Ziehharmonika-Effekt

Ziehharmonika-Effekt

Bei dem "Ziehharmonika-Effekt" handelt es sich um einen von Hans-Werner Sinn geprägten Begriff, der die Ursache der deutschen Arbeitslosigkeit bei den Geringqualifizierten erklären soll.

Inhaltsverzeichnis

Verteilung und Ursachen der Arbeitslosigkeit in Deutschland

2002 hatte Deutschland im OECD Employment Outlook mit 15,3% die höchste Arbeitslosigkeit bei den gering Qualifizierten (weniger als höhere Sekundarbildung, d.h. kein Berufsschulabschluss oder kein Abitur).[1] Mit 9.0% bei höherer Qualifikation (Sekundarbildung: Berufsschulabschluss oder Abitur) und 4,5% bei Personen mit Hochschulbildung nähern sich die Arbeitslosenzahlen im Vergleich denen anderer Länder an.

Nach Sinn ist das zentrale Problem somit die Arbeitslosigkeit bei den gering Qualifizierten. Es gibt verschiedene Deutungsansätze, weshalb Deutschland so eine hohe Arbeitslosenquote bei den schlechter Ausgebildeten hat. Während keynesianische Ökonomen die Ursache hauptsächlich mit dem Fehlen der Konsumgüternachfrage begründen, sehen liberale Ökonomen im deutschen Sozialstaat die Ursache. Diskutiert wird zudem, dass das deutsche Schulsystem zu viele gering qualifizierte Absolventen produziere.

Der angebotsorientierte Ökonom und Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung Hans-Werner Sinn steht eher zur zweit genannten möglichen Ursache und prägte den Begriff "Ziehharmonika-Effekt".

Definition

Sinn sagt, dass der Sozialstaat, so wie er in Deutschland konstruiert ist, verantwortlich für die große Arbeitslosigkeit im Bereich der Geringqualifizierten sei. Er begründet dies damit, dass der deutsche Sozialstaat mit seinen Lohnersatzleistungen einen Mindestlohn (Sozialhilfe) festsetze, der von der privaten Wirtschaft überboten werden müsse, falls ein Arbeitsverhältnis zustande kommen solle. Da niemand bereit sei für einen Lohn zu arbeiten, der geringer oder auf dem gleichen Niveau des vom Staat gezahlten Mindestlohn ist, werde die komplette Lohnskala von unten her ähnlich wie eine Ziehharmonika zusammengeschoben. Dadurch würden im unteren und mittleren Lohnbereich die Löhne über des markträumende Niveau, bei dem Vollbeschäftigung herrscht, hochgedrückt, wodurch Arbeitslosigkeit entstehe. Zwischen dem Mindestlohn des Sozialstaates (Sozialhilfe) und dem auf dem Markt tiefsten Lohn müsse ein gewisser Abstand bestehen, damit ein Arbeitnehmer bereit sei das Arbeitsverhältnis anzunehmen. Der zweitniedrigste Lohn habe wiederum höher zu sein als der bereits "hochgestauchte" niedrigste Lohn auf dem Arbeitsmarkt, der drittniedrigste muss erneut höher sein als der zweitniedrigste und so weiter. Dadurch entstehe eine Arbeitslosigkeit bei den Geringqualifizierten. Nach oben hin verringere sich der Effekt immer mehr, weshalb Deutschland bei den besser ausgebildeten auch kein Problem bei der Arbeitslosigkeit hat. Man müsse also den Marktprozessen mehr vertrauen und Lohnzuschüsse (Kombilohn) zahlen, um mit einer größeren Lohnspreizung gering Qualifizierte wieder in Arbeit zu bekommen.

Kritik

Keynesianische Ökonomen wie Rudolf Hickel oder Peter Bofinger kritisieren Sinns Deutung. So sei schon eine große Lohnspreizung mit vielen 400€-Jobs vorhanden. Es bringe nichts, den Arbeitslosen weiter Sozialhilfe zu kürzen. So gehe es dabei nur darum, niedrige Löhne zu rechtfertigen und attraktiv zu machen.

Zudem verweisen sie darauf, dass sich die deutschen Lohnersatzleistungen von denen europäischer Nachbarländer kaum unterschieden. In nordeuropäischen Ländern liege die Arbeitslosigkeit durchweg trotz deutlich hoher Lohnersatzleistungen unter der deutschen.

Ferner gebe etwa die PISA-Studie eine Hinweis darauf, dass die hohe Arbeitslosigkeit unter Unqualifizierten auch mit einem für ein Industrieland überdurchschnittlichen Anteil an den Erwerbspersonen begründet werden könne.

Einzelnachweise

  1. http://www.oecd.org/dataoecd/42/55/32494755.pdf

Weblinks


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