Wiederaufführung

Wiederaufführung
Dieser Artikel erläutert das von Robin George Collingwood in seiner Theorie der Historiographie aufgestellte historische Reenactment. Das Reenactment als Technik im Dokumentarfilm oder als therapeutische Möglichkeit in der Psychiatrie bzw. Psychologie sind hier nicht dargestellt.
Wikinger-Reenactment
Eine der größten Reenactment-Veranstaltungen Europas: die Schlacht bei Tannenberg (Polen)
Reenactment der Schlacht von Naseby
Reenactment der Schlacht von Petersburg
Episode aus der Schlacht von Sanok-Olchowce bei der Molotow-Linie. Sanok, 22. Juni 2008

Das historische Reenactment (Wiederaufführung, Nachstellung) ist der zentrale Teil der durch den britischen Philosophen und Historiker Robin George Collingwood aufgestellten Theorie der Historiographie. Mit dem Reenactment, der Neuinszenierung konkreter geschichtlicher Ereignisse, soll über den Weg der historischen Wiedererlebbarkeit Geschichte verständlich werden. Die Nachstellungen von historischen oder sagenhaften Ereignissen geht allerdings bis in die Antike zurück.

Nach der Theorie der Historiographie besteht beim Reenactment die Aufgabe darin, auf Grundlage der überlieferten Quellen ein ganz konkretes historisches Ereignis aus Vergangenheit möglichst authentisch zu rekonstruieren.[1] Dabei sollen erneut die Gedanken und Intentionen der ursprünglich handelnden Akteure durchgespielt weden, die sich in den vergangenen Ereignissen ausgedrückt haben. Der wissenschaftliche Ansatz ist dabei die zentrale Voraussetzung für die Definition des modernen Reenactment.

Im englischsprachigen Raum wurde das Reenactment oft auf die authentische Nachstellung von militärhistorischen Schlachten reduziert und so von der Öffentlichkeit verstanden.[2] Tatsächlich umschließt das Wort Reenactment auch zivile historische Inszenierungen, die auf historisch belegte Einzelereignisse zurückzuführen sind.

Die Theorie über das re-enactment geht auf den Philosophen und Historiker Robin George Collingwood zurück.[3] Er propagierte eine „Wiederbetätigung“ der Geschichte. Seine „Konzept der Wiederbetätigung als allgemeinen Modus des Verstehens“ hat er anhand der Interpretation eines Musikstückes entdeckt. Diese Entdeckung bildete den Kern seiner Theorie der Historiographie. Dafür erntete er zunächst aufgrund eines Missverständnisses Kritik, da man annahm, Collingwood würde Geschichte methodologischen nur auf die Perspektive des Konzepts verengen.[4] Collingwood geht davon aus, dass Geschichte nur durch das Wiedererleben verstanden werden kann. Geschichte ist für ihn ein überliefertes kulturelles Gut.[5]

Neben unzähligen Vereinen, die sich in der Freizeit mit der Nachstellung authentischer historischer Ereignisse beschäftigen, haben sich auch kommerzielle Reenactment-Gruppen gebildet, die zu verschiedenen Anlässen vor Publikum auftreten.[6] Dabei wird in erster Linie jedoch nicht das klassische Collingwood'sche Reenactment betrieben, sondern zumeist Living History (sh. unten).

In der öffentlichen Diskussion aber auch bei vielen Gruppen verschwimmen die beiden verschiedenen Praktiken des Reenactment und des Living History häufig, was darin liegt, dass es oftmals zu Überlagerungen bei beiden Inszenierungen kommen kann.

Inhaltsverzeichnis

Überblick

Zu den verschiedensten Anlässen werden schon seit dem Römischen Reich mehr oder minder korrekte Historiendarstellungen nachgespielt. Besondere Beachtung in diesem Zusammenhang spielen die seit dem Mittelalter weit verbreiteten Passionsspiele um Leiden und Tod von Jesus Christus.[1] Zu Zeiten Kaiser Wilhelm II. kamen Historiendarstellung oder historische Umzüge besonders hoch in Mode. Als ältestes und mit rund 2.000 Teilnehmern wohl auch größtes regelmäßiges „Reenactment" der Welt hat sich die seit 1903 veranstaltete Landshuter Hochzeit erhalten, bei der über Tage hinweg die bayerische Stadt Landshut und ihre Einwohner die 1475 geschlossene Hochzeit zwischen der polnischen Königstochter Hedwig und dem Landshuter Herzogssohn Georg mit einem Umzug, Lanzenstechen, mittelalterlichem Leben und damaliger Musik feiern. Besonderer Wert wurde stets auf historisch belegte Bekleidung und Ausrüstung gelegt.

Ein Grund für das seit rund 30 Jahren feststellbare Erstarken des Reenactments in den westlichen Ländern, wird im Verschwinden des dort herrschenden nationalen Grundkonsens gesehen. So werden bisher gültige Normen und Gewissheiten durch intellektuelle Uminterpretationen zu postmodernen Konstruktionen.[7] Diese künstlichen Konstrukte können vielen Menschen kein umfassend tragendes Wertegefüge bieten, da sie aufgrund ihrer Beliebigkeit, nicht auf historisch gewachsene individuelle gesellschaftliche Fundamente aufbauen und damit keine generationenübergreifende kulturelle Sicherheit mehr bieten. Daher suchen viele Menschen heute fernab von intellektuell und staatlich propagierten Weltbildern nach persönlichen Nischen, in denen sie mit Gleichgesinnten zeitlich begrenzte Parallelwelten aufbauen. Kritiker des Reenactments und ähnlicher Strömungen haben in diesem Zusammenhang von einem Autismus der historischen Szene gesprochen.[8]

Heute lassen sich bei der Rekonstruktion von Schlachten deutliche nationale- und kulturspezifische Unterschiede beobachten. So setzten in den USA und Großbritannien Historiker sowie Kultur- und Tourismusvertreter häufig Animationsmethoden und kostümierte Schauspieler ein, um für ein nationalgeschichtlich entfremdetes Publikum historische Ereignisse anschaulich zu machen.[9] Als Konzept des Militärtourismus ist das Reenactment daher in angloamerikanischen Ländern weniger umstritten, als beispielsweise in Deutschland, da beim Reenactment oft eine Gratwanderung zwischen unseriösem Spektakel und wissenschaftlicher Geschichtsvermittlung stattfindet.[2]

Personen, die sich mit Reenactment beschäftigen, werden in der Szene umgangssprachlich als Reenactors bezeichnet.[1]

Histotainment

Im Reenactment sehen inzwischen auch einige Historikern eine mögliche Plattform, bei der zumeist interessierte Laien geschichtliche Erfahrungen sammeln und wertvolle Experimente durchführen können, welche eventuell der Wissenschaft dienen. Das auf nachweisbare historische Ereignisse festgelegte Reenactment darf jedoch nicht mit dem Histotainment verwechselt werden. In vielen Medien und Publikationen verschwimmen beide Begriffe oft oder sind sogar als Synonyme austauschbar. Seit dem Historikertag 2002, auf dem auch die Spielszenen in den historischen Dokumentationen des Fernsehjournalisten Guido Knopp untersucht wurden, bezeichnet Histotainment die unwissenschaftliche und zweifelhafte Darstellung angeblicher historischer Gegebenheiten. Dazu gehören auch Computerspiele, vermeintliche Mittelaltermärkte, Themenparks oder Reality-Soaps, bei der Bewerber durch Rollenspiele in historischen Kulissen[10] vermeindlich authentische Erfahrungen mit der Vergangenheit sammeln können.[1] Kritiker des Histotainments sehen die besondere Gefahr darin, dass ein unvoreingenommenes Publikum nicht in der Lage ist, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Geschichte, die in den Händen von Produzenten bzw. Regisseuren liege, werde zur Mixtur aus „Gefundenem und Erfundenem“, die nach den Maßgaben der Verantwortlichen geformt werden könne. So würden falsche Geschichtsbilder in den Köpfen der Menschen erzeugt,[11] die im schlimmste Falle einem modisch, intellektuell bzw. politisch vorherrschenden Zeitgeist entsprechen könnten.

Reenactment kann allerdings auch Teil eines Histotainments werden,[12] wenn seriöse historische Dokumentationen darauf Wert legen. Neben dem Wort Histotainment haben sich auch Synonyme wie Historytainment und Edutainment gebildet.

Living History

Hauptartikel: Living History

Eine Veranstaltung, die nicht auf ein tatsächliches Ereignis in der Vergangenheit Bezug nimmt, sondern fiktional historische Stoffe (generische Ereignisse) aufarbeitet, wird nicht als Reenactment, sondern als Living History bezeichnet. Typologisch sind Reenactment und Living History äquivalent.[13] Auch bei der seriös betriebenen Living History muss der wissenschaftliche Ansatz eine außerordentliche Rolle spielen. Themen sind beispielsweise die Darstellung eines fiktiven Tagesablaufes im Mittelalter oder die Erbauung eines germanischen Hauses. Oftmals können sich Bereiche der Living History mit dem Reenactment überschneiden. So ist es für Darsteller der Living History vom methodischen Ansatz her einfacher, eine vermittlungsorientierte Haltung zwischen Publikum und dem behandelten historischen Stoff einzunehmen und damit Interesse in der Öffentlichkeit zu wecken. Reenactors dagegen sollen nach Collingwood geistig und mental vollkommen in dem darzustellenden geschichtlichen Ereignis aufgehen, was wenig Zeit für Aufklärung bei eventuell vorhandenen Zuschauern lässt.

Die Wurzeln der Living History liegen ebenfalls bei Collinwoods Idee des Reenactments.[14]

Oft mischt sich Living History in Soap-Operas auch mit Histotainment, was im Hinblick auf den wissenschaftlichen Ansatz problematisch ist.

Experimentelle Archäologie

Österreichische Experimentalgruppe "Legio XV Apollinaris" in Pram

Hauptartikel: Experimentelle Archäologie

In diesem Zusammenhang sollte auch eine dritte Facette Erwähnung finden, die Experimentelle Archäologie, da Reenactment, Living History und Experimental-Archäologie so manches mal Hand in Hand arbeiten oder sich zumindest austauschen. Einzelpersonen oder Gruppen arbeiten oftmals eng über Jahre hinweg mit Museen und Gelehrten zusammen. Innerhalb dieser Gruppen beschäftigen sich Einzelpersonen zum Teil sehr intensiv mit bereits lange nicht mehr ausgeführten Handwerkstechniken und erarbeiten ihre Ausrüstung in enger Anlehnung an archäologische Befunde, so dass sie ihre jahrelangen praktischen Erfahrungen der Wissenschaft zur Verfügung stellen können.

Live Action Role Playing (LARP)

Hauptartikel: Live Action Role Playing

Im Unterschied zum zeit- und ortsgebundenen Reenactment, das höchsten Wert auf wissenschaftliche Authentizität legt, nähert sich das ganz im Spiel und Spaß-Bereich angesiedelte Live Action Role Playing, wenn es auf historische Ereignisse zurückgreift, eher dem Histotainment an. Auch beim LARP, einer Form von Fantasy-Rollenspiel, ist es von untergeordneter Bedeutung, tatsächliche historische Ereignisse nachzustellen oder mit tatsächlichen geschichtlich nachgewiesenen Ausrüstungsgegenständen zu agieren. Dennoch hat sich für diese extrem freie Form der historischen Interpretation das Kunstwort Reenlarpment herausgebildet.[15]

Battledisplay

Oftmals mit Reenactment verwechselt, verbindet Battledisplay das Sammeln von militärischen Gegenständen mit fotografischer oder filmischer Inszenierung. Der Hauptschwerpunkt liegt hier bei modernen, oftmals aktuellen Einheiten, die meist von Einzelpersonen anhand von Militärfotos rekonstruiert werden. Der Ursprung dieses Hobbys ist der asiatische Raum, entstanden aus dem dort beliebten Sammeln und Modifizieren von 1:6 Miniaturen.

Begriffsproblematik

In der öffentlichen Auseinandersetzung herrscht große Verwirrung über die verschiedenen Begriffe des Spiels mit der Vergangenheit. Während einige Veröffentlichungen zum Thema Freizeitveranstaltungen das Reenactment auf die Darstellung von Schlachten verkürzen[2], werden in pädagogischen Schriften Reenactment, LARP, Reenlarpment zu Unterpunkten der Living History[16].

Kritik

Viele Fachhistoriker sehen in Formen der „Geschichte zum Mitmachen", wie sich das Reenactment vielfach darstellt, zum einen redliches Bemühen bei der Rekonstruktion von einzelnen Artefakten, auf der anderen Seite erkenne sie „Klamauk“ und „Fantasy”, da beispielsweise in der Darstellung mittelalterlicher Ereignisse oft auf „überkommene alte Konzepte aus dem 19. Jahrhundert" zurückgegriffen werde und mit der fehlenden Wissenschaftlichkeit auch keine historische Tiefe vorhanden sei.[17] Daher wird oft zwischen einem der wissenschaftlichen Darstellung durch experimentelle Archäologie und Museologie sowie einem der Unterhaltung dienendem Reenactment unterschieden.[18]

Nationalsozialistische Themen

Seit geraumer Zeit versuchen einige Gruppen, die sich des Themas Waffen-SS angenommen haben, ideologisch einseitige Strömungen in den Reenactment-Bereich einfließen zu lassen. Untaten der SS werden dabei verharmlost oder geleugnet. Als Gegenmaßnahme haben daher seriöse Gruppen und Zusammenschlüsse Vereinbarungen unterzeichnet, welche sich ausdrücklich von nationalsozialistischem Gedankengut, ihren Trägern und Gruppen, die sich das Thema SS zu eigen machen, distanzieren. Die WWII Living History Agreement 2007[19] ist ein Beispiel und eine Konsequenz aus diesen Erfahrungen.

Wissenschaftlichkeit und rechte Propaganda

Jüngst ist es in der Frühmittelalter-Reenactment-Szene aufgrund der Verwendung von Sonnensymbolen bei einigen Gruppen, die Germanen darstellen, zu einer Diskussion gekommen,[20] die auch grundsätzlich das Problem der Wissenschaftlichkeit des Ansatzes betrifft.

Siehe auch

Society for Creative Anachronism

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Jan Carstensen, Uwe Meiners, Ruth-E. Mohrmann (Hrsg.): Living History im Museum", Waxmann Verlag, 2008, ISBN 3-8309-2029-6, S. 119
  2. a b c Albrecht Steinecke: Kulturtourismus", Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2007, ISBN 3-486-58384-0, S. 162
  3. Michael Walter Hebeisen: Recht und Staat als Objektivationen des Geistes in der Geschichte", Books on Demand, 2004, ISBN 3-8334-1847-8, S. 570
  4. Michael Walter Hebeisen: Recht und Staat als Objektivationen des Geistes in der Geschichte", Books on Demand, 2004, ISBN 3-8334-1847-8, S. 571
  5. Michael Walter Hebeisen: Recht und Staat als Objektivationen des Geistes in der Geschichte", Books on Demand, 2004, ISBN 3-8334-1847-8, S. 572
  6. Jan Carstensen, Uwe Meiners, Ruth-E. Mohrmann (Hrsg.): Living History im Museum", Waxmann Verlag, 2008, ISBN 3-8309-2029-6, S. 23
  7. Christoph Marx: Bilder nach dem Sturm – Wahrheitskommissionen und historische Identitätsstiftung zwischen Staat und Zivilgesellschaft", LIT Verlag, Berlin-Hamburg-Münster, 2007, ISBN 3-8258-0767-3, S. 92
  8. [Valentin Groebner: Das Mittelalter hört nicht auf, C.H.Beck Verlag, München 2008, ISBN 3-406-57093-3, S. 142
  9. Albrecht Steinecke: Kulturtourismus", Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2007, ISBN 3-486-58384-0, S. 163
  10. Andreas Hartmann: Historizität", Waxmann Verlag, 2007, ISBN 3-8309-1860-7, S. 90
  11. Andreas Hartmann: Historizität", Waxmann Verlag, 2007, ISBN 3-8309-1860-7, S. 91f
  12. Franziska Ritter: Authentizität im Dokumentarischen", GRIN Verlag, München-Ravensburg 2008, ISBN 3-640-20862-5, S. 25
  13. Jan Carstensen, Uwe Meiners, Ruth-E. Mohrmann (Hrsg.): Living History im Museum", Waxmann Verlag, 2008, ISBN 3-8309-2029-6, S. 22
  14. Dietmar Hartwich, Christian Swertz, Monika Witsch, Norbert Meder: Mit Spieler : Überlegungen zu nachmodernen Sprachspielen in der Pädagogik", Königshausen & Neumann, 2007, ISBN 3-8260-3648-4, S. 109
  15. Jan Carstensen, Uwe Meiners, Ruth-E. Mohrmann (Hrsg.): Living History im Museum", Waxmann Verlag, 2008, ISBN 3-8309-2029-6, S. 16
  16. Dietmar Hartwich, Christian Swertz, Monika Witsch, Norbert Meder: Mit Spieler : Überlegungen zu nachmodernen Sprachspielen in der Pädagogik", Königshausen & Neumann, 2007, ISBN 3-8260-3648-4, S. 109
  17. [Valentin Groebner: Das Mittelalter hört nicht auf, C.H.Beck Verlag, München 2008, ISBN 3-406-57093-3, S. 141f.
  18. Andreas Hartmann: Historizität", Waxmann Verlag, 2007, ISBN 3-8309-1860-7, S. 90
  19. WWII Living History Agreement
  20. http://www.archaeologie-online.de/magazin/nachrichten/artikel/podiumsdiskussion_zu_living_history_und_reenactment_in_paderborn/

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