Yulan

Yulan
Ausschnitt aus einer Ausgabe des Taiping yulan zur Zeit der Qing-Dynastie.

Taiping yulan 太平御覽 (deutsch: Kaiserliche Lektüre der Regierungsperiode Taiping) ist der Titel eines unter der Leitung des Gelehrten an der chinesischen kaiserlichen Akademie und Finanzministers Li Fang 李昉 (925–996) zusammengestellten leishu, einem westlichen Enzyklopädien vergleichbaren mehrbändigen Kompendium aus der Song-Dynastie. Das Sammelwerk enthält Auszüge aus vielen für die chinesische Kulturgeschichte bedeutenden älteren Quellen und spiegelt den Wissensbestand wider, auf den ein Beamtengelehrter der Song-Zeit zurückgreifen konnte. Seine insgesamt 4.558 Lemmata sind in 55 Abteilungen auf 1.000 Teilbände aufgeteilt.

Inhaltsverzeichnis

Entstehungsgeschichte

Die Entstehungsgeschichte des Taiping yulan ist durch den Kompilator Wang Yinglin (王應麟, 1223–1296) in seinem leishu mit dem Titel Yu Hai (chin. 玉海 „Meer von Edelsteinen / Jademeer“) überliefert. Wang Yinglin hatte in seinem Kompendium die Statuten der Song-Dynastie exzerpiert und dabei auch den Bericht über die Entstehung des Taiping yulan übernommen.

Entstanden ist der Taiping yulan in der von 976 bis 997 dauernden Regierungsperiode des unter seinem Tempelnamen Taizong bekannt gewordenen zweiten Herrschers der Song-Dynastie Zhao Guangyi 趙光義 (939–997). Im ersten Jahr seiner Regierungszeit rief Taizong die Regierungsperiode mit dem Titel taiping xingguo (Zeit des großen Friedens und des Aufschwungs des Landes) aus und bestellte nur ein Jahr später eine vierzehnköpfige Kommission unter Leitung von Li Fang zur Erstellung zweier leishu. Für das spätere Taiping yulan legte Taizong einen Umfang von genau 1.000 Teilbänden fest. Die heutige Forschung deutet die Vorgabe, ein Werk mit einem für die damalige Zeit sagenhaften Umfang zu kompilieren, als „ein deutliches Zeichen dafür, dass es dem taizong-Kaiser um eine Demonstration seiner Macht, beziehungsweise um eine Legitimierung seiner Herrschaft ging.“ (Winter)[1]

Bereits im Jahr 983 lieferten die von Li Fang und seinen Mitherausgebern beaufsichtigten Kompilationsteams das fertige Werk bei Hofe ab. Wang Yinglin überliefert die Geschichte, daß der Kaiser den Taiping yulan im Laufe eines Jahres selbst lesen wollte und es sich deshalb zur Aufgabe machte, jeden Tag drei Teilbände zu bewältigen.

Organisation des Inhalts

Anders als in heutigen chinesischen Wörterbüchern sind die Lemmata des Taiping yulan nicht nach graphischen sondern nach inhaltlichen Aspekten organisiert. Winter faßt dieses für die meisten leishu zur Anwendung gelangte Prinzip wie folgt zusammen: „Die beschriebenen Dinge werden von grundlegenden Einheiten ausgehend zusehends feiner verästelt, entsprechend der Auffassung ihrer Position im Kosmos.“[2] Die im chinesischen Weltbild verankerte Vorstellung von einer natürlich gegebenen Ordnung der Dinge wird damit in den Kapiteln und Unterkapiteln des leishu abgebildet. Dementsprechend sind die Inhalte des Taiping yulan in die drei Sphären Himmel (yang-Prinzip), Erde (yin-Prinzip) und die zwischen beiden befindliche Welt der Menschen gegliedert. Innerhalb dieser Ordnung gelten besondere Regeln: so steht etwa moralisch Hochstehendes vor moralisch Niederstehendem und positiv bewertetes Handeln steht vor negativ Bewertetem.

Die in insgesamt 55 Abteilungen (lei) des Taiping yulan organisierten 4.558 Lemmata verteilen sich nach Winter[3] zahlenmäßig wie folgt:

Abteilung Inhalt Lemmata
1. Himmel 39
2. Jahreszeichen und Kalender 39
3. Erde 155
4. Kaiser und Könige 223
5. Ungerechte und Gewaltherrscher 107
6. Kaiserliche Verwandte 257
7. Provinzen und Präfekturen 20
8. Menschliche Wohnstätten und Elemente davon 96
9. Feudalismus 29
10. Beamtentitel 414
11. Militärisches 171
12. Menschliches 234
13. Einsiedler und Eremiten 2
14. Verwandtschaftsgrade 25
15. Rituelles 82
16. Musik 35
17. Literatur 64
18. Gelehrsamkeit 28
19. politische Ordnung 10
20. Strafen und Gesetze 46
21. Buddhismus 10
22. Daoismus 53
23. Amtssiegel und Insignien 20
24. Formelle Kopfbedeckungen und Kleidung 79
25. Kleidung und Gebrauchsgegenstände 81
26. Prognostik, Wahrsagerei und Heilkunst 25
27. Krankheiten und Seuchen 57
28. Kunstfertigkeiten 35
29. Gefäße, Behältnisse, Werkzeuge 106
30. Verschiedene Waren 23
31. Wasserfahrzeuge und deren Elemente 27
32. Landfahrzeuge und deren Elemente 50
33. Gesandtschaften 1
34. Die Vier Fremdvölker 390
35. Wertvolles 44
36. Stoffe 34
37. Landwirtschaft 94
38. Feldfrüchte 15
39. Essen und Trinken 63
40. Feuer 8
41. Glückverheissende Omina 16
42. Unglückverheissende Omina 83
43. Geister und Gespenster 2
44. Übernatürliches 5
45. Erdgebundene Wildtiere 122
46. Gefiederte Tiere 118
47. Geschuppte Tiere 207
48. Insekten, Spinnen und Reptilien 82
49. Baumartige Pflanzen 127
50. Bambusartige Pflanzen 40
51. Fruchttragende Pflanzen 76
52. In der Küche verwendete Pflanzen 37
53. Als Räucherwerk verwendete Pflanzen 42
54. Heilpflanzen 203
55. Grasartige Pflanzen 107

Überlieferungsgeschichte

Nach seiner Fertigstellung geriet der Taiping yulan zunächst lange Zeit in Vergessenheit. Winter erklärt dies durch die Tatsache, daß dem Werk „durch Wang Yinglins Yu Hai eine qualitativ überlegene Konkurrenz erwachsen war“.[4] Eine Neuauflage erfolgte erst in der Qing-Dynastie, als das Interesse an alten Texten wieder zunahm. Im Westen wurde das Werk bekannt, als der österreichische Orientalist August Pfitzmaier (1808–1897) zwischen 1867 und 1875 ausgewählte Kapitel des Taiping yulan ganz oder in Teilen übersetzte. Im Jahr 1934 veröffentlichte das renommierte Harvard-Yenching Institute einen ausführlichen Index zum Werk. Zuletzt erschien 1960 im chinesischen Verlag Zhonghua shuju in Peking die Reproduktion eines Druckes aus der Song-Zeit.

Anmerkungen

  1. Winter, Enzyklopädien im chinesischen Kulturraum, S. 22.
  2. Winter, Enzyklopädien im chinesischen Kulturraum, S. 16.
  3. Winter, Enzyklopädien im chinesischen Kulturraum, S. 17–20.
  4. Winter, Enzyklopädien im chinesischen Kulturraum, S. 24.

Literatur

  • Marc Winter: Enzyklopädien im chinesischen Kulturraum – die leishu. Gigantismus und materiell manifestierter Machtanspruch in der chinesischen Tradition, in: Paul Michel / Madeleine Herren (Hrsg.), Allgemeinwissen und Gesellschaft. Akten des internationalen Kongresses über Wissenstransfer und enzyklopädische Ordnungssysteme, vom 18. bis 21. September 2003 in Prangins, online abrufbar als PDF-Datei.
  • Johannes L. Kurz: Das Kompilationsprojekt Song Taizongs (reg. 976–997), Bern 2003.
  • Herbert Franke: Chinesische Enzyklopädien, in: Günther Debon / Wolfgang Bauer (Hrsg.), Ostasiatische Literaturen, Wiesbaden 1984, S. 91–98.
  • John Winthrop Haeger: The Significance of Confusion: The Origins of the T'ai-p'ing yü-lan, in: Journal of the American Oriental Society 88,1 (1968), S. 401–410.

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