung zu installieren. Viele Politikwissenschaftler halten das australische System für eine bewusst erfundene Mischung aus Westminster und der Bundesregierung der Vereinigten Staaten, weil der australische Senat ein mächtiges Oberhaus ist und ähnliche Befugnisse wie der amerikanische Senat oder das britische House of Lords vor 1911 hat.

Obwohl die Auflösung der Legislative, verbunden mit dem Ruf nach Neuwahlen, formell Aufgabe des Staatsoberhauptes ist, handelt dieser per Konvention auf Wunsch des Regierungschefs. In besonderen Umständen kann das Staatsoberhaupt den Wunsch nach Auflösung ablehnen, wie zum Beispiel in der King-Byng Affäre 1926, oder die Regierung entlassen, wie während der Verfassungskrise in Australien 1975. Durch die Handlung werden bestehende Konventionen entweder gebrochen oder umgebogen (‚weiter entwickelt‘). Die bisher nicht getesteten Lascelles Richtlinien waren ein Versuch, eine solche Konvention zu erschaffen, um ähnliche Fälle zu erfassen.

Kabinett

In seinem Buch „The English Constitution“, das im Jahr 1876 veröffentlicht wurde, beschreibt Walter Bagehot die Aufteilung der Verfassung in zwei Komponenten; der eher symbolische Teil, das Würdevolle und das Effiziente, in dem die eigentliche Regierungsarbeit getätigt wird. Den effizienten Teil nennt er darin „Cabinet Government“. Obwohl in der Zwischenzeit viele Arbeiten über die unterschiedlichen Aspekte des effizienten Teils gemacht wurden, hat niemand ernsthaft Bagehots Prämisse, dass diese Aufteilung auch in dem Westminster-System besteht, in Frage gestellt.

Die Mitglieder des Kabinetts werden als kollektiv verantwortlich für die Politik der Regierung angesehen. Alle Entscheidungen des Kabinetts werden im Konsens getroffen, und niemals während einer Kabinettssitzung. Alle Minister, ob alteingesessen oder jünger, müssen die Politik der Regierung öffentlich unterstützen, ungeachtet ihrer persönlichen Meinung. Wenn eine Kabinettsumbildung ansteht, verbringen Politiker und Journalisten eine Menge Zeit damit, über neue und alte Minister zu spekulieren, welcher kommt und welcher gehen muss. Die Berufung neuer Kabinettsmitglieder ist ein mächtiges verfassunggebendes Werkzeug des Regierungschefs in dem Westminster-System.

Verbunden mit dem Regieren des Kabinetts ist die Idee, zumindest theoretisch, dass die Minister für die Handlungen ihrer Ministerien verantwortlich sind. Es ist nicht mehr unüblich, dass ein Minister zurück tritt, wenn Mitglieder seines Ministeriums, über die er keine direkte Kontrolle hat, Fehler machen oder Maßnahmen ergreifen, welche abseits vereinbarter politischer Entscheidungen stehen. Eine besondere Fähigkeit des Regierungschefs ist es, als Vermittler tätig zu werden, wenn einer seiner Minister für die Aktionen seines Ministeriums verantwortlich ist.

Die parlamentarische Opposition und andere politische Parteien überwachen die Regierungsarbeit mit ihren eigenem Schattenkabinett, bestehend aus sogenannten Schattenministern.

Das Westminster-System neigt zu sehr gut disziplinierten parlamentarischen Parteien, für die es höchst unüblich ist, gegen die eigene Regierung zu stimmen, und in der die Anwendung eines Misstrauensvotums extrem selten vorkommt. So ist das Kabinett gegenüber der Legislative meist relativ stark. Die Stärke der Einzelminister ist ihr eigener parlamentarischer Rückhalt.

Ritus

Wenn das Westminster-System im Einsatz ist, wirkt das Erscheinungsbild sehr eigentümlich und ist mit vielen typisch britischen Gebräuchen im alltäglichen Regieren verbunden. Ein Westminster-artiges Parlament befindet sich normalerweise in einem langen viereckigen Raum mit zwei Sitzreihen und den dazugehörigen Tischen auf jeder Seite. Die Stühle sind zweckmäßig so positioniert, dass sich die zwei Reihen gegenüberliegen. Das Ziel dieser Anordnung ist die bildliche Verkörperung der naturgemäß mit Streit gefüllten Erscheinung einer parlamentarischen Demokratie.

Zeichnung des britischen Unterhauses House of Commons von Thomas Rowlandson und Augustus Pugin, welches 1834 durch ein Feuer zerstört wurde

Traditionsgemäß sitzt die Opposition auf der einen und die regierende Partei auf der anderen Seite des Raumes. Manchmal, wenn die regierende Mehrheit sehr groß ist, müssen sich einige Angehörige auf Sitzplätzen der Opposition setzen. In dem britischen Unterhaus House of Commons befinden sich vor jeder Seite Linien mit zwei Schwertlängen Abstand auf dem Boden, die von den jeweiligen Mitgliedern nur bei Verlassen der Kammer überschritten werden dürfen.

An einem Ende des Raumes befindet sich ein großer Stuhl für den Speaker des Hauses. Der Sprecher trägt normalerweise ein schwarzes Gewand und in vielen Ländern eine Perücke. Oft sitzen Parlamentsangestellte, ebenfalls in speziellen Gewändern, an schmalen Tischen zwischen den zwei Reihen.

Andere Zeremonien, die mit dem Westminster-System verknüpft werden, sind die jährliche Thronrede im Parlament, geschrieben von der Regierung und dem jeweiligen Land entsprechend angepasst, in dem sich das Staatsoberhaupt der zu erwartenden Politik des kommenden Jahres widmet und die langatmige Parlamentseröffnung, in der oft der lange Zeremonienstreitkolben präsentiert wird.

Siehe auch

Literatur

  • Walter Bagehot: The English Constitution. 1876, ISBN 0521465354, ISBN 0521469422.
  • Ferdinand Tönnies, Der englische Staat und der deutsche Staat. [1917], in: Ferdinand Tönnies Gesamtausgabe, Bd.10, de Gruyter, Berlin/New York 2008
  • Simon James: British Cabinet Government. Pub Routledge, 1999, ISBN 0415179777.
  • Neil MacNaughton: Prime Minister & Cabinet Government. 1999, ISBN 0340747595.
  • Gerhard Altmann: Abschied vom Empire. Die innere Dekolonisation Großbritanniens 1945-1985. Göttingen 2005.

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