Wissensexplosion

Wissensexplosion

Als Informationsexplosion oder Wissensexplosion bezeichnet man die Beobachtung, dass die Menge an Informationen in der Informationsgesellschaft im Verhältnis zu anderen Bereichen der Gesellschafts- oder Wirtschaftsordnung überproportional zunimmt; diese Aussage bezieht sich allerdings primär auf die Quantität, nicht notwendigerweise auf die Qualität der neu geschaffenen Informationen.

Subjektiv kann sich der Einzelne einer Informationsflut ausgesetzt sehen, in der das Problem weniger in der Verfügbarkeit von Information oder Wissen besteht, als vielmehr der Anwendung angemessener Informationsfilter oder Sortierungsmöglichkeiten, um an relevante Materialien zu gelangen. Die Informationsüberflutung erschwert somit das Finden richtiger und wichtiger Information. Wissensmanagement befasst sich mit den Lösungen.

Inhaltsverzeichnis

Quantifizierung des Wissenswachstums

Die ersten Versuche, das Wachstum des Wissens zu quantifizieren, stammen aus den 1950ern. In der UdSSR untersuchte Gennadi Michailovic Dobrov 1971 mit Hilfe statistischer Analysen die Wissensproduktion. In den USA erschien 1963 die Arbeit von Derek de Solla Price "Little Science - Big Science" (deut. 1974). Als Messgröße nutzte de Solla Price die Anzahl der Originalveröffentlichungen in Fachzeitschriften; nach seinen Berechnungen wächst das Wissen seit Mitte des 17. Jahrhunderts mit einer Verdopplungszeit von ungefähr 15 Jahren exponentiell. Aktuellere Schätzungen gehen davon aus, dass sich das Wissen der Welt sogar etwa alle fünf bis zwölf Jahre verdoppelt, wobei sich diese Rate noch beschleunigt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen über das Internet und die (elektronischen) Massenmedien. Laut einer Studie aus dem Jahr 2003 stieg das Wachstum an gespeicherten Informationen zwischen 1999 und 2002 jährlich um 30 Prozent. Im Jahre 2002 wurden 5 Exabyte an neuer Information produziert, die zu 92 Prozent auf magnetischen Datenträgern gespeichert wurden. Das World Wide Web enthielt zu diesem Zeitpunkt etwa 170 Terabyte an Informationen. [1]

Die Grenzen des Wachstums scheinen allerdings mittlerweile auch bei der Informationsexplosion erreicht zu sein; das exponentielle Wachstum wandelt sich derzeit in eine logistische Funktion.

Der Wissenschaftshistoriker Franz Graf-Stuhlhofer bezweifelt, dass das Wachstum wissenschaftlicher Information mit der Auszählung der Anzahl an Publikationen gemessen werden kann; er fordert daher eine Unterscheidung zwischen

  • Wachstum der wissenschaftlichen Information und
  • Wachstum des Wissens.

Für seine eigenen Berechnungen des Wissenswachstums wertete er den Umfang von Lehrbüchern, die Anzahl berühmter Naturforscher sowie bedeutende Entdeckungen zwischen 1500 und 1900 aus; anhand dieser Kalkulation verdoppelt sich das wissenschaftliche Wissen nur ungefähr alle einhundert Jahre.

Veralterungszyklen

Information Lifecycle Management beschäftigt sich mit der Verwaltung und Erschließung von Informationen unter Berücksichtigung der Veränderung des Wertes von Information über die Zeit.

Messung des qualitativen Wachstums

Nimmt man die Häufigkeit, mit der eine Veröffentlichung von anderen Autoren zitiert wurde, als Maßstab für die Beurteilung der Bedeutung und des Wertes einer Fachveröffentlichung, ist festzustellen, dass die meisten Publikationen nur wenige Male und nur sehr wenige häufiger zitiert werden (Pareto-Verteilung).

In den Naturwissenschaften kann die Zitierung von Publikationen mit dem Science Citation Index (SCI) des Institute for Scientific Information (ISI) festgestellt werden.

Wachstum der Zahl der Wissenschaftler

Anzahl der Menschen mit wissenschaftlich-technischer Ausbildung (nach Marx und Gramm 1994/2002):

  • Mitte des 17. Jahrhunderts: < 1 Million
  • 1850 bis 1950: Anstieg von 1 auf 10 Millionen
  • 1950 bis 2000: Anstieg von 10 auf 100 Millionen.

Eine Kritik quantitativer Bestimmungen von 'Wissen'

Dass 'Wissen' zumindest in zwei grundsätzlich unterschiedenen Kategorien auftritt, hat Nassim Nicholas Taleb gezeigt. Taleb geht davon aus, dass das Wissen von Mediokristan und das von Extremistan -- zwei Modell-Länder, die Taleb zum Zweck der Veranschaulichung geschaffen hat -- sich dadurch unterscheidet, dass es eine Form von Wissen gibt, das quantifizierbar wächst (Mediokristan), während das andere Wissen kategorial herausragende und in diesem Sinn extreme 'Daten' enthalten kann (Extremistan).[2] Die Aufstellung einer eine neue Form von Daten ermöglichenden Theorie wäre dem zufolge eine andere Art Wissen, als das Wissen um die Daten, die von der Theorie generiert werden.

Verwandte Themen

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. P. Lyman et al.: How much information 2003? (abgerufen 30. Juni 2008)
  2. Nassim Nicholas Taleb, The Black Swan. New York 2007. Dt. Ausg.: Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. München 2008. (Dt. Ausg. S. 55, 64 und passim).

Literatur

  • Dieter E. Zimmer: "Die Welt ist eine Scheibe", in: Die Zeit vom 10. Februar 2000
  • G. M. Dobrov: Das Potential der Wissenschaft. Berlin: Akademie-Verlag 1971
  • Derek J. De Solla Price: Little Science, Big Science (Suhrkamp-Taschenbuch - Wissenschaft 48). Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1974 -- der Klassiker der Wissenschaftswissenschaft aus den USA; Auszüge: http://www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/price/price14.html
  • Franz Stuhlhofer: Strukturen der wissenschaftlichen Betätigung und das zeitlich exponentielle Wachstum der neuzeitlichen Naturwissenschaft (Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 3), 115-126 (1980)
  • Franz Stuhlhofer: Unser Wissen verdoppelt sich alle 100 Jahre (Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 6), 169-193 (1983)

Weblinks


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