Zug nach Chaibar

Zug nach Chaibar

Der Zug nach Chaibar war ein Feldzug Mohammeds gegen Chaibar, eine damals von Juden besiedelte Oase auf dem Gebiet des heutigen Saudi-Arabien etwa 150 Kilometer nördlich von Medina. Er fand im Mai/Juni 628 n.Chr. (Muharram im Jahr 7 nach islamischer Zeitrechnung) statt. Berichte über den Zug nach Chaibar sind ausschließlich in der islamischen Geschichtsschreibung, vor allem in der maghazi- und sira-Literatur überliefert.

Inhaltsverzeichnis

Rahmenbedingungen

Der Kampf gegen die Quraisch

622 n.Chr. floh Mohammed mit einigen seiner Anhänger (den sogenannten Auswanderern) aus Mekka nach Yathrib. Diese Flucht ging als Hidschra in die Geschichte ein und stellt den Beginn der islamischen Zeitrechnung dar. In Yathrib angekommen waren die Auswanderer als Flüchtlinge größtenteils unbemittelt und fielen dadurch ihren medinensischen Glaubensbrüdern (den sogenannten Helfern) zur Last. Sich der Tatsache bewusst, dass dies kein Dauerzustand sein konnte bedienten sie sich einem altarabischen Brauch: Sie begannen die Karawanen der Quraisch zu berauben, die nach der Hidschra nun als stammesfremde Einheit galten.[1] Der Koran lieferte dazu eine Legitimation, die erste Erlaubnis zum Kampf:

„Denjenigen, die (gegen die Ungläubigen) kämpfen (so nach einer abweichenden Lesart; im Text: die bekämpft werden), ist die Erlaubnis (zum Kämpfen) erteilt worden, weil ihnen (vorher) Unrecht geschehen ist. - Gott hat die Macht, ihnen zu helfen. (Ihnen) die unberechtigterweise aus ihren Wohnungen vertrieben worden sind, nur weil sie sagen: Unser Herr ist Gott...“

22:39-40 (Paret)

Der bis dahin bekannteste Vorfall fand im Januar 624 n.Chr. bei Nachla statt, bei dem eine Gruppe von sechs bis zehn Auswanderern unter der Führung von Abdullah ibn Dschahsch eine von vier Mekkanern begleitete Karawane erfolgreich erbeutet hatten. Bei dieser Gelegenheit kam zum ersten mal ein Mekkaner durch die Hand eines Muslims um; zwei weitere wurden gefangen genommen und dem vierten gelang die Flucht.

Diese Überfälle führten schließlich zur für die Muslime siegreichen Schlacht von Badr 624 n.Chr. und der darauf folgenden Vertreibung der Banu Qainuqa. Ein Jahr später fand die Schlacht von Uhud statt, bei der zwar viele Muslime ums Leben kamen, die allerdings keinen Sieg der Mekkaner darstellte, da sie ihr Ziel – die Vernichtung der islamischen Gemeinschaft – nicht erreicht hatten.[2] Auf die Schlacht von Uhud folgte die Vertreibung der jüdischen Banu Nadir. Einige Angehörige dieses Stammes flohen nach Syrien, andere wiederum siedelten sich in Chaibar an, von wo sie die Quraisch in der Grabenschlacht 627 n.Chr. unterstützten.[3] Die Exekution der Banu Quraiza erfolgte unmittelbar danach.

Schließlich unternahm im März 628 n.Chr. Mohammed mit etwa 1.400 Anhängern die Umra, die kleine Pilgerfahrt nach Mekka. Er wurde durch die Quraisch am Betreten der Stadt gehindert, handelte mit diesen allerdings einen Vertrag aus (der sogenannte Vertrag von al-Hudaibiyya), demzufolge im darauf folgenden Jahr die Quraisch die Stadt für drei Tage räumen würden damit die Muslime die Pilgerfahrt unternehmen konnten. Durch diesen Vertrag haben sie Mohammed nun als vollwertigen Verhandlungspartner anerkannt. Während viele seiner Anhänger den Vertrag als eine Enttäuschung sahen beschreibt der Koran ihn als offenkundigen Erfolg:

„Wir haben dir einen offenkundigen Erfolg beschieden. Gott wollte (oder: möchte) dir (auf diese Weise?) deine frühere und deine spätere Schuld vergeben, seine Gnade an dir vollenden und dich einen geraden Weg führen. Und Gott wollte (oder: möchte) dir (damit?) zu einem gewaltigen Sieg verhelfen (oder: mächtige Hilfe leisten).“

48:1-3 (Paret)

Der Vertrag beinhaltete zudem eine Nichtangriffsvereinbarung, so dass Mohammed im selben Jahr ohne ein Eingreifen der Quraisch befürchten zu müssen Chaibar angreifen konnte.

Gründe für den Zug nach Chaibar

Die in Chaibar ansässigen Juden waren darum bemüht die Stämme in ihrer Umgebung dazu zu bewegen sich ihnen bei ihrem Kampf gegen Mohammed anzuschließen und waren für die Grabenschlacht 627 n.Chr. verantwortlich; somit hatte - so Watt - Mohammed einen eindeutigen Grund für einen Angriff auf Chaibar.[4] Des Weiteren war er sich bewusst, dass er durch die Eroberung Chaibars der Enttäuschung einiger seiner Anhänger über den kürzlich mit den Quraisch geschlossenen Vertrag entgegenwirken konnte.[5]

Verlauf des Feldzugs

Mohammed zog im Mai/Juni 628 n.Chr. mit 1.600 bis 1.800 Männern und 100 Pferden gegen Chaibar. Der Marsch der Muslime wurde geheim gehalten und verlief schnell, weshalb sie erst spät bemerkt wurden. Die Bewohner Chaibars flüchteten in ihre Häuser und verschanzten sich von da an in Festungen. Man war sich schon längere Zeit bewusst, dass Mohammed Chaibar angreifen würde, hatte allerdings keine Vorbereitungen dafür getroffen. In Chaibar gab es keine politische Autorität, die eine gemeinsame Verteidigung hätte planen können; man verließ sich auf die Unterstützung der benachbarten Stämme, und tatsächlich eilten die Ghatafan ihnen zur Hilfe, kehrten aber um bevor es zu einem Kampf kommen konnte. Später nahmen sie den Islam an.

Nach einer blutigen Auseinandersetzung vor einer der Festungen mieden die Juden einen Kampf auf offenem Feld. Deshalb sah sich Mohammed dazu gezwungen jede Festung einzeln zu belagern und auf eine Kapitulation der jeweiligen Verteidiger zu warten, da ihm nur die primitivsten Mittel für einen Angriff auf derartige Festungen zur Verfügung standen. Derweil haben es die Belagerten dennoch geschafft im Schutze der Dunkelheit Frauen, Kinder und Schätze je nachdem, wie es die Situation verlangte von einer Festung zu einer anderen hinüberzubringen; manchmal gingen sogar Soldaten von einer Region zu einer anderen hinüber, um dadurch ihre Verteidigung effektiver zu gestalten.

Während der Belagerung gab es einige Auseinandersetzungen, denen Zweikämpfe vorausgegangen sind; unter den Juden gab es Spione und Verräter, die um ihre eigene Haut zu retten den Muslimen nützliche Informationen gaben, insbesondere über den Gebrauch bestimmter Kriegsgeräte, die die Muslime damals zu benutzen lernten.

Eine Gefangene aus einer der Festungen, Safiyya, die zugleich mit einem jüdischen Oberhaupt Chaibars verheiratet war wurde von Mohammed freigelassen und daraufhin mit ihm verheiratet. Mohammed scheint versucht zu haben die Juden Chaibars dadurch zu beschwichtigen, dass er mit dieser Ehe eine politische Bindung mit ihnen einging.[6] Ihr Mann, Kinana ibn al-Rabi wurde getötet, weil er sich weigerte den Ort des Schatzes der Banu Nadir preiszugeben.[7]

Als sich die Verteidiger in einer der Festungen hartnäckig wehrten nahm in der Hoffnung ihre Verteidigung zu durchbrechen zuerst Abu Bakr und daraufhin Umar die Führung bei den Angriffen über. Als diese allerdings scheiterten erwählte Mohammed Ali als Anführer eines dieser Angriffe, welchem es (der Überlieferung zufolge mit übermenschlicher Kraft) gelang die Festung einzunehmen.

Nach etwa sechs Wochen des Kampfes wurde auf Bitte der Juden Chaibars ein Vertrag zwischen ihnen und Mohammed geschlossen. Nachdem sie den darin festgelegten Forderungen zugestimmt hatten kapitulierten sie. Es wurde festgelegt, dass sie, solange sie die Hälfte ihrer Erträge den Muslimen, die sich an der Schlacht beteiligt hatten geben würden weiterhin in ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet verbleiben und dieses kultivieren könnten.[8] Dieser Vertrag wurde zum Präzedenzfall bei späteren rechtlichen Diskussionen über die Behandlung der unterworfenen Bevölkerungen.[8] (siehe auch: Dhimma) Chaibar war nun das erste von der islamischen Gemeinschaft eroberte und unter ihre Herrschaft gebrachte Gebiet. [9]

Folgen

Die Eroberung der Oase wirkte sich positiv auf den politischen Einfluss Mohammeds aus, da nun mehrere, ihm zuvor feindlich gesinnte Stämme zum Islam konvertierten und die Vorherrschaft Medinas anerkannten.[10] Eine weitere Folge der Eroberung Chaibars waren die wirtschaftlichen Vorteile für die Muslime: Zum einen konnte Mohammed sich von nun an auf gesicherte Einkünfte verlassen, zum anderen konnten sich die Muslime über die Verbesserung ihrer prekären finanziellen Situation freuen.[10]

Situation nach Mohammed

Abu Bakr änderte in seiner zweijährigen Herrschaft als Kalif nichts an der Situation der Bewohner Chaibars. Sein Nachfolger Umar ibn al-Chattab hingegen vertrieb sie 642 n.Chr aus der arabischen Halbinsel. Legitimiert wurde dies durch einen Hadith, demzufolge Mohammed kurz vor seinem Tod folgendes geäußert haben soll:

„Es gibt keine Koexistenz zweier Religionen auf der arabischen Halbinsel.[11]

Des Weiteren soll Mohammed nach der Eroberung Chaibars die Bevölkerung gewarnt haben, dass er sie jederzeit wieder vertreiben könne.[12][13]

Die Authentizität dieser sowie ähnlicher Überlieferungen ist zweifelhaft: Man scheint dadurch versucht zu haben Umars Vorgehen zu legitimieren, da es im Widerspruch zu den Bestimmungen des zwischen dem Propheten und der Bevölkerung Chaibars geschlossenen Vertrags stand.[10][14] Der eigentliche Grund für die Vertreibung der Juden dürfte wohl darin gelegen haben, dass das Gebiet zur Ansiedlung von Sklaven benötigt wurde, deren Anzahl durch die Islamische Expansion dramatisch gestiegen war.[10] Die Juden Chaibars erhielten nach ihrer Vertreibung aus der Arabischen Halbinsel zu besiedelnde Gebiete in Syrien.

Aktuelle Relevanz

Die Ereignisse des Feldzugs werden in der Gegenwart in islamistischen Kreisen oft als Slogan aktualisiert: - so nennt die Hisbollah eine iranische Importrakete mit der sie Israel wiederholt angriff Khaibar-1 und einer der Attentäter von Bali, Amrozi bin Nurhasyim, betrat den Gerichtssaal mit dem Ruf:

Chaibar, Chaibar, ya yahud, dschaisch Mohammed saya'ud / ‏ خيبر خيبر يا يهود جيش محمد سيعود‎ / Ḫaibar Ḫaibar yā yahūd ǧaiš Muḥammad sayaʿūd

Zu Deutsch:„Chaibar, Chaibar, oh ihr Juden! Mohammeds Heer kommt bald wieder!“

Einzelnachweise

  1. Rudi Paret: Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündung des arabischen Propheten. Kohlhammer, 2001. S.128
  2. W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1961. S. 140
  3. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 7, S. 852 (Naḍīr, Banu'l-)
  4. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 4, S. 1137: "Montgomery Watt has drawn attention to the fact that the Banu'l-Naḍīr, driven out of Medina, had taken refuge in Khaybar and that their chieftains and the chieftains of other Jewish groups, eager for revenge, were intriguing against Muhammad, along with the Arabs tribes of the neighbourhood. So Muhammad had not only a just motive for attacking them, but there was also the positive necessity to destroy these enemies, more formidable even than the Quraysh, because of their adherence to their own religion, their intelligence and their superior culture. [...] The sources give support to the view of Montgomery Watt, showing that the Jews, already responsible for the coalition which had laid siege to Medina in 5 A.H. and worried by the growing power of the Prophet, continued to stir up the Arabs against him." Siehe auch W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1961. S. 189 sowie derselbe: Muhammad at Medina. Oxford University Press, 1962. S. 217 f.
  5. Norman A. Stillman: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. The Jewish Publication Society of America, 1979. S. 18: "The Muslims had been disappointed by the Prophet's recent abortive attempt to make a pilgrimage to Mecca and by signing a truce with the Quraysh at al-Ḥudaybiyya. They needed a victory to raise their spirits."; The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 4, S. 1137: "...if he conquered Khaybar he would be able to satisfy with ample booty those of his companions who, having hoped to capture Mecca, were disappointed and discontented."
  6. W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1961. S. 195 sowie S. 102 f.
  7. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 8, S. 817 (Ṣafiyya Bt. Ḥuyayy b. Akhṭab)
  8. a b Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Beck, 2004. S. 20
  9. Die Beschreibung des Feldzugs ist dem Artikel Khaybar in der Encyclopaedia of Islam (New Edition. Brill, Leiden. Bd. 4, S. 1137) entnommen.
  10. a b c d The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 4, S. 1137 (Khaybar)
  11. The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 4, S. 1137 (Khaybar); siehe: Malik ibn Anas: al-Muwatta. Buch 45, Kapitel 5, Nr. 17 und 18
  12. Ibn Hisham: al-Sirā al-Nabawiyya. Cairo, 1955. S. 37 f.; zitiert nach: Norman A. Stillman: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. The Jewish Publication Society of America, 1979. S. 19 und S. 148
  13. Ibn Ishaq, Gernot Rotter (Übersetzer): Das Leben des Propheten. As-Sira An-Nabawiya. Spohr, 1999. S. 207
  14. Norman A. Stillman: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. The Jewish Publication Society of America, 1979. S. 19 und S. 148

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