- Banu Nadhir
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Die Banū Naḍīr Banu n-nadir / بنو النضير / banū ʾn-naḍīr waren neben den Banu Qainuqa und den Banu Quraiza einer der drei wichtigsten jüdischen Stämme Yathribs, dem vorislamischen Medina. In der islamischen Geschichtsschreibung wurden sie durch ihren Konflikt mit Mohammed bekannt, der sie nach einem vermuteten Mordversuch an ihm aus Yathrib vertrieb.
Inhaltsverzeichnis
Herkunft der Banu Nadir
Die Banu Nadir - wie auch die Banu Quraiza - waren der islamischen Historiographie zufolge ein priesterlicher Stamm und werden von islamischen Quellen als Kohen bezeichnet.[1] Außerdem waren sie als Banū Hārūn (Söhne des Aaron) bekannt.[2] Man ist sich in der gegenwärtigen Forschung nicht darüber einig, ob sie nach der jüdischen Rebellion gegen Rom im Jahre 70 n.Chr. nach Yathrib gezogen sind oder arabische Proselyten waren.[3]
Wie die anderen Juden Yathribs trugen sie arabische Namen und ebenso war ihre Wirtschaft durch Ackerbau, Geldverleih, Waffenhandel und die Produktion von Juwelen charakterisiert.[4] Sie hatten auch ihre eigene Sprache mit einer dazugehörigen Schrift.[5]
Politische Situation vor und bei der Ankunft Mohammeds
Es wird überliefert, dass die Banu Nadir in Zeiten persischer Herrschaft über bestimmte Gebiete des Hidschaz in Medina Steuereintreiber für den iranischen Schah gewesen sind.[6]
Die Banu Nadir waren in vorislamischer Zeit Bundesgenossen der Banu Aus und hatten sie in ihren damaligen Auseinandersetzungen mit den Chasradsch unterstützt;[7] des Weiteren sind sie bei der Ankunft Mohammeds 622 n.Chr. in Yathrib[8] zusammen mit den Aus der sogenannten Verfassung von Medina[9], in der die künftigen Beziehung der Stämme Yathribs zueinander geregelt wurden, beigetreten.[4] In der Form der Verfassung, wie sie in der von Ibn Hischam editierten Prophetenbiographie Ibn Ishaqs vorzufinden ist, werden die Nadir, wie auch die Quraiza und Qainuqa, nicht erwähnt.[10] Die dort vorzufindende Form der Verfassung bezieht sich - so Watt - fast zweifellos auf eine nach der Exekution der Quraiza entstandene Version; die drei jüdischen Stämme wurden wahrscheinlich in einer früheren Version erwähnt.[11]
Vertreibung
Im August 625 n.Chr. ging Mohammed mit einigen seiner Gefährten zum Gebiet der Banu Nadir, um mit ihnen über die Begleichung einer Blutschuld zu verhandeln.[12] Während der Verhandlungen sollen die Banu Nadir sich dazu entschlossen haben Mohammed zu töten. Der arabische Historiker Ibn Ishaq beschreibt in seiner grundlegenden Prophetenbiographie die Szenarie folgendermaßen:
„Sodann begab sich der Prophet zu dem jüdischen Stamm der Banu Nadir. Er wollte sie bitten, ihm bei der Bezahlung der Blutschuld für jene beiden Männer zu helfen, die Amr ibn Umayya zuvor umgebracht hatte. Andererseits waren die beiden Stämme Nadir und Amir Bundesgenossen. Als der Prophet nun mit seiner Bitte zu den Banu Nadir kam, erklärten sie sich bereit, ihm zu helfen. Dann zogen sie sich zur Beratung zurück und sprachen zueinander: 'In eine so günstige Lage bekommen wir diesen Mann nie wieder' der Prophet saß nämlich neben der Wand eines ihrer Häuser -; 'wer steigt also auf das Haus, wirft einen Stein auf ihn und befreit uns so von ihm?' Einer von ihnen, Amr ibn Djihash, erklärte sich dazu bereit und stieg auf das Haus, um einen Stein auf den Propheten zu schleudern. Dieser saß dort mit einigen seiner Gefährten, (...) als ihn eine Botschaft vom Himmel erreichte, in der ihm das Vorhaben jener Leute geoffenbart wurde. Er machte sich deshalb sogleich auf den Rückweg nach Medina, ohne aber seinen Gefährten etwas davon gesagt zu haben.“
– Ibn Ishaq: Das Leben des Propheten. Aus dem Arabischen von Gernot Rotter. Kandern, 2004. S. 160
Mohammed wurde sich während der Verhandlungen der feindseeligen Haltung der Nadir ihm gegenüber bewusst und verdächtige sie des Mordversuchs an ihm, weshalb er sich dazu entschloss diese zu vertreiben.[4] Bei seiner Ankunft in Medina befahl er ihnen über einen seiner Anhänger, Muhammad ibn Maslama[13] die Stadt innerhalb von zehn Tagen zu verlassen und dabei all ihre beweglichen Güter mitzunehmen; des weiteren erlaubte er ihnen einmal im Jahr zurückzukehren, um die Ernte ihrer Palmenhaine abzuholen.[4]
Die Banu Nadir willigten zunächst ein, beschlossen aber anschließend unter ihrem Stammesoberhaupt Huyayy ibn Akhtab in ihren Festungen bei Medina Widerstand zu leisten. Nach einer etwa zwei Wochen andauernden Belagerung, als die Anhänger Mohammeds begannen, ihre Palmenhaine zu zerstören - ein in der späteren islamischen Jurisprudenz kontrovers diskutierter Präzedenzfall[14] - ergaben sich die Banu Nadir. Daraufhin befahl ihnen Mohammed die Stadt zu verlassen und nur mitzunehmen, was sie auf 600 Kamelen transportieren konnten. Einige Familien zogen nach Syrien, andere ließen sich bei ihren Glaubensbrüdern in Chaibar nieder.
Die 59. Sure - die nach der Vertreibung der Nadir offenbart worden sein soll[4] - behandelt nach allgemeiner Auffassung in der Exegese größtenteils das Exil der Banu Nadir,[15] das auch in der arabischen Poesie behandelt worden ist. Während der sechstägigen Belagerung soll zudem das islamische Weinverbot offenbart worden sein.[16] Zwei Männer der Nadir nahmen den Islam an und wurden dadurch verschont.
Die Grabenschlacht und der Zug nach Chaibar
Die in Chaibar, einer etwa 150 Kilometer nördlich von Medina gelegenen Oase[17] ansässigen Anhänger der Banu Nadir haben mit der Absicht, das vor ihrer Vertreibung von ihnen bewohnte Gebiet Medinas zurückzuerobern[18] die Quraisch bei der Planung eines Angriffs auf Medina, der sogenannten Grabenschlacht und der Bildung eines entsprechenden Stammeszusammenschlusses energisch unterstützt[18] und waren Teil des dadurch entstandenen Bundes,[19] das sich aus den Mekkanern, gewissen anderen Stämmen und abessinischen Söldnern[20] zusammensetzte.
Die entscheidende Rolle der Nadir bei den Vorbereitungen für die Grabenschlacht und ihrer Durchführung, sowie der Umstand, dass sie auch in den folgenden Monaten zusammen mit anderen jüdischen Stämmen Chaibars versucht haben weiterhin arabische Stämme gegen Mohammed und seine Anhänger zu schüren waren die primären, militärischen Gründe für den Angriff auf die Oase 628 n.Chr.[21] Neben diesen Gründen spielte auch die Tatsache, dass Mohammed durch die Eroberung dieser Oase und den entsprechenden Beuteertrag sich der Enttäuschung seiner Anhänger über den Vertrag von Hudaibiyya[22] entgegenstellen konnte eine Rolle bei der Entscheidung des Propheten Chaibar anzugreifen.[23]
Nach etwa sechs Wochen des Kampfes wurde Chaibar erobert und unter die Kontrolle des islamischen Gemeinwesens gebracht. Die dort verbliebenen Anhänger der Banu Nadir durften im Gegensatz zu den anderen dortigen Stämmen nicht mehr in der Oase verbleiben, sondern mussten - gemäß dem Vertrag, den sie mit Mohammed nach der Eroberung der Oase geschlossen hatten - Chaibar verlassen und ihr Besitz den Muslimen überlassen.
Fußnoten
- ↑ Moshe Gil: Jews in Islamic Countries in the Middle Ages. Brill, 2004. S. 7
- ↑ Norman A. Stillman: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. Jewish Publication Society of America, 1979. S. 9
- ↑ Francis E. Peters: Muhammad and the Origins of Islam. SUNY Press, 1994. S. 192
- ↑ a b c d e The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 7, S. 852 (Naḍīr, Banu'l-)
- ↑ Francis E. Peters: Muhammad and the Origins of Islam. SUNY Press, 1994. S. 193
- ↑ Francis E. Peters: Mecca: A Literary History of the Muslim Holy Land. Princeton University Press, 1994. S. 62
- ↑ Michael Lecker: Muslims, Jews and Pagans. Studies on Early Islamic Medina. Brill, 1995. S. 26
- ↑ Siehe Artikel Hidschra
- ↑ Siehe dazu W. Montgomery Watt: Islamic Political Thought. Edinburgh University Press, 1980. S. 4-6
- ↑ Vergleiche Ibn Ishaq: Das Leben des Propheten. Aus dem Arabischen von Gernot Rotter. Kandern, 2004. S. 111-114
- ↑ The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 5, S. 436 (Kurayẓa, Banū)
- ↑ Siehe W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford Unviersity Press, 1961. S. 146 f.
- ↑ Für eine Biographie Muhammad ibn Maslamas siehe [1]
- ↑ Siehe Marco Schöller: Die Palmen (līna) der Banū n-Nadīr und die Interpretation von Koran 59:5. Eine Untersuchung zur Bedeutung des koranischen Wortlauts in den ersten Jahrhunderten islamischer Gelehrsamkeit. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (ZDMG) 146 (1996), 317-380
- ↑ Siehe Theodor Nöldeke: Geschichte des Qorans. Leipzig, 1938. S. 206 sowie dortige Quellenangaben
- ↑ Theodor Nöldeke: Geschichte des Qorans. Leipzig, 1938. S. 199
- ↑ Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Beck, 2004. S. 19
- ↑ a b W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1962. S. 166
- ↑ Fred McGraw Donner: Muhammad's Political Consolidation in Arabia up to the Conquest of Mecca. In: The Muslim World 69 (1979). S. 233
- ↑ Irving M. Zeitlin: The Historical Muhammad. Polity Press, 2007. S. 12
- ↑ W. Montgomery Watt: Muhammad at Medina. Oxford University Press, 1962. S. 217 f. sowie derselbe: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1961. S. 189; Siehe auch: The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 4, S. 1137 (Khaybar)
- ↑ Der Vertrag sah entgegen der ursprünglichen Absicht Mohammeds die Umra, die kleine Wallfahrt nach Mekka 628 n.Chr. zu vollziehen vor, dass die Muslime im darauf folgenden Jahr die Wallfahrt vollziehen und die Quraisch dafür die Stadt für drei Tage räumen würden. Mohammed stimmte dem Vertrag zum Erstaunen seiner Anhänger zu. Dies war die erste diplomatische Annäherung der beiden Parteien, durch den die Mekkaner Mohammed zwar nicht als Propheten, allerdings als Verhandlungspartner anerkannten.
- ↑ Norman A. Stillman: The Jews of Arab Lands. A History and Source Book. The Jewish Publication Society of America, 1979. S. 18; Siehe auch: The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 4, S. 1137 (Khaybar)
Literatur
- Encyclopaedia Judaica. 2nd Edition. Macmillan Reference USA, Detroit. Bd. 12, S. 725 (Naḍīr)
- The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 7, S. 852 (Naḍīr)
- W. Montgomery Watt: Muhammad. Prophet and Statesman. Oxford University Press, 1962. S. 148-151
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