Brückenliteratur

Brückenliteratur


Brückenliteratur ist ein literarisches Genre. Ihr Gegenstand ist die Darstellung der Erfahrung von Schriftstellern, die sich zwischen mehreren Kulturen bewegen. Ein solcher schriftstellerischer Blick auf beide Gebiete erfolgt durch multikulturelle, transkulturelle sowie interkulturelle Erfahrungen aus einer mehrfach reflektierten Perspektive.

Inhaltsverzeichnis

Ziel

Ziel der Brückenliteratur ist, Brücken der Anerkennung und der Verständigung zwischen den Kulturen der Welt zu schlagen. Hierzu gehört die Aufklärung über andere Kulturgebiete ebenso wie die Wahrnehmung des neuen, eigenen Lebensraumes. Dabei wird auf keiner Seite vorbehaltlose Zustimmung zu Personen oder Sachverhalten, sondern eine kritisch-konstruktive Sicht auf die Dinge gepflegt, die Klischees und Vorurteile entlarvt. Die Intention von Brückenliteratur, die den Reflexions- und Reifeprozess von Personen nachzeichnet, ist in die didaktische Skala einzuordnen.

Themen

Thematisch behandelt Brückenliteratur alle Bereiche des Lebens, in denen Menschen sich zwischen den Kulturen bewegen, wie soziales Umfeld, Arbeit, Studium. Da die Autoren häufig Wanderer zwischen unterschiedlichen Ländern sind, werden vielfach Migrationsschicksale und Erfahrungen im Integrationsprozess dargestellt. Auch wenn sich immer wieder Autoren in unterschiedlichen Epochen mit der Thematik beschäftigt haben, erfolgte während der Migrationsbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere nach der Einwanderung von Gastarbeitern mit islamischem Hintergrund, eine Renaissance des Genres.

Vorläufer, Entstehung

Mit seinem Werk „West-östlicher Diwan“ war Johann Wolfgang Goethe einer der ersten prominenten Vertreter der Brückenliteratur. In diesem Werk inszeniert sich Goethe mit dem von ihm verehrten persischen Dichter Hafis; dies allerdings nur im Geiste, da Hafes gute vierhundert Jahre vor Goethe lebte. Der bekannte Spruch „Gottes ist der Orient/Gottes ist der Okzident/Nord- und südliches Gelände/Ruht im Frieden seiner Hände“ kann als Leitspruch der Funktion von Brückenliteratur gelten: er verweist auf eine Wahrnehmung der Völker als gleich und gleichberechtigt.

Zwei Autoren haben über das Wesen der Brückenliteratur reflektiert: Zafer Şenocak und Hamid Reza Yousefi. Şenocak versteht hierunter 1986 ein Genre von Schriftstellern, die "mehreren Kulturkreisen angehören und sich mit dieser Position auseinandersetzen"[1]. Der Begriff "Brückenliteratur" wird 2011 erneut in der autobiographischen Skizze "Dornenfelder" des deutsch-iranischen Philosophen Hamid Reza Yousefi verwendet. Am Ende seines Prologs schreibt er, sein Werk wolle, „Goethe ehrend, Brückenliteratur sein, eine dialogische Form, das Andere zu sehen und mit ihm eine Verständigung zu suchen.“[2] Beide Autoren pflegen ein Genre, das Verbindungen schaffen will, für Yousefi ist jedoch Bikulturalität keine zwingende Voraussetzung.

Abgrenzung zu weiteren Genres zweisprachiger Schriftsteller

Eine klare Abgrenzung von allen literarischen Erzeugnissen zweisprachiger oder multikultureller Autoren ist mit Schwierigkeiten verbunden, da zahlreiche literarische Werke durch Überschneidung und Vermischung charakterisiert sind. So sind Textsorten, die sich der stilistischen Mittel der Parodie bedienen, häufig unter ‚Humor, Satire‘ oder ‚Unterhaltung’ eingeordnet, während Lebensgeschichten zum biographischen Genre gezählt werden. Von Bedeutung ist die Trennung der Brückenliteratur von der seit den 1990er Jahren boomenden sogenannten ‚Schleierliteratur‘, die über die Probleme von Mischehen und das Martyrium entrechteter Frauen, vorwiegend aus islamischen oder schwarzafrikanischen Kulturgebieten, handelt. In dieser wie auch anderen Arten sogenannter ‚Verfolgungsliteratur‘ werden häufig Einzelschicksale generalisiert oder eine duale Schreibweise in Form von Schwarz-Weiß-Malerei dargestellt. Solche literarischen Werke laufen dem Charakter, als ‚Brücke‘ zwischen den Kulturen zu fungieren, zuwider.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Şenocak in Ackermann/Weinrich: Eine nicht-deutsche Literatur. Zur Standortbestimmung der "Ausländerliteratur", hrsg. v. Irmgard Ackermann u.a., München 1986, S. 66
  2. Hamid Reza Yousefi: Dornenfelder, Reinbek 2011, S. 11

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