Wohldefiniert

Wohldefiniert

Man kann in der Mathematik ein Objekt nicht nur durch eine Definitionsgleichung (explizit), sondern auch durch eine charakteristische Eigenschaft (implizit) definieren. Während eine explizite Definition immer zulässig ist, ist eine implizite Definition nur unter der Bedingung zulässig, dass es tatsächlich genau ein Objekt mit der angegebenen Eigenschaft gibt. Diese Bedingung nennt man die Wohldefiniertheit der impliziten Definition.

Den Beweis der Wohldefiniertheit kann man in zwei Teile zerlegen: die Existenz und die Eindeutigkeit des zu definierenden Begriffs.

Implizite Definitionen tauchen oft unbemerkt auf, wenn man Abbildungen auf Faktormengen definiert. Das Ergebnis wird durch eine Abbildung auf einem Repräsentanten definiert. Wohldefiniertheit läuft hier auf die Unabhängigkeit des Ergebnisses von der Wahl des Repräsentanten hinaus.

Inhaltsverzeichnis

Einfaches Beispiel

  1. „Für alle x\in\mathbb{R}_{\ge 0} ist f1(x) definiert als diejenige Zahl y\in\mathbb{R}_{\ge 0}, für die gilt x = y2.“
  2. „Für alle x\in\mathbb{R}_{\ge 0} ist f2(x) definiert als diejenige Zahl y\in\mathbb{R}, für die gilt x = y2.“
  3. „Für alle x\in\mathbb{R} ist f3(x) definiert als diejenige Zahl y\in\mathbb{R}_{\ge 0}, für die gilt x = y2.“

Zu 1: Die Wohldefiniertheit von f1(x) besagt, dass es für jede Zahl x\in\mathbb{R}_{\ge 0} genau eine Zahl y\in\mathbb{R}_{\ge 0} gibt mit der Eigenschaft x = y2. Das ist in der Tat der Fall, denn die Quadratfunktion von \mathbb{R}_{\ge 0} nach \mathbb{R}_{\ge 0} ist bijektiv. Die Funktion f1 ist also wohldefiniert – f1 ist die Quadratwurzelfunktion.

Zu 2: Wohldefiniertheit gilt hier nicht, denn zum Beispiel gilt 4 = 22 und 4 = ( − 2)2. Die Eindeutigkeit ist verletzt.

Zu 3: Auch hier gilt Wohldefiniertheit nicht, denn − 1 = y2 hat keine reellen Lösungen y. Die Existenz ist verletzt.

Repräsentantenunabhängigkeit

In der Literatur findet sich häufig die Definition von Wohldefiniertheit als Repräsentantenunabhängigkeit.[1] Vereinzelt wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es keine darüber hinaus gehende Bedeutung gibt.[2]

Die Repräsentantenunabhängigkeit soll zunächst an einem Beispiel erläutert werden. Jede rationale Zahl lässt sich als Bruch aus zwei ganzen Zahlen, dem Zähler und dem Nenner, schreiben. „Definieren“ wir also  f : \mathbb{Q} \to \mathbb{Z} : a/b \mapsto a als Funktion, die jeder rationalen Zahl ihren Zähler zuordnet.

Es gilt bekanntlich 1 / 2 = 2 / 4, also gilt 1 = f(1 / 2) = f(2 / 4) = 2, ein Widerspruch! Die Definition von f kann also nicht in Ordnung sein. Die Definition von f ist tatsächlich eine implizite Definition und sie ist nicht wohldefiniert. Sehen wir uns dazu die Definition von f genauer an: Der Bruch a / b steht für die Äquivalenzklasse aller Paare (x,y), für die gilt ay = xb. Die Definition von f müsste also genauer lauten: Für alle rationalen Zahlen q ist f(q) definiert als derjenige Wert x für den es ein y gibt mit (x,y) \in q. Nun stellt sich heraus, dass es mehrere solcher x gibt, zum Beispiel 1 (mit y = 2) oder 2 (mit y = 4). Die Wohldefiniertheit gilt also nicht.

Hat ein Element  a \in A also mehrere Darstellungen (im Beispiel: 1 / 2, 2 / 4, 3 / 6, …), dann muss eine Funktion  f : A \to B diesem Element einen Wert f(a) zuordnen, der von der Darstellung von a unabhängig ist. Die Definition f : \mathbb{Q} \setminus \{0\} \to \mathbb{Q} \setminus \{0\} : a/b \mapsto b/a zum Beispiel erfüllt diese Bedingung.

Für zwei mathematische Konzepte muss die Repräsentantenunabhängigkeit nachgewiesen werden:

Induzierte Abbildungen

Definition der induzierten Abbildung

Gegeben seien zwei Mengen A und B sowie die Äquivalenzrelationen \sim_1 auf A und \sim_2 auf B. [a]1 bezeichne die Äquivalenzklasse des Elements  a \in A bezüglich \sim_1 und [b]2 die Äquivalenzklasse des Elements  b \in B bezüglich \sim_2. Die Menge der Äquivalenzklassen A_{/\sim_1} := \{[a]_1 \mid a \in A\} heißt auch Faktormenge.

Hat man nun eine Funktion  f : A \to B gegeben, so ergibt sich eine dazugehörige Funktion g : A_{/\sim_1} \to B_{/\sim_2} auf der Faktormenge gemäß der Vorschrift

\ g([a]_1) := [f(a)]_2 .

g heißt die von f induzierte Abbildung.

Wohldefiniertheit bei induzierten Abbildungen

Um die Wohldefiniertheit von g zu zeigen, ist nachzuweisen, dass der Wert g([a]1) unabhängig vom ausgewählten Repräsentanten a der Äquivalenzklasse [a]1 ist. Anders gesagt muss gelten:

Falls [x]1 = [y]1, dann folgt [f(x)]2 = [f(y)]2.

Beispiele für induzierte Abbildungen

Im ersten Beispiel sei A = \mathbb{Z} und B = {0,1}. Als Äquivalenzrelation \sim_1 wählen wir die „Äquivalenz modulo 3“, d. h., es gelte

x\sim_1 y,\quad\mathrm{falls}\quad \frac{x-y}{3}\in\mathbb{Z}\ .

Die Äquivalenzrelation \sim_2 sei die gewöhnliche Gleichheit, also x\sim_2 y\;, falls x = y. Als Funktion wählen wir

f : \mathbb{Z} \to \{0, 1\},\ x \mapsto \left\{\begin{matrix}
 0\ , & \mbox{falls}\ x\ \mbox{gerade}\ , \\
 1\ , & \mbox{falls}\ x\ \mbox{ungerade}\ .
\end{matrix}\right.

Die induzierte Abbildung ist dann

 g : \mathbb{Z}_{/\sim_1} \to \{0, 1\}_{/\sim_2}, \ [x]_1 \mapsto [f(x)]_2 = \left\{\begin{matrix}
 \{0\}\ , & \mbox{falls}\ x\ \mbox{gerade}\ , \\
 \{1\}\ , & \mbox{falls}\ x\ \mbox{ungerade}\ .
\end{matrix}\right.

Es gilt nun g([5]_1) = [1]_2 = \{1\} \neq \{0\} = [0]_2 = g([8]_1), obwohl [5]1 = [8]1. In diesem Fall ist also die induzierte Abbildung g nicht wohldefiniert.


Im zweiten Beispiel sei A = B = \mathbb{R}. Die Äquivalenzrelation \sim_1 sei erklärt durch

x\sim_1 y,\quad\mathrm{falls}\quad \frac{x-y}{2\pi}\in\mathbb{Z}\ ,

und \sim_2 sei wieder die gewöhnliche Gleichheit. Der reelle Kosinus induziert nun die Abbildung

g: \mathbb{R}_{/\sim_1} \to \mathbb{R}, [x]_1 = \cos(x).

Diese Abbildung ist wohldefiniert, wie man folgendermaßen zeigt:

Seien x, y \in \mathbb{R} mit der Eigenschaft [x]1 = [y]1. Gemäß der Definition von \sim_1 existiert nun ein k \in \mathbb{Z} mit x = y + k \cdot 2\pi, und deshalb folgt g([x]_1) = \cos(x) = \cos(y + k \cdot 2\pi) = \cos(y) = g([y]_1), wobei wir die Tatsache verwendet haben, dass der Kosinus eine Periode von besitzt.

Induzierte Verknüpfung

Definition der Induzierten Verknüpfung

Sei A eine nichtleere Menge mit der inneren Verknüpfung *: A\times A \rightarrow A. Zu einer Äquivalenzrelation \sim auf A und der zugehörigen Faktorstruktur A_{/\sim\;} definiert man die von * auf der Faktorstruktur induzierte Verknüpfung als

 * : A_{/\sim} \times A_{/\sim} \to A_{/\sim}, [a]*[b] := [a * b]\ .

Wohldefiniertheit für induzierte Verknüpfungen

Verschiedene Repräsentanten derselben Klassen müssen stets dasselbe Ergebnis liefern, um von einer wohldefinierten Verknüpfung auf der Faktorstruktur sprechen zu können. Es ist also zu zeigen, dass für alle  x_1, x_2, y_1, y_2 \in A mit der Eigenschaft x_1 \sim x_2,\;y_1 \sim y_2 gilt

x_1*y_1 \sim x_2*y_2\ .

Beispiele für induzierte Verknüpfungen

  • Die Verknüpfung p: \mathbb{Z}/3\mathbb{Z} \times \mathbb{Z}/3\mathbb{Z} \to \mathbb{Z}/3\mathbb{Z}, gegeben durch p([a],[b]): = [ | a | | b | ], ist nicht wohldefiniert: Es gilt [5] = [2] und [3] = [6], aber
p([5],[3]) = [5^3] = [125] = [3\cdot 41+2] = [2] \neq [1] = [3\cdot 21+1] = [64] = [2^6] = p([2],[6])\ .


  • Betrachte die symmetrische Gruppe S3 = {id,(1,2),(1,3),(2,3),(1,2,3),(1,3,2)} und darin die Untergruppe U: = {id,(1,2)}. Die auf der Faktormenge S3 / U induzierte Verknüpfung ist nicht wohldefiniert. Es ist [id] = [(1,2)] und selbstverständlich [(1,3,2)] = [(1,3,2)], aber
[(1,2)*(1,3,2)] = [(1,3)] \neq [(1,3,2)] = [id*(1,3,2)].


  • Die Addition und die Multiplikation in einem Restklassenring  \mathbb{Z} / n\mathbb{Z} (n \in \mathbb{N}) sind wohldefiniert. Die Restklassen-Addition ist gerade die von der Addition in \mathbb{Z} und dem Normalteiler n\mathbb{Z} induzierte Verknüpfung.


  • Ist N ein Normalteiler der Gruppe G, dann ist die auf G / N induzierte Verknüpfung wohldefiniert, und G / N heißt Faktorgruppe. Die Eigenschaft, Normalteiler zu sein, ist sogar äquivalent dazu, dass die induzierte Verknüpfung auf der Faktormenge G / H wohldefiniert ist.

Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit

In einem weiteren Sinn wird Wohldefiniertheit auch auf andere Bereiche ausgedehnt. Sie bezeichnet dann eine sinnvolle und widerspruchsfreie Definition. Synonym für „nicht wohldefiniert“ in diesem Sinn werden auch „nicht definiert“ oder „nicht vollständig definiert“ gebraucht.

Definitionsbereich einer Funktion

Hat man zum Beispiel die Formel  f:\mathbb{R}\to\mathbb{R}, x\mapsto\frac{1}{x}, so darf die Null nicht im Definitionsbereich enthalten sein, da für x = 0 die Formel  f(0)=\frac{1}{0} liefert. Durch Null zu teilen, ist in den reellen Zahlen allerdings nicht erklärt, d. h., es gibt keine reelle Zahl „1 / 0“. (In einem erweiterten Sinne könnte man zwar 1/0 := \infty setzen. Das tut dem Beispiel aber nichts, da \infty keine reelle Zahl ist! Zudem müsste man \infty und -\infty miteinander identifizieren, da f(x) für x\nearrow 0 gegen -\infty divergiert.)

Ebenso ist es in den reellen Zahlen nicht erklärt, die Quadratwurzel aus negativen Zahlen zu ziehen. Anders gesagt wäre die „Funktion“  f : \mathbb{R} \to \mathbb{R}, x \mapsto \sqrt{x} nicht wohldefiniert, die Funktion  f : \mathbb{R}_{\geq 0} \to \mathbb{R}, x \mapsto \sqrt{x} hingegen schon.

Wertebereich einer Funktion

Schreibt man die Formel f(x) = 2x als „Funktion“  f : \mathbb{Z} \to \mathbb{N}, x \mapsto 2 \cdot x, so wird dem Wert x = − 2 zwar der Wert f( − 2) = − 4 zugeordnet. Das ist in diesem Fall aber nicht zulässig, da − 4 keine natürliche Zahl ist und somit nicht im Wertebereich liegt.

Verknüpfungen bei Gruppen

Innere Verknüpfungen einer algebraischen Struktur G (z. B. einer Gruppe) sind ebenfalls Funktionen (meist mit zwei Argumenten). Für sie gelten also dieselben Bedingungen: Die Verknüpfung von Elementen der Struktur G muss ein eindeutig bestimmtes Element von G ergeben. Hier wird oft fälschlicherweise der Ausdruck Abgeschlossenheit benutzt, welcher sich aber auf die Definition von Unterstrukturen bezieht.

Wohldefiniertheit von Mengen

Eine Menge ist wohldefiniert, wenn das Definiens für jedes beliebige Objekt eindeutig festlegt, dass es entweder Element der Menge ist oder nicht Element der Menge ist. Insbesondere werden so gewisse Formen imprädikativer Definitionen ausgeschlossen.

Einzelnachweise

  1. Serge Lang: Algebra. 3. Auflage. 1993, S. X (Prerequisites).
  2. Albrecht Beutelspacher: Das ist o.B.d.A trivial! Braunschweig 1997, S. 9.

Weblinks


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