- Wirtschaftssysteme
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Wirtschaftssystem bezeichnet die Gesamtheit des Wirtschaftslebens einer Epoche. Dazu gehören die wirtschaftlichen Elemente, vor allem die Menschen als Produzenten und Konsumenten sowie die Ressourcen, die wirtschaftlichen Beziehungen, vor allem in Form von Produktions-, Verteilungs- und Konsumtionsprozessen, und die wirtschaftliche Ordnung, vor allem Organisationen und rechtliche Regeln. Das Wirtschaftssystem ist durch die Interdependenz der sozialen Teilsysteme, die sich gegenseitig beeinflussen, vor allem mit dem politischen System verwoben. Der Begriff Wirtschaftssystem wird uneinheitlich verwendet, besonders in der Abgrenzung zur Wirtschaftsordnung.
Inhaltsverzeichnis
Begriff
Wirtschaftssystem ist nach der Systemtheorie ein analytischer Oberbegriff für alle diejenigen Elemente, Prozesse und Strukturen, die sich durch den gemeinsamen Sinn der Bedürfnisbefriedigung angesichts knapper Güter als Teil des Gesellschaftssystems von anderen Teilsystemen wie Politik und Kultur abgrenzen lassen.
Das Wirtschaftssystem umfasst erstens die wirtschaftlichen Elemente und Akteure, vor allem private und öffentliche Haushalte sowie Unternehmen, und deren Verfügungsgewalt über Produktions- und Verbrauchsmittel. Hinzu kommen zweitens die wirtschaftlichen Beziehungen, d.h. die Produktions-, Verteilungs- und Konsumprozesse in und zwischen den Wirtschaftseinheiten. Schließlich ist drittens die aus dem Zusammenwirken der Elemente und Akteure entstehende wirtschaftliche Ordnung Bestandteil des Wirtschaftssystems; sie beruht auf den institutionellen Regeln (Wirtschaftsordnung, Wirtschaftsverfassung). Das Wirtschaftssystem wird maßgeblich durch die Interdependenz mit anderen sozialen Teilsystemen geprägt, vor allem mit dem politischen System. In der Wissenschaft herrscht keine Einigkeit darüber, welcher Begriff umfassender ist, Wirtschaftssystem oder Wirtschaftsordnung.
Funktion von Wirtschaftssystemen
Ein Wirtschaftssystem kennzeichnet das Verfügen über knappe Güter im Zusammenhang mit der Bedürfnisbefriedigung der Menschen. Die Diskrepanz zwischen unbefriedigten Bedürfnissen und knappen Gütern bedarf in einer jeden Gesellschaft der Problemlösung und hat in arbeitsteiligen, hochspezialisierten Gesellschaften zur Entstehung eines in ihren Wirkungszusammenhängen komplexen, kaum mehr zu überschauenden Netzwerkes geführt. Das Wirtschaftssystem umfasst die Erstellung, die Verteilung und den Verbrauch von Gütern unter dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zur Befriedigung des privaten und öffentlichen Bedarfs. Demgegenüber kennzeichnet das politische System die Ausübung von Macht auf der Grundlage eines in der Regel dem Staat vorbehaltenen Potentials der Gewaltandrohung und -anwendung sowie die politische Willensbildung und ihre institutionelle Ausdifferenzierung.
Ein Wirtschaftssystem hat folgende Aufgaben zu erfüllen:
- Zuordnung der ökonomischen Entscheidungsbefugnisse (Wer entscheidet – Individuum oder Behörde/ Bottom up oder Top down?)
- Kontrolle der sachgemäßen Verwendung der Produktionsmittel und Ahndung von Fehlplanungen (Wer kontrolliert und entscheidet – Markt und Wettbewerb als Ausleseverfahren oder Staat und Planung?)
- Information der Wirtschaftssubjekte über die Güterknappheiten und andere ökonomisch relevante Fakten (Wie werden Preise gebildet – frei oder staatlich festgesetzt?)
- Anreizen der Wirtschaftssubjekte zu effizientem und innovativem Verhalten (Bedürfnisbefriedigung der Konsumenten und Wettbewerb als Entdeckungsverfahren oder zentrale Planung und Belobigung?)
- Koordination der Planungen und Handlungen der Wirtschaftssubjekte im arbeitsteiligen Wirtschaftsprozess (Angebot und Nachfrage bilden den Preis oder zentrale Planung koordiniert?)
Typen
Wirtschaftssysteme besitzen eine systemrationale Struktur oder eine systemspezifische Ordnung. Diese hängt von den ökonomischen Ordnungsprinzipien, den Mechanismen und Regelungen ab, die sich zu einem gesamtwirtschaftlichen Steuerungs- und Koordinierungssystem verknüpfen und so die Wirtschaftssubjekte bei ihrer Bedürfnisbefriedigung und Verminderung der Güterknappheit ausrichten. Jene Steuerungs- und Koordinationselemente, die in ihrem Zusammenwirken das Wirtschaftsgeschehen hervorbringt, sind Erkenntnisobjekt der Wirtschaftssystem-Theorie.
Maßgeblichen Einfluss auf den Charakter der systemspezifischen Ordnung üben folgende Faktoren aus:
- Eigentum (Privat- oder Staatseigentum) und
- Art der Koordination (dezentrale oder zentrale Planung und Lenkung).
- Hinzu kommt, ob die Preisbildung frei auf offenen Märkten erfolgt oder durch staatliche Eingriffe beeinflusst bzw. festgesetzt wird und
- das Ausmaß der Öffnung des Wirtschaftssystem gegenüber anderen Volkswirtschaften (internationale Arbeitsteilung oder Autarkie).
Die praktizierte Wirtschaftspolitik und die verfolgte Ordnungspolitik verändern das Wirtschaftssystem wesentlich.
Als grundsätzliche Formen sind zu nennen:
- Marktwirtschaft (Privateigentum an Produktionsmitteln, Preisbildung durch Angebot und Nachfrage, dezentrale Planung der Wirtschaftsprozesse)
- Zentralverwaltungswirtschaft (Kollektiv-/ Staatseigentum an Produktionsmitteln, festgelegte Preise und Löhne, zentrale Planung der Wirtschaftsprozesse)
Diese Formen sind idealtypischer Natur. In der Realität treten fast ausschließlich Mischformen („mixed economies“) auf.
Zudem gibt es gesellschaftstheoretische und -politische Versuche, einen Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu verwirklichen. Die Sehnsucht nach einer Versöhnung dieser beiden Formen kommt beispielhaft zum Ausdruck in der "humanen Wirtschaftsdemokratie" (Ota Sik), der "sozialistischen Marktwirtschaft" oder "regulierten Marktwirtschaft" (Michail Gorbatschow) und der Freiwirtschaftslehre (Silvio Gesell).
Als politischer Begriff kennzeichnet ferner Wohlfahrtsstaat die historische Entwicklung des deutschen Staat- und Wirtschaftssystems. Der Wohlfahrtsstaat ist durch die Tendenz gekennzeichnet, die persönliche Präferenz, Initiative und Verantwortung des einzelnen Bürgers der kollektiven Sicherheit und dem Wertkodex der Regierenden unterzuordnen.
Abgrenzung
Der Begriff Wirtschaftssystem lässt sich abgrenzen von den Begriffen Wirtschaftsordnung (= Gesamtheit der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen/ Organisation der Wirtschaft), Wirtschaftsverfassung (= wirtschaftlich relevante Artikel der Verfassung, Gesetze und Verordnungen sowie das selbstgeschaffene Recht der Wirtschaft), Wirtschaftsstil (= Klassifikation historischer Wirtschaftsweisen) und Wirtschaftsform (= Aufteilung der Produktionsmitteln zwischen Staats- und Privateigentum).
Historische Erscheinungsformen
Den historischen Erscheinungsformen deutscher Wirtschaftssysteme in der Neuzeit lassen sich folgende uneinheitliche Begriffe zuordnen, die sich vor allem aus der jeweiligen Wirtschaftsordnung ableiten:
- Bundesrepublik Deutschland
- Deutsche Demokratische Republik – Zentralverwaltungswirtschaft
- Nationalsozialismus – NS-Wehrwirtschaft
- Weimarer Republik – sozialstaatliche Übergangsform
- Deutsches Kaiserreich – Organisierter Kapitalismus
- Deutscher Bund – uneinheitlich: feudal-ständische und liberal-bürgerliche Ordnungen
Literatur
- Rainer Klump (Hg.): Wirtschaftskultur, Wirtschaftsstil und Wirtschaftsordnung, Marburg 1996.
- Hans-Rudolf Peters: Wirtschaftssystemtheorie und Allgemeine Ordnungspolitik, 4. überarbeitete und erweiterte Auflage (Oldenbourg Verlag), München und Wien 2002.
- Michael von Prollius: Das Wirtschaftssystem der Nationalsozialisten 1933-1939. Steuerung durch emergente Organisation und Politische Prozesse (Schöningh Verlag), Paderborn 2003.
- Alfred Schüller und Hans-Günter Krüsselberg(Hg.): Grundbegriffe zur Ordnungstheorie und Politischen Ökonomik, 6. durchgesehene und ergänzte Auflage, Marburg 2004.
Siehe auch
Wirtschaftsordnung, Wirtschaftspolitik, Wirtschaftsverfassung
Weblinks
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