Wolfgang borchert

Wolfgang borchert
Briefmarkenausgabe der Deutschen Post zum 75. Geburtstag Borcherts 1996, Motiv: Fotoporträt von Rosemarie Clausen

Wolfgang Borchert (* 20. Mai 1921 in Hamburg; † 20. November 1947 in Basel) war ein deutscher Schriftsteller. Er ist einer der bekanntesten Autoren der Trümmerliteratur, jener kurzlebigen Literaturepoche nach dem Zweiten Weltkrieg, die vom Zusammenbruch der Städte, von Familienstrukturen und den Traumata des Krieges geprägt ist.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Ausbildung und erste dramatische Versuche

Wolfgang Borchert wurde als Sohn des Volksschullehrers Fritz Borchert und dessen Ehefrau, der plattdeutschen Heimatschriftstellerin Hertha Borchert, in Hamburg-Eppendorf geboren. Er ging auf die Zentralschule Kirchwerder im Hamburger Landgebiet. Bereits im Alter von 15 Jahren begann er, Gedichte zu schreiben, von denen einige später im Hamburger Anzeiger veröffentlicht wurden. Im Dezember 1938 verließ Borchert ohne Abitur die Oberrealschule an der Hegestraße in Eppendorf. Auf Verlangen seiner Eltern fing er 1939 eine Buchhändlerlehre bei Heinrich Boysen an und nahm nebenbei Schauspielunterricht bei Helmuth Gmelin. 1940 brach er seine Lehre ab, nachdem er die Schauspiel-Abschlussprüfung bestanden hatte. Im März 1941 wurde er von der Landesbühne Osthannover engagiert, musste sein Engagement jedoch bereits im Juni wieder beenden, da er zum Kriegsdienst eingezogen wurde.

Bereits im Jahr 1938, mit 17 Jahren, schrieb er sein erstes Drama, die Tragödie Yorick der Narr, ein auf Hamlet bezogenes Thema. Ein Jahr später folgte die Komödie Käse (zusammen mit seinem Freund Günter Mackenthun) und 1940 das dramatische Gedicht Granvella. Der schwarze Kardinal. Diese Jugendwerke hatten noch sprachliche Mängel, zeigten aber bereits die dramatische Begabung Borcherts. Sie wurden erstmals 2007 anlässlich seines 60. Todesjahrs in einem Privatdruck von der Wolfgang-Borchert-Gesellschaft veröffentlicht.

Zweiter Weltkrieg

Vom Juli bis November 1941 durchlief Borchert eine Ausbildung zum Panzergrenadier bei der 3. Panzer-Nachrichten-Ersatz-Abteilung 81 in Weimar-Lützendorf. Der erste Fronteinsatz führte ihn in den Raum Klin-Kalinin, wo er im Januar 1942 verwundet wurde. Eine beginnende Diphtherie ermöglichte ihm die Rückkehr nach Deutschland, in das Heimatlazarett Schwabach. Unter dem Verdacht, sich die Schussverletzung an der linken Hand selbst beigebracht zu haben, wurde er der Wehrkraftzersetzung angeklagt. Die Gerichtsverhandlung fand nach drei Monaten Einzelhaft im Untersuchungsgefängnis Nürnberg statt. Der Anklagevertreter forderte die Todesstrafe, das Gericht sprach ihn am 31. Juli jedoch frei.

Borchert blieb weiterhin in Untersuchungshaft, diesmal angeklagt, mit seiner brieflichen Korrespondenz gegen das Heimtückegesetz verstoßen zu haben. Das Verfahren endete mit einer Verurteilung zu sechs Wochen verschärfter Haft mit anschließender „Frontbewährung“.

Der Weg zurück an die Front ging Ende 1942 über das Ersatzbatallion seines Regiments in Saalfeld und die Garnison in Jena. Im Dezember 1942 wurde er als Melder in den Panzerkämpfen um Toropez eingesetzt, er zog sich Fußerfrierungen zu, wurde erneut ins Lazarett überstellt, wo er sich schließlich mit Gelbsucht und Fleckfieber infizierte. Anfang 1943 erfolgte die Verlegung in das Seuchenlazarett Smolensk, im März in das Reservelazarett Elend.

Im September 1943 kam Borchert auf Urlaub in das von Bombenangriffen stark in Mitleidenschaft gezogene Hamburg zurück. Im „Bronzekeller“ trat er mit kabarettistischen Einlagen auf – erhalten geblieben sind Der Tausendfüßler, Die Zigarettenspitze und Brief aus Russland. Im Oktober kehrte er zu seiner Kompanie nach Kassel-Wilhelmshöhe zurück, diesmal in Erwartung seiner Entlassung und seiner Freistellung für ein Fronttheater aufgrund einer fortschreitenden Hepatitis.

Eine Goebbels-Parodie brachte ihm statt dessen im Dezember 1943 die erneute Verhaftung ein. Im Januar 1944 wurde er von Jena aus in das Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit überführt, wo ihm im September vor dem Zentralgericht des Heeres der Prozess wegen Wehrkraftzersetzung gemacht wurde. Borchert wurde im Verlauf zu einer Gefängnishaft von neun Monaten verurteilt – unter Anrechnung von fünf Monaten Untersuchungshaft – und wenig später „zur Feindbewährung an der Front“ entlassen. Die Einheit, der er zugewiesen wurde, ergab sich im Frühjahr 1945 in der Nähe von Frankfurt am Main französischen Truppen. Während des Transports in die Gefangenschaft gelang ihm die Flucht. Schwer krank schlug er sich 600 Kilometer zu Fuß nach Norden durch und erreichte am 10. Mai 1945 Hamburg.

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg versuchte Borchert, in der Theater- und Kabarettszene Fuß zu fassen. Er wurde Texter für das Hamburger Kabarett Janmaaten im Hafen und trat selbst dort auf. Vom 1. November bis zum 15. Dezember 1946 übernahm er die Regieassistenz bei einer Aufführung von Lessings Nathan der Weise im Hamburger Schauspielhaus. Er wurde Mitgründer des Hinterhoftheaters Die Komödie in Hamburg-Altona, musste aber auf Grund seines sich verschlechternden Gesundheitszustandes die meiste Zeit das Bett hüten.

Am 25. Januar 1946 schrieb er die Erzählung Die Hundeblume. Ab Ostern war Borchert wieder zu Hause. Bis zum Ende des Jahres entstanden in rascher Folge etwa 20 Prosastücke. Im Dezember 1946 veröffentlichte er die Gedichtsammlung Laterne, Nacht und Sterne mit Gedichten aus der Zeit zwischen 1940 und 1945.

Im Jahr 1947 bemühten sich Freunde Borcherts, unter anderem auch sein Verleger Ernst Rowohlt, ihn zu einem Kuraufenthalt in die Schweiz zu schicken. Es gab dabei jedoch unterschiedlichste Hindernisse, etwa durfte kein deutsches Geld in die Schweiz eingeführt werden. Erst nachdem sich die Schweizer Verleger Emil Oprecht und Henry Goverts zur Unterstützung bereit erklärt hatten, konnte Borchert am 22. September die Reise antreten. Sofort nach seiner Einreise wurde er dort in das Baseler St.-Clara-Spital eingeliefert. Die geplante Weiterreise ließ sein Gesundheitszustand nicht mehr zu. Am Morgen des 20. November erlag er seiner Leberkrankheit.

Einen Tag nach seinem Tod, am 21. November 1947, wurde Draußen vor der Tür, zuvor lediglich als Hörspiel gesendet, in den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt. Von allen Werken Borcherts hatte das stark expressionistisch beeinflusste Bühnenstück die stärkste Nachwirkung.

Nach Borcherts Tod wurde noch der Nachlassband Die traurigen Geranien veröffentlicht. Beigesetzt wurde Wolfgang Borchert auf dem Hauptfriedhof Ohlsdorf in Hamburg.

Künstlerisches Schaffen

Stilistisch ist Borchert vom literarischen Expressionismus ebenso beeinflusst wie vom moralischen Pragmatismus Kurt Tucholskys oder Erich Kästners.

Seine Forderung nach einer tabula rasa angesichts einer von Lüge und Missbrauch korrumpierten Literatur hatte Einfluss auf die Gruppe 47. Insbesondere benutzte Borchert aber die Sprache des Expressionismus. Der letzte „Schrei“ der jungen (verlorenen) Generation lebt in seiner Sprache fort. Kurze, abgehackte, ‚verstümmelte‘ Sätze bis hin zur Ellipse prägen seinen Stil. Des Weiteren benutzt er (beinahe in jeder seiner Geschichten) Farbsymboliken, die Gegensätze (Kontraste) und Emotionen, aber auch Handlungen ersetzen, respektive widerspiegeln sollen. Das Mittel der Hyperbel und Klimax sowie Wiederholungen gehören ebenso zu seinen Standardmitteln.

Gedenkstein Wolfgang Borchert an der Außenalster in Hamburg

Gedenken

  • In der Nähe des Eppendorfer Marktplatzes in Hamburg ist eine dunkelgrundige Tafel mit gelbem Text in Erinnerung an Wolfgang Borchert aufgestellt. Sie enthält das Zitat: „Sag Nein! Du Mann … Sag Nein! Du Mutter … Sagt Nein! Mütter …“.
  • Am Spazierweg im Grünstreifen an der Außenalster, am Schwanenwik, Hamburg, schräg gegenüber dem Literaturhaus, befindet sich ein übermannshoher Obelisk mit dem Zitat: „Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe …“
  • Am Stillen Weg im Hamburger Friedhof Ohlsdorf befindet sich das Urnengrab von Borchert und seinen Eltern (AC 5/6)[1]
  • Zahlreiche Schulen wurden nach Wolfgang Borchert benannt, zum Beispiel die Gymnasien in Halstenbek und Langenzenn und die Grund-, Haupt- und Realschule in Hamburg-Eppendorf.
  • Auf der Elbe verkehrt seit 1993 eine Passagier-Fähre der HADAG unter dem Namen Wolfgang Borchert. Sie verbindet die Landungsbrücken und das Musicaltheater Hamburg.[2]

Werke

Gedichte

  • Laterne, Nacht und Sterne. Gedichte um Hamburg, 1946

Weitere nachgelassene Gedichte wurden veröffentlicht in: Das Gesamtwerk, 1949

  • Versuch es, Gedicht

Kurzgeschichten

Erzählsammlung Die Hundeblume, 1947

  • Billbrook
  • Bleib doch Giraffe
  • Die Elbe
  • Die Hundeblume
  • Die Krähen fliegen abends nach Hause
  • Die Stadt
  • Eisenbahnen, nachmittags und nachts
  • Generation ohne Abschied
  • Gespräch über den Dächern
  • Hamburg
  • Stimmen sind da – in der Luft – in der Nacht
  • Vorbei vorbei

Erzählsammlung An diesem Dienstag, 1947

  • An diesem Dienstag
  • Das Känguruh
  • Der Kaffee ist undefinierbar
  • Der viele viele Schnee
  • Die drei dunklen Könige
  • Die Katze war im Schnee erfroren
  • Die Kegelbahn, 1946/47
  • Die Küchenuhr
  • Die lange lange Straße lang
  • Die Nachtigall singt
  • Er hatte auch viel Ärger mit den Kriegen
  • Im Mai, im Mai schrie der Kuckuck
  • Jesus macht nicht mehr mit
  • Mein bleicher Bruder
  • Nachts schlafen die Ratten doch
  • Radi
  • Unser kleiner Mozart
  • Vielleicht hat sie ein rosa Hemd
  • Vier Soldaten

Nachgelassene Erzählungen aus Das Gesamtwerk, 1949

  • Dann gibt es nur eins!
  • Das Brot
  • Das ist unser Manifest, 1947
  • Der Schriftsteller
  • Gottes Auge
  • Lesebuchgeschichten
  • Schischyphusch
  • Von drüben nach drüben

Erzählsammlung Die traurigen Geranien und andere Geschichten aus dem Nachlaß, 1961

  • Alle Milchgeschäfte heißen Hinsch
  • Ching Ling, die Fliege
  • Das Gewitter
  • Das Holz für morgen, 1946
  • Der Stiftzahn oder Warum mein Vater keine Rahmbonbon mehr ißt
  • Die Kirschen, um 1945
  • Die Mauer
  • Die Professoren wissen auch nix
  • Die traurigen Geranien, um 1945
  • Ein Sonntagmorgen
  • Hinter den Fenstern ist Weihnachten
  • Liebe blaue graue Nacht
  • Marguerite
  • Maria, alles Maria
  • Merkwürdig
  • Preußens Gloria
  • Später Nachmittag
  • Tui Hoo

Dramen

Einzig zur Aufführung gelangt ist Borcherts Heimkehrerdrama:

Daneben existieren noch drei wenig bekannte Jugenddramen, publiziert in:
Jugenddramen. Privatdruck der Internationalen Wolfgang-Borchert-Gesellschaft e. V., Hamburg 2007.

  • Yorrick der Narr, 1938
  • Käse. Die Komödie des Menschen, gemeinsam mit Günter Mackenthun 1939
  • Granvella. Der schwarze Kardinal, 1941

Literatur

  • Wolfgang Borchert. Werk und Wirkung, hrsg. v. Rudolf Wolff. Bonn: Bouvier 1984. (= Sammlung Profile; 9) ISBN 3-416-01729-3
  • Gordon Burgess: The life and works of Wolfgang Borchert. Rochester, NY u.a.: Camden House 2003, ISBN 1-57113-270-8
  • Bettina Clausen: Rückläufige Jugend. Bemerkungen zu Borchert und zum frühen Borchert-Erfolg, In: Gordon Burgess/Hans Gerd Winkler (Hgg.): „Pack das Leben bei den Haaren“. Wolfgang Borchert in neuer Sicht. Hamburg (Hamburger Kulturstiftung), 1996, S. 224 ff.
  • Wilhelm Große: Wolfgang Borchert, Kurzgeschichten. Interpretation. München: Oldenbourg 1995. (= Oldenbourg-Interpretationen; 30) ISBN 3-486-88629-0
  • Kåre Eirek Gullvåg: Der Mann aus den Trümmern – Wolfgang Borchert und seine Dichtung. Aachen: Fischer 1997, ISBN 3-89514-103-8
  • Doreen Kallweit: Existenzmuster einer Trümmer- und Kahlschlagsliteratur im Werk Wolfgang Borcherts. München: Univ. Mag. Arb. 2001.
  • Alexander Koller: Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“. Zu den überzeitlichen Dimensionen eines Dramas. Marburg: Tectum Verl. 2000, ISBN 3-8288-8140-8
  • Reiner Poppe, Wolfgang Borchert - Draußen vor der Tür, Königs Erläuterungen und Materialien, Bd. 299, C. Bange Verlag, Hollfeld ³2007, ISBN=978-3-8044-1804-2
  • Jan Philipp Reemtsma: Der Vorgang des Ertaubens nach dem Urknall. 10 Reden und Aufsätze. Zürich: Haffmans 1995, ISBN 3-251-00302-X
  • Peter Rühmkorf: Wolfgang Borchert. (= Rowohlts monographien; 58). Rowohlt, Reinbek 1961 (zuletzt 8. Aufl., bearb. v. Wolfgang Beck, Rowohlt, Reinbek 2002) ISBN 3-499-50058-2
  • Alfred Schmidt: Wolfgang Borchert. Sprachgestaltung in seinem Werk. Bonn: Bouvier 1975. (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft; 186) ISBN 3-416-01085-X
  • Claus B. Schröder: Wolfgang Borchert. Biographie. Hamburg: Kabel 1985, ISBN 3-8225-0000-3
  • James L. Stark: Wolfgang Borchert's Germany. Reflections of the Third Reich. Lanham u.a.: Univ. Press of America 1997, ISBN 0-7618-0555-9
  • Erwin J. Warkentin: Unpublishable works. Wolfgang Borchert's literary production in Nazi Germany. Columbia, SC: Camden House 1997, ISBN 1-57113-091-8

Werkvertonungen

  • Christian Geissendörfer / Windstill: Hamburg! Lieder und Musik nach Gedichten von Wolfgang Borchert:
    • 1. In Hamburg, 2. Gedicht: Version 1: Blume Anmut ist das Leben, 3. Versuch es, 4. Regen, 5. Muscheln, Muscheln, 6. Liebeslied, 7. Großstadt, 8. Abschied (1), 9. Draußen, 10. Prolog zu einem Sturm, 11. Das graurotgüne Großstadtlied, 12. Laternentraum, 13. Abschied (2), 14. Am Fenster eine Wirtshauses beim Steinhuder Meer, 15. Gedicht: Version 2: Blume Huldvoll ist der Tod, 16. Liebesgedicht.
  • Norbert Linke: Die Borchert-Lieder. Zyklus für Gesang und Klavier:
    • 1. Motto, 2. Manchmal, 3. Musik, 4. Abschied I, 5. Kinderlied, 6. Abendlied, 7. Abschied II
  • Mark Pendzich: Borchert – Begegnungen mit dem Gedichtzyklus ‚Laterne, Nacht und Sterne‘ für Stimme und Klavier
  • Bertold Hummel: Fantasia poetica in memoriam Wolfgang Borchert für Viola und Hackbrett

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hamburger Friedhöfe AöR (Hrsg.): Ausgewählte Prominenten-Gräber auf dem Friedhof Ohlsdorf. 10. Aufl. 2008. Vgl. www.friedhof-hamburg.de: Grabstätten bekannter Persönlichkeiten
  2. Vgl. www.welt.de: HADAG lässt ein Fährschiff verbreitern und Pressefoto der HADAG

Siehe auch


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