Bürgergarde

Bürgergarde

Die Bürgerwehr oder Bürgergarde (franz. garde bourgeoise) ist eine im 19. Jahrhundert aus der Waffenpflicht der Bürger zur Verteidigung ihrer Stadt hervorgegangene militärähnliche Einrichtung. Die Bürgerwehren waren in der Märzrevolution von entscheidender Bedeutung. Mit der Entwicklung der stehenden Heere verloren die Bürgerwehren ihre Bedeutung und waren seither vielerorts nur Soldatenspiele. Es gab aber auch einige bedeutende Einsätze. So zeichnete sich zum Beispiel die von Joachim Nettelbeck kommandierte Bürgerwehr von Kolberg bei der Verteidigung ihrer Stadt 1806-1807 ruhmvoll aus.

In Gemeinden, die sich unsicher fühlten, wurden gelegentlich Bürgerwehren improvisiert, was eine nicht immer unbedenkliche Entwicklung war auch im Hinblick auf den Vigilantismus in den USA. Die hier behandelten Bürgerwehren sind damit nicht vergleichbar und können spätestens seit dem Ende des Ersten Weltkrieges als folklorististische Vereinigungen eingestuft werden.

Inhaltsverzeichnis

Berlin

Am 16. Oktober 1848 sollte die Entlassung von einigen Arbeitern des Luisenstädtischen Kanals erfolgen.

Bürgerwehr schießt auf die Arbeiter am 16. Oktober 1848

Da die Behörden mit Widerstand rechneten, waren in dem benachbarten Exerzierhaus eine Abteilung Schutzmänner und ein Bataillon der Bürgerwehr aufgestellt worden. Eine Gruppe der Arbeiter wollte demonstrativ in die Stadt ziehen, wurden aber von der Bürgerwehr daran gehindert. Die Situation eskalierte. Es kam zu Schimpfworten und gegenseitigen Drohungen, letztendlich zu Steinwürfen, worauf die Bürgerwehr auf die Arbeiter schoss.

Es wurden drei Arbeiter getötet, zwei weitere starben an den Verletzungen. Die Toten wurden durch die Stadt getragen, wobei es wiederum zu Schießereien kam und nochmals zwei Arbeiter getötet wurden. Daraufhin errichteten die Arbeiter nachmittags Barrikaden in der Köpenicker, Dresdener, Roß- und Alten Jakobstraße. Die Bürgerwehr stürmte diese Barrikaden, wobei nochmals drei Arbeiter getötet wurden. Auch ein Bürgerwehrmann kam ums Leben, als er eine auf der Barrikade wehende Fahne herunterreißen wollte und in das Gewehrfeuer der eigenen Leute lief. Am 20. Oktober 1848 wurden die gefallenen Arbeiter auf dem Friedhof vor dem Halleschen Tor unter großer Teilnahme, übrigens auch der meisten Bataillone der Bürgerwehr, bestattet.

Bürgerwehren in Südwestdeutschland

Vor allem in den südwestdeutschen Ländern Baden, Württemberg und Hohenzollern blicken die Bürgergarden auf Jahrhunderte alte Traditionen als Stadtverteidigungen zurück bzw. entstanden Bürgerwehren im Gefolge der Märzrevolution 1848/49. Militärisch gesehen hatten sie keine große Bedeutung, denn die Ausrüstung war meist völlig unzureichend und höchstens dazu geeignet, Störenfriede einzuschüchtern. Psychologisch aber war der 1848 ergangene Befehl zur Bildung von Bürgerwehren von großer Bedeutung, denn sie vermittelten der Bevölkerung neben dem subjektiven Eindruck gewisser Sicherheit auch das Gefühl, von ihrer Herrschaft endlich ernst genommen zu werden.

Auslöser der Märzrevolution in Deutschland war die Februarrevolution 1848 in Frankreich, die zur Absetzung des Königs und zur Ausrufung der Zweiten französischen Republik führte. Da die neue bürgerliche Regierung aus innenpolitischen Gründen die Verträge von 1815 als Schmach bezeichnete, befürchteten die deutschen Fürsten einen Feldzug der Franzosen zur Rückgewinnung damals verlorener Gebiete. So lenkten sie ein, hoben die Karlsbader Beschlüsse und damit die Zensur auf und willigten ein, eine Nationalversammlung nach Frankfurt am Main einzuberufen. Damit verschafften sie sich eine Entspannung der revolutionären Lage.

Württemberg und Hohenzollern

Württemberg war 1806 zum Königreich erhoben worden und erhielt von Napoleon Oberschwaben und viele ehemalige kirchliche Gebiete zugesprochen. Es war festgelegt, dass der seit dem Mittelalter herrschende Feudalismus abgeschafft würde. 15.800 württembergische Soldaten [1] nahmen an Napoleons Feldzug nach Russland teil. Nur dreihundert von ihnen kamen 1813 wieder lebend in die Heimat zurück. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig, spätestens nach der Schlacht bei Waterloo und dem Wiener Kongress 1815 folgte die Restauration, d.h. die Herstellung vorrevolutionärer Zustände und die Unterdrückung freiheitlicher Bestrebungen. Auch in Württemberg wurde danach verfahren, wenn auch nicht so rigoros wie in anderen deutschen Ländern.

Fahne der Ravensburger Bürgerwehr, geweiht am 3. Juni 1849

In Württemberg und Hohenzollern kam es im März 1848 an vielen Orten zu gewalttätigen Ausschreitungen, insbesondere der Bauernschaft, gegen die Feudalherrschaft. Ende März 1848 verbreitete sich in Windeseile das Gerücht, vierzigtausend Franzosen seien nach Baden eingedrungen, brandschatzten Wolfach und seien auf dem Marsch nach Osten. Jetzt endlich, quasi innerhalb weniger Tage, beschloss der württembergische Landtag die Ablösung der Lehnsherrschaft. Zur Abwehr der französischen Invasion wurde landesweit die Aufstellung von Bürgerwehren verfügt. Auch als sich das Gerücht als unwahr herausstellte, wurde nach dem Beispiel der Schweiz mit dem Aufbau von regulären Bürgerwehren begonnen. Jeder selbständige Bürger war zum Dienst verpflichtet. Mangels Waffen, Koordination und Ausbildung blieb es aber in den meisten Orten eine heterogene Veranstaltung, die sich bereits 1849 größtenteils von selbst wieder auflöste.

Einige Bürgerwehren blieben jedoch bestehen und wurden nach und nach zur Folklore. Jährlich kommt es heutzutage zu einem großen Landestreffen, wo die einzelnen Kompanien im Umzug mitmarschieren und paradieren, häufig begleitet von Spielmannszügen. Lokal treten sie bei der Fronleichnamsprozession, an der Kirchweih und bei Stadtfesten in Erscheinung.

Die historischen Bürgerwehren in Württemberg und Hohenzollern haben sich im Landesverband Historischer Bürgerwehren und Stadtgarden Württemberg und Hohenzollern e. V. zusammengeschlossen. Mitglied können nur Bürgerwehren werden, die nachweisen können, dass eine lange Tradition besteht oder wieder begründet wird. Die Uniformen erinnern oft an die der Kaiserzeit.

Baden

Der Markgraf von Baden hatte sich ebenfalls als treuer Vasall Napoleons gezeigt und dafür sein bisheriges Staatsgebiet deutlich ausdehnen können. In Anbetracht der unmittelbaren Nähe zur französischen Grenze und eingedenk vieler voraus gehender Invasionen französischer Armeen waren Milizen und Bürgerwehren etabliert, bzw. soweit schon vorhanden, akzeptiert worden, wenn auch unter dem recht wachsamen Auge der Herrschaft.

Nach Rückkehr vom Frankfurter Vorparlament, wo sich der Radikaldemokrat Friedrich Hecker mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzen konnte, lösten er und Gustav von Struve die badische Revolution aus. Nach der verlorenen Schlacht bei Kandern floh Hecker in die nahe Schweiz und wanderte in die USA aus. Mit der Einnahme der Festung Rastatt durch preußische Truppen war im Juli 1849 der Aufstand endgültig niedergeschlagen. Da diverse badische Bürgerwehren auf Seiten der Aufständischen teilgenommen hatten, wurden bereits 1848 alle Bürgerwehren des Landes verboten. Manche überlebten in Nachfolge-Organisationen wie z.B. Feuerwehren.

Die historischen Bürgerwehren in Baden haben sich im Landesverband der Bürgerwehren und Milizen Baden/ Südhessen e.V. organisiert.

Bayern

1807 wurden die alten Bürgerwehren in das Bürgermilitär umgewandelt, das nun in allen Städten und Marktgemeinden in ganz Bayern eingeführt wurde. Weitere Umorganisationen und schließlich die Ausdehnung auch auf das "platte Lande" erfolgten 1809 und 1813. Die Bezeichnung Landwehr findet sich seit 1814. Das Bürgermilitär ist von seiner Funktion eher der Polizei als der Bayerischen Armee zuzuordnen. Es durfte nur in der Stadt oder im Bezirk seines Landgerichts eingesetzt werden. Erst die Landwehr-Ordnung von 1826 sieht einen wirklichen Kriegseinsatz vor, der aber nur 1866 stattfand. Das Bürgermilitär wurde 1869 aufgelöst. Die Bürgerwehr von Königsberg in Bayern rühmt sich, die einzige in Bayern zu sein, die bereits 1848 entstand. Königsberg liegt allerdings in einer Region, die erst 1920 bayerisch wurde.

Die übrigen im dortigen Landesverband zusammengeschlossenen Vereine sind Traditionsvereine, deren Ursprünge meist auf reguläre königlich bayerische oder fürstliche Verbände zurückzuführen sind. Siehe Gebirgsschützen

Tirol

Sowohl in Österreich als auch in Südtirol werden vergleichbare Traditionen u.a. von den Tiroler Schützen gepflegt.

Allgemein

Die genannten Landesverbände akzeptieren als Mitglieder nur Vereine, die nachweisen können, dass sie über eine lange Tradition verfügen bzw. dass sie die Tradition untergegangener Verbände wieder aufleben lassen. Außerhalb der genannten Landesverbände sind Bürgerwehren unter diesem Namen eher selten und dann meist karnevalistischer Natur. In Bayern und Österreich sowie Südtirol treten die den Bürgerwehren vergleichbaren Vereine u.a. unter der Bezeichnung "Schützenkompanien" auf.

Im Dritten Reich wurden vereinzelt Bürgerwehren der SA angegliedert. 1945 wurden den Bürgerwehren ihre meist aus dem 1. Weltkrieg stammenden Karabiner konfisziert. Bereits 1948 gelang in Württemberg die Reorganisation, geduldet von den französischen Besatzern. Die Schweiz lieferte ihnen dort ausgemusterte, aber noch brauchbare Gewehre, die seitdem in fast allen angeschlossenen württembergischen Bürgerwehren ausschließlich für die Parade und das Salutschießen eingesetzt werden. 1951 billigten die US-Besatzer die Neukonstituierung bayerischer Verbände.

Historische Bürgerwehren und Bürgergarden

(Berücksichtigt werden in dieser Aufstellung nur Bürgerwehren und Garden, die von einem der genannten Landesverbände als Traditionsvereine anerkannt wurden)

PLZ / Ort Land Name seit/neu
88361 Altshausen Wttbg Bürgergarde zu Pferd "Gelbe Husaren" Altshausen 1744/1930
88279 Amtzell Wttbg Bürgerwehr Amtzell bzw. Justini-Grenadiere 1774
97980 Bad Mergentheim Wttbg Histor. Schützencorps Bad Mergentheim 1824/2001
77740 Bad Peterstal Baden Bürgermiliz Bad Peterstal 17.Jh./1860
72574 Bad Urach Wttbg Historische Bürgerwehr Urach 1848/1972
64625 Bensheim Hessen Heimatverein "Oald Bensem" e.V. 1810
75015 Bretten Baden Bürgerwehr Bretten 1822/1924
56812 Cochem R-Pfalz Cochemer Bürgerwehr 1848/1949
75564 Crailsheim Wttbg Bürgerwache Crailsheim 1830 e.V. 1830
89165 Dietenheim Wttbg Bürgerwehr Dietenheim 1313/1949
78166 Donaueschingen Baden Fürstl. Fürstenbergische Füsiliergarde 1732 1732
89584 Ehingen/Donau Wttbg Histor. Bürgerwache Ehingen um 1230
73479 Ellwangen Wttbg Bürgergarde Ellwangen 1439/1958
78234 Engen Baden Bürgerwehr Engen 1504 1812
73728 Esslingen/Neckar Wttbg Bürgergarde Esslingen 1820/1955
76275 Ettlingen Baden Historische Bürgerwehr Ettlingen 1715 eV 1715/1927
79098 Freiburg Baden Historische Freiburger Bürgerwehr 1293/1954
88045 Friedrichshafen Wttbg Bürgergarde Friedrichshafen 14.Jhd/1962
77723 Gengenbach Baden Bürgergarde Gengenbach e.V. 1812
77716 Haslach Baden Historische Bürgerwehr Haslach e.V. 1813/1990
72379 Hechingen W-Hohenz. Historische Bürgergarde Hechingen e.V. 1255/1950
78183 Hüfingen Baden Bürgerwehr Hüfingen 1741 1741
73480 Hüttlingen Wttbg Bürgergarde Hüttlingen 1849/1985
76131 Karlsruhe Baden Historische Bürgerwehr Karlsruhe 1721
97486 Königsberg Bayern Bürgerwehr 1848 Königsberg 1848
88069 Laimnau Wttbg Bürgerwehr Laimnau 1840
73466 Lauchheim Wttbg Bürgerwehr Lauchheim 1431/1910
88512 Mengen Wttbg Bürgerwache Mengen 1276/1826
88441 Mittelbiberach Wttbg Bürgermilitärcorps Mittelbiberach 1599
89597 Munderkingen,Donau Wttbg Fronleichnam-Grenadiers von 1870 1618/1870/2006
73765 Neuhausen a.d.Fildern Wttbg Bürgergarde Neuhausen 1805
88239 Niederwangen Wttbg Bürgerwehr Niederwangen 1848
77784 Oberharmersbach Baden Historische Bürgerwehr Oberharmersbach e.V. 1660/1862
88416 Ochsenhausen Wttbg Königsdragoner Ochsenhausen 1686
88214 Ravensburg Wttbg Bürgergarde der Stadt Ravensburg 1830 ?/1995
78479 Reichenau Baden Bürgerwehr Insel Reichenau 1108
88499 Riedlingen,Donau Wttbg Bürgerwehr Riedlingen e.V. ?/2005
72108 Rottenburg a. Neckar Wttbg Bürgerwache Rottenburg 1314/1852
88348 Bad Saulgau Wttbg Stadtgarde zu Pferd Saulgau um 1750/1926
88348 Bad Saulgau Wttbg Bürgerwache Saulgau 1320/1819
72355 Schömberg Wttbg Bürgergarde Schömberg 1537/1967
74523 Schwäbisch Hall Wttbg Siederschützenkompanie Schwäbisch Hall ?/1981
72488 Sigmaringen W-Hohenz Hohenzollern-Kürassiere Sigmaringen 1664/1984
78354 Sipplingen Baden Bürgermiliz Sipplingen e.V. 1540
70173 Stuttgart Wttbg Stadtgarde zu Pferd Stuttgart 1652
79761 Waldshut-Tiengen Baden Bürgerwehr Tiengen MA / 1963
72818 Trochtelfingen W-Hohenz Bürgerwehr Trochtelfingen 16.Jhd/1957
72070 Tübingen Wttbg Stadtgarde zu Pferd Tübingen 1514
78048 Villingen-Schwenningen Baden Historische Bürgerwehr Villingen 1810 e.V. 1774
88289 Waldburg Wttbg Bürgerwehr Waldburg 1848
79183 Waldkirch Baden Histor. Bürgerwehr Waldkirch 1804/1933
88250 Weingarten Wttbg Stadtgarde zu Pferd Weingarten 1646/1953
69469 Weinheim Baden Bürgerwehr "Alt Weinheim" 1934
69257 Wiesenbach Baden Bürgerwehr Wiesenbach 1955 e.V. 1681/1965
77709 Wolfach Baden Bürgerwehr Wolfach 1827 e.V. 1827/1976
77736 Zell am Harmersbach Baden Freiwillige Bürgerwehr Zell am Harmersbach 1803/1862


Siehe auch

Anmerkungen

  1. Daniel Hohrath und Christoph Rehm: Der Preis der neuen Kronen. Württemberg und Baden als Vasallen Napoleons. Der Rheinbund von 1806. Begleitband zur Sonderausstellung im Wehrgeschichtlichen Museum Schloß Rastatt, 2006, ISBN 3-9810460-1-3, S. 88

Literatur

  • Werner Heinz: "Mitbürger, greifet zu den Waffen" Die Revolution von 1848/49 in Oberschwaben, Universitätsverlag Konstanz 1998, ISBN 3-87940-618-9
  • Dietmar Sommer/Wolfgang Stooß: "Bürger im Bunten Rock, Historische Bürgerwehren und Stadtgarden Württemberg-Hohenzollern", Studiodruck GmbH Nürtingen, 2002(?).
  • Streckfuß, Adolf: 500 Jahre Berliner Geschichte, Berlin 1886, 2. Bd., S. 1144/1145

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