Botwinnik - Smyslow, Moskau 1954, 14. Wettkampfpartie

Botwinnik - Smyslow, Moskau 1954, 14. Wettkampfpartie
Wassili Smyslow
Smyslow im Jahr 2002
Name Wassili Wassiljewitsch Smyslow
Schreibweisen Василий Васильевич Смыслов (russisch)
Land Russland Russland
Geboren 24. März 1921
Moskau, UdSSR (heute Russland)
Titel Großmeister (1950)
Schachweltmeister 1957–1958
Beste Elo-Zahl 2800 (September 1956) (historische)

Wassili Wassiljewitsch Smyslow (russisch Василий Васильевич Смыслов, wiss. Transliteration Vasilij Vasil'evič Smyslov; * 24. März 1921 in Moskau) ist ein russisch-sowjetischer Schach-Großmeister und der 7. Schachweltmeister.

Inhaltsverzeichnis

Turnierschach

Von 1948 bis 1958 lag Wassili Smyslow mit Michail Botwinnik im Wettstreit um den Titel des Schachweltmeisters. Beim Weltmeisterschaftsturnier 1948 wurde er Zweiter hinter Botwinnik. 1954 endete ihr Wettkampf mit einem Unentschieden (12-12). 1957 konnte Smyslow den WM-Titel erobern (6 Siege, 3 Niederlagen, 13 Unentschieden), verlor ihn aber 1958 wieder (5 Siege, 7 Niederlagen, 11 Unentschieden).

Noch mehr als 25 Jahre später zählte er zu den besten Spielern der Welt. 1984 war er wieder an den Kandidatenwettkämpfen beteiligt und kämpfte sich bis ins Finale durch. Erst dort verlor er gegen den aufstrebenden Garri Kasparow. 1991 gewann Smyslow in Bad Wörishofen die erstmalig ausgetragene Senioren-Weltmeisterschaft. Neunmal (1952, 1954, 1956, 1958, 1960, 1964, 1968, 1970 und 1972) spielte er mit der sowjetischen Mannschaft bei Schacholympiaden (neun Goldmedaillen) und hatte mit stets guten Ergebnissen einen großen Anteil am Erfolg. Für seine Verdienste um das Schach erhielt er 1967 den Leninorden der Sowjetunion.

Seine aktuelle Elo-Zahl ist 2494 (Stand: Januar 2008), Smyslow nimmt jedoch seit einigen Jahren nicht mehr aktiv an Turnieren teil. Stattdessen schreibt er nach wie vor Bücher, vornehmlich über Endspiele. Seine beste historische Elo-Zahl betrug 2800, welche er im September 1956 erreichte.

Spielstil

Smyslow war besonders im Endspiel sehr stark und verfasste auch einige Endspielstudien. Max Euwe charakterisierte ihn so: „Smyslows Stil beruht in der Hauptsache auf positioneller Grundlage, was aber nicht besagen soll, daß er etwa Kombinationen aus dem Wege geht oder gar ‚friedliebend‘ ist. Er erreicht sein Ziel nur weniger direkt, sondern sozusagen auf Schleichwegen, und deshalb ist Smyslow besonders gefährlich.“[1]. Er selbst betont die Bedeutung der permanenten Suche nach einer harmonischen Figurenaufstellung für seinen Spielstil. Das Gespür für Harmonie ist nach Smyslows Ansicht entscheidend sowohl für das Schachspielen als auch für andere schöpferische Berufe, Künste und Wissenschaften.[2]

Er erlernte im Alter von 6 Jahren das Schachspielen von seinem Vater, der selbst ein starker Schachspieler der ersten Kategorie war. Zugleich erhielt er Unterricht im Klavierspielen, und entwickelte eine starke Leidenschaft für Musik. Der Vater versuchte, ihm von Anfang an ein Verständnis für Positionen mit wenigen Steinen zu vermitteln. Smyslow nimmt an, daß sich aus der genauen Kenntnis der Stärken und Schwächen der Schachfiguren in solchen „einfachen“ Stellungen das Gefühl für Harmonie entwickelt, welches den Schachspieler auch in komplizierten Stellungen die richtige Lösung finden läßt. Bis zum Alter von 14 Jahren spielte Smyslow nur zu Hause, und studierte die Meisterpartien und klassische Schachliteratur aus der Bibliothek seines Vaters, welche mindestens 100 Schachbücher umfaßte. Smyslow gibt keinen einzelnen Meister als Vorbild an, am meisten habe er jedoch vom Studium der Partien von Michail Iwanowitsch Tschigorin und Alexander Aljechin profitiert, welche immer den spezifischen Inhalt einer Stellung herauszufinden wußten.

Mit 14 Jahren nahm er an seinem ersten Turnier teil und erreichte die dritte Kategorie. In den Jahren 1935 bis 1936 besuchte er mit seinem Vater die internationalen Turniere in Moskau und konnte die Leichtigkeit des intuitiven Spiels von José Raúl Capablanca und den energievollen Kampf Emanuel Laskers beobachten.

In den folgenden 2-3 Jahren erreichte Smyslow die erste Kategorie und betrachtet seinen Stil seit dieser Zeit „toute proportion gardee“ als fertig ausgeformt.

Smyslow vergleicht seinen Musik- und Schachgeschmack und schreibt:

Die strikte Schönheit und Harmonie, die Ungezwungenheit und die Eleganz, die unfehlbare Intuition des Künstlers, die absolute Beherrschung der Technik und als Folge die absolute Unabhängigkeit ihr gegenüber - das ist mein Ideal. Auch im Schachspiel bin ich ein überzeugter Anhänger der klassischen Logik des Denkens. Eine Schachpartie muß die Suche nach der Wahrheit beinhalten. Der Sieg ist die Bestätigung dieser Wahrheit. Die größte Phantasie, die höchste Technik, das tiefste Verständnis der Psychologie sind nicht imstande, aus einer Schachpartie ein Kunstwerk zu machen, wenn sie nicht zum Hauptziel führen - der Suche mach der Wahrheit. Diese Eigenschaften weisen - einzeln genommen - nur auf die außerordentliche Begabung ihres Besitzers hin.[3]

Partiebeispiel

Sein Sieg mit Schwarz gegen Botwinnik in der 14. Partie des Wettkampfes 1954 ist einer der bekanntesten Smyslows. Sie ist unter anderem von Smyslow [4] und Garri Kasparow [5] analysiert worden:

1. d2-d4 Sg8-f6 2. c2-c4 g7-g6 3. g2-g3 Lf8-g7 4. Lf1-g2 0-0 Mit diesem Zug spielt Smyslow überraschend das erstemal die Königsindische Verteidigung, und verzichtet auf die für ihn bis dahin übliche Behandlung der Position mit 4. ... d7-d5, welche zur Grünfeldindischen Verteidigung führt 4. Sb1-c3 d7-d6 6. Sg1-f3 Sb8-d7 7. 0-0 e7-e5 8. e2-e4 c7-c6 Smyslow hatte diesen Zug für den Wettkampf vorbereitet, nachdem David Bronstein 1949 und 1951 zweimal so gegen Botwinnik gespielt hatte. Smyslow findet ihn stärker als 8. ... e5xd4, weil er die Zentrumsspannung aufrecht erhält. 9. Lc1-e3 Zwar hält Kasparow diesen Zug Botwinniks in seinem Kommentar für eine Neuerung, aber Smyslow war eine Vorläuferpartie bekannt. Aufgrund des schwarzen Antwortzuges wird heutzutage 9. h2-h3, 9. b2-b3 oder 9. d4-d5 gespielt. Kasparow mach daruf aufmerksam, daß Smyslow im Jahr 1980 als Schwarzer gegen Vladimir Bukal auf 9. h2-h3 nach den bekannten Zügen 9. ... Db8-b6 10. Tf1-e1 e5xd4 11. Sf3xd4 das Spiel mit 11. ... Sf6-e8! ausglich, was eine Verbesserung gegenüber dem bis dahin üblichen Zug 11. ... Tf8-e8 darstellt. Weil Smyslow zwischendurch die Königsindische Verteidigung nicht gespielt hatte, führt Kasparov diesen Fund bis auf dessen Vorbereitung von 1954 zurück. 9. ... Sf6-g4! 10. Le3-g5 Dd8-b6 11. h2-h3 Smyslow kannte diese Stellung aus einer Partie Andor Lilienthal-Alexander Konstantinopolski, Sotschi 1952, in welcher der Rückzug 11. ... Sg4-f6 geschah, und hatte eine Verbesserung entdeckt: 11. ... exd4! 12. Sc3-a4 Db6-a6 13. h5xg4 b7-b5 14. Sf3xd4 b5xa4 15. Nd4xc6 Während Smyslow die Lage des Weißen nach 15. b2-b3 Sd7-e5 16. Lg5-e7 Lc8xg4 17. f2-f3 Tf8-e8 18. Le7xd6 Ta8-d8 für schwierig hält, schätzt sie Kasparow nach den weiteren Zügen 19. c4-c5 Lg4-c8 als unklar ein, und weist auf die Möglichkeit 19. ... Se5-d3 20. Sd4xc6! hin. 15. ...Da6xc6 16. e4-e5 Dc6xc4 17. Lg2xa8 Sd7xe5 18. Ta1-c1 Auf 18. Lg5-e7 Lc8xg4 19. Dd1-d5 Tf8-e8 20. Le7xd6 Te8-d8 21. Dd5xc4 Se5xc4 verliert Weiß einen Läufer. Auf 18. Dd1xd6 schlägt Smyslow 18. ... Dc4xg4 vor. Dagegen weist Kasparov auf die Möglichkeit 19. Lg5-f6 hin, und bevorzugt stattdessen 18. ... Lc8xg4 19. La8-d5 Dc4-d3 mit Ausgleich. 18. ...Dc4-b4 Kasparow findet 18. ... Dc4-b5 „unangenehmer für Weiß“. 19. a2-a3 Während Smyslow diesem Zug ein Ausrufezeichen verleiht, weist Kasparow auf die Möglichkeit 19. Lg5-e7 Lc8xg4 20. Le7xd6! hin, worauf Schwarz 20. ... Db4-b6 21. Dd1-d5 Lg4-f3 22. Dd5-c5 Tf8xa8 23. Ld6xe5 Db6-e6 hätte finden müßen, um zu vermeiden, ein leicht schlechteres Endspiel verteidigen zu müßen. 19. ... Db4xb2 20. Dd1xa4 Lc8-b7! 21. Tc1-b1? Die Stellung nach 21. La8xb7 Db4xb7 22. Tc1-c3! h7-h6 23. Lg5-f4 Se5-f3+ 24. Tc3xf3 Dd7xf3 25. Lf4xd6 Tf8-d6 26. Ld6-c5 wäre ausgeglichen (Kasparow) bzw. „fast ausgeglichen“ (Smyslow). 21. ...Se5-f3+ 22. Kg1-h1 Lb7-a8 23. Tb1xb2 Sf3xg5+ 24. Kh1-h2 Sg5-f3+ 25. Kh2-h3 Lg7xb2 26. Da4xa7 La8-e4 27. a3-a4 Kg8-g7 28. Tf1-d1 Lb2-e5 29. Da7-e7 Tf8-c8! Die Aktivierung des Turmes ist entscheidend. 30. a4-a5 Tc8-c2 31. Kh3-g2 Sf3-d4+ 32. Kg2-f1 Ld5-f3 33. Td1-b1 Sd4-c6 Weiß gab auf.

Schachkomposition

Wassili Smyslow gratuliert Juri Awerbach
zum 80. Geburtstag und überreicht ihm ein Buch seiner Schachstudien

Seit 1938 hat Smyslow vereinzelt Studien publiziert. Auch einen Dreizüger von ihm aus den dreißiger Jahren gibt es. In den letzten zehn Jahren hat er verstärkt Endspielstudien komponiert, wobei er wegen seiner geringen Sehkraft faktisch blind ist. 48 seiner Studien wurden in einem Büchlein herausgegeben. Darin bemerkt er:

Abgesehen vom ästhetischen Genuss hilft die Studienkomposition zweifellos bei der Entwicklung und Vervollkommnung im Endspiel[6]
Wassili Smyslow
Quelle unbekannt, zwischen 1935 und 1938
a b c d e f g h
8 a8 b8 c8 d8 e8 f8 g8 h8 8
7 a7 b7 c7 d7 e7 f7 g7 h7 7
6 a6 b6 c6 d6 e6 f6 g6 h6 6
5 a5 b5 c5 d5 e5 f5 g5 h5 5
4 a4 b4 c4 d4 e4 f4 g4 h4 4
3 a3 b3 c3 d3 e3 f3 g3 h3 3
2 a2 b2 c2 d2 e2 f2 g2 h2 2
1 a1 b1 c1 d1 e1 f1 g1 h1 1
a b c d e f g h
Matt in 3 Zügen










Lösung:
1. Da8-h1 (droht 2.Dh8+ Kg6 3.Dg7 matt)
1. ... Kf6-e5 2. Kf8-e7 Sf1-g3/f7-f5/Sf1-d2 3.Dh1-a1/Dh1-h8/Dh1-h2 oder Dh1-a1 matt
1. ... Sf1-h2 2. Dh1-a1+ e6-e5/Kf6-g6 3.Da1-a6/Da1-g7 matt


Sänger

Smyslow ist auch ausgebildeter Opernsänger. Seit 1948 nahm er mehrere Jahre Unterricht bei Professor Konstantin Wasiliewitsch Slobin und an einem Gesangswettbewerb im Moskauer Bolschoi-Theater teil. Als lyrischer Bariton hat er in Rußland Schallplatten und CDs mit Opernarien und klassischen Romanzen aufnehmen lassen.[7]. Bis zu seinem 80. Lebensjahr gabe er Konzerte.[2] Als ein musikalisches Vorbild benennt er Enrico Caruso.[8]

Privat

Smyslow ist mit Nadeschda Andrejewna Smyslowa verheiratet.

Werke

  • Ausgewählte Partien (1954)
  • Theorie und Praxis der Turmendspiele (1985, zusammen mit G. Löwenfisch)
  • Meine 130 schönsten Partien von 1938 - 1984 (Schachverlag Rudi Schmaus, Heidelberg 1988)
  • Die Kunst des Endspiels (1996, ISBN 3-86155-076-8)
  • Geheimnisse des Turmendspiels (2006, ISBN 3-283-00520-6)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. zitiert nach: Schach 11 1993, S.60
  2. a b D. Kohlmeyer: Das Wichtigste ist die Harmonie. Interview mit Exweltmeister Wassili Smyslow, ChessBase 2004
  3. Smyslow: Meine 130 schönsten Partien von 1938 - 1984, Seite 9
  4. Wassily Smyslow: Meine 130 schönsten Partien, Heidelberg 1988, S. 83-85
  5. Analyse von Garri Kasparov auf chessbase.de
  6. Smyslow, Wassili Wassiljewitsch: Meine Studien, Isdatelstwo 64, Moskau, 2000, S. 417, ISBN 5-94046-001-1 (russisch)
  7. Schach-Fragen: Wassili Smyslow, Schach 4 2001, Seite 64-65
  8. Smyslow: Meine 130 schönsten Partien von 1938 - 1984, Seite 22

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