- Bürgergutachten
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Auf eine möglichst repräsentative Beteiligung der gesamten Bevölkerung setzt das Modell Planungszelle/Bürgergutachten, das von dem Wuppertaler Soziologieprofessor Peter C. Dienel entwickelt wurde.
Inhaltsverzeichnis
Entwicklung des Begriffs
Die heute eher "Bürgergutachten" genannte Planungsverfahren durch eine zufällige Bürgerauswahl ist in den 70er Jahren von Peter C. Dienel (Bergische Universität Wuppertal) als "Planungszelle" entwickelt worden. Die aufgabenorientierte, aber radikal befristete Mitarbeit, die dieser Partizipationsbaustein dem Einzelnen ermöglicht, macht die mitsteuernde Teilhabe am Staat, die der Bevölkerung mit dem griechischen Begriff "Demokratie" ja zugesagt ist, für diese überraschend in der von vielen erhofften Breite erlebbar. Im Vordergrund steht heute allerdings zunächst noch der Einsatz der Planungszelle zur Verbesserung, Beschleunigung und auch Verbilligung eines aktuellen Vorhabens der Planung.
Definition
Eine Planungszelle ist eine Gruppe von ca. 25 im Zufallsverfahren ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, die für ca. eine Woche von ihren arbeitsalltäglichen Verpflichtungen freigestellt werden, um in Gruppen Lösungsvorschläge für ein vorgegebenes Planungsproblem zu erarbeiten. Die Ergebnisse ihrer Beratungen werden in einem so genannten Bürgergutachten zusammengefasst und den politischen Entscheidungsinstanzen als Beratungsunterlage zur Verfügung gestellt. Die Lösungsvorschläge des Bürgergutachtens werden, wie sich immer wieder zeigt, von den nicht teilnahmeberechtigten Bewohnern des Einzugsbereiches eines Planungszelle-Projektes ("Mantelbevölkerung") als unvoreingenommen neutral akzeptiert. Sie werden dann auch von der Politik und der Verwaltung für ihre Planungen übernommen.
Verfahren
Bei ihren Beratungen werden die im Zufallsverfahren ausgewählten Bürgerinnen und Bürger (ab 16 Jahren) von einer kompetenten Prozessbegleitung (Moderation) unterstützt. Die für die Beurteilung der Fragestellung erforderlichen Informationen gewinnen sie durch Anhörung und Befragung von Fachleuten und Vertreter(inne)n der jeweils relevanten Interessengruppen. Bei ihrer Auswahl wird darauf geachtet, dass möglichst alle in der Sache kontroversen Meinungen vertreten sind und dargestellt werden können. Bei den Bewertungen der Bürgerinnen und Bürger sind die Fachleute und Interessenvertreter(inne)n nicht zugegen.
Nach einem Input für die Gesamtgruppe einer Planungszelle (etwa 25 Teilnehmer) beraten Kleingruppen von 4 bis 6 Teilnehmern eine konkrete Fragestellung und einigen sich - ohne Vorgaben oder Steuerung durch die Moderation - auf ihnen wichtige Punkte / Aussagen / Positionen. Nach einer Beratungszeit von etwa einer Stunde werden die Ergebnisse der Kleingruppen vorgetragen. Am Ende einer Arbeitsphase bewerten die Teilnehmer alle vorgetragenen Positionen nach ihrer Zustimmung / Wichtigkeit. Durch dieses Verfahren ist gewährleistet, dass sich keine Meinungsführerschaft herausbildet, wie dies in offenen Diskussionen in großer Runde schnell passiert.
Um die Repräsentativität zu erhöhen, arbeiten in der Regel immer mehrere Planungszellen parallel zum selben Thema; bei zwei Planungszellen, die um eine Stunde versetzt arbeiten, können die Referenten beiden Gruppen hintereinander zur Verfügung stehen.
Wirkungen
Die angemessene Dimensionierung und Konkretheit der Aufgabenstellung gewährleisten eine hohe Kompetenz und Informiertheit der Mitwirkenden. Auffallend ist die Ernsthaftigkeit, mit der die Bürgergutachter die ihnen vorgelegten Fragen erörtern.
Ergebnisse
Das Verfahren ist in den letzten Jahren sowohl auf kommunaler als auch auf überregionaler Ebene zu höchst unterschiedlichen thematischen Fragestellungen erfolgreich angewandt worden, so u.a. zur Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs in Hannover, zur Klärung seit vielen Jahren ungelöster und umstrittener Planungsfälle sowie in der Technikfolgenabschätzung, und hat den politischen Entscheidungsinstanzen und Auftraggebern jeweils wertvolle Empfehlungen und Hinweise gegeben.
Durch die Zufallsauswahl wird eine ungewöhnlich breit gestreute Teilnehmerschaft erreicht. Frauen und Männer sind entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten, ebenso die unterschiedlichen Altersgruppen. Angehörigen schwer abkömmlicher Berufsgruppen wird die Teilnahme durch berufliche Freistellung erleichtert, für Personen mit Pflegeverantwortung wird nach einer Vertretung gesucht. In Fällen, in denen die Teilnahme z.B. wegen Behinderung für die ausgewählte Person nicht möglich war, wurde sie von einem Helfer oder einer Helferin unterstützt. Bei sprachlichen Problemen ausländischer Teilnehmender halfen »Dolmetscher«, bereits besser deutsch sprechende Familienangehörige.
In den bisherigen Anwendungsfällen wurden auch Menschen erreicht, die vorher noch nie an einer politischen Veranstaltung oder einem Seminar teilgenommen hatten. Außerdem brachte es Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen (Meinungs-)Gruppen ins Gespräch, die sich sonst kaum begegnen würden, und führte zu vielfältigen Prozessen sozialen Lernens.
Das Verfahren ist prinzipiell auf allen Entscheidungsebenen einsetzbar. Wegen der mit seiner Durchführung verbundenen relativ hohen organisatorischen und finanziellen Kosten wird der Einsatz von Planungszellen gleichwohl auch in Zukunft eher auf größere Projekte bzw. Entscheidungsfragen beschränkt bleiben.
Weiterentwicklung
Timo Rieg überträgt das Arbeitsprinzip der Planungszellen / Bürgergutachter auf die Parlamentsarbeit und tritt für einen Ersatz gewählter Parteien-Parlamente durch Bürger-Parlamente ein, die in vielen parallelen Planungszellen arbeiten.[1]
Siehe auch
Literatur
Einzelnachweise
- ↑ Rieg, Timo: Verbannung nach Helgoland - Reich und glücklich ohne Politiker, Bochum/Berlin 2004, ISBN 3-928781-11-1
Basistexte
- Peter C. Dienel: Die Planungszelle. Der Bürger als Chance, Wiesbaden, 5. Auflage 2002
- Horst Bongardt: Die Planungszelle in Theorie und Anwendung, Stuttgart 1999
Weblinks
- Forschungsstelle Bürgerbeteiligung an der Uni Wuppertal: http://www.planungszelle.uni-wuppertal.de
- Gesellschaft für Bürgergutachten: http://www.buergergutachten.com
- Planungszellen und Bürgergutachten nach Dienel http://www.planungszelle.de
- Planungszellen als Parlamente http://www.politik-poker.de/demokratie-fuer-deutschland.php
- Forum Bürgerbeteiligung (forum b): http://www.forumb.de
- Büro für Beteiligungsverfahren: http://www.zukunft-vor-ort.de
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