- Windstößigkeit
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Das Windwerk, auch Balgwerk, Windanlage oder bei modernen Orgel vereinfachend Gebläse genannt, ist eine Baugruppe der Orgel, die für die gleichmäßige Erzeugung, Regulierung, Verteilung und Modellierung von Druckluft, welche im Orgelbau und Drehorgelbau als Wind bezeichnet wird, zuständig ist. Das Windwerk besteht heute in der Regel aus einem Schleudergebläse (Erzeugung), einem Magazinbalg (Regulierung) und Windkanälen (Verteilung), welche den Wind zu den Windladen leiten auf denen die Orgelpfeifen stehen. Häufig befindet sich auch ein Tremulant (Modulierung) im Windwerk.
Der Winddruck hängt von der Bauart und Charakteristik der verbauten Register, von den akustischen Eigenschaften des Raumes, sowie dem gewünschten Gesamtklang der Orgel ab. Der Druck des Orgelwindes wird mit Hilfe einer so genannten Windwaage in Millimeter Wassersäule (1 mmWS = 9,807 Pa) gemessen, welche früher aus einem mit Wasser gefüllten gebogenen Glasrohr bestand. Beginnend mit einem Winddruck von etwa 50 mmWS bei frühbarocken italienischen und süddeutschen Orgeln stieg dieser bis auf 100 mmWS zur Zeit der Hochromantik. Auch wurden in dieser Zeit besonders scharf klingende sogenannte Hochdruckregister mit bis zu in der Regel 300 mmWS Winddruck gebaut.
Inhaltsverzeichnis
Aufgaben
Erzeugung
In den meisten modernen Orgeln wird der Wind durch ein elektrisches Gebläse (Schleudergebläse) erzeugt, welches mit sich drehenden Schaufelrädern in einen Gehäuse die Luft komprimiert und kontinuierlich abgeben kann. Dieser Wind ist teilweise so konstant, dass lediglich kleine Schwimmerbälge nötig sind um auch beim Spielen einen gleichmäßigen Winddruck zu erhalten. Die meisten Schleudergebläse arbeiten in einem Drehzahlbereich von 1500 bis 2500 U/min. Je langsamer das Gebläse läuft, desto verwirbelungs- und strömungsgeräuschfreier ist der von ihm erzeugte Wind. Andererseits sind schnelllaufende Gebläse in ihrer Bauart kompakter und somit platzsparender und kostengünstiger. Der Aufstellungsort von Schleudergebläsen soll so beschaffen sein, dass möglichst keine direkten und indirekten Motorengeräusche zu hören sind. Grundsätzlich sollen Schleudergebläse daher schwingungsfrei aufgestellt werden, um die Übertragung von Körperschall auf die Standfläche des Motors und auf die weitere Windanlage zu verhindern. Die Übertragung von direkten Motorgeräusche durch Luftschall werden bei großen Schleudergebläsen durch die Aufstellung in einem separatem Raum, bei kleineren Gebläsen durch die Aufstellung in einer schallisolierten Kiste innerhalb, bei Positiven und Kleinorgeln teilweise auch außerhalb des Orgelgehäuses, unterbunden.
Vor der Zeit der Elektrifizierung, bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts, mussten Kalkanten sogenannte Schöpfbälge betätigen um den Spielwind zu erzeugen. Diese waren als Falten-, Keil- oder Kastenbalg realisiert und waren mit den Händen oder Füßen zu betätigen. Je nach Orgelgröße benötigte man bis zu zwölf Kalkanten (Balgtreter), die sich ständig in Bereitschaft halten mussten und auf ein Signal des Organisten hin, häufig ein mit einem Registerzug Kalkantenruf verbundenes Glöckchen, mit ihrer schweißtreibenden Arbeit beginnen mussten.
Schöpfbälge sind heutzutage nur noch selten anzutreffen und wurden auch bei historischen Orgeln durch elektrische Gebläse ersetzt oder zumindest ergänzt. Sie sind in der Regel als Keilbälge ausgeführt.
Bei Restaurierungen vormoderner Instrumente und bei Neubauten in einem vormodernen Orgelstil finden zunehmend auch die dem jeweiligen Instrumententypus historisch entsprechenden Balganlagen Verwendung. Dabei wird versucht die Vorteile der Schöpfbälge durch den Anbau von mechanischen, pneumatischen oder auch elektrischen Aufblas- oder Aufzuganlagen nutzbar zu machen. Jedoch sind Fehleranfälligkeit, die Betriebskosten durch Wartung, sowie der Verschleiß sehr hoch. Häufig steht die Erhaltung der originalen Windanlage im Mittelpunkt, so dass bei besonderen Anlässen auch noch manuell, durch einen Kalkanten erzeugter, Wind verwendet werden kann. Dieser wird durch den Zuhörer als besonders lebendig und natürlich empfunden, da trotz Regulierungsmaßnahmen die unregelmäßigen Luftdruckschwankungen von einem oder mehreren Kalkanten nicht vollständig normalisiert werden können. Jedoch ist ein solcher Orgelwind frei von jeglicher Art von Vibrationen durch ein rotierendes Schaufelrad, deren Frequenzen im Hörbereich liegen. Auch indirekte Motorgeräusche, die über das Gehäuse der Orgel übertragen werden, sind nicht vorhanden.
Für ältere Musik wird die so erzielte Lebendigkeit und Ruhe des Orgelwindes – oft als Atmen der Orgel beschrieben – geschätzt, für Musik seit dem fortgeschrittenen 19. Jahrhundert hingegen absolute Windstabilität.
Kleinstorgeln
Bei Regalen und Portativen ist in der Regel nur ein Magazinbalg vorhanden. Auch hier werden bei Neubauten Schleudergebläse eingesetzt. Bei historischen Orgeln oder deren Nachbauten werden die als Keilbälge ausgeführten Schöpfbälge von einem Kalkanten mit den Händen oder vom Spieler selbst mit den Füßen bedient.
Regulierung
Ein gleichmäßiger Orgelwind ist für die Funktion einer Orgel unerlässlich. Der Orgelwind hat großen Einfluss auf Stimmung und Charakter des Klanges einer Orgel. So ist für die Barockzeit ein leichtes „Atmen“ des Orgelwindes charakteristisch. Bei romantischer Orgelmusik sind Druckschwankungen grundsätzlich unerwünscht.
Mit Schleudergebläsen ausgestattete Orgel benötigen zur Regulierung des Orgelwindes kaum noch große Balganlagen. Früher mussten große Magazinbälge die mit reiner Körperkraft erzeugte Druckluft speichern. Sie haben eine bewegliche Decke, die mit Gewichten oder durch Federdruck belastet ist. Die angesaugte Luft wird leicht komprimiert und ein konstanter Druck aufgebaut.
Schwimmerbalg diese sind in der Regel erheblich kleiner ausgeführt und befinden sich nahe oder sogar direkt an der Windlade. Sie dienen der Kompensierung von Luftdruckschwankungen, die durch den Spielbetrieb an der Kanzelle erzeugt werden. Bei modernen Orgelneubauten sind die Schleudergebläse derart konstruiert, dass eine aufwändige Balganlage zu Regulierung des Windes nicht mehr nötig ist.
Ventile
Zur Regulierung des Winddurchflusses werden neben anderen Ventiltypen sogenannte Rollventile eingesetzt. Die Vielzahl der verbauten Ventile sind in ihrer Gesamtheit für eine gleichmäßige Winddruckreduzierung vom Gebläse bis in die Pfeife verantwortlich.
Windstößigkeit
Als Windstößigkeit bezeichnet man den Effekt von unbeabsichtigten Winddruckschwankungen beim Orgelspiel. Der Nebeneffekt der Windstößigkeit sind hörbare Stimmungsschwankungen bis hin zum Versagen einzelner (auf eine stabile Windversorgung angewiesener) Pfeifen wie etwa Zungenpfeifen. Dieses Phänomen tritt überwiegend bei historischen Orgeln des Barock (und deren Nachbauten) auf. Bei romantischen Orgeln ist Windstößigkeit weitestgehend nicht bekannt. Die Windstößigkeit führte unter anderem dazu, dass in den 1960er und 1970er Jahren das sogenannte „Äqualverdopplungsverbot“ gelehrt wurde – beim Registrieren von Literatur des Barock sollten keine zwei Register einer Fußtonzahl gleichzeitig benutzt werden. Aus heutiger Sicht ist diese Ansicht allerdings als überholt zu betrachten.
Verteilung
Der Wind gelangt über meist hölzerne Windkanäle vom Gebläse über verschiedene Balgsysteme zu den Windladen. Die Windkanäle Sie müssen so gebaut sein, dass sie den Wind möglichst ohne Druckverlust und ohne größere Strömungsverwirbelungen zum Bestimmungsort führen. Es muss auch darauf geachtet werden, dass in ihnen keine nach außen dringenden Strömungsgeräusche entstehen. Das gleiche gilt auch für die Ventilkästen und Kanzellen an der Windlade selbst. Die Dimensionierung der Windkanäle hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Qualität des Orgelklanges.
Unmittelbar an den Windladen ist eine abschließende Stabilisierung des Spielwindes durch Ladenbälge unter den Windladen möglich.
Modulierung
Ziel aller bisher aufgeführten Konstruktionen ist es, den Orgelwind möglichst schwankungs- und stoßfrei zu den Orgelpfeifen zu führen. Mit Hilfe eines Tremulanten können periodische Druckschwankung erzeugt werden, die einen Teil des Orgelwindes für ein Teilwerk mit Solostimmen zusätzlich „beleben”.
Arbeitswind
Bei Orgel mit pneumatischer Spiel- oder Registertraktur ist das Windwerk auch für die Erzeugung des sogenannten Arbeitswindes verantwortlich, der bei pneumatischen Trakturen für die Ventilsteuerung zuständig ist. Gegenteil ist der Spielwind, der für die Klangerzeugung in den Pfeifen bestimmt ist.
Neben der Versorgung von Pfeifen dient der Orgelwind vor allem in der Renaissance und während des Barockzeit zum Antrieb weiterer Effektregister wie zum Beispiel Zimbelsternen, die sich heute auch elektrisch antreiben lassen.
Literatur
- Wolfgang Adelung: Einführung in den Orgelbau. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 1991, ISBN 3-765-10279-2
- Hans Klotz: Das Buch von der Orgel. Bärenreiter, Kassel 2000, ISBN 3-761-80826-7
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