Zweite Sophistik

Zweite Sophistik

Die Sophistik, von griechisch σοφιστής (sophistés) „Weisheitsbringer“ (seinerzeit geläufige Berufsbezeichnung für Lehrer), ist aus heute landläufiger (nachplatonischer) Sicht eine geistige Strömung der griechischen Antike. In herabsetzender Weise spricht man auch von Sophisterei (Weismacherei).

Inhaltsverzeichnis

Sophisten in der (griechischen) Antike

Wer war ein Sophist? (Zuordnungsprobleme)

Wer heute den Sophisten zugeordnet wird, unterscheidet sich von der antiken Meinung. In der modernen Forschung werden Wanderlehrer als Sophisten bezeichnet, die – unter anderem auch in Athen – gegen Entlohnung unterrichteten. Dieser Berufszweig kam im Zuge der Demokratiephasen auf, als nichtaristokratische Bürger mittels Bildung versuchten, sich Rüstzeug für gutes Leben (gr. "eu zen") einschließlich aktiver Beteiligung an Gesellschaft und Politik zuzulegen, und hierfür die Dienste belesener Vertreter des eigenen Standes nutzten, die zum eigenen Lebensunterhalt selbstredend auf Lohn angewiesen waren. Im Gegensatz dazu waren gebildete Aristokraten, wie der die heute landläufige (herablassende) Sicht auf die Sophisten bestimmende Platon, auf Lohn für ihr geistiges Hobby nicht angewiesen. So schrieb z.B. Marc Aurel in seinen "Selbstbetrachtungen": "Auch verhüteten sie [die Götter], als ich das Studium der Philosophie anfing, daß ich einem Sophisten in die Hände fiel oder mit einem solchen Schriftsteller meine Zeit verdarb, oder mit der Lösung ihrer Trugschlüsse mich einließ,[...]"

Die Forschung ist sich nicht einig, ob die Sophisten über ihren Lehrberuf, ihr Interesse an der Rhetorik oder ihre philosophischen Ansichten definiert werden sollten oder ob eine Kombination von mehreren dieser Punkte bestimmend oder ursächlich ist. Im Athen des fünften und sechsten Jahrhunderts v. Chr. wurden auch die so genannten Naturphilosophen und sogar Sokrates als Sophisten bezeichnet. Das Neue an den Sophisten war, dass sie versprachen, eine areté (im Sinne von "Tauglichkeit"/"Tugend") zu lehren, die u.a. auch befähigen sollte, am politischen Leben erfolgreich teilzunehmen. Revolutionär erschien ihr Anspruch, dass die Fähigkeit zu – privater wie politischer – areté lehrbar sein sollte, hatte man doch zuvor geglaubt, nur von Geburt her edlen Menschen, das heißt der Aristokratie, würde dieses Wissen nützen.

Bezüge zur Philosophiegeschichte

Damit einhergehend war ein verstärktes Nachsinnen über Fragen der menschlichen Erkenntnis und deren (durch die Beschränktheit der Wahrnehmung bedingte) Grenzen, was eine Abkehr von (aristokratisch verwalteten) mystischen „absoluten Wahrheiten“ (Glauben, „Metaphysik“ etc.) beinhaltete. (Erkennbare) Realität wurde in komplexer Relation zur (direkten und mittelbaren) menschlichen Wahrnehmung und deren Grenzen definiert, weshalb die Sophisten auch Relativisten genannt werden. Trotz der Begriffsübereinstimmung ähneln sie jedoch in ihrer Erkenntnistheorie statt den Relativisten des 20. Jahrhunderts vielmehr den Systemikern bzw. (Radikalen) Konstruktivisten desselben.

Sophistische Lehre

Um die Zeit des 5. Jahrhunderts vor Christus entwickelte sich in vielen griechischen Poleis die Demokratie. Um sich selbst Meinungen zu politischen und sonstigen gesellschaftlich relevanten Fragen zu bilden und diese auch zu vertreten, wurde es notwendig, sich argumentative Prozesse erschließen und die eigenen Gedanken ausdrücken zu können. Dies schloss umfangreiche Sachkenntnisse und eine hervorragende Rhetorik ein. (Die Oratorik, die Kunst der propagandistischen Rede, war von der Rhetorik verschieden, weshalb selbst Platon als erklärter Gegner der Sophisten zwischen diesen und den Oratoren unterschied.) Das Rüstzeug für die neuen Anforderungen und Möglichkeiten in Gesellschaft und Politik lieferten umherziehende Wanderlehrer, die Sophisten. Durch den Unterricht in Rhetorik (was Erkenntnistheorie und Argumentationslehre einschloß), Mathematik/Geometrie, Grammatik und Naturwissenschaften sollten ihre Schüler befähigt werden, sich in der Gesellschaft und Politik einzubringen, einschließlich der Bekleidung von Führungspositionen.

Man kann durchaus behaupten, dass die Sophisten diejenigen waren, die den Lehrerberuf erstmals professionell ausübten. Ihr Ruf wurde in der Darstellung ihrer aristokratischen Gegenspieler (wie Platon) jedoch dadurch geschmälert, dass die Sophisten Geld (Lohn) für ihre Dienste nahmen. Im antiken Griechenland der vordemokratischen Zeit war Bildung ein aristokratisches Privileg und folglich war es bis dahin nicht üblich gewesen, dass sich (aristokratische) Lehrende für ihre Tätigkeit Lohn bezahlen ließen.

Zu den bekanntesten Sophisten zählen Protagoras aus Abdera, Gorgias aus Leontinoi, Prodikos aus Iulis auf der Insel Keos, Kritias aus Athen, Thrasymachos aus Chalkedon, Antiphon aus Athen und Hippias von Elis. Als einer der Mitbegründer der Sophistik kam es Protagoras zu, sich als einer der ersten dem Sophistentum zuzuordnen. Auch Demokrit wurde hinsichtlich der Vielseitigkeit seines Werks und des Anspruchs, umfassendes Wissen in allen Sachgebieten zu erlangen, zu den Sophisten gerechnet; er gilt jedoch i.A. wegen seiner Atomlehre eher als Naturphilosoph.

Kritik an der Sophistik

Heute bekannt sind die Sophisten durch Platons Absetzung gegen sie. In seinen Dialogen lässt er Sokrates als Vertreter einer reinen, nur vom Interesse nach Wahrheit geleiteten Philosophie gegen die angeblich geld- und machtgierig die Wahrheit verbiegenden Sophisten argumentieren und ihr Scheinwissen entlarven.

„Zweite Sophistik“

In der römischen Kaiserzeit, vor allem im 2. Jahrhundert n. Chr., knüpften Schriftsteller und Rhetoren im Osten des römischen Reiches an die griechische Kultur der klassischen Zeit an. Diese Bewegung wurde (schon in der Antike durch Philostrat) „zweite Sophistik“ genannt. Bekannte Vertreter sind z. B. Dio Chrysostom, Herodes Atticus, Aelius Aristides und Polemon von Laodikeia.

Trivia

In jüngerer Zeit erfuhren die Sophisten durch Robert M. Pirsig in seinem populären Buch "Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten" eine neue Deutung.

Siehe auch

Liste griechischer Philosophen

Chinesische Philosophie

Auch in der chinesischen Philosophie gibt es Philosophen, die im Westen unter dem Begriff "Sophisten" zusammengefasst werden. Man weiß von ihnen in der Regel nur aus den Werken anderer Philosophen. Einzelne Lehrbeispiele ähneln denen der griechischen Sophisten (z. B. das Paradoxon vom fliegenden und gleichzeitig unbewegten Pfeil).

Literatur

  • Thomas Schirren, Thomas Zinsmaier (Hrsg.): Die Sophisten. Ausgewählte Texte. Griechisch/Deutsch. Reclam, Stuttgart 2003 ISBN 3-15-018264-6 – Die wichtigsten Texte und Fragmente mit Einleitung.
  • Thomas Buchheim: Die Sophistik als Avantgarde normalen Lebens. Meiner, Hamburg 1986 ISBN 3-7873-0687-0 – Vielzitierte, anspruchsvolle Monographie.
  • Manfred Fuhrmann: Die antike Rhetorik. Eine Einführung. Artemis und Winkler, 4. Aufl. Zürich 1995 ISBN 3-7608-1304-6 – Knappe und leicht verständliche Darstellung, die auch die Sophistik umfasst.
  • Peter Kunzmann, Franz-Peter Burkhard, Franz Wiedmann: dtv-Atlas zur Philosophie. Tafeln und Texte. Deutscher Taschenbuchverlag, 2. Auflage, München 1992. ISBN 3-423-03229-4. Griechische und chinesische Sophisten, kurz und knapp.
  • Scholten, Helga, Die Sophistik. Eine Bedrohung für die Religion und Politik der Polis?, Berlin: Akademie Verlag, 2003, Rezension

Weblinks


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