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Wilhelm Wittbrodt (* 8. November 1878 in Arendsee, Landkreis Prenzlau; † 12. Mai 1961 in Berlin-Neukölln) war ein deutscher Reformpädagoge, Schuldirektor, sozialdemokratischer Politiker und Esperantist.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Wittbrodt absolvierte in Prenzlau das Lehrerseminar, war dann an verschiedenen Orten als Lehrer tätig, bevor er 1907 mit seiner Familie nach Berlin kam und an der Grundschule am Hermannplatz in Neukölln angestellt wurde. Wittbrodt hatte schon 1910 nach einem Vortrag im Neuköllner Lehrerverein einen Esperanto-Kurs besucht und sich seitdem in der Berliner Esperantobewegung engagiert. 1914 verzeichnet ihn der „Berliner Esperanto-Anzeiger“ als Vorsitzenden der „Esperanto-Gruppe Neu-Kölln“. Geschäftsstelle ist seine Wohnung, Anzengruberstr. 3 und Zusammenkunftsort das Vereinszimmer im Ratskeller Neukölln.
Als Soldat im Ersten Weltkrieg lernte er die Schrecken des Krieges kennen und verabscheuen. Er trat 1918 in die SPD ein, wurde Bezirksverordneter (1918-1928) und Mitglied des Verbandes sozialistischer Lehrer. 1927 und 1928 war er Stadtverordneter. 1929 verließ er die Partei wegen des Baus neuer Panzerkreuzer und des Konkordats des Vatikans mit dem von Sozialdemokraten regierten Land Preußen.
Esperantolehrer
Ab 1920 unterrichtete Wittbrodt an der 31. weltlichen Schule in der Rütlistraße. Diese Schule wurde eine der Neuköllner Reformschulen, die unter dem Namen Rütlischulen bekannt wurden. Wittbrodt wurde erst kommissarisch, ab 1925 offiziell Rektor der Schule, die als Lebensgemeinschaftsschule ein völlig neues Verhältnis zwischen Kindern und Lehrern und neue Formen des Lernens und Lehrens praktizierte. Er förderte an seiner Schule besonders die naturwissenschaftlich-technische Ausrichtung. Mit besonderem Engagement unterrichtete er Kinder und auch Erwachsene in Esperanto. Als im September 1920 in Berlin eine Reichsschulkonferenz stattfand, an die ein Gesuch zur Einführung des Esperantounterrichts in deutschen Schulen herangetragen wurde, hielt Wilhelm Wittbrodt mit 22 Kindern eine Esperanto-Lektion vor Konferenzmitgliedern. Solche Probelektionen gab er noch öfter vor unterschiedlichen Gremien. Seine Gruppe Neukölln traf sich nun in der Rütlischule. Als 1924 in Berlin Delegierte des Esperanto-Weltbundes (UEA) benannt wurden, vertrat er den Bezirk Neukölln. Er arbeitete nicht nur aktiv in der Berliner Esperanto-Lehrergruppe, sondern gehörte auch zum Internationalen Verband der Esperanto-Lehrer (Internacia Ligo de Esperantaj Instruistoj - ILEI). Obwohl er sich nicht zum Anschluss an die radikaler gesinnte Pariser Lehrerinternationale entschließen konnte, die das Bekenntnis zum Klassenkampf und zur proletarischen Schulpolitik verlangte, verschlechterte sich das Verhältnis zu den kommunistischen Esperantisten in seinem Kollegium wie Elly Janisch, Hans Feuer und Käthe Agerth nicht.
Ende der 20er Jahre wurde Wittbrodt stellvertretender Vorsitzender der sozialdemokratisch orientierten Pädagogischen Internationale und organisierte in dieser Funktion den vorläufig letzten Esperanto-Kongress in Berlin, an dem auch Schülerinnen und Schüler der Rütli-Schule teilnahmen. Im April 1933 wurde er als Rektor beurlaubt und zum Lehrer zurückgestuft, 1934 von den Nazis aus dem Schuldienst entlassen.“
Nachkriegszeit
Im Frühsommer 1945 wurde Wittbrodt, der wieder in die SPD eingetreten war, als Hauptschulrat in Neukölln eingesetzt. Er trat auch in dieser Funktion sehr bald wieder für den Esperanto-Unterricht ein und darüber hinaus für den Aufbau einer Esperanto-Organisation in Berlin. Er wurde auch Mitglied der Prüfungskommission der Esperanto-Liga Berlin. Der Streit um die Zuständigkeit für den Inhalt des Berlina Informilo zwischen der Liga und dem Esperanto-Verlag führte 1950 zu seinem Rücktritt als Liga-Vorsitzender zu einem Zeitpunkt, als er - inzwischen wegen Annahme des Titels „Verdienter Lehrer des Volkes“ aus der SPD ausgeschlossen - um sein Ruhegeld prozessieren musste. Als Wilhelm Wittbrodt bei Gründung der Esperanto-Liga Berlin 1949 zum 1. Vorsitzenden gewählt wurde, war er, über 70 Jahre alt, soeben als Hauptschulrat von Neukölln pensioniert worden, weil er wegen seiner reformpädagogischen Vorstellungen mit der amerikanischen Besatzungsmacht in Konflikt geraten war.
Der Neuköllner Bezirksstadtrat für Volksbildung Wolfgang Schimmang meinte später dazu: „Ein Reformpädagoge wie Wilhelm Wittbrodt, der schon während der Weimarer Republik für seine Ideale auch politisch … tätig wurde …, war kein Anhänger des sowjetrussischen Gesellschaftsmodells. Er geriet dennoch in die Mühle der rivalisierenden Weltmachtsinteressen, wobei das Wissen, nie zu denen gehört zu haben, die Deutschland und Europa in den Abgrund hineinführten, ebenfalls Bedeutung hatte, wenn es schmerzte, Ideale nicht verwirklichen zu können.“ Wilhelm Wittbrodt wurde 1955 Ehrenmitglied der Esperanto-Liga Berlin in Würdigung seiner Verdienste um die Vereinigung der Berliner Esperantisten nach dem Krieg und erhielt vom Deutschen Esperanto-Bund e. V. das Ehrenabzeichen verliehen.
Quellen
- Germana Esperantisto (GE) 8-9/1920, S. 106, GE 4-5/1922, S. 83, GE 2/1924, S.27, GE 12/1930, S. 176, GE 10/1932, S. 164
- Heimatmuseum Neukölln, 1993, insbesondere Rudolf Rogler, Wilhelm Wittbrodt. Biographie, in Band II, S. 251-52
- Sand im Getriebe. Neuköllner Geschichte(n). Neuköllner Kulturverein (Hrsg.), Edition Hentrich, Berlin, 1990, 2. überarbeitete Auflage
- Volker Hoffmann: Die Rütlischule zwischen Schulreform und Schulkampf 1908-1950/51. Selbstverlag
Literatur
- Volker Hoffmann, Rudolf Rogler: Wilhelm Wittbrodt 188-1961. In: Schulreform - Kontinuitäten und Brüche. Das Versuchsfeld Berlin-Neukölln. Hrsg.: Gerd Radde, Werner Korthaase, Rudolf Rogler und Udo Gößwald im Auftrag des Bezirksamts Neukölln, Abt. Volksbildung, Kunstamt, Band II: 1945 bis 1972, Opladen 1993
Personendaten NAME Wittbrodt, Wilhelm KURZBESCHREIBUNG deutscher Reformpädagoge und Politiker GEBURTSDATUM 8. November 1878 GEBURTSORT Arendsee, Landkreis Prenzlau STERBEDATUM 12. Mai 1961 STERBEORT Berlin-Neukölln
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