Britisch-französische Union

Britisch-französische Union

Die Französisch-Britische Union war ein nie verwirklichtes Projekt zur Errichtung einer Föderation zwischen Großbritannien und Frankreich bzw. gar zur Vereinigung beider Staaten, das im 20. Jahrhundert zweimal vorgeschlagen wurde: 1940 von britischer und 1956 von französischer Seite.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Bezüglich der Verbindung der beiden Ländern Frankreich und Vereinigtes Königreich ist als Vorgeschichte interessant, dass die englischen bzw. britischen Könige 500 Jahre (von ca. 1340 bis 1802) Anspruch auf den französischen Thron erhoben und alle Könige in dieser Zeit auch den Titel "König/Königin von Frankreich" (King/Queen of France) trugen. Dies liegt im Anspruch des Hauses Lancaster, das von den Normannen abstammte auf den französischen Thron begründet, den die Engländer im Hundertjährigen Krieg (1339-1453) vergeblich durchzusetzen versuchten (Damals war Französisch auch die übliche Sprache des Königshauses und des Adels in England) Erst im Gefolge der Französischen Revolution sowie des Act of Union 1800 verzichtete Georg der Dritte aus dem Haus Hannover im Vertrag von Amiens 1802 de jure auf den französischen Thron.

Hintergrund: Die historischen Beziehungen zwischen Frankreich und Großbritannien

Seit der Niederlage der Engländer im Hundertjährigen Krieg galten Frankreich und England als "natürliche Feinde" im Konzert der europäischen Großmächte. Sie standen sich im Spanischen Erbfolgekrieg und im Siebenjährigen Krieg ebenso gegenüber wie in den Koalitionskriegen, als Napoléon Bonaparte vergeblich versuchte, die "Inselfestung" England einzunehmen. Erst mit der Unterzeichnung der gegen die imperialistischen Bestrebungen des Deutschen Kaiserreiches gerichteten entente cordiale (wörtlich: herzliche Übereinkunft) im Jahre 1904 verbesserten sich die Beziehungen beider Länder und in beiden Weltkriegen waren sie Verbündete. Jedoch blieben nach dem Scheitern der unten näher beschriebenen Unionsbestrebungen die Beziehungen recht unterkühlt, was sich zuletzt an der Kontroverse über den Irak-Krieg gezeigt hat. Oftmals werden als Gründe hierfür die Mentalitätsunterschiede zwischen beiden Ländern angeführt:

- Konstitutionelle Monarchie (mit starker Betonung von gesellschaftlichen Rangunterschieden und Traditionen)
- Philosophische Tradition des Empirismus (Thomas Hobbes, John Locke)
- Wirtschaftsliberale Ideen (nach den Prinzipien des Thatcherismus)
- Neigung zur engen außenpolitischen Zusammenarbeit mit den USA aufgrund gemeinsamer Sprache, Geschichte und Werte („Atlantiker“)
- Republik nach den Idealen der Französischen Revolution (Liberté, Egalité, Fraternité)
- Starke Betonung von sozialer Gerechtigkeit, hoher Einfluss der Gewerkschaften, oft grundsätzliche Kritik am Kapitalismus
- Neigung zum Rationalismus, z.B. zu zentraler Planung (René Descartes, Voltaire)
- Wille zu einer eigenständigen Außenpolitik mit deutlicher Angrenzung zu den USA (militärischer Rückzug aus dem Verteidigungsbündnis NATO durch de Gaulle 1966)

Auch wenn diese Charakterisierungen heute häufig nicht mehr zutreffen, werden sie doch oft noch als Gründe dafür genannt, warum das Verhältnis beider Länder im Gegensatz zu dem der ehemaligen Kriegsgegner Deutschland und Frankreich offiziell zwar freundschaftlich, auf der Ebene der Bevölkerung aber oft von Vorurteilen belastet ist. So gelten die Briten (les rosbifs) den Franzosen als schmutzig und primitiv, die Franzosen (the frogs) den Briten als faul und unzuverlässig. Seit der Eröffnung des Eurotunnels im Jahr 1994 allerdings haben viele Briten ihre Vorliebe für Frankreich als relativ günstiges Einkaufs- und Reiseland entdeckt, was zu einem positiveren Image des Nachbarn geführt hat.

Ansätze im 20. Jahrhundert

Versuch 1940

Nachdem die deutsche Wehrmacht nach der französischen Kriegserklärung an Deutschland die französische Armee entscheidend geschlagen hatte, schlug Winston Churchill 1940 eine Union zwischen Frankreich und Großbritannien vor. Die beiden Regierungen sollten eine französisch-britische Union (Franco-British Union) deklarieren. Vorgesehen waren gemeinsame Institutionen für Verteidigung, Außenpolitik, Finanzen und Wirtschaft sowie ein gemeinsamer Staatshaushalt. Während des Krieges sollte ein Kabinett regieren, dieses sollte das Oberkommando über die gemeinsamen Streitkräfte haben. Die beiden Parlamente sollten sich zusammenschließen, der Regierungssitz sollte am bestmöglichen Platz sein.

Englische Motive 1940 waren

  • das Ausmaß der Kollaboration der Franzosen mit den Deutschen sowie
  • der beginnenden Luftkrieg über England

Churchill hoffte, mit einer Union mit Frankreich die Franzosen so auf Linie halten zu können. Während die mit den Nazis kollaborierende nationalistische Regierung von Marschall Pétain das Angebot ablehnte und sich am deutschen Angriff auf England beteiligte (Vive la France, mort à l'Angleterre!), war Charles de Gaulle im Londoner Exil dieser Idee (notgedrungen) ebenfalls zugeneigt. Nach Kriegsende unternahm jedoch 11 Jahre lang keine der Seiten etwas in diese Richtung (sowohl Churchill als auch de Gaulle verloren bald nach Kriegsende ihre Machtposition).

Versuch 1956

Der französische Premierminister Guy Mollet machte 1956 in London erneut den Versuch, den Briten den Anschluss Frankreichs an das Vereinigte Königreich schmackhaft zu machen. Die Pariser Diplomaten hatten hierzu als gemeinsamen Namen den für die heutige Zeit ziemlich albernen Ausdruck Frangleterre (France = Frankreich; Angleterre = England) vorgeschlagen. Diesmal lehnten die Briten dankend ab: Obwohl der konservative und frankophile Premierminister Anthony Eden dem Vorschlag seines sozialistischen und anglophilen Amtskollegen nicht abgeneigt war, räumten die Beamten des Außenministeriums dieser marriage cordiale keinerlei Realisierungschancen ein. Der Vorfall kam erst 2006 durch Aktenstudien in Großbritannien zum Vorschein, offensichtlich gibt es in Frankreich hierzu keine Unterlagen mehr. Alternativ wollte Frankreich dem Commonwealth beitreten. Grundlage war eine gemeinsame Staatsbürgerschaft sowie Elisabeth II. als gemeinsames Staatsoberhaupt. Auch das wurde abgelehnt.

Französische Motive 1956 waren (siehe Quellen):

  • die desolate wirtschaftliche Nachkriegssituation in Frankreich, insbesondere im Gegensatz zu Deutschland
  • die bedrohliche Situation in den nordafrikanischen Kolonien, nachdem Nasser die Separatisten in Algerien unterstützte
  • der Aufstieg der USA und der UdSSR als Nachkriegs-Supermächte, die Großbritannien und insbesondere Frankreich in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit zu katapultieren drohten
  • Spannungen zwischen Jordanien und Israel mit Großbritannien als Verbündeter Jordaniens und Frankreich als Verbündeter Israels hätten zu einem Konflikt zwischen beiden Ländern führen können.

Großbritannien hatte infolge des allmählichen Verlusts seines Kolonialreichs (Unabhängigkeit Indiens und Pakistans 1949) ähnliche politische und wirtschaftliche Probleme, beide Staaten fürchteten ein allzu starke weltpolitische Rolle des wirtschaftlich erstarkenden West-Deutschland, das sie aufgrund der Erfahrungen des erst wenige Jahre zurückliegenden Krieges als Bedrohung wahrnahmen.

Interessant ist, dass Frankreich nach der britischen Ablehnung kaum ein Jahr später mit den früheren Feinden (Deutschland und Italien) die Verträge über Kohle und Stahl unterzeichnete (was später in die EG bzw. EU mündete). Es war schließlich de Gaulle, der sich in seiner Amtszeit als Präsident (1958-1969) für die Aussöhnung mit Deutschland (Élysée-Vertrag 1963) und ein „Europa der Nationen“ ohne britische Beteiligung (zweifaches Veto gegen den Beitritt der Briten zur EWG) aussprach.

Quellen


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