Zwangsneurose

Zwangsneurose

Zwangsstörungen sind psychische Störungen, bei denen sich den Patienten Gedanken und Handlungen aufdrängen, die zwar als quälend empfunden werden, aber dennoch umgesetzt werden müssen. Es besteht zumindest zeitweise Einsicht, dass die Zwangsgedanken oder -handlungen übertrieben sind. Durch die Störung ergeben sich deutliche Beeinträchtigungen des Alltagslebens oder Belastungen.

Klassifikation nach ICD-10
F42 Zwangsstörung
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Symptome

Die Haupt-Symptomatik der Zwangsstörung, die auch maßgeblich sind für die diagnostische Klassifizierung nach ICD-10, sind Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen, bei mehr als 90 % der Betroffenen finden sich beide Symptome.

Zwangsgedanken

Zwangsgedanken sind zwanghaft sich immer wieder aufdrängende, jedoch als unsinnig erkannte Denkinhalte.“ (Deister, 2001, S. 127f)

Zwangsgedanken erscheinen oft in Form von:

  • zwanghaften Gedanken (zum Beispiel wiederholten Gedanken, dass der Ehepartner sterben könnte oder ständiges Zweifeln)
  • Zwangsvorstellungen (beispielsweise unerlaubte sexuelle Szenen)
  • Zwangsimpulse (Drang zum Vollzug einer Handlung, die trivial, sozial beschämend, störend oder bedrohlich sein kann)

Bei Zwangsgedanken geht es meistens um angstvolle Gedanken und Überzeugungen, wie jemandem zu schaden, in eine peinliche Situation zu geraten oder ein Unheil anzurichten. Aber ebenso können auch Gedankengänge nicht befriedigend abgeschlossen werden, sodass sie sich ständig wiederaufdrängen und wiederholt werden müssen, ohne zu einem realen Ergebnis zu gelangen.

In einer Untersuchung wurden die Themen der Zwangsgedanken von Betroffenen erfragt (Akhtar et al., 1975).

  1. Schmutz oder Verseuchung (Menschliche o.a. Exkremente, Schmutz, Staub, Samen, Menstruationsblut, Keime, Infektionen)
  2. Gewalt und Aggression (Körperlicher oder verbaler Angriff auf sich selbst oder andere Personen; Unfälle, Missgeschick, Krieg, Katastrophen, Tod)
  3. Ordnung (Ordentlichkeit, Symmetriebestrebungen in der Ausrichtung von Gegenständen usw.)
  4. Religion (Existenz Gottes, religiöse Praktiken und Rituale, Glaubenssätze, moralische Einstellungen)
  5. Sexualität (Sexuelle Handlungen an sich oder anderen, inzestuöse Impulse, sexuelle Leistungsfähigkeit)

Zwangshandlungen

„Zwanghaft gegen oder ohne den Willen ausgeführte Handlungen. Beim Versuch, die Handlungen zu unterlassen, treten massive innere Anspannung und Angst auf.“ (Deister, 2001, S. 127f) Zwangshandlungen sind Stereotypien, die ständig wiederholt werden müssen. Die meisten Betroffenen wissen, dass ihr Verhalten übertrieben und unvernünftig ist, und versuchen anfangs, Widerstand zu leisten, geben jedoch auf, wenn sie die Angst überfällt. Danach fühlen sie sich für gewöhnlich für eine kurze Zeitspanne weniger ängstlich. Abgesehen von dieser Spannungsreduktion empfinden die Betroffenen keine Freude am Ausführen der Handlung selbst. Manche Menschen bauen die zwanghafte Handlung zu einem Zwangsritual aus: die Zwangshandlung wird in einer bis ins Einzelne ausgearbeiteten Art und Weise ausgeführt. Die Betroffenen müssen das Ritual jedes Mal in exakt derselben Weise, nach bestimmten, sorgfältig zu beachtenden Regeln durchlaufen. Wenn es nicht gelingt, die Handlung abzuschließen, entsteht weitere Angst, und das Ritual muss häufig von Anfang an wiederholt werden.

Beispiele:

  • Reinlichkeitszwang, wie z. B. der Waschzwang
  • Kontrollzwang = ständige Überprüfung von bestimmten Dingen, wie Herdplatten, Türschlössern, Gashähnen, Aschenbechern, wichtigen Papieren
  • Ordnungszwang = Es wird versucht, in der Umgebung immerzu Symmetrie, Ordnung oder ein Gleichgewicht herzustellen, indem Dinge wie Bücher oder Nahrungsmittel nach strengen Regeln perfekt geordnet sind.
  • Berührzwang = Zwang, Dinge anzufassen oder gerade nicht anzufassen
  • Zählzwang = alle Dinge, die im Alltag auftauchen, werden gezählt
  • verbale Zwänge = Ausdrücke, Sätze oder Melodien werden immer wieder wiederholt

Diagnose

Gemäß ICD-10, Code F42, gelten folgende diagnostische Leitlinien:

  1. Die Zwangsgedanken oder zwanghaften Handlungsimpulse müssen vom Patienten als seine eigenen erkannt werden.
  2. Mindestens gegen einen Zwangsgedanken oder gegen eine Zwangshandlung muss der Patient noch Widerstand leisten.
  3. Der Zwangsgedanke oder die Zwangshandlung dürfen nicht an sich angenehm sein.
  4. Die Zwangssymptome müssen sich in zutiefst unangenehmer Weise wiederholen.
  5. Die Symptomatik muss über mindestens 14 Tage an den meisten Tagen bestehen.

Zur genaueren Diagnose-Stellung können Fremdratingskalen verwendet werden, z. B. die Yale-Brown Obsessive-Compulsive Rating Scale (Y-BOCS) von Goodman et al. (1989).

Differentialdiagnose

  • Gelegentliche Panikattacken oder leichte phobische Symptome sind mit der Diagnose vereinbar. Obwohl bei den Zwangsstörungen auch Ängste eine Rolle spielen, zählen sie nicht zu den Angststörungen im engeren Sinne.
  • Abgrenzung zur Schizophrenie: In der klassischen Psychiatrie wurde beispielsweise von Eugen Bleuler ein Zusammenhang zwischen Zwang und Schizophrenie postuliert. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass Übergänge von Zwangsstörungen in Schizophrenien vermehrt auftreten. In anderen Studien konnte dieser Befund jedoch nicht reproduziert werden. Bei Patienten, die an einer Schizophrenie leiden, scheint das Vorliegen von Zwangssymptomen die Prognose hinsichtlich der Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit zu verschlechtern.
  • Abgrenzung zur zwanghaften Persönlichkeitsstörung: Es besteht kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen einer symptomatischen Zwangsstörung und einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung. Während die Zwanghaftigkeit im Rahmen der zwanghaften/anankastischen Persönlichkeitsstörung vom Betroffenen als „ich-synton“, also als mit seiner Person vereinbar, empfunden wird, wird die symptomatische Zwangsstörung vom Betroffenen als „ich-dyston“, also als ich-fremd und der Person nicht zugehörig empfunden.
  • Zwangssymptome bei einer Ticstörung beim Gilles-de-la-Tourette-Syndrom und bei organischen psychischen Störungen werden nicht als Zwangsstörung diagnostiziert, sondern als Teil der entsprechenden Störungsbilder betrachtet.
  • Des Weiteren sind Stereotypien bei Autismus und Asperger-Syndrom zu unterscheiden.
  • Reine Zwangsgedanken können auch in Zusammenhang mit postpartalen Depressionen und/oder postpartalen Psychosen auftreten. In der Regel fürchtet die Mutter, sie könne das Neugeborene schädigen.

Komorbiditäten

Eine Komorbidität (das gemeinsame Auftreten mit einer anderen psychischen Störung) besteht oft mit Depression. Beide Störungen gehen mit (reversiblen) Veränderungen im Hirnstoffwechsel einher, insbesondere im System der Neurotransmitter. Dennoch sind die Symptome klar trennbar. Mehr als 50 % der Erkrankten weisen zusätzlich Symptome aus anderen Störungsgruppen auf.

Verbreitung und Verlauf

Bis Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts war die Zwangserkrankung noch relativ unbekannt. Dadurch entstand bei den Betroffenen das Gefühl, „alleine“ mit dieser Erkrankung zu sein, was die Suizidgefahr erhöhte und die Chance minimierte, sich in therapeutische Behandlung zu geben. Heute geht man davon aus, dass ca. 2 % der Bevölkerung an Zwangsstörungen leiden. Da die Krankheit in der Bevölkerung wenig bekannt ist, wird sie oft nicht richtig erkannt und behandelt: Oft dauert es 7 bis 10 Jahre, bis die Betroffenen zielführend behandelt werden.[1] Es scheint keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Häufigkeit der betroffenen Personen zu geben.

Die Erkrankung beginnt meist im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter vor dem 30. Lebensjahr. Jungen und Männer erkranken im Durchschnitt eher als Frauen. Die Erkrankung verläuft meist langsam zunehmend und verschlimmert sich dann stetig. Ohne wirksame Therapie verläuft sie zu zwei Dritteln chronisch, zu einem Drittel schubweise mit akuten Verschlechterungen unter besonderen Belastungen.

Zumindest für die unbehandelte Zwangsstörung ist wohl von einem in der Regel chronifizierenden Verlauf auszugehen, auch wenn die Intensität der Symptome und der Beeinträchtigungsgrad durchaus schwanken können. Durch die kombinierte Behandlung mit geeigneten Medikamenten und psychotherapeutischen Methoden ist die Prognose häufig deutlich zu verbessern. Aber auch bei Ausschöpfung der vorhandenen therapeutischen Möglichkeiten ist eine vollständige und dauerhafte Remission der Zwangsstörung eher die Seltenheit.

Schwangerschaft und Stillzeit

Das Risiko einer Verschlimmerung der Zwangssymptome während dieser Zeit liegt bei 60–70 %. Auch haben Patientinnen mit einer Zwangsstörung ein erhöhtes Risiko für eine Wochenbettdepression.[2]

Ursachen

Eine einzige Ursache kennt man nicht. Wahrscheinlich ist eine Kombination von Veranlagung, Hirnstoffwechselstörungen und seelischen Ursachen für das Entstehen einer Zwangsstörung verantwortlich. Möglicherweise gibt es genetische Gründe für Zwangsstörungen [3].

Psychoanalytische Erklärungsmodelle

Psychoanalytiker gehen davon aus, dass sich Zwangsstörungen dann entwickeln, wenn Kinder ihre eigenen Es-Impulse zu fürchten beginnen und Abwehrmechanismen einsetzen, um die resultierende Angst zu verringern. Der Kampf zwischen Es-Impulsen und Angst wird auf bewusster Ebene ausgetragen. Die Es-Impulse erscheinen gewöhnlich als Zwangsgedanken, die Abwehrmechanismen als Gegengedanken oder Zwangshandlungen.

Sigmund Freud postulierte, dass manche Kinder in der so genannten analen Phase (mit etwa 2 Jahren) intensive Wut und Scham empfinden. Diese Gefühle heizen den Kampf zwischen Es und Ich an und stellen die Weichen für Zwangsstörungen. In diesem Lebensabschnitt ist Freud zufolge die psychosexuelle Lust der Kinder an die Ausscheidungsfunktion gebunden, während zugleich die Eltern mit der Sauberkeitserziehung beginnen und von den Kindern analen Befriedigungsaufschub fordern. Wenn die Sauberkeitserziehung zu früh einsetzt oder zu streng ist, kann dies bei den Kindern Wut auslösen und zur Entwicklung aggressiver Es-Impulse führen – antisozialer Impulse, die immer wieder nach Ausdruck drängen. Die Kinder beschmutzen vielleicht ihre Kleidung erst recht und werden allgemein destruktiver, schlampig oder dickköpfig. Wenn die Eltern diese Aggressivität unterdrücken, kann das Kind auch Scham- und Schuldgefühle sowie das Gefühl, schmutzig zu sein, entwickeln. Gegen die aggressiven Impulse des Kindes stellt sich jetzt ein starker Wunsch, diese Impulse zu beherrschen. Dieser heftige Konflikt zwischen Es und Ich kann sich das ganze Leben lang fortsetzen und sich schließlich zu einer Zwangsstörung auswachsen.

Eine Reihe von Ich-Psychologen wandte sich von Freud ab und führte die aggressiven Impulse auf ein unbefriedigtes Bedürfnis nach Ausdruck des eigenen Selbst oder auf Versuche, Gefühle wie Verwundbarkeit oder Unsicherheit zu überwinden, zurück und nicht auf die strenge Sauberkeitserziehung. Doch sogar diese Theoretiker stimmten Freud darin zu, dass Menschen mit einer Zwangsstörung starke aggressive Impulse sowie ein konkurrierendes Kontrollbedürfnis gegenüber diesen Impulsen besitzen. (Comer, 2001)

Verhaltenstherapeutische Modelle

In der Verhaltenstherapie erklärte und erklärt man auch heute noch die Entstehung von Zwangs-Symptomen über das lerntheoretische Modell und die Begriffe des klassischen und operanten Konditionierens. Ein ursprünglich neutraler Reiz, z. B. Schmutz, wird durch Kopplung an einen starken negativen Affekt (Angst, heftige Abneigung) zu einem stellvertretenden Auslöser eben dieser Angst oder Abneigung. Als Folge treten Zwangs-Handlungen auf, um die Angst zu reduzieren. Durch die damit verbundene negative Verstärkung werden aber gerade die Zwangshandlungen operant konditioniert. Das Modell ist praktisch identisch mit dem für Ängste verwendeten. Dieses Modell erklärt hauptsächlich die Entstehung und Aufrechterhaltung von Zwangshandlungen.

Die kognitiv-verhaltenstherapeutische Perspektive als Weiterentwicklung der klassischen Verhaltenstherapie bindet die Zwangsgedanken mit ein. Eine kognitive, von Salkovskis vorgeschlagene Theorie[4]zur Entstehung von Zwangsstörungen geht davon aus, dass Zwangsstörungen durch die negative Bewertung von sich aufdrängenden Gedanken, die auch bei gesunden Menschen von Zeit zu Zeit auftreten, und deren (anschließende) Vermeidung entstehen. Die Vermeidung der auftretenden Gedanken kann kognitiv oder verhaltensmäßig geschehen: Entweder wird versucht, die Gedanken zu unterdrücken oder sie durch Handlungen zu „neutralisieren“ (bspw. bei Angst vor Kontaminationen durch Händewaschen). Beide Vermeidungsreaktionen führen jedoch nicht zu den erwünschten Effekten: Die Neutralisierungshandlung führt nur kurzfristig zu einer Erleichterung, da sich die Gedanken, die das Verhalten ausgelöst haben, weiterhin aufdrängen. Jedoch hat die Person gelernt, dass sie sich durch die Handlung, wenn auch nur kurzfristig, Erleichterung verschaffen kann. Das Verhalten wird somit negativ verstärkt. Gedankliches Unterdrücken, andererseits, hat einen paradoxen Effekt[5]: Durch das aktive Unterdrücken verstärken sich die Gedanken noch.

Die kognitv-verhaltenstherapeutischen Forscher identifizierten mehrere Faktoren, warum „normale“ Gedanken von Menschen mit Zwangsstörungen als so störend empfunden werden:

  • Depressive Stimmung: stärkere depressive Stimmung bei diesen Menschen führt zu einer Erhöhung in der Anzahl und Stärke von unerwünschten Gedanken.
  • Strenger Verhaltenskodex: außerordentlich hohe Moralmaßstäbe tragen dazu bei, dass insbesondere sexuelle und aggressive Gedanken viel weniger akzeptiert werden können.
  • Dysfunktionale Überzeugungen von Verantwortlichkeit und Schaden: Menschen mit Zwangsstörungen glauben, dass ihre störenden negativen – vollkommen normalen – Gedanken sie selbst oder andere schädigen könnten.
  • Dysfunktionale Überzeugungen und Gedankenmuster: Menschen mit Zwangsstörungen haben fehlangepasste Vorstellungen darüber, wie das menschliche Denken funktioniert, da sie annehmen, sie können unangenehme Gedanken kontrollieren.

Biologische Erklärungsmodelle

Es gibt mehrere biologische Erklärungsansätze:

  • Serotonin-Hypothese: Verschiedene neurochemische Untersuchungen sowie die guten Erfolge mit serotonergen Medikamenten verweisen auf einen Zusammenhang zwischen dem Serotonin-Stoffwechsel im Hirn und dem Auftreten von Zwangsstörungen. Offenbar handelt es sich allerdings um ein zwar therapeutisch-medikamentös zugängliches, aber um ein Begleitphänomen einer primären Störung des orbitofronto/zingulostriatalen Projektionssystems, weshalb die Medikamentengabe nicht wirklich heilend ist. Stattdessen kommt es nach Absetzen der Medikation zu einem Rückfall in die Symptomatik.
  • Dopamin-Hypothese: Vor allem bei den Zwangsstörungen der an Tic-Syndromen oder am Gilles-de-la-Tourette-Syndrom erkrankten Patienten spielt wahrscheinlich auch das Dopamin bzw. das dopaminerge Transmitter-System eine bedeutsame Rolle. Es gibt Hinweise, dass die Transmitterstörungen nicht Ursache der Zwangserkrankung sind, sondern Begleiterscheinung von „primären Störungen im orbitofronto/zingulostriatalen Projektionssystem, welches das Verhalten an eine sich verändernde äussere Umwelt und innere emotionale Zustände anpasst und auf die monoaminergen Kerne des Mittelhirns zurückwirft“ (Kapfhammer 2000, S. 1233).
  • Basalganglien-Hypothese: Es liegen Funktionsstörungen in bestimmten Hirnregionen vor, nämlich in der Orbitalregion und im Nucleus caudatus (Teil der Basalganglien). Diese Befunde werden von der Positronenemissionstomographie (PET) gestützt. In Positronen-Emissions-Computertomographischen Studien fand sich sowohl im Bereich des orbitofrontalen Kortex, der beiden Nuclei caudati sowie des Cingulums ein erhöhter Glucoseumsatz („erhöhte Glucoseutilisation“). Gleichzeitig war in diesem Hirnarealen die Durchblutung reduziert.

Behandlung

Bei der Therapie der Zwangsstörung kommen sinnvollerweise Kombinationen von einem Antidepressivum und einer Psychotherapie zum Einsatz. Nur der Einsatz von Antidepressiva oder Psychotherapie hat weit weniger Erfolg als die Kombination von beidem. Bei optimaler Therapie ist eine Besserung der Beschwerden und des Verlaufs in den meisten Fällen zu erwarten. Eine vollständige Heilung ist nur selten zu erreichen, eine stabile Remission ist jedoch fast immer möglich. Eine Großzahl der zwangserkrankten Patienten muss jedoch mit einer lebenslangen Medikamenteneinnahme rechnen. Besonders bei abruptem Absetzen der Medikation und ungenügender verhaltenstherapeutischer Begleitung ist eine Verschlechterung der Symptomatik wahrscheinlich.

Psychotherapie

Bisher konnte die psychoanalytische Schule bei der Therapie der Zwangskrankheiten keine nennenswerten Erfolge erzielen. Psychodynamische Aspekte treten jedoch gerade bei der Zwangsstörung infolge von z. T. heftigen Übertragungen und Gegenübertragungen auf, wodurch sie zu einem entscheidenden Therapiehindernis führen können, wenn sie nicht erkannt und angegangen werden. Es ist also unbedingt von Nutzen, auch bei der Behandlung von Zwangskranken über psychodynamische Kenntnisse und Erfahrungen zu verfügen, wenngleich deren Stellenwert gegenüber den verhaltenstherapeutischen und kognitiven Therapieelementen vorwiegend im diagnostischen und differentialdiagnostischen interaktiven Bereich zu sehen ist.

Verhaltenstherapie: Mit der Verhaltenstherapie steht mittlerweile ein effektives psychotherapeutisches Behandlungsverfahren zur Verfügung. Eine frühe effektive verhaltenstherapeutische Behandlung sollte nicht verzögert werden, weil eine Behandlung zu Beginn der Störung erfolgversprechender ist.

Verhaltenstherapeutische Interventionen: Rachman entwickelte in den 1970er Jahren eine Methode der Konfrontation und Reaktionsverhinderung. Klienten wird wiederholt mit Gegenständen oder Situationen konfrontiert, die normalerweise Angst, zwanghafte Befürchtungen und Zwangshandlungen auslösten, sollten jedoch keine der Verhaltensweisen ausführen, zu denen sie sich möglicherweise gezwungen fühlten. Weil dies den Klienten sehr schwer fiel, führten es die Therapeuten oft modellhaft vor. Die Klienten sahen zu, wie die Therapeuten mit dem Objekt interagierten, ohne dabei Zwangshandlungen zu zeigen. Anschließend ermutigten die Therapeuten die Klienten zu demselben Verhalten (eine Form von teilnehmendem Modelllernen). Konfrontation und Reaktionsverhinderung wurde sowohl in Einzel- als auch in Gruppentherapie durchgeführt. Bei 60 bis 90 % der Zwangspatienten, die mit diesem Verfahren behandelt werden, tritt eine Besserung ein, in Form einer Reduzierung der Zwangshandlungen und darauf folgenden Angsterlebnissen. Die Therapieerfolge lassen sich noch Jahre später beobachten. Diese Therapieform ist eine der wirksamsten, allerdings hilft sie nicht allen Patienten, da bei einem Viertel keine Besserung eintritt (Comer, 2001).

kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen: Hierbei werden kognitive und verhaltenstherapeutische Techniken verbunden.

  • Habituation|Habituationtraining: Habituationtraining Wird einzeln eingesetzt, wenn nur Zwangsgedanken vorhanden sind. Die Klienten erhalten die Anweisung, sich den Zwangsgedanken oder die Zwangsvorstellung ins Bewusstsein zu rufen und eine längere Zeit gegenwärtig zu halten. Bei einer anderen Form bringen die Klienten ein- oder zweimal am Tag bis zu einer Stunde damit zu, ihrer eigenen Stimme vom Band, die ihre Zwangsgedanken ständig wiederholt zu lauschen.
  • verdeckte Reaktionsverhinderung: Wird eingesetzt bei zahlreichen Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen. Die Klienten lernen, alle anderen Zwangsgedanken oder -handlungen, die während des Habituationstrainings auftauchen, zu erkennen, zu verhindern oder sich davon abzulenken. Im Verlauf der Sitzungen soll so die Häufigkeit der Zwangsgedanken und/oder -handlungen abnehmen.

Die kognitive Verhaltenstherapie stellt darüber hinaus die Zwangsgedanken infrage und arbeitet mit der Technik des Gedankenstopps.

Behandlung mit Antidepressiva

Es werden Antidepressiva eingesetzt, die die Wirkung der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin in speziellen Gehirnregionen (s.o.) modulieren, z. B. serotonerge Antidepressiva SSRI und trizyklische Antidepressiva (z. B. Clomipramin). Meistens werden SSRI wie Sertralin, Paroxetin, Fluoxetin zuerst verordnet, da sie die geringsten Nebenwirkungen haben. Als „Goldstandard“ gilt jedoch Clomipramin.

Auch bei Patienten, die auf die normale Dosis der SSRI nicht ansprechen, kann mit hohen Dosen Sertralin ein Behandlungserfolg erreicht werden. Die Patienten, die auf die Behandlung mit SSRI nicht reagiert hatten, wurden mit 250–400 mg Sertralin/Tag behandelt (zum Vergleich: die ansonsten übliche Dosis liegt bei 50–200 mg). Bei 40 % der Patienten zeigte sich eine Besserung der Symptome bei tolerierbaren Nebenwirkungen [6]

Bei behandlungsresistenten Fällen werden Clomipramin[7], Venlafaxin und/oder Fluvoxamin verordnet.

  • Studien über die Behandlung mit Antidepressiva (SSRI): Greist et al. bewiesen in einer Doppelblindstudie die Wirksamkeit des SSRI Sertralin zur langfristigen Behandlung von Zwangsstörungen [8]. Rasmussen et al. bewiesen ebenfalls die Wirksamkeit von Sertralin [9]. Zum gleichen Ergebnis kamen Chouinard et al. [10] J. Zohar und R. Judge bewiesen die Wirksamkeit von Paroxetin, die vergleichbar der von Clomipramin ist [11] Die Sicherheit und Wirksamkeit von Fluoxetin bei der langfristigen Behandlung von Zwangstörungen ist noch nicht durch Studien bestätigt worden. Es konnte in kurzen Studien (Behandlungsdauer kürzer als 13 Wochen) jedoch bewiesen werden, dass Fluoxetin die Symptome der Zwangstörung reduziert [12]. Citalopram scheint die Symptome wirkungsvoll zu bekämpfen [13]. Koran et. al. nahmen an, dass Citalopram in Kombination mit Clomipramin wirkungsvoller bei der Behandlung von Zwangstörungen ist, als Clomipramin allein. Bei ihrer Studie handelte es sich jedoch nicht um eine Blindstudie. Die Autoren planen mit einer Doppelblindstudie ihre Resultate zu überprüfen [14]

Behandlung mit Neuroleptika

Früher wurden mit starken Nebenwirkungen behaftete Neuroleptika wie z. B. Haloperidol eingesetzt. Heute werden vor allem die besser verträglichen atypischen Neuroleptika eingesetzt. Dazu zählen unter anderem Risperidon, Quetiapin, Olanzapin und Amisulprid. In kontrollierten Studien sprach ungefähr die Hälfte der so behandelten Patienten an. Es kam zu einer Verbesserung der Zwangssymptomatik um 30–40 %. Atypische Neuroleptika werden besonders dann empfohlen, wenn die Zwangsgedanken magischen Charakter haben, eine unzureichende Distanz zu den Zwangsinhalten besteht oder die Zwänge bizarr wirken. [15].

Literatur

  • A. Deister (2001): Zwangsstörungen. In: H.-J. Möller, G. Laux, A. Deister: Psychiatrie und Psychotherapie. 2. vollst. überarb. und erw. Auflage. Thieme-Verlag, S. 125–133
  • Akhtar, S., Wig, N.H., Verma, V.K., Pershod, D., & Verma, S.K. (1975). A phenomenological analysis of symptoms in obsessive-compulsive neurosis. Brit. J. Psychiat., 127, 324–348.
  • Christoph Wewetzer: Zwänge bei Kindern und Jugendlichen. Hogrefe, Göttingen 2004, ISBN 3-8017-1739-9
  • Comer, R. J. (Hrsg.) Klinische Psychologie. Spektrum Verlag 2001
  • Dr. Nicolas Hoffmann & Birgit Hofmann, Expositionen bei Ängsten und Zwängen, Praxishandbuch, Beltz Verlag PVU, Weinheim, Basel, Berlin 2004, ISBN 3-621-27535-5
  • Nicolas Hoffmann, Wenn Zwänge das Leben einengen, PAL Verlag Mannheim, 2004, ISBN 3-923614-37-3
  • S. Freud (1908): Charakter und Analerotik. Gesammelte Werke, Bd.7; Fischer-Verlag: 1966ff* W.K. Goodman, L.H. Price, S.A. Rasmussen et al. (1989): The Yale-Brown obsessive compulsive scale. I. Development, use, and reliability. Arch Gen Psychiatry 46:1006–1011
  • Jeffrey M. Schwartz: Zwangshandlungen und wie man sich davon befreit, Krüger, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-8105-1883-2
  • H.-P. Kapfhammer (2000): Zwangsstörung. In: H.-J. Möller, G. Laux, H.-P. Kapfhammer: Psychiatrie und Psychotherapie. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, S. 1228–1246
  • Klaus Grawe:Neuropsychotherapie, Hofgrefe, Göttingen 2004, ISBN 3-8017-1804-2
  • Lee Baer: Der Kobold im Kopf. Die Zähmung der Zwangsgedanken. Verlag Hans Huber, Bern 2003, ISBN 3-456-83962-6
  • Otto Benkert: Zwangskrankheiten. 2. Aufl. C.H. Beck, München 2004, ISBN 340641866x
  • Susanne Fricke, Iver Hand: Zwangsstörungen verstehen und bewältigen - Hilfe zur Selbsthilfe. BALANCE, Bonn 2007, ISBN 978-3-86739-001-9
  • Terry Spencer Hesser: Tyrannen im Kopf. Sauerländer, 2001, ISBN 3-7941-4782-0
  • Willi Ecker: Die Krankheit des Zweifelns. Wege zur Überwindung von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. CIP-Medien, 1999, ISBN 3-932096-13-4
  • Christoph Wölk, Andreas Seebeck 2003 Brainy, das Anti-Zwangs-Training Dustri-Verlag ISBN 3-935357-10-9 (Buch und PC-gesteuertes Training) siehe auch: Der Computer als Therapeut?. Medienunterstützung in der klinisch-psychologische Intervention 2003 Uni Köln

Weblinks

Quellen

  1. http://idw-online.de/pages/de/news72008
  2. Christine Huwig-Poppe: Medikamentöse Behandlung von Zwangsstörungen. Schweizer Gesellschaft für Zwangsstörungen [1]
  3. http://www.aerzteblatt-studieren.de/doc.asp?docId=106238
  4. Salkovskis, P.M., Ertle, A., & Kirk, J. (2000). Zwangsstörungen. In J. Margraf (Ed.), Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Berlin: Springer.
  5. Wegner, D.M., Schneier, D.J., Carter, S.R., & White, T.L. (1987). Paradoxical effects of thought suppression. Journal of Personality and Social Psychology, 53, 5–13.
  6. J Clin Psychiatry 2006; 67, S. 15–22
  7. O’Sullivan G, Noshirvani H, Marks I, Monteiro W, Lelliott P. Six-year follow-up after exposure and clomipramine therapy for obsessive compulsive disorder. J Clin Psychiatry 1991;52:150–5
  8. Int. Clin. Psychophramacol. 1995 Jun;10(2): S57–65
  9. Int Clin Psychopharmacol. 1997 Nov;12(6):309–16
  10. Psychopharmacol Bull. 1990;26(3):279–84
  11. http://bjp.rcpsych.org/cgi/content/abstract/169/4/468
  12. http://www.mentalhealth.com/drug/p30-p05.html
  13. http://www.medscape.com/viewarticle/441795 Citalopram Appears Safe, Effective In Refractory OCD
  14. Koran, Lorrin M.; Pallanti, Stefano; Paiva, Rogerio & Quercioli, Leonardo. Citalopram Plus Clomipramine for Refractory OCD. Paper presented at the Annual Meeting of the American Psychiatric Association, May 1999.
  15. http://www.zwaenge.ch/index/80/de/2/
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